BUNDESFINANZHOF Urteil vom 27.10.2010, II R 37/09
Steuerfreiheit von Zuwendungen unter Lebenden bezüglich Familienwohnheimen/Familienheimen - Begriff der freigebigen Zuwendung - Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung - Steuerbefreiung oder Steuervergünstigung - Bewertung eines zunächst niedrig verzinsten, später unverzinslichen Darlehens
Leitsätze
1. Im Zusammenhang mit Familienwohnheimen/Familienheimen stehende Zuwendungen unter Lebenden sind auch dann nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerfrei, wenn die Ehe bei der Anschaffung oder Herstellung des Objekts noch nicht bestanden hatte.
2. Zu den Zuwendungen unter Lebenden i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG gehören auch Abfindungen für einen Erbverzicht.
Tatbestand1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt von ihrem späteren Ehemann --E-- (Eheschließung am 6. Januar 1997) durch Vertrag vom 2. März 1996 ein mit banküblichen Sparbuchzinsen zu verzinsendes Darlehen über 2.750.000 DM zugesagt, das sie vereinbarungsgemäß zum Erwerb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs mit einem Herrenhaus verwendete. Nach den getroffenen Vereinbarungen müssen Rückzahlungen bis zu einem Betrag von 50.000 DM sechs Monate vorher und größere Summen (Höchstbetrag 200.000 DM) zwei Jahre vorher angekündigt werden.2 Durch Zusatzvereinbarung vom 8. Januar 1997 wurde das Darlehen für die Vergangenheit und für die Zukunft zinslos gestellt. Am 24. Januar 1997 tilgte die Klägerin einen Teilbetrag des Darlehens (700.000 DM). Das verbleibende Darlehen von 2.050.000 DM erließ E der Klägerin durch Vertrag vom 22. November 2004 als Gegenleistung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht.3 Nachdem dieser Sachverhalt dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) im Jahr 2004 bekannt geworden war, vertrat er die Auffassung, die zunächst zinsgünstige und dann unentgeltliche Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital zu nutzen, sowie der Verzicht auf die bereits angefallenen Zinsen und das restliche Darlehen stellten freigebige Zuwendungen des E an die Klägerin dar.4 Das FA ging davon aus, dass die erste dieser freigebigen Zuwendungen am 31. März 1996 (Tag der Fälligkeit des Kaufpreises für den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft) ausgeführt worden sei, und setzte dafür durch Bescheid vom 21. April 2006 aufgrund eines Steuerwerts der Bereicherung von 515.771 DM Schenkungsteuer in Höhe von 60.255,75 EUR (117.850 DM) fest. Es nahm dabei an, der jährliche Zinsvorteil bestehe im Unterschied zwischen den vereinbarten banküblichen Sparbuchzinsen, die 2 % betrügen, und dem in § 15 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) bestimmten Zinssatz von 5,5 %. Die Kapitalwerte des Zinsvorteils errechnete das FA nach der jeweiligen tatsächlichen Laufzeit des am 24. Januar 1997 getilgten Teils des Darlehens und des später erlassenen Restbetrags mit 19.477 DM und 496.294 DM, zusammen also 515.771 DM. Der Einspruch blieb erfolglos.5 In der Vereinbarung vom 8. Januar 1997 sah das FA eine freigebige Zuwendung zum einen hinsichtlich des Verzichts auf die bereits entstandenen Zinsen in Höhe von 14.972 DM und zum anderen mit einem Wert von 263.903 DM hinsichtlich des Zinsverzichts für die Zukunft. Unter Berücksichtigung des nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (ErbStG) zustehenden Freibetrags von 600.000 DM und des Anrechnungsbetrags für den Vorerwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG von 60.255,75 EUR ergab sich daraus keine festzusetzende Schenkungsteuer.6 Für den am 22. November 2004 vereinbarten Erlass der restlichen Darlehensschuld setzte das FA in der Einspruchsentscheidung abweichend vom Steuerbescheid vom 19. September 2005 Schenkungsteuer in Höhe von 157.750 EUR fest. Es rechnete dabei dem Nennwert der erlassenen Darlehensforderung von 2.050.000 DM = 1.048.148 EUR nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einen Gesamtwert der Vorerwerbe von 406.296 EUR hinzu. Von der sich bei einem Steuersatz von 19 % ergebenden Schenkungsteuer von 218.006 EUR zog das FA die tatsächlich zu entrichtende Steuer für die Vorerwerbe von 60.255,75 EUR ab, da die fiktive Steuer aus Vorerwerben (§ 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) nach seiner Berechnung lediglich 10.912 EUR beträgt.7 Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die Besteuerung der zunächst zinsgünstigen und dann zinslosen Darlehensgewährung und vertrat ferner die Auffassung, der am 22. November 2004 vereinbarte Darlehensverzicht unterliege nicht mit dem Nennwert des restlichen Darlehensbetrags der Schenkungsteuer, sondern sei mit dem 9,3-fachen Jahreswert des Zinsvorteils abzuzinsen. Zudem stelle der Darlehensverzicht zu 800/2.750 eine nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerfreie Freistellung von im Zusammenhang mit der Anschaffung des Herrenhauses eingegangenen Verpflichtungen dar. Dieses Haus werde von ihr und E bewohnt und sei daher ein Familienwohnheim im Sinne dieser Vorschrift. Es besteht dabei Einigkeit zwischen den Beteiligten, dass von dem Kaufpreis von 2.750.000 DM für den Betrieb 800.000 DM auf das Herrenhaus entfielen.8 Die Klägerin beantragte, die Schenkungsteuerbescheide für die Erwerbe vom 31. März 1996 und vom 22. November 2004 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 aufzuheben.9 