VI ZR 276/99 - VI. Zivilsenat
Karar Dilini Çevir:
VI ZR 276/99 - VI. Zivilsenat
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 276/99 Verkündet am: 30. Mai 2000 Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein GG Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 823 Ah, Bd, 1004; StGB §§ 185 ff. Eine Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbildung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, muß nach Art. 5 Abs. 1 GG in e i - ner freiheitlichen Demokratie grundsätzlich selbst dann toleriert werden, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint (hier: "Babycaust"). BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - OLG Nürnberg LG Nürnberg -Fürth - 2 - Der VI. Zivilsen at des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Groß und die Richter Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Greiner und Wellner für Recht erkannt: Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden unter Zurückweisung der Anschlußberufung der Klägerin zu 2) das Urteil des 4. Zivils e - nats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28. Juli 1999 und das Urteil des Landgerichts Nürnberg -Fürth vom 11. Februar 1999 abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen. Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger die eigenen selbst und die übrigen jeweils zur Hälfte. Die Kosten der Rechtsmittelzüge trägt die Klägerin zu 2). Von Rechts wegen Tatbestand: Die - nur im ersten Rechtszug beteiligte - Klägerin zu 1), die Stadt N., war bis Ende 1997 Trägerin des Klinikums N. in N. und vermietete seit Anfang 1993 Praxisräume auf dem Klinikgelände an den Frauenarzt Dr. F., der dort Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Seit dem 1. Januar 1998 wird das Klin i - kum als Anstalt des öffentlichen Rechts durch die Klägerin zu 2) betrieben. - 3 - Am 8. Oktober 1997, noch vor der Umwandlung der Klägerin zu 2) in e i - ne Anstalt des öffentlichen Rechts, verteilten die Beklagten vor dem Gelände des Klinikums Flugblätter im Format DIN A 4, als deren presserechtlich Ve r - antwortlicher der Beklagte zu 1) genannt ist. Auf der einen Seite enthält das Flugblatt folgenden Text in unterschiedlichen - zum Teil graphisch hervorgeh o - benen - Schriftarten und -größen: "Unterstützen Sie unseren Protest und unsere Arbeit. Helfen Sie, damit in Zukunft das 5. Gebot "Du sollst nicht töten!" und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von allen Ärzten in N. eingehalten wird! Stoppen Sie den Kinder -Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Kl i - nikum N.. damals: Holocaust heute: Babycaust Wer hierzu schweigt wird mitschuldig! "Tötungs -Spezialist" für ungeborene Kinder Dr. F. auf dem Gelände des Klinikum N. N.". Auf der anderen Seite des Flugblattes befinden sich im oberen Teil zwei Abbildungen zerfetzter bzw. zerstückelter Föten mit Erläuterungen verschied e - ner Abtreibungsmethoden, daneben das Bild eines Kleinkindes mit Flasche. Der mittlere Teil enthält - graphisch hervorgehoben - die Aufforderung: "Bitte, helfen Sie uns im Kampf gegen die straflose Tötung ungeborener Kinder!" Der untere Teil besteht aus argumentativen Texten, die in die wiederum graphisch hervorgehobene Forderung münden: "Deshalb: Abtreibung NEIN!" - 4 - Mit der am 6. März 1998 eingereichten Klage haben die Klägerinnen die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Klägerin zu 1) hat später im Hinblick auf die Umwandlung des Klinikums N. in eine Anstalt öffen t - lichen Rechts den Rechtsstreit in der Hauptsache einseitig für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die Erledigungsfeststellungsklage der Klägerin zu 1) (rechtskräftig) abgewiesen und die Beklagten auf die - im übrigen abschlägig beschiedene - Klage der Klägerin zu 2) verurteilt, es zu unterlassen, in bezug auf das Klinikum N. in N. die Äußerung aufzustellen oder zu verbreiten: "d a - mals: Holocaust heute: Babycaust" sowie im Zusammenhang hiermit die Äuß e - rung aufzustellen oder zu verbreiten "Kinder -Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N.". Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Klägerin zu 2) die Beklagten unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts dazu verurteilt, es zu unterlassen, in bezug auf das Klinikum N. in N. folgende Äußerung aufzustellen oder zu ve r - breiten: "Kinder -Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N." und "damals: Holocaust heute: Babycaust", insbesondere in der näher bezeich- neten Form der dem Urteil insoweit beigefügten Seite des Flugblattes. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klagea b - weisungsantrag gegenüber der Klägerin zu 2) weiter. - 5 - Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin zu 2), die als Anstalt öffentlichen Rechts ebenfalls zivilrechtlichen Schutz vor ehrenrührigen Angri f - fen beanspruchen könne, sei durch die Aussagen auf dem Flugblatt unmittelbar und direkt betroffen. Der Hinweis auf das Gelände des Klinikums N. sei keine bloße Ortsangabe, sondern enthalte nach der maßgebenden objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Beobachters den Erklärungsgehalt, daß die Kl ä - gerin zu 2) auf ihrem Gelände Kindermord - womit klar ersichtlich Abtreibungen gemeint seien - durch den Tötungsspezialisten Dr. F. zulasse oder dessen Tun zumindest nichts entgegensetze. Der beanstandete Inhalt des Flugblattes habe ehrverletzenden Charakter. Zwar handele es sich bei den Begriffen "Kinde r - mord", "Holocaust" und "Babycaust" nicht um Tatsachenbehauptungen, so n - dern um Meinungsäußerungen, die in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fielen, im Streitfall seien sie aber davon nicht mehr gedeckt. Obwohl kein Fall einer Schmähkritik vorliege und es sich bei der umstrittenen Äußerung um e i - nen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung handele, ergebe eine Abwägung der Schwere der Beeinträchtigung des Ansehens der Klägerin zu 2) mit der Meinungsfreiheit der Beklagten, daß letztere zurücktreten müsse. Die Aussage "Kinder -Mord ... auf dem Gelände des Klinikum N." stelle allerdings für sich genommen eine überspitzte und überzeichnete Formulierung im politischen Meinungskampf dar, die noch zulässig sei, zumal ersichtlich kein Mord an Ki n - dern, sondern die Abtreibung gemeint sei. Eine nicht mehr hinnehmbare B e - einträchtigung des Ehrenschutzes liege jedoch in der Aussage "damals: Hol o - caust heute: Babycaust". Gerade den großen Krankenhäusern wie dem von der Klägerin zu 2) be triebenen obliege eine wichtige Funktion im Rahmen der - 6 - praktischen Ausgestaltung der geltenden, vom Bundesverfassungsgericht g e - billigten Regelung der Schwangerschaftsabbrüche, deren Erfüllbarkeit g e - währleistet sein müsse. Die Gleichsetzung des Holocaust, der millionenfachen Ermordung unschuldiger Menschen aus rein rassistischen Motiven und unter entwürdigenden Umständen durch ein Terrorregime, mit der Existenz einer A b - treibungspraxis auf dem Gelände des Klinikums N. sei nicht nur völlig unang e - messen, sondern schlicht unerträglich und mit dem darin enthaltenen Unwer t - urteil geeignet, die Aufgabe der Krankenbetreuung zu gefährden. Da beide b e - anstandeten Äußerungen in einem Sinnzusammenhang stünden und sich g e - genseitig ergänzten und verstärkten, würde ihr Sinn verfälscht, wenn man nur den letzten Teil untersagen würde. Deshalb seien beide Äußerungen unb e - schadet der Tatsache, daß die Formulierung "Kinder -Mord ..." für sich geno m - men zulässig wäre, zu unterlassen. II. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nicht stand. 