KVR 23/98 - Kartellsenat
Karar Dilini Çevir:
KVR 23/98 - Kartellsenat
BUNDESGERICHTSHOFBESCHLUSSKVR 23/98 Verkündet am:18. Januar 2000WalzJustizamtsinspektorals Urkundsbeamterder Geschäftsstellein der KartellverwaltungssacheNachschlagewerk: jaBGHZ : neinBGHR : ja Tariftreueerklärung IIGWB § 20 Abs. 1, § 19 Abs. 2a)Geht es um die Marktstellung eines Nachfragers von Bauleistungen, be-schränkt sich der räumlich relevante Markt nicht auf das Gebiet, in dem dienachgefragte Leistung erbracht werden soll. Zum räumlich relevanten Marktgehören auch andere Nachfrager, soweit die von ihnen nachgefragten Leistun-gen aus der Sicht der Marktgegenseite als Ausweichmöglichkeit in Betrachtkommen.b)Sind die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von Straßenbauleistungenbemüht, durch das Verlangen der Abgabe von Tariftreueerklärungen die heimi-schen Anbieter vor auswärtiger Konkurrenz zu schützen, kann dies darauf hin-deuten, daß zwischen ihnen als Nachfragern kein wesentlicher Wettbewerb be-steht.– 2 –c)Die Praxis des Landes Berlin, nur an solche Unternehmen Straßenbauauf-träge zu vergeben, die sich zur Einhaltung der geltenden Lohntarife verpflich-ten (sog. Tariftreueerklärung), verstößt - soweit es ohne eine gültige gesetzli-che Grundlage geschieht - gegen das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1GWB.GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Art. 9 Abs. 3; Bln VergabeG v. 9. Juli 1999 (GVBl.S. 369) § 1 Abs. 1 Satz 2; GWB § 97 Abs. 4Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einge-holt, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Vergabegesetzes mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12GG, mit Art. 31 GG - i.V. mit § 5 TVG und i.V. mit § 20 Abs. 1 GWB - sowie mitArt. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist.BGH, Beschl. v. 18. Januar 2000 - KVR 23/98 - Kammergericht– 3 –Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhand-lung vom 16. November 1999 durch den Präsidenten des BundesgerichtshofesGeiß und die Richter Prof. Dr. Goette und Ball, die Richterin Dr. Tepperwien undden Richter Dr. Bornkammbeschlossen:I.Das Verfahren über die Rechtsbeschwerde des betroffenen Landeswird ausgesetzt.II.Die Sache wird gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG demBundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorge-legt, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Vergabegesetzes vom 9. Juli1999 (GVBl. S. 369) mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, mit Art. 31 GG -i.V. mit § 5 TVG und i.V. mit § 20 Abs. 1 GWB - sowie mit Art. 9Abs. 3 GG vereinbar ist.Gründe: A.Das betroffene Land Berlin fordert u.a. im Rahmen der Vergabe von Stra-ßenbauaufträgen eine sogenannte Tariftreueerklärung, mit der sich die Bieter fürden Fall der Auftragsvergabe verpflichten, ihre zur Erledigung des Auftrags einge-setzten Mitarbeiter nicht unter den jeweils geltenden Berliner Lohntarifen zu ent-lohnen. Diese Übung geht zurück auf ein Rundschreiben der Senatsverwaltung fürBau- und Wohnungswesen vom 9. Februar 1995, das u.a. an alle Senatsverwal-tungen und Bezirksämter gerichtet war und in dem es hieß:– 4 –Im Hinblick auf die Wahrung eines geordneten Wettbewerbs insbesondere auf demArbeitsmarkt ist die Einhaltung tarifvertraglicher Bestimmungen von besonderer Be-deutung. Öffentliche Bauaufträge Berlins dürfen deshalb nur an Bieter vergeben wer-den, die mit dem Angebot eine Erklärung zur Tariftreue abgegeben haben. Bereits beider Ausschreibung ist auf diese Verpflichtung hinzuweisen.Ab sofort sind bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen Berlins folgende Ver-pflichtungen in die “Besonderen Vertragsbedingungen” (BVB) unter Nr. 9 aufzuneh-men und damit zum Vertragsbestandteil zu machen:Die beigefügte Erklärung zur Einhaltung der geltenden Berliner Lohntarife so-wie die Tariftreueerklärung werden Vertragsbestandteil.Bei Verstoß gegen diese vertragliche Vereinbarung wird der Auftragnehmer fürdie Dauer von zwei Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Feststellung, vonder Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen.Es wird gebeten, dieses Rundschreiben bei künftigen Vergaben strikt zu beachten.Laufende Verträge bleiben unberührt.Die von den Bietern abzugebende Tariftreueerklärung hat folgenden Wort-laut:Ich/Wir erkläre(n), daß bei Auftragserteilung zum o.g. Bauvorhaben die Entlohnungmeiner/unserer Arbeitnehmer nicht unter den jeweils geltenden Berliner Lohntarifenerfolgen wird. Beim Einsatz von Nachunternehmern werden diese von mir/uns ent-sprechend verpflichtet.Der Auftraggeber behält sich vor, durch Stichproben anhand von mir/uns vorzulegen-den Lohnlisten die Einhaltung zu überprüfen.Mir/uns ist bekannt, daß bei Verstoß gegen diese vertragliche Vereinbarung mein/un-ser Unternehmen für zwei Jahre von der Vergabe öffentlicher Bauaufträge ausge-schlossen wird.Ich/wir habe(n) dem Betriebsrat diese Erklärung zur Kenntnis gegeben.Diese Maßnahme des betroffenen Landes richtete sich in erster Linie gegentarifvertraglich nicht gebundene Bieter mit Sitz in Berlin oder in den neuen Bun-desländern, für die aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertragsfür das Bauhauptgewerbe ein Mindestlohn von 16 DM (West) oder 15,14 DM (Ost)galt; dieser Mindestlohn war nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz auch fürausländische Arbeitgeber maßgeblich. Die Berliner Tariflöhne lagen deutlich hö-her, der Ecklohn für einen Facharbeiter etwa bei 25,26 DM.– 5 –Das Bundeskartellamt hat diese Maßnahme mit der Begründung beanstan-det, bei der Vergabe von Straßenbauaufträgen verstoße die beschriebene Übunggegen das Diskriminierungs- und Behinderungsverbot nach § 26 Abs. 2 Satz 1GWB a.F. (jetzt § 20 Abs. 1 GWB) sowie gegen das Preisbindungsverbot nach§ 15 GWB a.F. (jetzt § 14 GWB). Mit Beschluß vom 3. November 1997 hat es dembetroffenen Land untersagt, Straßenbauaufträge nur an Unternehmen zu verge-ben, die eine solche Erklärung abgegeben haben, die Erklärung bei Vergabe der-artiger Aufträge zum Vertragsbestandteil zu machen und Auftragnehmer bei einemVerstoß von der Vergabe öffentlicher Aufträge auszuschließen. Ferner hat dasBundeskartellamt dem betroffenen Land verboten, das in Rede stehende Rund-schreiben in bezug auf Straßenbauarbeiten in Kraft zu lassen, seine Adressatenüber die Außerkraftsetzung in Unkenntnis zu halten und mit neuen Rundschreibenvergleichbaren Inhalts oder auf sonstige Weise auf die Bezirke mit dem Ziel ein-zuwirken, das untersagte Verhalten durchzusetzen (BKartA WuW/E Verg 7 =NJWE-WettbR 1998, 68). Die gegen diese Untersagungsverfügung gerichtete Be-schwerde des betroffenen Landes hat das Kammergericht zurückgewiesen (KGWuW/E Verg 111 = ZIP 1998, 1600 = NJWE-WettbR 1998, 284).Hiergegen richtet sich die (zugelassene) Rechtsbeschwerde, mit der das be-troffene Land seinen Antrag auf Aufhebung der Untersagungsverfügung weiter-verfolgt. Das Bundeskartellamt tritt der Rechtsbeschwerde entgegen.Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist das Berliner Vergabegesetz(VgG Bln) vom 9. Juli 1999 (GVBl. S. 369) in Kraft getreten. § 1 dieses Gesetzeshat folgenden Wortlaut:(1)1Aufträge von Berliner Vergabestellen im Sinne des § 98 GWB über Bauleistun-gen sowie über Dienstleistungen bei Gebäuden und Immobilien werden an fachkundi-ge, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben. 2Die Vergabe von Bau-leistungen sowie von Dienstleistungen bei Gebäuden und Immobilien soll mit derAuflage erfolgen, daß die Unternehmen ihre Arbeitnehmer bei der Ausführung dieser– 6 –Leistungen nach den jeweils in Berlin geltenden Entgelttarifen entlohnen und diesauch von ihren Nachunternehmern verlangen.(2)Von der Teilnahme an einem Wettbewerb um einen Bauauftrag oder Dienstlei-stungsauftrag im Sinne des Absatzes 1 sollen Bewerber bis zu einer Dauer von zweiJahren ausgeschlossen werden, die ihre Arbeitnehmer entgegen einer Auflage nachAbsatz 1 Satz 2 nicht nach den jeweils in Berlin geltenden Entgelttarifen entlohnen.B.§ 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln ist nach Auffassung des Senats mit dem Grund-gesetz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12, Art. 9 Abs. 3 GG) und mit Bundesrecht (§ 5 TVG,§ 20 Abs. 1 GWB, Art. 31 GG) nicht vereinbar. Die Entscheidung über die Rechts-beschwerde hängt von der Wirksamkeit dieser Bestimmung ab.I.Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung über die Rechtsbe-schwerde1.Das Kammergericht hat in der beanstandeten Praxis des betroffenenLandes, die Auftragsvergabe im Straßenbau von der Verpflichtung zur Übernahmeder in Berlin geltenden Lohntarife abhängig zu machen, einen Verstoß gegen § 26Abs. 2 GWB a.F. (jetzt § 20 GWB) gesehen.Das betroffene Land sei als marktbeherrschender Nachfrager von Straßen-bauarbeiten Normadressat dieser Bestimmung. Sachlich sei der relevante Marktauf Straßenbauleistungen beschränkt. Der räumlich relevante Markt schließe dasGebiet Berlins und das Umland in einem Radius von etwa 30 km (Großraum Ber-lin) ein. Auf diesem Markt sei das betroffene Land als Nachfrager keinem wesent-lichen Wettbewerb ausgesetzt oder habe jedenfalls eine überragende Marktstel-lung inne. Die private Nachfrage belaufe sich auf maximal 30 %. Berücksichtigeman die Nachfrage nach Straßenbauleistungen im Umland von Berlin, so ergebesich für 1995 ein Marktanteil des betroffenen Landes von 57,6 %, für 1996 von– 7 –55,9 %. Seine überragende Stellung beruhe aber nicht nur auf der absoluten Grö-ße des Marktanteils, sondern auch darauf, daß die private Nachfrage stark zer-splittert sei. Auch die anderweitige öffentliche Nachfrage entfalte keine machtbe-grenzende Wirkung.Das betroffene Land behandele diejenigen Unternehmen, die keine Tarif-treueerklärung abgäben, in einem gleichartigen Unternehmen üblicherweise zu-gänglichen Geschäftsverkehr ungleich, wenn es sie von der Vergabe von Stra-ßenbauaufträgen ausschließe. Diese Ungleichbehandlung sei sachlich nicht ge-rechtfertigt. Das Verlangen des betroffenen Landes diene dem Schutz tarifgebun-dener Berliner Unternehmen. Damit werde das Ziel verfolgt, den Wettbewerbs-druck von seiten tarifungebundener Unternehmen zu beseitigen oder zumindestzu mindern. Die beanstandete Maßnahme diene nicht der Wahrung eines geord-neten Wettbewerbs, sondern bedeute im Gegenteil eine Wettbewerbsbeschrän-kung. Ob das damit verfolgte arbeitsmarktpolitische Interesse im Rahmen des§ 26 Abs. 2 GWB a.F. (jetzt § 20 GWB) abwägungsfähig sei, sei zweifelhaft, undzwar nicht allein aus dem vom Bundeskartellamt angeführten Grund, wonach esder öffentlichen Hand verwehrt sei, im Rahmen ihrer dem Privatrecht unterliegen-den Beschaffungstätigkeit öffentliche Zwecke zu verfolgen. Denn es begegnedurchgreifenden tarifvertrags- und verfassungsrechtlichen Bedenken, Unterneh-men zur Zahlung von Tariflöhnen zu verpflichten, die an die Tarifverträge nicht ge-bunden seien (§ 3 TVG).Das Verlangen richte sich in erster Linie an die tarifvertraglich ungebundenenArbeitgeber, die durch Abgabe der ihnen angesonnenen Erklärung so gestelltwürden, als seien sie Mitglied einer arbeitsrechtlichen Koalition. Die ihnen abver-langte Erklärung beeinträchtige sie daher in ihrem unter dem Schutz von Art. 9Abs. 3 GG stehenden Recht, Koalitionen nur freiwillig beizutreten und ihnen nachfreier Entscheidung fernzubleiben. Die negative Koalitionsfreiheit sei zwar nicht– 8 –uneingeschränkt geschützt. Die beanstandete Maßnahme verlasse aber den Be-reich des legitimen und sozial adäquaten Drucks. Das betroffene Land sei nichtselbst Tarifvertragspartei und verfolge kein eigenes Verbandsinteresse. Ihm gehees nicht um die kollektive Ausgestaltung von Arbeitsverträgen, sondern um dieDurchsetzung anderer sozial- und wirtschaftspolitischer Interessen. Wegen seinerMarktstellung sei sein Vorgehen dabei besonderen Bedenken ausgesetzt. VieleUnternehmen, vor allem mittlere und kleine Anbieter, würden durch das Verhaltendes betroffenen Landes genötigt, den Kostenvorteil, in dem häufig ihr entschei-dender Wettbewerbsvorteil liege, aufzugeben oder auf öffentliche Aufträge zu ver-zichten.Die mit der Tariftreueerklärung verfolgten Ziele - Bekämpfung der Arbeitslo-sigkeit in der Baubranche und Eindämmung der auf das Land zukommenden ho-hen Folgekosten - lägen zwar im Gemeinwohlinteresse. Als Normadressat deskartellrechtlichen Diskriminierungsverbots dürfe das betroffene Land aber nicht zuMitteln greifen, die wettbewerbsrechtlich nicht hinnehmbar seien. Auch das Be-streben, die ortsansässigen Unternehmen gegenüber der Konkurrenz wirtschaft-lich zu stützen, dürfe nicht mit wettbewerbsfeindlichen Mitteln verfolgt werden. DieBindung an die Tariftreueerklärung wirke sich ähnlich aus wie die Belegung vonEinfuhren mit Schutzzöllen: Das auswärtige Angebot verteuere sich zwangsläufigund büße seinen Preisvorteil gegenüber dem örtlichen Angebot mit der Folge ein,daß diesem ohne Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der Vorzug gegebenwerden könne. Entgegen der Ansicht des betroffenen Landes sei die Tariftreue imübrigen kein verläßlicher Indikator für die Güte der zu erbringenden Leistung. Dasbeanstandete Vorgehen könne daher nicht mit dem Bestreben gerechtfertigt wer-den, nur fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Betriebe zu beauftragen.2.Der Senat würde die Rechtsbeschwerde des betroffenen Landes zurück-weisen, wenn die gesetzliche Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln - weil verfas-– 9 –sungswidrig - außer Betracht bliebe. Das Verlangen, eine Tariftreueerklärung ab-zugeben, stellte dann - wie das Kammergericht zutreffend ausgeführt hat - eineunbillige Behinderung und Diskriminierung derjenigen Anbieter dar, die ihren Ar-beitnehmern nach den für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen niedrigereLöhne als die Berliner Tariflöhne zahlen könnten (§ 20 Abs. 1 GWB).a)Die Normadressateneigenschaft des betroffenen Landes hat das Kam-mergericht im Ergebnis mit Recht bejaht.aa)Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, daß der sachlich re-levante Markt der Markt für Straßenbauleistungen ist. Damit sind der Unterbau,der Oberbau und die Straßeneinfassungen erfaßt, nicht dagegen der Brücken-und Tunnelbau (sog. Ingenieurbau).bb)Daß das Kammergericht den räumlich relevanten Markt in der Weise be-stimmt hat, daß es zu dem Land Berlin einen bestimmten Umkreis hinzugeschla-gen hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dabei kann aber offenblei-ben, ob ein Radius von 30 km, wie ihn das Kammergericht seiner Beurteilung zu-grunde gelegt hat, oder ein größerer Radius den räumlich relevanten Markt zu-treffend umschreibt.