II ZB 20/99 - II. Zivilsenat
Karar Dilini Çevir:
II ZB 20/99 - II. Zivilsenat
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZB 20/99 vom 24. Juli 2000 in Sachen Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 174 Abs. 2, 175; ZPO § 233 I Es ist mit dem Rechtsstaatsgebot wurzelnden Grundsatz des fairen Verfa h - rens unvereinbar, einer im Ausland wohnenden Partei, die ein nach § 175 BGB als zugestellt geltendes Versäumnisurteil wegen Verlustes der Sendung auf dem Postweg überhaupt nicht erhalten hat, die Wiedereinse t - zung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist allein deshalb zu versagen, weil sie den Zustellungsbevollmächtigten nicht bestellt hat. - 2 - BGH, Beschluß vom 24. Juli 2000 - II ZB 20/99 - OLG Frankfurt a.M. - 3 - Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 24. Juli 2000 durch den Vo r - sitzenden Richter Dr. h .c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke beschlossen: Auf die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten werden der Beschluß des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. August 1999 und der Beschluß der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Juni 1999 aufgehoben. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Nichteinhaltung der Einspruchsfrist hinsichtlich des Versäu m - nisurteils der 14. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 1998 gewährt. Beschwerdewert: 10 Mio. DM Gründe: I. Die Klägerin nimmt als Konkursverwalterin über das Vermögen der D. Bank AG den in L. wohnhaften Beklagten aus einem Zeichnungsschein gemäß § 185 AktG sowie aus unerlaubter Handlung auf Zahlung von 10 Mio. DM in Anspruch. Die Klageschrift, die Verfügung des Gerichts zum schriftlichen Vorverfahren gemäß § 276 ZPO einschließlich einer - 4 - Belehrung über das Erfordernis der Bestellung eines Zustellungsbevollmäc h - tigten gemäß § 174 Abs. 2 ZPO und des Hinweises auf die Konsequenzen e i - ner ansonsten möglichen Zustellung durch Aufgabe zur Post (§ 175 Abs. 1 ZPO) wurden dem Beklagten persönlich am 3. März 1998 im Wege der Rechtshilfe nach § 199 ZPO zugestellt. Nachdem der Beklagte hierauf nicht reagiert hatte, erließ das Landgericht am 19. November 1998 antragsgemäß ohne mündliche Verhandlung ein entsprechendes Versäumnisurteil und setzte darin die Einspruchsfrist auf sechs Wochen fest. Dieses Urteil wurde dem B e - klagten am 24. November 1998 durch Aufgabe zur Post (§ 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO), der Klägerin per Empfangsbekenntnis am 25. November 1998 zugestellt. Auf Antrag der Klägerin wurde - im Hinblick auf eine beabsichtigte Auslandsvollstreckung - das Versäumnisurteil dem Beklagten nochmals, und zwar nunmehr laut einer förmlichen Zustellungsbestätigung am 25. März 1999 im Wege der Auslandszustellung, zugestellt. Der Beklagte legte über seine daraufhin beauftragten Prozeßbevollmächtigten am 16. April 1999 Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das Landgericht, das den Einspruch zunächst für wirksam hielt und dementsprechend die Frist zur Einspruchsbegründung antragsgemäß bis zum 10. Juni 1999 verlängerte, stellte sodann die frühere Zustellung vom 24. November 1998 fest und ließ den bis dahin fehlenden Z u - stellungsvermerk nach § 213 ZPO durch die Urkundsbeamtin der Geschäft s - stelle am 6. Mai 1999 nachholen. Nach entsprechendem gerichtlichen Hinweis beantragten die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten, denen erstmals am 27. April 1999 Akteneinsicht gewährt worden war, am 10. Mai 1999 Wiederei n - setzung in den vorigen Stand; zur Glaubhaftmachung bezogen sie sich auf e i - ne eidesstattliche Versicherung des Beklagten, nach der ihm das Versäumni s - urteil erstmals am 18. März 1999 zugestellt worden ist; dabei handelte es sich - seinem Vorbringen zufolge - um die formale Auslandszustellung, die entg e - gen der offiziellen Zustellungsbestätigung bereits an diesem Tage erfolgte. Das - 5 - Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und den Ei n - spruch gegen das Versäumnisurteil als verspätet verworfen. Die dagegen g e - richtete sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Oberlandesgericht z u - rückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der weiteren sofortigen Beschwerde. II. Die gemäß § 568 a ZPO statthafte weitere sofortige Beschwerde ist begründet. Die Vorinstanzen haben zwar zutreffend den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 19. November 1998 als ve rspätet angesehen; sie haben ihm jedoch zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in den vor i - gen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist verweigert und damit auch rechtsfehlerhaft seinen Einspruch als unzulässig verworfen. 