1. Es kann offen bleiben, ob die Rüge der Revision, das Berufungsurteil leide unter dem absoluten Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO, weil es eine von den Beklagten ausdrücklich geltend gemachte Rechtfertigung des Flu g - blattes aus dem Gesichtspunkt des Art. 4 Abs. 1 GG ungeprüft lasse und ins o - weit nicht mit Gründen versehen sei, sachlich gerechtfertigt sein könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 551 Nr. 7 ZPO aus prozeßwirtschaftlichen Gründen nicht heranzuziehen, wenn das nicht erörterte Verteidigungsmittel zur Abwehr der Klage ungeeignet ist (vgl. BGHZ 39, 333, - 7 - 339; BGH, Urteil vom 26. Januar 1983 - IVb ZR 351/81 - NJW 1983, 2318, 2320; Urteil vom 24. April 1989 - II ZR 208/88 - VersR 1989, 761). Entspr e - chendes hat zu gelten, wenn die Revision der Beklagten aus anderen Gründen - wie hier unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 Abs. 1 GG - Erfolg hat, so daß es letztendlich dahingestellt bleiben kann, ob auch der von den Beklagten ohne näheren Sachvortrag für sich reklamierte Schutz des Art. 4 Abs. 1 GG zur A b - weisung der Klage hätte führen können. 2. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß auch juristische Personen des öffentlichen Rechts wie die Klägerin zu 2) zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen können, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird. Zwar haben sie weder eine "persönliche" Ehre noch sind sie Träger des allg e - meinen Persönlichkeitsrechts, sie genießen jedoch, wie § 194 Abs. 3 StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben - hier im Bereich der Daseinsvorsorge - strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann (vgl. Senatsurteile vom 22. Juni 1982 - VI ZR 251/80 - NJW 1982, 2246 und vom 16. November 1982 - VI ZR 122/80 - NJW 1983, 1183, jeweils m.w.N.; BVerfGE 93, 266, 291 = NJW 1995, 3303, 3304). 3. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist weiterhin die Beurteilung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin zu 2) von den beanstandeten Äuß e - rungen des Flugblattes selbst betroffen ist und sich die Bedeutung der Erwä h - nung des Klinikums N. auf dem Flugblatt - entgegen der Auffassung der Rev i - sion - nicht in einer bloßen Ortsangabe erschöpft. Würde die Äußerung in ihrer angegriffenen Form wiederholt, wozu sich die Beklagten - im Sinne einer vom Berufungsgericht angenommenen Erstbegehungsgefahr - grundsätzlich für b e - - 8 - rechtigt halten, würde mit ihr auch die Klägerin zu 2) als jetzige Trägerin des Klinikums N. angegriffen. Für die Ermittlung des Aussagegehalts des Flugblattes ist darauf abz u - stellen, wie es unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht z u - lässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennb a - ren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (vgl. z.B. Senat BGHZ 139, 95, 102). Danach richtet sich das - vor dem Gelände des Klinikums N. verteilte - Flugblatt zwar in erster Linie gegen die Tätigkeit des als "Tötungs -Spezialist für ungeborene Kinder" bezeichneten Arztes Dr. F., der auf dem Gelände des Kl i - nikums Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Daneben wird durch die beso n - dere textliche Gestaltung des Flugblattes zugleich aber auch das Klinikum bzw. dessen Träger angegriffen. Durch die zweimalige, drucktechnisch ebenso wie die Begriffe "Kinder-Mord" und "Tötungs-Spezialist Dr. F." hervorgehobene E r - wähnung des Klinikums N. in Verbindung mit dem Vorwurf "Wer hierzu schweigt wird mitschuldig!" wird dem Verständnis eines unbefangenen Durc h - schnittslesers nahegelegt, daß mit dem Flugblatt im konkreten Fall nicht nur der die Abtreibungen vornehmende Arzt Dr. F. angegriffen werden soll, so n - dern auch der verantwortliche Klinikträger, der es zuläßt, daß der "T ö - tungs -Spezialist für ungeborene Kinder Dr. F. auf dem Gelände des Klinikum N." tätig wird. Da mit der entsprechenden Seite des Flugblattes konkrete Vo r - gänge auf dem Gelände des Klinikums N. angegriffen werden, ändert sich an diesem Verständnis - entgegen der Auffassung der Revision - nichts daran, daß die andere Seite allgemeine Ausführungen gegen die derzeitige Abtre i - bungspraxis in allen Ländern mit liberalen