(1)Der relevante Markt, hier der räumlich relevante Markt, muß stets ausder Sicht der Marktgegenseite bestimmt werden. Geht es - wie im Streitfall - umdie Marktstellung eines Nachfragers, beschränkt sich der räumlich relevante Marktnicht auf das Gebiet, in dem die nachgefragte Leistung erbracht werden soll (dieswäre im Streitfall das Land Berlin). Vielmehr gehören zum räumlich relevantenMarkt auch Nachfrager außerhalb Berlins, soweit die von ihnen nachgefragtenStraßenbauleistungen aus der Sicht des durchschnittlichen Anbieters als Aus-weichmöglichkeit in Betracht kommen (KG WuW/E OLG 3577, 3588 - Hussel/– 10 –Mara; Paschke/Kersten in Frankfurter Kommentar zum GWB, 3. Aufl., § 22Rdn. 92; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 22 Rdn. 43). Danachist darauf abzustellen, in welchem Umkreis sich Berliner Straßenbauunternehmenan Ausschreibungen außerhalb Berlins beteiligen und inwieweit Straßenbauunter-nehmen aus dem Umland sich an der Ausschreibung von Straßenbauarbeiten inBerlin beteiligen. Da im allgemeinen der Transportaufwand mit zunehmender Ent-fernung zwischen dem Sitz oder der Niederlassung des Unternehmens und derBaustelle zunimmt, wird der räumlich relevante Markt jedenfalls dort, wo Überka-pazitäten herrschen, in erster Linie durch den Kostenfaktor bestimmt (vgl. BGH,Urt. v. 23.2.1988 - KZR 17/86, WuW/E 2483, 2488 - Sonderungsverfahren).Das Kammergericht ist von der zutreffenden Erwägung ausgegangen, daßim Streitfall die Marktgegenseite aus tarifvertraglich gebundenen und ungebunde-nen Anbietern besteht, die ihren Sitz oder ihre Niederlassung in Berlin oder- wenn außerhalb Berlins - in einer Entfernung von Berlin haben, die aus der Sichtdes durchschnittlichen Anbieters noch ohne größere Kostennachteile im Verhältniszu den in Berlin ansässigen Wettbewerbern überwunden werden kann. Dabei istzu berücksichtigen, daß die Bereitschaft, Aufträge in größerer Entfernung vom ei-genen Sitz auszuführen, im allgemeinen auch von der Größe des Anbieters, demVolumen des Auftrags und von einer Reihe weiterer, im einzelnen nicht meßbarerFaktoren abhängen wird. Die Bestimmung des räumlich relevanten Marktes kannunter diesen Umständen nur eine mehr oder weniger präzise Schätzung darstel-len, die sich auf in der Vergangenheit gesammelte Erfahrungen stützt. Die Be-stimmung eines festen Radius schließt es naturgemäß nicht aus, daß einerseitseinzelne größere Unternehmen auch von außen als Anbieter in Betracht kommenwerden und daß sich andererseits ein kleiner Anbieter, der innerhalb, aber eheram Rande des Marktgebietes liegt, wegen der aus seiner Sicht zu großen Entfer-nung zu den Berliner Baustellen nicht um Berliner Aufträge bemüht. Hieraus wirdauch deutlich, daß die Anbieter, die in dem auf die beschriebene Weise bestimm-– 11 –ten räumlichen Markt Straßenbauleistungen erbringen, in unterschiedlicher Weisevon dem beanstandeten Verhalten betroffen sind: Während der im Kernbereichdes räumlich relevanten Marktes ansässige Anbieter nur über wenig Ausweich-möglichkeiten verfügt, ist der am Rande oder außerhalb angesiedelte Anbieter ingeringerem Maße betroffen, weil er sich auch außerhalb des Marktgebietes umAufträge bemühen kann.(2)Das Kammergericht hat, um der Bedeutung des sich unmittelbar an dasLand Berlin anschließenden Umlandes - des sogenannten Speckgürtels - Rech-nung zu tragen, darauf abgestellt, daß die im Lande Brandenburg vergebenenStraßenbauleistungen zu einem erheblichen Anteil auf dieses Gebiet entfielen.Hierbei hat sich das Kammergericht irrtümlich - wie die Rechtsbeschwerde rügt -auf Zahlen gestützt, die nicht das Land Brandenburg, sondern allein den Bezirkdes Straßenbauamtes Potsdam betreffen und die daher für die hier in Rede ste-hende Frage für sich genommen nur wenig ergiebig sind.Die Rechtsbeschwerde sieht hierin allerdings zu Unrecht einen Verstoß ge-gen Denkgesetze. Ein solcher Verstoß liegt nicht vor, weil die vom Kammergerichtgetroffenen Feststellungen für sich genommen nicht widersprüchlich sind. Auchhat das Kammergericht - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht dasGebot verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 70 Abs. 1GWB); denn der Anteil der Straßenbauarbeiten, die im Lande Brandenburg aufdas unmittelbar an Berlin angrenzende Umland entfällt, zählt nicht zu den rechts-erheblichen Umständen, auf die sich die Aufklärung von Amts wegen in jedem Fallerstrecken muß. Vielmehr liegt in dem Versehen des Beschwerdegerichts ein Ver-stoß gegen § 71 Abs. 1 Satz 1 GWB, also gegen das dem Grundsatz der freienBeweiswürdigung zu entnehmende Gebot, sich mit dem Prozeßstoff umfassendund widerspruchsfrei auseinanderzusetzen. Es ist fraglich, ob die Rechtsbe-schwerde diesen Verstoß in zulässiger Weise gerügt hat (§ 76 GWB, § 554 Abs. 3– 12 –Nr. 3 ZPO, § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO; vgl. BGHZ 50, 357, 361 f. - ZVN I; KarstenSchmidt in Immenga/Mestmäcker aaO § 75 Rdn. 4; Kollmorgen in Langen/Bunte,Kartellrecht, 8. Aufl., § 75 GWB Rdn. 7; v. Gamm, Kartellrecht, 2. Aufl., § 75 GWBRdn. 