IX ZB 23/97 - IX. Zivilsenat
Karar Dilini Çevir:
IX ZB 23/97 - IX. Zivilsenat
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZB 23/97 vom 29. Juni 2000 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja EuGVÜ Art. 27 Nr. 1; GG Art. 103 Abs. 1 Ein ausländisches Urteil, das darauf beruht, daß dem Schuldner die Vertretung durch einen in der Verhandlung anwesenden, zugelassenen Rechtsanwalt nur deswegen verwehrt wurde, weil der Schuldner nicht persönlich erschienen war, kann in Deutschland nicht anerkannt werden. BGH, Beschluß vom 29. Juni 2000 - IX ZB 23/97 - OLG München (Augsburg) LG Kempten (Allgäu) - 2 - Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Dr. Zugehör und Dr. Ganter am 29. Juni 2000 beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden der Beschluß des 14. Zivilsenats (mit Sitz in Augsburg) des Oberlandesgerichts München vom 11. Februar 1997 und derjenige des Vorsitzenden der 2. Zivil kammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 29. April 1996 aufgehoben. Der Antrag des Gläubigers, das Urteil des Schwurgerichts Paris - 3. Abteilung - vom 13. März 1995 (Aktenzeichen Nr. 2556/92, Strafsache Nr. 930031), durch das der Schuldner zur Zahlung von FF 350.000 an den Gläubiger verurteilt worden ist, für in Deutsc h - land vollstreckbar zu erklären, wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Gläubiger zur Last. - 3 - Gründe: I. Die 1967 geborene eheliche Tochter des Gläubigers - K. B. - lebte eine Zeitlang beim Schuldner in der Bundesrepublik Deutschland. Der Schuldner, ein Arzt, gab ihr dort am 9. Juli 1982 eine Kobalt-Ferrlecit-Injektion. Das Mä d - chen, das französische Staatsangehörige war, starb tags darauf. Der Schul d - ner behauptet, die Spritze sei medizinisch geboten und der Tod nicht vorau s - sehbar gewesen. Gegen ihn wurde in Deutschland ein vieljähriges Ermittlung s - verfahren wegen des Verdachts einer Tötungshandlung geführt, aber zuletzt - auch nach gerichtlicher Überprüfung (§§ 172 bis 174 StPO) - mangels Bewe i - ses eingestellt. Auf eine Strafanzeige des Gläubigers hin wurde gegen den Schuldner vor dem Schwurgericht Paris eine Anklage wegen vorsätzlicher Tötung erh o - ben. Mit der Anklage wurde dem Schuldner am 5. Juni 1993 in Deutschland die damit zugleich erhobene Zivilklage des Gläubigers zugestellt. Das französische Gericht ordnete das persönliche Erscheinen des Schuldners an und erließ g e - gen ihn einen Haftbefehl zur Erzwingung seiner Anwesenheit in der Hauptve r - handlung vom 9. und 13. März 1995. Zu dieser Hauptverhandlung kam der Schuldner nicht selbst nach Paris; für ihn erschienen aber ein französischer und ein deutscher Rechtsanwalt. Das Schwurgericht Paris untersagte ihnen, in Abwesenheit des Schuldners für diesen aufzutreten, und erklärte die von ihnen vorgelegten Verteidigungsschriften für unzulässig. - 4 - Der Schuldner wurde in Abwe senheit wegen vorsätzlicher gewaltsamer Nötigung, die - ohne daß dies seiner Absicht entsprochen hätte - den Tod der K. B. herbeigeführt habe, zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 13. März 1995 verurteilte das Schwurgericht den Schuldner in Abwesenheit weiter, an den Gläubiger 350.000 FF (250.000 FF als Wiedergutmachung für immaterielle Schäden und 100.000 FF gemäß Artikel 375 der früheren französischen Stra f - prozeßordnung - CPP) zu zahlen. Der Gläubiger hatte diese Anträge durch einen Rechtsanwalt gestellt. Auf Antrag des Gläubigers hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des zuständigen Landgerichts Kempten (Allgäu) angeordnet, das Urteil des Schwurgerichts Paris vom 13. März 1995 mit der Vollstreckungsklausel zu ve r - sehen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurüc k - gewiesen. Mit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde rügt der Schuldner vor allem, er habe sich gegen seine Verurteilung in Paris nicht wirksam verteidigen können. II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. N ach Artikel 27 Nr. 1 in Verbindung mit Artikel 34 Abs. 2 EuGVÜ wird eine Entscheidung nicht für vollstreckbar erklärt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, widerspr e - chen würde. - 5 - 1. Das Schwurgericht Paris hat die Rechtsanwälte, die in der Verhan d - lung für den Schuldner auftreten wollten, auf der Grundlage des Artikels 630 Satz 1 CPP zurückgewiesen. Danach darf kein Verteidiger für einen Ang e - klagten im Abwesenheitsverfahren gemäß Artikel 627 ff CPP auft reten. Das Schwurgericht hat sodann die Schuld des Angeklagten (Schuldners) ohne B e - rücksichtigung seiner Einlassung ausgesprochen und den Entschädigungsb e - trag für immaterielle Schäden einseitig aufgrund der Angaben des Adhäsion s - klägers (Gläubigers) festgestellt. Es geht also - entgegen der Ansicht des Gläubigers - nicht allein darum, daß der Schuldner nicht vor dem französischen Gericht erschienen ist. Vielmehr hat er versucht, sich verteidigen zu lassen; dies wurde ihm verwehrt. 