Abtreibungsgesetzen enthält. - 9 - 4. Zutreffend ist auch der weitere Ausgangspunkt des Berufungsg e - richts, daß es sich bei den beanstandeten Äußerungen der Beklagten um Me i - nungsäußerungen handelt, welche dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG unterfallen (vgl. Senat BGHZ 139, 95, 101; Urteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - NJW 1994, 124, 125; Urteil vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 - VersR 2000, 327, 329 m.w.N.). a) Allerdings muß die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn die Ä u - ßerung die Menschenwürde eines anderen antastet, desgleichen regelmäßig auch dann, wenn sich eine herabsetzende Äußerung lediglich als Formalbele i - digung oder Schmähkritik darstellt (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 - VersR 2000, 327, 330 m.w.N). Im vorliegenden Fall ist aber weder die Menschenwürde betroffen, die einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bereits begrifflich nicht zukommt, noch handelt es sich bei den im Flugblatt enthaltenen Äußerungen um eine Formalbeleidigung oder Schmähkritik. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schm ä - hung; hinzutreten muß vielmehr, daß bei der Äußerung nicht mehr die Ausei n - andersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303, 3304; Senat, Urteil vom 7. Deze m - ber 1999 - VI ZR 51/99 - VersR 2000, 327, jeweils m.w.N.). Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, fallen die in dem von den Beklagten verbreiteten Flugblatt enthaltenen Äußerungen nicht unter den so verstandenen Begriff der Schmähkritik. Wenn auch die Gegenüberstellung e i - - 10 - nes heute vermeintlich stattfindenden "Babycaust" mit dem damaligen Hol o - caust im Anschluß an den voranstehenden Text "Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N." geeignet ist, das Ansehen der Klägerin zu 2) in besonderem Maße zu beeinträchtigen, so steht doch der damit verbundene Vorwurf in der Sache ersichtlich in unmittelbarem und u n - trennbarem Zusammenhang mit dem tatsächlichen Anliegen der Beklagten, nämlich der Auseinandersetzung mit der herrschenden Abtreibungspraxis au f - grund der geltenden Gesetze. b) Läßt sich die Äußerung damit weder als Angriff auf die Mensche n - würde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die sodann erforderliche Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an, wobei es aber, anders als im Fall von Tatsache n - behauptungen, grundsätzlich keine Rolle spielt, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil "richtig" ist. Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitr a - genden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung aller Art einprägsame, auch starke Formulieru n - gen hinzunehmen (BVerfGE 24, 278, 286 = NJW 1969, 227). Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteige r - ter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind (S e - nat, Urteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - NJW 1994, 124, 126; Urteil vom 20. Mai 1986 - VI ZR 242/85 - NJW 1987, 1398). Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für "falsch" oder "ungerecht" halten (vgl. Senat aaO). Auch die Form der Meinungsäußerung unterliegt der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Ä u - ßernden (BVerfGE 60, 234, 241 = NJW 1982, 2655). Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient sein Beitrag dem geistigen Meinung s - kampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht - 11 - die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung; eine Auslegung der die Me i - nungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässsigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - NJW 1994, 124, 126 m.w.N.). Das ist insbesondere zu beachten, wenn die Ehrenschutzvorschriften der §§ 185 ff. StGB - wie hier - nicht auf Personen, sondern auf staatliche Ei n - richtungen bezogen werden. Sie dienen dann nicht dem Schutz