5). Dies kann indessen offenbleiben; denn auf die vom Kammergericht fest-gestellten Umsätze im Umland von Berlin - im vorliegenden Zusammenhang alsProzentsätze, im Zusammenhang mit der Bestimmung des Marktanteils (dazuunten B.I.2.a)cc)) als absolute Zahlen - kommt es im Ergebnis nicht an, so daß dieEntscheidung nicht auf dem Verfahrensmangel beruht.Denn auch wenn der räumlich relevante Markt weiter gezogen würde undbeispielsweise das gesamte Land Brandenburg mit einschlösse, ergäben sichdaraus keine wesentlichen Veränderungen für die Frage, ob dem betroffenenLand insofern eine marktbeherrschende Stellung zukommt. Zwar stiege mit einerAusdehnung des räumlich relevanten Marktes das Umsatzvolumen, so daß derAnteil des betroffenen Landes als Nachfrager von Straßenbauleistungen zurück-ginge. Dies wäre indessen nur dann von Bedeutung für die Frage der Marktbe-herrschung, wenn es den betroffenen Anbietern auf dem größeren Markt ehermöglich wäre, mit Nachfragern von Straßenbauleistungen zu kontrahieren, diekeine Tariftreueerklärung verlangen. Dies ist indessen nicht der Fall. Denn auch inBrandenburg verlangen öffentliche Auftraggeber eine Tariftreueerklärung ver-gleichbaren Inhalts, wenn auch der in Brandenburg zu zahlende Tariflohn nicht dieHöhe der Berliner Tariflöhne erreicht (Beschl. des BKartA S. 15). Ferner ist fol-gender Umstand zu berücksichtigen: Die Tariftreueerklärung dient nach dem Vor-bringen des betroffenen Landes dem erklärten Zweck, die Arbeitslosigkeit im eige-nen Land zu bekämpfen; dies setzt voraus, daß die Aufträge einheimischen An-bietern erteilt werden. Eine entsprechende Wirkung geht davon aus, daß in Bran-denburg ebenfalls Tariftreueerklärungen verlangt werden. Das betroffene Land istdaher ebenso wie das benachbarte Land Brandenburg an auswärtigen Anbieternnicht interessiert. Dies rechtfertigt die Annahme des Bundeskartellamtes, daß zwi-– 13 –schen den in Rede stehenden öffentlichen Auftraggebern auch in einem weiter ge-zogenen räumlich relevanten Nachfragemarkt kein wesentlicher Wettbewerbherrscht.(3)Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Kammergericht habe beider Bestimmung des räumlich relevanten Marktes nicht hinreichend beachtet, daßdas beim betroffenen Land geführte Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis fürBauaufträge (ULV) auch eine nicht unerhebliche Zahl von Anbietern aufweise, dieihren Sitz nicht in Berlin oder seiner unmittelbaren Umgebung hätten. Entgegender Rechtsbeschwerde läßt sich den Feststellungen zu diesem Verzeichnis nichtsMaßgebliches für einen deutlich weiteren räumlichen Markt entnehmen.Zum einen ist zu berücksichtigen, daß - wie dargelegt - öffentliche Auftrag-geber auch außerhalb Berlins Tariftreueerklärungen verlangen, so daß auch beieinem größer gezogenen Kreis um Berlin für die Anbieter keine Möglichkeit be-steht, in größerem Umfang auf Nachfrager auszuweichen, die keine Tariftreueer-klärung verlangen. Zum anderen sagt der Bestand des Verzeichnisses, in das- wie die Rechtsbeschwerde geltend macht - Unternehmen eingetragen werden,die regelmäßig in Berlin anbieten wollen, nichts darüber aus, ob die Unternehmen,deren Sitz von Berlin verhältnismäßig weit entfernt liegt, mit ihren Angeboten inBerlin wettbewerbsfähig sind. Das betroffene Land hat auch nicht vorgetragen,daß an die 26 (von 220) Unternehmen, die ihren Sitz weder in Berlin noch in ei-nem der angrenzenden Postleitzahlbezirke 14, 15 und 16 haben, in nennenswer-tem Umfang Aufträge vergeben worden wären. Dabei ist zu berücksichtigen, daßdie Marktabgrenzung die beschränkte Beweglichkeit kleinerer Anbieter berück-sichtigen muß und daß es keinen Widerspruch darstellt, wenn größere Anbieter,die ihren Sitz außerhalb des als räumlich relevant bestimmten Marktes haben, ihreLeistungen zuweilen mit Erfolg in Berlin anbieten können. Schließlich sagt das inRede stehende Verzeichnis nichts darüber aus, ob die Unternehmen, die ihren– 14 –Sitz in größerer Entfernung von Berlin haben, in Berlin oder Umgebung über eineNiederlassung verfügen. Wäre dies der Fall, wäre der Rüge ohnehin der Bodenentzogen, weil die Aktivitäten dieser Unternehmen in Berlin und Umgebung keinenBeleg für eine bundesweite räumliche Flexibilität der Anbieter von Straßenbaulei-stungen darstellte.Unter den gegebenen Umständen bestand für das Kammergericht - auch mitBlick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes - zu einer weiteren Aufklärungdes Sachverhalts von Amts wegen keine V)Wie bereits dargelegt, beruhen die Feststellungen zu dem genauenMarktanteil des betroffenen Landes (1995: 57,6 %, 1996: 55,9 %) auf der verfah-rensfehlerhaften Annahme, die vom Brandenburgischen Straßenbauamt Potsdammitgeteilten Umsätze bezögen sich auf ganz Brandenburg und nicht nur auf denBezirk dieses Amtes. Ungeachtet dessen vermitteln derartige Zahlen den Eindruckeiner Genauigkeit der Feststellung, die im Widerspruch zu den pauschalen Schät-zungen steht, auf denen diese Annahmen notwendigerweise beruhen.Die Annahme des Kammergerichts, das betroffene Land sei auf dem rele-vanten Markt aufgrund seiner überragenden Stellung marktbeherrschend (§ 19Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB), ist gleichwohl aus Rechtsgründen nicht zu beanstan-den. Unabhängig davon, in welchem Umfang das Berliner Umland in den rele-vanten Markt einzubeziehen ist, und unabhängig von dem auf das Land Branden-burg entfallenden Auftragsvolumen kommen für nicht tarifgebundene Anbieter, diekeine Tariftreueerklärung abgeben wollen, letztlich nur die privaten Nachfrager undmöglicherweise die im Wege der Bundesauftragsverwaltung vergebenen Straßen-bauaufträge in Betracht. Darin spiegelt sich der Umstand wider, daß zwischendem betroffenen Land und dem benachbarten Land Brandenburg bei der Nachfra-ge nach Straßenbauleistungen kein wesentlicher Wettbewerb besteht (§ 19 Abs. 2– 15 –Satz 2 GWB). Auf die verbleibende private Nachfrage entfällt nach den verfah-rensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Kammergerichts ein Anteil von max.30 % (Berlin) bzw. 40 % (Umland). Wird unterstellt, daß die tarifvertraglich nicht-gebundenen Anbieter auch Zugang zu den - allerdings ebenfalls vom betroffenenLand Berlin bzw. im Umland vom Land Brandenburg disponierten - Aufträgen fürBundesautobahnen und Bundesstraßen haben, erhöht sich dieser Anteil bei Zu-grundelegung der für Berlin festgestellten Zahlen noch einmal um etwa 10 bis ma-ximal 15 %. Dem nichttarifgebundenen Anbieter ist damit - ungeachtet des genau-en Marktanteils des betroffenen Landes - die Hälfte des Marktes von vornhereinverschlossen. Das Kammergericht hat ferner rechtsfehlerfrei festgestellt, daß dieprivate Nachfrage stark zersplittert ist, daß von der anderweitigen öffentlichenNachfrage nur eine geringe machtbegrenzende Wirkung ausgeht und daß das be-troffene Land aufgrund seiner starken Marktposition in der Lage ist, seine Bedin-gungen, insbesondere also das beanstandete Verlangen nach Abgabe einer Tarif-treueerklärung, nach Belieben durchzusetzen. Der weitere vom Kammergerichtangeführte Gesichtspunkt, daß Marktbeherrschung auf der Nachfrageseite in derRegel schon bei geringeren Marktanteilen erreicht wird als auf der Angebotsseite(vgl. BGH WuW/E 2483, 2489 - Sonderungsverfahren, zu § 26 Abs. 2 Satz 2 GWBa.F.), geht darauf zurück, daß sich die restliche Nachfrage im allgemeinen stärkerverteilt (vgl. Paschke/Kersten in Frankfurter Kommentar aaO § 22 Rdn. 253,m.w.N.; ferner Möschel in Immenga/Mestmäcker aaO § 22 Rdn. 75), und ist damitbereits mit der starken Zersplitterung der privaten Nachfrage angesprochen.b)Ebenfalls zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet hatdas Kammergericht