2. Die Vollstreckbarerklä rung eines so zustande gekommenen Ve r - säumnisurteils verletzt die deutsche öffentliche Ordnung. Eine in Deutschland verklagte Partei darf sich in jeder Lage eines Zivilverfahrens durch einen Rechtsanwalt mit der Wirkung vertreten lassen, daß sie nicht säumig ist. Zwar kann in gewissen, eng begrenzten Fällen eine erstinstanzliche Hauptverhan d - lung in einer Strafsache auch ohne Anwesenheit des Angeklagten stattfinden; er ist nach § 234 StPO jedoch stets befugt, sich durch einen bevollmächtigten Verteidiger vertreten zu lassen. Das gilt zugleich gegenüber einem im Adhäs i - onsverfahren geltend gemachten Entschädigungsantrag des Verletzten (vgl. § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO). Artikel 103 Abs. 1 GG schreibt vor, daß vor einem deutschen Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Regelmäßig ist auch jeder b e - fugt, dieses Recht durch einen Rechtsanwalt auszuüben (vgl. BVerfGE 7, 53, - 6 - 57 f). Insbesondere im Strafverfahren darf der Angeklagte sich durch einen Verteidiger seines Vertrauens verteidigen lassen (BVerfGE 66, 313, 318 f). Soweit der Rechtsanwalt das Recht auf Gehör für seine Partei ausübt, ist er es, den das Gericht auf jeden Fall durchgängig am Verfahren zu beteiligen hat; wird dieses nicht beachtet, so ist grundsätzlich Artikel 103 Abs. 1 GG verletzt (Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, GG Artikel 103 Rdnr. 108). Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet auch, daß das entscheidende Gericht die Ausfü h - rungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muß (BVerfGE 53, 219, 222; 60, 247, 249; 70, 215, 218, jeweils m.w.N.). Das Gericht darf nicht Vortrag unberücksichtigt lassen, der ihm in der anberaumten Verhandlung unterbreitet wird. Die Beachtung der Grundrechte gehört zum Inhalt der deutschen öffen t - lichen Ordnung. Nach der Sachlage ist auch nicht auszuschließen, daß das Schwurgericht Paris über den Schadensersatzanspruch anders entschieden hätte, wenn es bei seiner Entscheidung die Verteidigung des Schuldners b e - rücksichtigt hätte. Dieser behauptet, die Injektion sei medizinisch geboten g e - wesen, und bestreitet insbesondere den - in die "conclusions" für das Schwu r - gericht aufgenommenen - Vorwurf des Gläubigers, daß der Schuldner sich z u - vor an dem Mädchen sexuell vergangen habe. 3. Der dargestellte Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung darf im Rahmen des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ berücksichtigt werden. Auf die Vorlage des erkennenden Senats hat der Europäische Gerichtshof (Rechtssache C-7/98, Urt. v. 28. März 2000 - NJW 2000, 1853 f) entschieden: Das Gericht des Vollstreckungsstaats darf im Rahmen der Ordre-Public- Klausel des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ im Fall eines Beklagten, der seinen - 7 - Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Staates hat und wegen einer vorsät z - lich begangenen Straftat angeklagt worden ist, berücksichtigen, daß das Gericht des Ursprungsstaats diesem das Recht versagt hat, sich verte i - digen zu lassen, ohne persönlich zu erscheinen. Der Berücksichtigung steht auch Art. II Abs. 1 des Protokolls vom 27. September 1968 zum EuGVÜ nicht entgegen. Diese Vorschrift gewährle i - stet zwar das Recht, sich ohne persönliches Erscheinen vor den Strafgerichten eines Vertragsstaats verteidigen zu lassen, auswärtigen Personen nur dann ausdrücklich, wenn sie wegen einer fahrlässig begangenen Straftat verfolgt werden. Sie kann aber nicht dahin ausgelegt werden, daß sie bei der Strafve r - folgung wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat die Anwendung der Or d - re-Public-Klausel des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs hindert (Urt. des Europäischen Gerichtshofs aaO unter Nr. 44). - 8 - Danach k ann das französische Urteil, das unter Verletzung des rechtl i - chen Gehörs des Schuldners ergangen ist, in Deutschland nicht anerkannt werden. Kreft Stodolkowitz Kirchhof Zugehör Ganter

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