der persönl i - chen Ehre, sondern suchen die öffentliche Anerkennung zu gewährleisten, die erforderlich ist, damit staatliche Einrichtungen ihre Funktion erfüllen können. Gerät dieser Schutzzweck in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit, so ist d e - ren Gewicht besonders hoch zu veranschlagen, weil das Grundrecht gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (vgl. BVerfGE 93, 266, 293 = NJW 1995, 3303, 3304). c) Auch das Berufungsgericht hat deshalb mit Recht die Äußerung "Kinder -Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikum N." für sich g e - nommen als überspitzte und überzeichnete Formulierung im politischen Me i - nungskampf als zulässig erachtet. Ob nicht bereits deshalb der Unterlassung s - ausspruch des Berufungsgerichts zu weit geht, kann letztlich dahinstehen. Denn auch die in diesem Zusammenhang erfolgte weitere Äußerung "damals: Holocaust heute: Babycaust" wird - zumindest im vorliegend zu beurteilenden Verhältnis zur Klägerin zu 2) - noch vom Grund recht der Meinungsfreiheit der Beklagten getragen und vermag das Unterlassungsbegehren ebenfalls nicht zu rechtfertigen. aa) Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung von Äußeru n - gen ist zunächst, daß ihr Sinn zutreffend erfaßt worden ist. Ob dies der Fall ist, - 12 - unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (S e - nat BGHZ 132, 13, 21; 78, 9, 16; Urteil vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99 - VersR 2000, 327, 330). Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroff e - nen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingeno m - menen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Ä u - ßerung auszugehen, der jedoch ihren Sinn nicht abschließend festlegt. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Leser erkennbar waren. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird daher den Anforderungen an eine zuverlässige Sinne r - mittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266, 295 = NJW 1995, 3303, 3305; Senat BGHZ 139, 95, 102; Urteil vom 25. März 1997 - VI ZR 102/96 - VersR 1997, 842, 843 m.w.N.). bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist dem von den Beklagten ve r - teilten Flugblatt - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - eine Gleichsetzung der angeprangerten Vorgänge auf dem Klinikgelände mit dem Holocaust des Nationalsozialismus nicht zu entnehmen. Durch die den Leser aufschreckende Wirkung des Begriffes Holocaust und dessen Gegenüberste l - lung mit einem daran angelehnten Wortgebilde "Babycaust" sowie die anderen plakativen, drastisch überzogenen Formulierungen des Flugblattes versuchen dessen Verfasser in erster Linie in provokativer Weise Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erzielen. Da es sich bei der Abtreibung um ein Thema handelt, das in der Öffentlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart wie kaum ein anderes - teilweise sehr emotional - diskutiert worden ist, wird dem interessierten Leser sofort deutlich, daß es sich bei dem Flugblatt um einen Protest von Abtre i - - 13 - bungsgegnern gegen die auf dem Klinikgelände von Dr. F. vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche handelt. Zugleich wird einem unvoreingenomm e - nen und verständigen Leser die Meinung der Verfasser vermittelt, die aufgrund der bestehenden Gesetzeslage herrschende Abtreibungspraxis stelle eine verwerfliche Massentötung (werdenden) menschlichen Lebens dar. Eine Gleichsetzung mit dem Holocaust in seinem geschichtlichen Sinne ist dem Kontext des Flugblattes dagegen nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat insoweit die gebotene Gesamtbetrachtung verkürzt und es insbesondere versäumt, in die Deutung der beanstandeten Äußerung auch die andere Seite des Flugblattes und die dort abgedruckten Texte mit einzubeziehen. Diese e r - läutern argumentativ den Standpunkt der Verfasser, wonach ein Staat, der das Töten