angenommen, das betroffene Land behandele die nichttarif-gebundenen Anbieter, die keine Tariftreueerklärung abgeben, in einem gleicharti-gen Unternehmen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr ungleich, wennes sie von der Vergabe von Straßenbauaufträgen ausschließe. Darüber hinaus– 16 –liegt in dem Verlangen nach Abgabe einer Tariftreueerklärung gegenüber diesenAnbietern eine erhebliche Behinderung.c)Unter der Voraussetzung, daß die neue Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2VgG Bln als ungültig außer Betracht bleibt, ist schließlich auch die Annahme desKammergerichts nicht zu beanstanden, daß die Ungleichbehandlung sachlich nichtgerechtfertigt und - wie zu ergänzen ist - die Behinderung der nichttarifgebunde-nen Anbieter unbillig ist. Dies ergibt die Abwägung der Interessen der Beteiligtenunter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielset-zung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.aa)Im Streitfall geht es nicht darum, die Anbieter durch eine Verpflichtungs-erklärung zu einem Verhalten zu bewegen, zu dem sie tarifvertraglich ohnehinverpflichtet wären. Zur Einhaltung der Berliner Tariflöhne verpflichtet sind zum ei-nen diejenigen Arbeitgeber, die unmittelbar oder über eine Arbeitgebervereinigungan die Berliner Tarifverträge gebunden sind, sowie ferner andere Arbeitgeber, fürdie ein anderer, an sich niedrigere Löhne vorsehender Tarifvertrag des Bauhaupt-gewerbes gilt; sie sind nach der für allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungdes § 5 Nr. 6 BRTV-Bau verpflichtet, auf einer Berliner Baustelle beschäftigten Ar-beitnehmern den höheren Lohn der Baustelle zu zahlen (vgl. BAGE 75, 66 = NZA1994, 622). Es geht dem betroffenen Land auch nicht darum sicherzustellen, daßsich seine Vertragspartner an den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertragzur Regelung eines Mindestlohns vom 17. Juli 1997 (TV-Mindestlohn) halten, derauch für bisher nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie nach § 1ArbeitnehmerentsendeG (AEntG) auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland gilt(vgl. Wank in Wiedemann, Tarifvertragsgesetz, 6. Aufl., § 5 Rdn. 142 ff.). Ziel derTariftreueerklärung ist es vielmehr, den tarifvertraglich nicht gebundenen Arbeit-gebern, die sich uneingeschränkt rechtmäßig verhalten, wenn sie ihren Arbeit-– 17 –nehmern zwar den Mindestlohn, nicht aber die Berliner Tariflöhne zahlen, über dieRegelungen des TV-Mindestlohn hinaus die Berliner Tariflöhne )Zutreffend ist daher der Hinweis des Kammergerichts, die beanstandeteMaßnahme ziele darauf ab, die tarifvertraglich gebundenen Berliner Anbieter ge-genüber tarifungebundener auswärtiger, aber auch gegenüber tarifungebundenerBerliner Konkurrenz zu schützen. Die beanstandete Maßnahme führt zu einer Ab-schottung des Berliner Marktes vor rechtmäßiger Konkurrenz; diese wird genötigt,den bestehenden Preisvorteil aufzugeben, der aufgrund niedriger Löhne bestehenwürde. Auf diese Weise soll - ohne das im Tarifvertragsgesetz (§ 5) vorgeseheneInstrument der Allgemeinverbindlicherklärung einsetzen zu müssen - verhindertwerden, daß die Berliner Tariflöhne aufgrund des bestehenden Wettbewerbs-drucks gesenkt werden müß)Ebenfalls mit Recht hat das Kammergericht angenommen, daß mit demVerlangen nach Abgabe einer Tariftreueerklärung die negative Koalitionsfreiheitder tarifvertraglich nicht gebundenen Arbeitgeber beeinträchtigt wird. Das Gesetzläßt es zwar zu, daß tarifvertragliche Normen auch für tarifungebundene Arbeitge-ber gelten, macht aber eine solche Geltung von einem besonderen staatlichenAkt, der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG, abhängig (vgl. BVerfGE 44,322). Fehlt es an einem solchen Akt, wird die negative Koalitionsfreiheit verletzt,wenn das betroffene Land die tarifungebundenen Anbieter zwingt, sich an die Be-stimmungen des Berliner Tarifvertrages zu halten (vgl. Scholz in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Lfg. 35, Feb. 1999, Art. 9 Rdn. 238).dd)Das Interesse des betroffenen Landes, die Arbeitslosigkeit in Berlin zubekämpfen und die heimischen Anbieter zu stärken, rechtfertigt sein Verhaltennicht. Das Kammergericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß auch der imGemeinwohl liegende Zweck der Vermeidung weiterer Arbeitslosigkeit nicht mit ei-– 18 –nem Mittel verfolgt werden darf, das mit der auf die Freiheit des Wettbewerbs ge-richteten Zielrichtung des Gesetzes unvereinbar ist. Denn es stellt - wie das Kam-mergericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - eine klassische protektionistischeMaßnahme dar, wenn das betroffene Land die tarifgebundenen Berliner Straßen-bauunternehmen dadurch vor dem Wettbewerb meist auswärtiger tarifungebunde-ner Wettbewerber schützt, daß es diese zwingt, ihren bestehenden- rechtmäßig erzielten - Kostenvorteil aufzugeben, den sie aufgrund niedrigererLöhne genießen. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, mit der Tariftreueerklärungsollten umgekehrt gerade Wettbewerbsverzerrungen vermieden und gleiche Wett-bewerbsbedingungen erreicht werden, läßt unberücksichtigt, daß es hierfür denWeg der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gibt (zur sozialpoliti-schen Bedeutung der Allgemeinverbindlicherklärung Wank in Wiedemann aaO § 5Rdn. 2 f. u. 179 f.; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 5 Rdn. 2). Dieser Wegist hier nicht beschritten worden. Dort, wo eine solche Allgemeinverbindlichkeitnicht besteht, müssen sich die tarifgebundenen Anbieter dem Wettbewerb dernichtgebundenen Konkurrenten )Schließlich kann sich das betroffene Land nicht darauf berufen, es ver-folge mit der Tariftreueerklärung das Ziel, daß sich allein fachkundige, leistungsfä-hige und zuverlässige Anbieter an der Ausschreibung beteiligten. Denn dieses Zielkann - wie das Kammergericht zutreffend dargelegt hat - auf andere Weise er-reicht werden.d)Die Rechtsbeschwerde könnte auch mit dem Einwand keinen Erfolg ha-ben, das vom Bundeskartellamt beanstandete Verhalten des betroffenen Landeshabe durch das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Vergaberechtsänderungsge-setz (VgRÄG) eine gesetzliche Grundlage erhalten.