VI ZR 268/99 - VI. Zivilsenat
Karar Dilini Çevir:
VI ZR 268/99 - VI. Zivilsenat
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 268/99 Verkündet am: 10. Oktober 2000 Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja StVO § 3 Abs. 2a Zu den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Kraftfahrers gege n - über einem achtjährigen Kind, das sich als Radfahrer auf dem Gehweg neben der Fahrbahn befindet. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99 - OLG Brandenburg LG Potsdam - 2 - Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2000 durch die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner und Wellner für Recht erkannt: Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Juli 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil en t - schieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Ve r - handlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Von Rechts wegen Tatbestand: Der am 25. August 1984 geborene Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen eines Unfalls an seinem 8. Geburtstag gegen 17 Uhr in D. auf der J. Straße in Anspruch. Der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 b e - fuhr an diesem Tag mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw der Beklagten zu 1 die J. Straße. Auf dem aus seiner Fahrtrichtung rechts ve r - laufenden Bürgersteig befand sich der Kläger mit seinem Fahrrad. Der Kläger - 3 - wurde von dem Pkw erfaßt und schwer verletzt. Der Hergang des Unfalls ist zwischen den Parteien streitig. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Ersatz seines materiellen und i m - materiellen Schadens. Das Landgericht hat ein hälftiges Mitverschulden des Klägers an dem Unfall zugrunde gelegt und der Klage unter Abweisung im ü b - rigen zum Teil stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufung s - gericht unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel beider Parteien das Mitverschulden des Klägers mit 25 % bemessen und die Beklagten auf dieser Grundlage als Gesamtschuldner zum Ersatz des materiellen Schadens, die Beklagte zu 2) auch zum Ersatz des immateriellen Schadens verurteilt und entsprechend die Verpflichtung beider Beklagter zum Ersatz künftig entstehe n - der Schäden festgestellt. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihr Bege h - ren auf Abweisung der Klage in vollem Umfang weiter. Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hält die Beklagten für verpflichtet, dem Kläger 75 % seines durch den Unfall verursachten materiellen Schadens zu ersetzen. Die Beklagte zu 2 habe darüber hinaus unter Berücksichtigung eines Mitve r - schuldens des Klägers von 25 % ein Schmerzensgeld von 37.500 DM nebst Zinsen zu bezahlen (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB; § 3 Nr. 1 Pflichtversicherun g s - gesetz). - 4 - Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Pkw der Beklagten zu 1 mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h gefahren, als es zum Zusammenstoß mit dem vom Bürgersteig auf die Fahrbahn der Straße einfa h - renden Kläger gekommen sei. Der Fahrer des Pkw habe den Kläger zwar vor dem Unfall aus einer größeren Entfernung gesehen, seine Aufmerksamkeit aber dann auf den übrigen Verkehr gerichtet, ohne sich nochmals über das Fahrverhalten des Kindes zu vergewissern, obwohl ihm das aufgrund der Sichtverhältnisse ohne weiteres möglich gewesen wäre. Angesichts des Alters des Klägers sei der Fahrer des Pkw jedoch nach § 3 Abs. 2 a StVO verpflichtet gewesen, entweder den Kläger im Auge zu behalten oder aber seine G e - schwindigkeit so zu verringern, daß er den Pkw im Gefährdungsfalle weit eher zum Stillstand hätte bringen können. II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die bi s - herigen tatsächlichen Feststellungen vermögen die Annahme des Berufung s - gerichts, der Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten habe gegen § 3 Abs. 2 a StVO verstoßen, nicht zu tragen. 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Pkw -Fahrers nicht schon darin, daß er mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h sich dem auf dem Gehweg mit dem Fahrrad fahrenden Kläger gen ä - hert hat, ohne seine Fahrgeschwindigkeit zu verringern oder den Kläger gezielt im Auge zu behalten. Damit überspannt das Berufungsgericht die Sorgfaltsa n - forderungen. Zwar stellt § 3 Abs. 2a StVO an die Sorgfaltspflicht des Fah r - - 5 - zeugführers gegenüber Kindern erhöhte Anforderungen. Der erkennende S e - nat hat aber stets darauf hingewiesen, daß auch gegenüber Kindern die an die Sorgfaltspflicht des Kraftfahrers zu stellenden Anforderungen nicht überspannt werden dürfen, wenn nach der gewöhnlichen Lebenserfahrung eine Gefäh r - dung nicht zu erwarten ist (vgl. Senatsurteil vom 1. Juli 1997 - VI ZR 205/96 - NJW 1997, 2756, 2757 m.w.N.; vom 5. Mai 1992 - VI ZR 262/91 - VersR 1992, 890). Auch gegenüber Kindern gilt grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz, wie das Berufungsgericht im Ansatzpunkt ohne Rechtsfehler erkennt. Der Senat hat daher nur dann, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zu