F-2182/2015 - Abteilung VI - Erleichterte Einbürgerung - Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung
Karar Dilini Çevir:
F-2182/2015 - Abteilung VI - Erleichterte Einbürgerung - Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung VI
F-2182/2015



Ur t e i l vom 1 8 . Ok t o be r 2 0 1 6
Besetzung
Richterin Marianne Teuscher (Vorsitz),
Richter Antonio Imoberdorf,
Richterin Jenny de Coulon Scuntaro,
Gerichtsschreiberin Jacqueline Moore.



Parteien
A._______,
vertreten durch Ralph Wiedler Friedmann, Rechtsanwalt,
Advokaturbüro Wiedler Friedmann,
Beethovenstrasse 41, 8002 Zürich,
Beschwerdeführer,



gegen


Staatssekretariat für Migration SEM,
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.




Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung.



F-2182/2015
Seite 2
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer (geb. 1975) stammt aus Bangladesch. Am 6. De-
zember 1996 reiste er in Deutschland ein und durchlief anschliessend un-
ter falschem Namen ein Asylverfahren, welches am 16. Juni 1998 abge-
lehnt wurde. In der Folge gelangte der Beschwerdeführer in die Schweiz
und ersuchte, unter einem neuen Aliasnamen, am 6. April 1999 um Asyl.
Nachdem sein Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen worden war, verblieb
der Beschwerdeführer auch nach Ablauf der Ausreisefrist weiterhin – und
somit illegal – in der Schweiz. Wegen fehlender Ausweispapiere konnte er
jedoch nicht in die Heimat ausgeschafft werden.
B.
Im Zuge des Ehevorbereitungsverfahrens mit einer um zwölf Jahre älteren
Schweizer Bürgerin (geb. 1963) wurde der am 5. Mai 2003 ausgestellte
bangladeschische Reisepass des Beschwerdeführers durch das Zivil-
standsamt Basel-Stadt am 3. Oktober 2003 sichergestellt. Am 5. Dezember
2003 erfolgte die Heirat und der Beschwerdeführer nahm bei seiner Ehe-
frau und deren Tochter (geb. 1998) im Kanton Basel-Stadt Wohnsitz.
C.
Am 23. Januar 2007, rund drei Jahre und eineinhalb Monate nach erfolgter
Eheschliessung, reichte der Beschwerdeführer beim damaligen Bundes-
amt für Migration BFM (heute: Staatssekretariat für Migration SEM) ein Ge-
such um erleichterte Einbürgerung nach Art. 27 des Bürgerrechtsgesetzes
vom 29. September 1952 (BüG, SR 141.0) ein. Im Rahmen des Einbürge-
rungsverfahrens unterzeichneten die Eheleute am 3. November 2008 eine
gemeinsame Erklärung, wonach sie in einer tatsächlichen, ungetrennten,
stabilen ehelichen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenlebten
und weder Trennungs- noch Scheidungsabsichten bestünden.
Am 4. Dezember 2008, in Rechtskraft erwachsen am 21. Januar 2009,
wurde der Beschwerdeführer erleichtert eingebürgert. Er erwarb neben
dem Schweizer Bürgerrecht das Bürgerrecht des Kantons Bern und das
Gemeindebürgerrecht von X._______.
D.
In der Scheidungsvereinbarung vom 21. Mai 2009 beantragten beide Ehe-
gatten – einig über die Nebenfolgen der Scheidung – gemeinsam die
Scheidung ihrer am 5. Dezember 2003 geschlossenen Ehe (Akten der Vor-
F-2182/2015
Seite 3
instanz [SEM-act.] 100-101). Seit dem 26. November 2009 sind die Ehe-
gatten rechtskräftig geschieden (SEM-act. 118-119).
E.
Mit Schreiben vom 24. April 2014 machte die Migrationsbehörde des Kan-
tons Bern die Vorinstanz auf die erfolgte Scheidung des Beschwerdefüh-
rers von seiner Schweizer Ehefrau aufmerksam und beantragte die Nich-
tigerklärung der erleichterten Einbürgerung des Beschwerdeführers.