– 19 –aa)Die Gesetzesänderungen sind bei der Entscheidung des Streitfalles zuberücksichtigen. Denn Maßstab für die rechtliche Beurteilung der in die Zukunftwirkenden Untersagungsverfügung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren ebenso wieim Revisionsverfahren das im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Recht (vgl.BGH, Beschl. v. 28.9.1999 - KVR 29/96, WuW/E DE-R 399, 401 - Verbundnetz,m.w.N.; ferner BGH, Urt. v. 29.9.1998 - KZR 3/97, WuW/E DE-R 197, 198 - Rönt-genbilder).bb)Kernbestimmungen des neuen Vergaberechts sind die Regelungen in§ 97 Abs. 4 und 5 GWB. Während § 97 Abs. 5 GWB bestimmt, daß “der Zuschlag... auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt (wird)”, sieht § 97 Abs. 4 GWB vor, daߓAufträge ... an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen ver-geben (werden); andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftrag-nehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorge-sehen ist.” Als Übergangsregelung ist hierzu in Art. 3 Nr. 5 VgRÄG bestimmt, daßbereits “bestehende Regelungen, die andere oder weitergehende Anforderungenim Sinne des § 97 Abs. 4 GWB an Auftragnehmer stellen, ... bis zum 30. Juni2000 fort(bestehen), auch wenn sie nicht Bundes- oder Landesgesetze sind.”Die Rechtsbeschwerde sieht in der durch die Untersagungsverfügung desBundeskartellamts beanstandeten Anordnung vom 9. Februar 1995 eine derartigeRegelung, die durch die Übergangsvorschrift eine gesetzliche Grundlage erhaltenhabe. Sie verkennt dabei, daß Art. 3 Nr. 5 VgRÄG lediglich den - neu eingeführ-ten - Gesetzesvorbehalt in § 97 Abs. 4 GWB für eine Übergangszeit aussetzt, oh-ne damit auch Maßnahmen zu legalisieren, die, wie die in Rede stehende Anord-nung vom 9. Februar 1995, dem Land als marktbeherrschendem Nachfrager be-reits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung kartellrechtlich verboten waren (so be-reits BGH, Beschl. v. 8.12.1998 - KVR 23/98, WuW/E Verg 175, 177 - Tarif-treueerklärung I).– 20 –3.Müßte hingegen von der Gültigkeit der Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2VgG Bln ausgegangen werden, so wäre die Untersagungsverfügung des Bundes-kartellamtes aufzuheben.a)Da es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung ankommt (da-zu oben unter B.I.2.d)aa)), ist auch diese am 17. Juli 1999 in Kraft getretene lan-desrechtliche Bestimmung für die Beurteilung des dem betroffenen Land unter-sagten Verhaltens heranzuziehen.b)§ 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln schreibt den Vergabestellen die Forderung ei-ner Tariftreueerklärung vor, ohne danach zu unterscheiden, ob das Land alsNachfrager nach Bauleistungen eine marktbeherrschende Stellung innehat unddeswegen Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB ist. Sind die Vergabestellen aberzu dem fraglichen Verhalten durch ein (gültiges) Gesetz verpflichtet, kann hierinkein Verstoß gegen das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot liegen. Denn ei-nem Verhalten, das gesetzlich geboten ist, fehlt es niemals am sachlich gerecht-fertigten Grund.aa)Ein solches Handlungsgebot besteht, obwohl es sich bei der fraglichenBestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln nur um eine Soll-Vorschrift handelt.Denn solche Normen sind im Regelfall für die Behörden, an die sie sich richten,als rechtlich zwingend anzusehen; sie verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfah-ren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das “Soll” daher ein“Muߔ (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 10.9.1992 - 5 C 39/88, NZA 1993, 76, 78).bb)Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, das Berliner Vergabe-gesetz nehme die Vergabestellen immer dann von dem Gebot aus, wenn demLand als Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB die Forderung einer Tariftreueerklä-rung kartellrechtlich untersagt ist.– 21 –Das Gesetz sieht eine solche Ausnahme nicht vor. Es gebietet die Forderungvon Tariftreueerklärungen ungeachtet der Marktstellung des die Bauleistungennachfragenden Landes. Auch das betroffene Land geht davon aus, daß das neueGesetz generelle Geltung beansprucht (vgl. auch die Äußerung des Vertreters desbetroffenen Landes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat). Die Bemer-kung in der Begründung des Gesetzentwurfs, die Ausgestaltung als Sollvorschriftmeine eine Bindung an die in Berlin geltenden Lohn- und Gehaltstarife, “nur inAusnahmefällen (etwa auf seiten Berlins Marktbeherrschung)” dürfe “von demVerlangen nach Einhalten der Tarife abgesehen werden” (Vorlage an das Abge-ordnetenhaus von Berlin, Drucks. 13/3726, S. 2), hat im Gesetz keinen hinrei-chenden Ausdruck gefunden. Eine solche Regelung, nach der die Vergabestellennur dann eine Tariftreueerklärung zu fordern verpflichtet wären, wenn das Landnicht als Nachfrager marktbeherrschend ist, wäre auch nicht praktikabel. Denn dieAnwendung des gesetzlichen Gebots hinge dann in jedem Einzelfall von der Klä-rung der Frage ab, ob das Land als Auftraggeber der fraglichen Leistung über einebeherrschende Stellung auf dem - jeweils zu ermittelnden - relevanten Markt ver-fügt. Die Vergabestellen sind nicht in der Lage, diese Frage zuverlässig zu beur-teilen. Ob ein Bieter, der sich unter Berufung auf die Normadressateneigenschaftdes Landes weigert, die geforderte Tariftreueerklärung abzugeben, zur Ausschrei-bung zuzulassen ist oder nicht, müßte abschließend in dem Vergabeverfahren be-antwortet werden. Dieses unter einem besonderen Beschleunigungsgebot(§§ 113, 117 Abs. 2, § 118 Abs. 1 Satz 2, § 121 Abs. 3 GWB) stehende Verfahrenist zur Klärung komplexer Fragen der Marktabgrenzung und der Bewertung derStellung des nachfragenden Landes in diesem Markt nicht geeignet. Es verbietetsich daher eine Auslegung der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln, nachder das dort aufgestellte Handlungsgebot und das Unterlassungsgebot aus § 20Abs. 1 GWB nahtlos nebeneinanderstünden mit der Folge, daß die Zulassung zurAusschreibung von der Beantwortung schwieriger kartellrechtlicher Vorfragen ab-hängig wäre.– 22 –4.Auf die Vereinbarkeit von § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln mit dem Grundge-setz oder mit Bundesrecht käme es nur dann nicht an, wenn die Regelung ohne-hin mit Blick auf vorrangige gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen keine Anwen-dung finden könnte. Hiervon kann indessen nicht ausgegangen werden - zumin-dest nicht, ohne zunächst ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshofder Europäischen Gemeinschaften zu richten.a)Die Frage, ob § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln mit Art. 49 EG (früher Art. 59EGV) vereinbar ist, könnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Zum einenläßt sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen, ob und gegebenenfallsin welchem Umfang auch Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion an Ausschreibungen für Straßenbauarbeiten in Berlin beteiligt und dahervon der Forderung nach Tariftreue betroffen sind. Die Frage der Vereinbarkeit mitArt. 