des ungeborenen Lebens zulasse, den Boden der Menschenrechte ve r - lasse und seine Demokratie in Frage stelle, weil er eine bestimmte Mensche n - gruppe, nämlich ungeborene Kinder, vom strafrechtlichen Schutz ausschließe. cc) Der danach verbleibende Vorwurf ist zwar immer noch erheblich, j e - doch wird die Klägerin zu 2) durch ihn - entgegen der Auffassung des Ber u - fungsgerichts - nicht so schwer beeinträchtigt, daß die Meinungsfreiheit der Beklagten zurücktreten müßte. Auch wenn die Tätigkeit des Arztes Dr. F. der geltenden Rechtslage en t - spricht, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 88, 203 = NJW 1993, 1751) von Verfassungs wegen nicht beanstandet hat, so werden die Beklagten dadurch nicht an einer Meinungsäußerung gehindert, die - wenn auch mit dr a - stischen Vergleichen - für eine (Wieder -)Einführung einer weitergehenden Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen streitet, welche jedenfalls nach der früheren Gesetzeslage ebenfalls nicht verfassungswidrig war. Bleibt der Schutz werdenden menschlichen Lebens in den vom Bundesverfassungsg e - - 14 - richt aufgezeigten Grenzen in erster Linie dem Gesetzgeber überlassen, dann ist ein Beitrag zur politischen Willensbildung in dieser die Öffentlichkeit beso n - ders berührenden fundamentalen Streitfrage wegen der konstitutiven Bede u - tung der Meinungsfreiheit für die Demokratie grundsätzlich selbst dann zu tol e - rieren, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint. Letztlich bleibt es dem Leser des von den Beklagten verbreiteten Flugblattes überlassen, selbst da r - über zu entscheiden, ob er die subjektive Einschätzung der Verfasser teilt und entsprechend ihrer Aufforderung ebenfalls auf eine Änderung der bestehenden Rechtslage im Rahmen künftiger politischer Willensbildung hinwirken will. Hierdurch ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die - grundsätzlich zu schützende - Fähigkeit der Klägerin, ihre Funktion als Träg e - rin des Krankenhauses weiter auszuüben, noch nicht so erheblich tangiert, daß die Meinungsfreiheit der Beklagten gegenüber diesem Interesse zurücktreten müßte, zumal nur die eher passive Beteiligung der Klägerin zu 2) an den auf dem Gelände des Klinikums von Dr. F. vorgenommenen Schwangerschaftsa b - brüchen angegriffen, nicht aber ihre Fähigkeit zur sonstigen medizinischen Versorgung in Frage gestellt wird. Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die im Flugblatt geäußerte Meinung dazu führen könnte, daß der Klägerin zu 2) nicht mehr das erforderliche Mindestmaß gesellschaftlicher Akzeptanz entgegeng e - bracht würde, um ihre diesbezüglichen Aufgaben im Rahmen der Daseinsvo r - sorge zu erfüllen, sind weder den Feststellungen des Berufungsgerichts noch dem Vorbringen der Klägerin zu 2) zu entnehmen. 5. Nach alledem mag zwar die Gegenüberstellung eines vermeintlichen "Babycaust" mit dem Holocaust unangebracht sein, zumal auch durch die de r - zeitige Rechtslage das ungeborene Leben - allerdings unter Berücksichtigung der Rechtsgüter der schwangeren Frau - bestmöglich geschützt werden soll. Als Meinungsäußerung im Rahmen eines Beitrags zur politischen Willensbi l - - 15 - dung in einer die Öffentlichkeit so sehr bewegenden, fundamentalen Frage, bei der es um den Schutz des Lebensrechts Ungeborener geht, muß sie jedoch auch in der vorliegenden Form nach Art. 5 Abs. 1 GG in einer freiheitlichen Demokratie hingenommen werden. III. Das Berufungsurteil konnte damit keinen Bestand haben. Da seine Au f - hebung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis e r - folgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Se- - 16 - nat nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden und auf die Rechtsmittel der Beklagten in entsprechender Abänderung der vorinstanzlichen Urteile die Klage insgesamt abweisen. Groß Dr. v. Gerlach Dr. Müller Dr. Greiner Wellner

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