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Steuerfestsetzung für den Erwerb vom 31. März 1996 ab. In der Gewährung des niedrig verzinslichen Darlehens liege eine freigebige Zuwendung des E an die Klägerin.10 Für die Zuwendung vom 22. November 2004 setzte das FG die Schenkungsteuer in der Weise herab, dass statt von einem Steuerwert der freigebigen Zuwendung von 1.048.148 EUR von einem Steuerwert von 991.831 EUR ausgegangen wird. Die Voraussetzungen für eine teilweise Steuerbefreiung des Darlehensverzichts nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG seien nicht erfüllt. Bei dem Herrenhaus handele es sich nämlich nach § 33 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 3 BewG um Betriebsvermögen, das nicht der Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, sondern der Begünstigungsvorschrift des § 13a ErbStG unterfalle. Der erlassene Darlehensbetrag sei aber nicht mit dem Nennwert anzusetzen, sondern wegen der vereinbarten niedrigen Verzinsung und der Laufzeit von mehr als einem Jahr abzuzinsen. Der der Abzinsung zugrunde zu legende jährliche Zinsverlust betrage 1 % von 1.048.148,30 EUR (Nennwert der erlassenen Forderung). Es sei nämlich von dem Unterschied zwischen den ursprünglich vereinbarten banküblichen Sparbuchzinsen von 2 % und einem Zinssatz von 3 % auszugehen. Für die Kapitalisierung dieses jährlichen Zinsverlustes sei die mittlere Lebenserwartung des E zum Zeitpunkt des Erlasses maßgebend, die nach der Sterbetafel für die Bundesrepublik Deutschland 2002/2004 noch 6,34 Jahre betragen habe. Das Darlehen habe nämlich für die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft der Klägerin mit E nicht gekündigt werden können, wie sich aus den Umständen des Streitfalles ergebe. Die (künftigen) Erben des E hätten das Darlehen aber unabhängig von etwa für die Zeit nach dessen Tod vereinbarten Einschränkungen der ordentlichen Kündigung deshalb kündigen können, weil die Klägerin die vereinbarten jährlichen Zinsen von 2 % nicht hätte bezahlen können und daher den Erben das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 490 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zugestanden hätte. Der mittleren Lebenserwartung des E entsprechend sei ein sich aus einer Interpolation der Vervielfältiger für sieben und sechs Jahre lt. Tabelle 2 zu § 12 Abs. 1 BewG von 5,839 bzw. 5,133 ergebender Vervielfältiger von 5,373 anzusetzen. Der Kapitalwert des Zinsverlustes belaufe sich somit auf 1 % von 1.048.148,30 EUR x 5,373 = 56.317 EUR. Der anzusetzende Gegenwartswert des erlassenen Darlehens betrage somit rd. 991.831 EUR.11 Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 7 Abs. 1 Nr. 1 und § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. Die Vorteile aus der Gewährung eines zinslosen oder niedrig verzinslichen Darlehens unterlägen nicht der Schenkungsteuer. Zumindest müsse aber insoweit ebenso wie für den Darlehensverzicht die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG angewendet werden. Das FG habe ferner den Gegenwartswert der erlassenen Darlehensschuld unzutreffend berechnet. Der jährliche Zinsverlust betrage nicht 1 %, sondern nach § 12 Abs. 3 BewG 5,5 % der erlassenen Darlehensschuld. Unzutreffend sei auch der vom FG angesetzte Vervielfältiger. Das Darlehen sei auf längere, unbestimmte Zeit gelaufen. Die Kündigungsmöglichkeiten seien auch nach dem Tod des E dahingehend beschränkt gewesen, dass jeweils nur ein Teilbetrag des Darlehens bis zu einer Höhe von 200.000 DM mit einer Kündigungsfrist von zwei Jahren habe kündbar sein sollen. Ein außerordentliches Kündigungsrecht wegen Nichtentrichtung der vereinbarten Zinsen hätte den Erben des E aufgrund der vereinbarten Zinslosigkeit des Darlehens nicht zugestanden. Für die Abzinsung müsse daher der 9,3-fache Jahreswert des Zinsverlustes angesetzt werden. Der erlassene Darlehensbetrag von 2.050.000 DM sei demgemäß mit 9,3 x 5,5 % = 51,15 % und somit um 1.048.575 DM auf 1.001.425 DM abzuzinsen. Davon seien 800/2.750 als Familienheim-Zuwendung steuerfrei. Hieraus ergebe sich ein Steuerwert der Zuwendung von 710.101 DM = 363.068 EUR.12 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung der Steuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung für die Zuwendung vom 31. März 1996 von einem Steuerwert von 0 DM und für die Zuwendung vom 22. November 2004 ohne Berücksichtigung von Vorerwerben von einem Steuerwert von 363.068 EUR auszugehen.13 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.14 Die Klägerin könne die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG nicht beanspruchen, da das Herrenhaus bei dessen Anschaffung im März 1996 noch kein Familienwohnheim gewesen sei.
Entscheidungsgründe 15 II. Die Revision ist hinsichtlich der Zuwendung vom 31. März 1996 unbegründet und war daher insoweit zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Bezüglich der Zuwendung vom 22. November 2004 ist die Revision begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung und unter Änderung des Schenkungsteuerbescheids vom 19. September 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 zur Herabsetzung der Schenkungsteuer auf 2.864 EUR (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). 16 1. Das FG hat die Rechtmäßigkeit des für die Zuwendung vom 31. März 1996 ergangenen Schenkungsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 zutreffend bejaht. 17 a) Der Schenkungsteuer unt