1. Bei Einlegung des Einspruchs am 16. April 1999 war allerdings die Einspruchsfrist - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - bereits verstr i - chen. Sie begann - da es sich um ein im schriftlichen Vorverfahren erlassenes Versäumnisurteil handelte - mit der letzten der von Amt s wegen zu bewirke n - den Zustellungen an die Parteien, d.h. hier mit der Urteilszustellung an die Klägerin am 25. November 1998 (§§ 310 Abs. 3, 331 Abs. 3, 339 Abs. 1 ZPO; vgl. dazu BGH, Beschl. v. 5. Oktober 1994 - XII ZB 90/94, NJW 1994, 3359, 3360 m.w.N.). Die Zustellung an den Beklagten galt bereits mit der Aufgabe zur Post am Tage zuvor als bewirkt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO), weil der B e - klagte - nach der ordnungsgemäßen Verfahrenseinleitung - entgegen § 174 Abs. 2 ZPO bis dahin keinen Zustellungsbev ollmächtigten bestellt hatte. Auch die Förmlichkeiten dieses - verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG NJW 1997, 1772) - Zustellungsverfahrens wurden eingehalten. Die Urkund s - - 6 - beamtin der Geschäftsstelle hat gemäß § 213 ZPO in den Akten vermerkt, zu welcher Zeit und unter welcher Adresse die Aufgabe zur Post erfolgt ist; der Wirksamkeit des Vermerks steht nicht entgegen, daß er erst einige Zeit nach dem Zustellungsvorgang während des Einspruchsverfahrens gefertigt wurde (BGH, Beschl. v. 22. Februar 1989 - IVb ZB 150/88, FamRZ 1989, 1287, 1288 m.w.N.). Die mit der letzten der vorgenannten Amtszustellungen am 25. No- vember 1998 in Gang gesetzte Einspruchsfrist war zur Zeit der Einspruchsei n - legung zweifelsfrei abgelaufen. 2. Dem Beklagten ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist g e - hindert war (§ 233 ZPO). Das Oberlandesgericht ist der Ansicht, der Beklagte habe als Adressat der Zustellung durch Aufgabe zur Post nach § 175 ZP O das Risiko des hier in Betracht kommenden Verlustes der Sendung im postalischen Bereich und der dadurch bedingten Unkenntnis von der fingierten Zustellung und dem Friste n - lauf zu tragen, weil in der Nichtbenennung des Zustellungsbevollmächtigten ein die Wiedereinsetzung hinderndes Mitverschulden liege. Dieser Beurteilung vermag der Senat nicht zu folgen. Die Regelungen der §§ 174 Abs. 2, 175 ZPO dienen allerdings - im I n - teresse der Prozeßwirtschaftlichkeit, aber auch des Justizgewährungsa n - spruchs des Klägers - einer zügigen Förderung des Rechtsstreits durch das Gericht und die Parteien; sie sollen der Gefahr unangemessener Verzögeru n - gen bei solchen Verfahren vorbeugen, an denen im Ausland wohnende Parte i - en beteiligt sind. Als unmittelbare Folge des Verstoßes gegen die in § 174 Abs. 2 ZPO angeordnete Verpflichtung zur Bestellung eines Zustellungsb e - - 7 - vollmächtigten geht daher wegen der Fiktion des § 175 Abs. 1 Satz 3 ZPO bei der Berechnung des Fristenlaufs die Postlaufzeit grundsätzlich zu Lasten des Zustellungsadressaten. Damit ist jedoch kein genereller Ausschluß der Wi e - dereinsetzungsvorschriften verbunden; vielmehr wendet der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung in den Fällen der Versäumung von Notfristen, die aus Zustellungen gemäß § 175 ZPO resultieren, Wiedereinsetzungsrecht an (BGH, Urt. v. 10. November 1998 aaO S. 1192 m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG aaO S. 1772). Ein die Wiedereinsetzung hinderndes Verschulden kann daher nicht - wie dem Oberlandesgericht offenbar vorschwebt - ohne Rücksicht auf die konkreten Hinderungsgründe für die Fristversäumung bereits aus dem Ve r - stoß gegen § 174 Abs. 2 ZPO hergeleitet werden. Führt die Fiktion des § 175 ZPO im Extremfall dazu, daß beim tatsächlichen Zugang des Urteils die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen ist oder erhält der Empfänger - wie hier - bis zum Fristablauf wegen Verlustes der Sendung auf dem Postweg überhaupt keine Kenntnis vom Erlaß des Urteils, so wird eine wesentliche Aufgabe der Zustellung, dem Empfänger rechtliches Gehör zu verschaffen und ein faires Verfahren zu gewährleisten (BVerfG NJW 1988, 2361), verfehlt. Mit dem im Rechtsstaatsgebot wurzelnden Grundsatz des fairen Verfahrens ist es nach Ansicht des Senats unvereinbar, einer im Ausland wohnenden Partei, die ein nach § 175 ZPO als zugestellt geltendes Versäumnisurteil wegen Verlustes der Sendung auf dem Postweg überhaupt nicht erhält, den Rechtsbehelf des Ei n - spruchs endgültig