49 EV stellt sich aber nur, wenn durch die Forderung nach Tariftreue der freieDienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft beschränkt wird.Zum anderen müßte die Frage eines möglichen Verstoßes gegen Art. 49 EGzunächst zum Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 234 EGan den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemacht werden. In demGebot der Tariftreue kann eine mittelbare Diskriminierung der Anbieter aus ande-ren Mitgliedstaaten liegen, weil ihnen durch die Verpflichtung, ihre ins Inland ent-sandten Arbeitnehmer nach einem bestimmten inländischen Tarif zu entlohnen,der mit einem niedrigeren Lohnniveau in ihrem Heimatstaat verbundene Vorteilgenommen wird. Anerkannt ist, daß Art. 49 EG es den Mitgliedstaaten nicht ver-wehrt, die Tarifverträge der Sozialpartner über die Mindestlöhne unabhängig da-von, in welchem Land der Arbeitgeber ansässig ist, auf alle Personen auszudeh-nen, die in ihrem Hoheitsgebiet, und sei es auch nur vorübergehend, eine unselb-ständige Erwerbstätigkeit ausüben (EuGH, Urt. v. 27.3.1990 - C-113/89, Slg.1990, I-1417, 1445 Tz. 18 = EuZW 1990, 256 - Rush Portuguesa; Urt. v. 9.8.1994– 23 –- C-43/93, Slg. 1994, I-3803, 3826 Tz. 23 = EuZW 1994, 600 - Vander Elst). Einesolche Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen kennt das deutscheRecht ebenfalls (§ 5 TVG). Die Regelung des Berliner Vergabegesetzes stellt zwarkeine solche Allgemeinverbindlicherklärung dar. Durch ein Vorabentscheidungs-ersuchen müßte aber geklärt werden, ob eine solche Regelung gemeinschafts-rechtlich ebenso zu behandeln ist wie eine Mindestlohnregelung. Hierzu bestehtjedoch im Hinblick darauf keine Veranlassung, daß die fragliche Bestimmung des§ 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln nach Auffassung des Senats ohnehin nicht gültig ist(dazu sogleich unter II.).b)Ebenfalls fraglich ist, ob die Regelung über die Tariftreueerklärung imBerliner Vergabegesetz mit den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien, ins-besondere mit der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG (ABl. Nr. L 199 v.9.8.1993, S. 54) in Einklang steht (dazu Pietzcker, ZHR 162 (1998), 427 ff.;Martin-Ehlers, WuW 1999, 685, 687 ff.; Knipper, WuW 1999, 677, 682 ff.; fernerDreher, VergabeR 6/1997, 40, 42, vor allem zu Tariftreueerlassen, durch die dieBeachtung allgemeinverbindlicher Tarifverträge erreicht werden soll). Doch auchdiese Frage bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn die Richtlinie stellt keinunmittelbar geltendes Recht dar. Zwar ist sie zur Auslegung der nationalenRechtsvorschriften heranzuziehen und kann - im Falle der Nichtumsetzung - unterUmständen auch unmittelbare Wirkungen entfalten. Enthält das nationale Rechtjedoch eine Bestimmung, die der Richtlinie zuwiderläuft und die nicht in einemSinne ausgelegt werden kann, daß sie im Einklang mit der Richtlinie steht, ist dernationale Richter an diese Bestimmung gebunden. Die gegen die Richtlinie ver-stoßende Bestimmung kann dann allerdings Anlaß für ein Vertragsverletzungs-verfahren nach Art. 226 EG (früher Art. 169 EGV) geben.– 24 –II.Vereinbarkeit von § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12GG, mit Art. 31 GG (i.V. mit § 5 TVG und i.V. mit § 20 Abs. 1 GWB) so-wie mit Art. 9 Abs. 3 GG1.Dem Land Berlin fehlt für eine Regelung, die der Sache nach auf eineteilweise Allgemeinverbindlicherklärung bestimmter Tarifverträge hinausläuft, dieGesetzgebungszuständigkeit.Bei der Bestimmung in § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln handelt es sich um eine ta-rifrechtliche Regelung. Denn sie bewirkt, daß bestimmte für Berlin geltende Tarif-verträge auch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingehalten werden müssen,die nicht an diese Tarifverträge gebunden sind. Geht es um Bereiche wie den hierin Rede stehenden Straßenbau, in denen das Land als Nachfrager eine beherr-schende Stellung einnimmt, führt die gesetzliche Regelung dazu, daß dort für denGroßteil der ausgeführten Baumaßnahmen eine Bindung an Berliner Tarife erfolgt,die auf diese Weise für diesen Teilbereich allgemeinverbindlich werden.Das Tarifrecht fällt unter die allgemeine Kompetenzzuweisung für das Ar-beitsrecht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG; es zählt damit zur konkurrierenden Gesetz-gebung. Der Bund hat, was das Tarifrecht angeht, von seiner konkurrierenden Zu-ständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG mit der Verabschiedung des Tarifver-tragsgesetzes abschließend Gebrauch gemacht (vgl. Löwisch/Rieble, TVG,Grundlagen Rdn. 48). Dieses Gesetz enthält in § 5 gerade auch eine umfassendeRegelung über die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen.Aus der Bestimmung des § 97 Abs. 4 2. Halbs. GWB läßt sich eine über dieBestimmungen des Grundgesetzes hinausgehende Gesetzgebungskompetenzdes Landes für das fragliche Gesetz nicht ableiten. Die Möglichkeit, neben denklassischen Kriterien der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit weite-re - vergabefremde - Kriterien einzuführen, sollte nach dem Regierungsentwurf ei-– 25 –nes Vergaberechtsänderungsgesetzes dem Bundesgesetzgeber vorbehalten blei-ben (§ 106 Abs. 3 RegE-VgRÄG). Der Bundesrat schlug sodann vor, solche Krite-rien auch durch “Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes und der Län-der” zu ermöglichen. Dadurch sollte erklärtermaßen vermieden werden, daß inden Ländern eingeführte Regelungen, insbesondere das Verlangen nach Abgabeeiner Tariftreueerklärung, als unzulässig anzusehen seien (BT-Drucks. 13/9340,S. 35 f.). Die Bundesregierung trat diesem Vorschlag mit Nachdruck entgegen(BT-Drucks. 13/9340, S. 48):Die Bundesregierung widerspricht diesem Vorschlag. § 106 Abs. 3 [§ 97 Abs. 4] ist diegrundlegende und wichtigste Vorschrift des gesamten Entwurfs und enthält den mate-riellen Extrakt aller Bemühungen der EG und ihrer Mitgliedstaaten um einen diskrimi-nierungsfreien Wettbewerb und um mehr Wirtschaftlichkeit bei der Vergabe öffentli-cher Aufträge. Alle anderen Vorschriften ... dienen allein dem Zweck, eine Vergabenach Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bewerber zu verwirkli-chen. Keinesfalls darf die gesetzliche Regelung durch bloße Verwaltungsvorschriftendes Bundes oder jedes Landes außer Kraft gesetzt werden, weil sonst das zentraleGebot unseres Vergaberechts faktisch unverbindlich wäre.Die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses enthielt schließlichals Kompromiß die Gesetz gewordene Regelung, wonach vergabefremde Kriterien“durch Bundes- oder Landesgesetz” vorgesehen werden können (BT-Drucks.13/10876). Damit blieb offen, unter welchen Voraussetzungen die Vergabe öffent-licher Aufträge von vergabefremden Kriterien abhängig gemacht werden durfte.Denn die Gesetz gewordene Kompromißformel bezog sich allein auf die Form, diefür eine derartige Regelung einzuhalten war. Im Hinblick auf die gemeinschafts-rechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der im Gesetzgebungsverfahrenzutage getretenen Unterschiede in der materiell-rechtlichen Bewertung ist auszu-schließen, daß den Ländern für die Festlegung vergabefremder Kriterien eineumfassende Gesetzgebungskompetenz zugebilligt werden sollte.2.Sollte entgegen