Gefährdungen führen könnten, von dem Kraftfahrer verlangt, daß er besondere Vorkehrungen (z.B. Verring e - rung der Fahrgeschwindigkeit, Einnehmen der Bremsbereitschaft) zur Abwe n - dung der Gefahr trifft. So hatte in dem der Senatsentscheidung vom 5. Mai 1992 ( - VI ZR 262/91 - VersR 1992, 890) zugrundeli egenden Fall ein fünfjähr i - ges Kind sich von der Begleitung seiner Mutter auf dem Gehweg gelöst und war selbständig in Richtung Fahrbahn gelaufen. In einem weiteren, dem erke n - nenden Senat zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt war ein 7 3/4 Jahre altes Kind zusammen mit seinem sechsjährigen Bruder auf Kinderfahrrädern dem PKW der Beklagten auf dem rechten Gehweg der Straße nebeneinander fahrend entgegengekommen; auffällig für den PKW-Fahrer war, daß die Kinder in eine unklare Verkehrslage fuhren, weil der Gehweg mit 1,85 m verhältni s - mäßig schmal war und die Kinder eine Bushaltestelle zu passieren hatten, an der ein Fahrgast nach dem Bus Ausschau hielt und deshalb unklar war, wieviel Platz für die Kinder zum Vorbeifahren blieb (Senatsurteil vom 2. Juli 1985 - VI ZR 22/84 - VersR 1985, 1088, 1089). Schließlich hat der Senat eine den Vertrauensgrundsatz einschränkende Situation bejaht, wenn Kinder in einer - 6 - Gruppe mit Fahrrädern auf dem Radweg in Richtung einer Furt an einer Kre u - zung fuhren ohne erkennen zu lassen, daß sie rechtzeitig anhalten würden (Senatsurteil vom 1. Juli 1997 - VI ZR 205/96 - NJW 1997, 2756). Solche Au f - fälligkeiten, die die Annahme rechtfertigen würden, der Fahrer des beklagten Fahrzeugs habe nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Klägers ve r - trauen dürfen, hat das Berufungsgericht hier bislang nicht festgestellt. Jede n - falls bei einem Kind im Alter des Klägers, bei dem weder aus seinem Verhalten noch aus der Situation, in der es sich befindet, Auffälligkeiten zu erkennen sind, muß ein Kraftfahrer kein verkehrswidriges Verhalten in Betracht ziehen. Der Kläger war acht Jahre alt und altersgemäß entwickelt; er fuhr selbständig mit dem Fahrrad auf dem Gehweg. Irgend eine Besonderheit, die zu Gefäh r - dungen hätte führen können, ist bislang nicht ersichtlich. In einem solchen Fall bedeutet es eine Überspannung der Sorgfaltspflichten des Kraftfahrers, ohne weitere Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung von ihm zu verlangen, vorsorglich die Geschwindigkeit zu verringern oder das Kind ständig im Auge zu behalten. Falls das Berufungsgericht bei der hiernach erforderlichen weiteren Sachprüfung erneut ein schuldhaftes Fehlverhalten des PKW-Fahrers für e r - wiesen erachten sollte, wird es zu berücksichtigen haben, daß sich aus dem Gutachten des Sachverständigen bisher nicht entnehmen läßt, der Fahrer habe durch eine rechtzeitige Reaktion den Unfall zeitlich und örtlich vermeiden kö n - nen. Dabei wird jedoch zu beachten sein, daß der für eine Haftung erforderl i - che Ursachenzusammenhang schon dann anzunehmen ist, wenn der Unfall bei ordnungsgemäßer Fahrweise des PKW zu deutlich geringeren Schäden des Klägers geführt hätte (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - NJW 2000, 3069 m.w.N.). - 7 - 2. Zutreffend hat das Berufungsgericht dagegen angenommen, daß die Beklagten den Beweis der Unabwendbarkeit nach § 7 Abs. 2 StVG nicht g e - führt und daß sie deshalb für die von dem Unfallfahrzeug ausgehende B e - triebsgefahr einzustehen haben (§ 7 Abs. 1 StVG). Ein unabwendbares Erei g - nis liegt nur dann vor, wenn es auch bei äußerst möglicher Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können (vgl. BGHZ 117, 337, 340). Die tatsächlichen Vo r - aussetzungen dieses Haftungsausschlusses haben die Beklagten nicht bewi e - sen. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die Ausführungen des gerichtl i - chen Sachverständigen festgestellt, es sei eine Geschwindigkeit des Pkw zw i - schen 50 und 70 km/h wahrscheinlich. Kommt hiernach eine Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) in Betracht, kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Fahrzeugführer jede nach den Umstä n - den des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet habe. III. Da das angefochtene Urteil auf eine schuldhafte Verursachung des U n - falles durch den Geschäftsführer der Beklagten zu 1 gestützt ist und diese B e - urteilung aus den dargelegten Gründen keinen Bestand haben kann, wird das Berufungsgericht - gegebenenfalls nach weiterer Beweiserhebung - im Rahmen der erneuten Sachprüfung die beiderseitigen Verursachungsanteile nach §§ 254 Abs. 1 BGB, 9 StVG abzuwägen haben. Da bei wird zu beachten sein, daß die Abwägung nach den Grundsätzen der Rechtsprechung (vgl. Senat s - urteil vom 13. Februar 1990 - VI ZR 128/89 - VersR 1990, 535, 536) – entg e - gen der Ansicht der Revision - nur in Ausnahmefällen dazu führen kann, eine - 8 - etwa allein verbleibende Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs hinter das Ve r - schulden des Kindes zurücktreten zu lassen. Dr. Lepa Dr. Müller Dr. Dressler Dr. Greiner Wellner

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