abzuschneiden, und zwar allein deshalb, weil sie den Z u - stellungsbevollmächtigten nicht bestellt hat (BGH, Beschl. v. 4. Dezember 1991 - IV ZB 4/91, NJW 1992, 1701, 1702; BVerfG aaO S. 1772). Im vorliegenden Fall ist danach - nicht anders als bei gewöhnlichen, nicht auf einer Fiktion beruhenden Inlandszustellungen - die Fristversäumung des Beklagten als unverschuldet anzusehen, weil ihm ein Verlust der Sendung - 8 - auf dem Postweg nicht anzulasten ist. Ausweislich seiner eidesstattlichen Ve r - sicherung vom 14. Mai 1999 ist ihm die am 24. November 1998 zur Post geg e - bene Sendung mit dem Versäumnisurteil nie zugegangen, so daß von einem derartigen Verlust auszugehen ist. Nach Aktenlage besteht kein Anlaß, an der Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung zu zweifeln. Der Beklagte hat - obwohl ihm dies hinsichtlich eines etwaigen Fristenlaufes eher ungünstig war - versichert, die im Wege der Auslandszustellung wiederholte Übermittlung des Versäumnisurteils bereits am 18. März 1999 tatsächlich erhalten zu haben und nicht etwa eine Woche später - wie von der englischen Behörde in der Z u - stellungsurkunde vermerkt. Die Richtigkeit der diesbezüglichen Versicherung ergibt sich zudem daraus, daß der Inhalt der Sendung bereits durch die engl i - schen Rechtsanwälte des Beklagten am 23. März 1999 per Fax an seine de r - zeitigen Prozeßbevollmächtigten übermittelt worden ist. Da der Beklagte nach Erhalt der Auslandszustellung sogleich seine Prozeßbevollmächtigten bestellt und mit der Einlegung des Einspruchs beauftragt hat, erscheint seine weitere Versicherung glaubhaft, er würde selbstverständlich - auch angesichts des Streitwerts von 10 Mio. DM - umgehend die Rechtsanwälte schon früher b e - auftragt haben, wenn ihn die am 24. November 1998 zur Post aufgegebene Sendung tatsächlich erreicht hätte. 3. Die - von den Vorinstanzen auf der Grundlage ihres Rechtsstan d - punkts folgerichtig nicht geprüften - formalen Voraussetzungen der Wiederei n - setzung sind ebenfalls gegeben, insbesondere ist die Frist des § 234 ZPO ei n - gehalten. Diese Frist begann frühestens am 27. April 1999, dem Tag, an dem den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten erstmals Akteneinsicht gewährt wurde; somit war die Einreichung des Gesuchs am 10. Mai 1999 rechtzeitig. Eine frühere Behebung des Hindernisses - Unkenntnis von der gemäß § 175 ZPO fingierten früheren Zustellung vom 24. November 1998 - kommt - 9 - nicht in Betracht. Gerade weil die Auslandszustellung des Urteils am 18. März 1999 erfolgte, mußte der Beklagte nicht mit einer früheren Zustellung gemäß § 175 ZPO rechnen, weil eine "doppelte" Zustellung jedenfalls grundsätzlich nicht ohne weiteres erwartet werden konnte. Folgerichtig haben seine Proze ß - bevollmächtigten auch zunächst am 31. März 1999 nur Akteneinsicht beantragt und sich am 16. April 1999 mit der Einlegung des Einspruchs begnügt, weil die Akte wegen der Auslandszustellung bei Gericht nicht vor dem 27. April 1999 verfügbar war. Hinzu kam, daß selbst das Landgericht zunächst von der Rech t - zeitigkeit des Einspruchs ausging, indem die Kammervorsitzende unter dem 23. April 1999 den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten schriftlich besche i - nigte, daß das Versäumnisurteil am 25. März 1999 zug estellt sei, und im übr i - gen die Frist zur Einspruchsbegründung antragsgemäß bis zum 10. Mai 1999 verlängerte. Das Gericht selbst stellte erst am 6. Mai 1999 nach Aktendurc h - sicht die bereits am 24. Novem ber 1998 gemäß § 175 ZPO bewirkte frühere Zustellung fest und ließ den bis dahin fehlenden Aktenvermerk nach § 213 ZPO nachholen; erst danach wies es durch Schreiben vom 6. Mai 1999 den Beklagten auf die veränderte Situation hin. Bei dieser Sachlage mußten die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten jedenfalls nicht vor der eigenen Akteneinsicht die frühere – zudem damals noch nicht förmlich bescheinigte - Zustellung vom 24. November 1998 bemerken. 4. Mit der die Wiedereinsetzung stattgebenden Entscheidung ist z u - gleich die auf die Fristversäumung gestützte Einspruchsverwerfung durch das Landgericht gegenstandslos. 5. Über die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens - zu denen auch die Kosten der für den Beklagten erfolgreichen Beschwerdeverfahren geh ö - - 10 - ren - ist erst in der Endentscheidung über die Hauptsache zu erkennen (vgl. Zöller/Greger, ZPO 21. Aufl. § 238 Rdn. 11 m. Rechtsprechungsnachw.). Röhricht Henze Goette Kurzwelly Münke

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