der vertretenen Ansicht das Land Berlin für die Regelungin § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln über eine Gesetzgebungskompetenz verfügen, be-– 26 –stehen im Hinblick auf entgegenstehende bundesrechtliche Bestimmungen durch-greifende Bedenken gegen die Gültigkeit (Art. 31 GG).a)Wie bereits dargelegt, führt § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln zu einer weitge-henden Allgemeinverbindlichkeit der Berliner Tariflöhne auf bestimmten Märkten,auf denen die meisten Aufträge von der öffentlichen Hand vergeben werden. Nachden getroffenen Feststellungen liegt der Anteil der privaten Nachfrage nach Stra-ßenbauleistungen in Berlin bei maximal 30 %. Dies bedeutet, daß in weiten Berei-chen die Berliner Tariflöhne auch für Anbieter verbindlich werden, die tarifvertrag-lich nicht gebunden sind. Eine derartige Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträ-gen ist nach § 5 TVG an ganz bestimmte Voraussetzungen materieller und for-meller Art geknüpft; insbesondere kann die entsprechende, einen Akt der Rechts-setzung darstellende Erklärung (vgl. BVerfGE 44, 322; 55, 7, 20; BVerwGE 80,355; ferner Löwisch/Rieble aaO § 5 Rdn. 53 ff.) vom Bundesminister für Arbeit undSozialordnung oder aufgrund einer entsprechenden Übertragung auch von derobersten Arbeitsbehörde eines Landes nur im Einvernehmen mit dem Tarifaus-schuß und nach Anhörung der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abge-geben werden (§ 5 Abs. 1 und 2 TVG). Ein Landesgesetz, durch das ein be-stimmter Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird, verstößt gegen diesebindende bundesrechtliche Regelung.b)Die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln verstößt darüber hinaus in-soweit, als sie Geltung auch für den Fall beansprucht, daß das nachfragende Landeine marktbeherrschende Stellung einnimmt (dazu oben unter B.I.3.b)), gegenkartellrechtliche Bestimmungen, die marktbeherrschenden Unternehmen bestimm-te diskriminierende oder behindernde Verhaltensweisen untersagen. Auch wenndie Länder nach § 97 Abs. 4 2. Halbs. GWB weitergehende (vergabefremde) An-forderungen vorsehen dürfen, sind sie doch gehindert, ein Verhalten zu legalisie-ren, das ansonsten als kartellrechtswidrig anzusehen wäre.– 27 –Aus der Gesetzgebungsgeschichte (dazu oben II.1. a.E.) wird zwar deutlich,daß eine landesrechtliche Regelung, wie sie in § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln vorge-sehen ist, nicht ausgeschlossen werden sollte. Ebenfalls deutlich wird aber, daßnicht daran gedacht war, die Länder in irgendeiner Weise zu ermächtigen, verga-befremde Kriterien auch im Rahmen der Prüfung kartellrechtlicher Tatbeständevorzugeben und abschließend darüber zu befinden, welche Maßstäbe bei derkartellrechtlichen Prüfung des Verhaltens eines Normadressaten anzulegen seien.3.Schließlich begegnet die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln insoferndurchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, als durch das Gebot der Ta-riftreue in die verfassungsrechtlich geschützte negative Koalitionsfreiheit einge-griffen wird (Art. 9 Abs. 3 GG).Durch das im Berliner Vergabegesetz ausgesprochene Gebot, Aufträge deröffentlichen Hand nur an Unternehmen zu vergeben, die ihre Arbeitnehmer nachden in Berlin geltenden Tarifen entlohnen, werden die Wirkungen tarifvertraglicherRegelungen auch für Außenseiter verbindlich, die sich um entsprechende Aufträgebemühen. Dem läßt sich jedenfalls für den Bereich, in dem die öffentliche Handals Nachfrager eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, nicht entgegenhalten,§ 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln zwinge keinen Anbieter, sich an Ausschreibungen desbetroffenen Landes zu beteiligen. Denn die Marktmacht des Straßenbauleistungennachfragenden Landes ergibt sich gerade daraus, daß die Marktgegenseite nichtüber hinreichende Möglichkeiten verfügt, auf andere Nachfrager der angebotenenLeistungen auszuweichen.Damit greift § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln in den durch Art. 9 Abs. 3 GG ge-schützten Bereich ein. Denn das Gesetz nötigt die tarifungebundenen Anbieter,sich in einem ihre Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich beeinflussenden Punkt dentarifvertraglichen Bestimmungen zu unterwerfen. Die Koalitionsfreiheit als indivi-– 28 –duelles Freiheitsrecht umfaßt auch die negative Koalitionsfreiheit, also das Rechtdes einzelnen, einer Koalition fernzubleiben (vgl. BVerfGE 50, 290, 367; 57, 220,245; 64, 208, 213; 73, 261, 270; 93, 352, 357 f.). Die durch Art. 9 Abs. 3 GG ge-währleisteten Befugnisse der Koalitionen erstrecken sich grundsätzlich nur auf dieMitglieder der tarifvertragschließenden Parteien (BVerfGE 44, 322). Werden tarif-vertragliche Bestimmungen für Außenseiter verbindlich, handelt es sich um einenRechtssetzungsakt. Indem das Tarifvertragsgesetz die Tarifgebundenheit grund-sätzlich auf die Mitglieder der Tarifparteien beschränkt (§ 3 Abs. 1 TVG), trägt esdem Grundsatz Rechnung, daß der Staat seine Normsetzungsbefugnis nicht inbeliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen und den Bürger nichtschrankenlos der normsetzenden Gewalt autonomer Gremien ausliefern darf, dieihm gegenüber nicht demokratisch bzw. mitgliedschaftlich legitimiert sind (vgl.BVerfGE 33, 125, 158; 44, 322, 348; 64, 208, 214).Allerdings steht Art. 9 Abs. 3 GG der Ausdehnung tarifvertraglicher Bestim-mungen auf Außenseiter nicht in jedem Fall entgegen. So hat das Bundesverfas-sungsgericht die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach § 5 TVGals mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar angesehen (BVerfGE 44, 322, 344 ff.; 55, 7,20 ff.). Maßgeblich hierfür war indessen u.a. die ausgewogene Regelung in § 5TVG, die Gewähr dafür bietet, daß die Interessen der betroffenen Außenseiter be-rücksichtigt werden und daß von der Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklä-rung zurückhaltend und verhältnismäßig, also nur bei entsprechend unabweisba-ren Interessengeboten i.S. des § 5 TVG, Gebrauch gemacht wird (vgl. Scholz inMaunz/Dürig/Herzog aaO Art. 9 Rdn. 238; ferner Kannengießer in Schmidt-Bleib-treu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., Art. 9 Rdn. 16).Die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 VgG Bln macht die Ausdehnung derVerbindlichkeit tarifvertraglicher Bestimmungen auf ungebundene Dritte von kei-nen sachlichen Voraussetzungen abhängig. Auch das Verfahren bietet keine Ge-– 29 –währ dafür, daß die Interessen der Außenseiter berücksichtigt werden. Nach Auf-fassung des Senats ist damit den strengen Anforderungen, die nach Art. 9 Abs. 3GG an die Erstreckung tarifvertraglicher Bestimmungen auf unbeteiligte Dritte zustellen sind, nicht genügt.GeißGoetteBallTepperwienBornkamm

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