F.
Aufgrund dieser Umstände eröffnete die Vorinstanz am 6. Mai 2014 ein
Verfahren auf Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung gemäss
Art. 41 BüG. Gleichzeitig forderte sie den Beschwerdeführer auf, einen Fra-
genkatalog zu beantworten (SEM-act. 77-78). Am 10. Juni 2014 ersuchte
sie den Beschwerdeführer um Beantwortung weiterer Fragen (SEM-
act. 102). Diesen Aufforderungen kam der Beschwerdeführer mit Schrei-
ben vom 27. Mai 2014 sowie vom 23. Juli 2014 nach (SEM-act. 98-101 und
106-107). Mit dessen Zustimmung zog die Vorinstanz in der Folge die Ak-
ten des Ehescheidungsverfahrens bei. Danach gelangte die Vorinstanz mit
Schreiben vom 6. August 2014 und vom 10. September 2014 an die Ex-
Ehegattin des Beschwerdeführers und unterbreitete ihr ebenfalls einen
Fragenkatalog (SEM-act. 112-113 und 123-124). Am 7. September 2014
bzw. am 10. Oktober 2014 gingen die entsprechenden Antworten bei der
Vorinstanz ein (SEM-act. 117 und 125).
G.
Am 19. Februar 2015 erteilte der Kanton Bern als Heimatkanton des Be-
schwerdeführers seine Zustimmung zur Nichtigerklärung der erleichterten
Einbürgerung.
H.
Mit Verfügung vom 26. Februar 2015 erklärte die Vorinstanz die erleichterte
Einbürgerung des Beschwerdeführers für nichtig. Zur Begründung brachte
sie im Wesentlichen vor, zwischen der rechtskräftigen Einbürgerung bis zur
freiwilligen "internen" Trennung seien ca. vier bis sechs Monate vergangen
resp. sechs Monate bis zum offiziellen Scheidungsbegehren. Rund zehn
Monate später sei die Scheidung der Ehegatten in Rechtskraft erwachsen.
Diese kurzen zeitlichen Verhältnisse begründeten die Vermutung, dass die
Ehegatten zum Zeitpunkt der erleichterten Einbürgerung nicht mehr in
stabilen und zukunftsgerichteten ehelichen Verhältnissen gelebt hätten und
der Wille für ein Aufrechterhalten der Ehe gefehlt habe. Die Entfremdung
F-2182/2015
Seite 4
der Ehegatten habe demzufolge bereits vor der erleichterten Einbürgerung
eingesetzt. Zudem seien Bemühungen des Beschwerdeführers, die Ehe zu
retten, kaum erkennbar.
I.
Mit Beschwerde vom 7. April 2015 liess der Beschwerdeführer durch sei-
nen Rechtsvertreter in materieller Hinsicht die Aufhebung der vorinstanzli-
chen Verfügung beantragen. Zur Begründung liess er im Wesentlichen vor-
bringen, in der Zeit nach der erleichterten Einbürgerung habe der Be-
schwerdeführer an einer depressiven Verstimmung gelitten, was sich in al-
koholischen Abstürzen geäussert habe. Dieser stehe heute noch in Kontakt
zu seiner Stieftochter, was gegen eine Heirat nur zur Sicherung der Aufent-
haltssituation spreche. Dass der Beschwerdeführer selber gesagt habe, es
sei eigentlich nichts Besonderes vorgefallen, zeige, dass ein „blinder Fleck“
in seinem Bewusstsein bestehe. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, was
damals mit ihm geschehen sei. Dies passe im Übrigen sehr gut in das
Krankheitsbild der depressiven Verstimmung. Die Ereignisse, welche zur
Scheidung geführt hätten, seien im Januar oder Februar 2009 nicht abseh-
bar gewesen. Vielmehr hätten sich diese überstürzt, vor allem wegen des
Alkoholabusus des Beschwerdeführers. Weiter rügt er, die Vorinstanz ver-
letze mit ihren voreingenommenen Äusserungen das Willkürverbot (Art. 9
BV).
In formeller Hinsicht liess er um den Verzicht auf die Erhebung eines Kos-
tenvorschusses ersuchen.
J.
Mit Zwischenverfügung vom 24. Juni 2015 wies das Bundesverwaltungs-
gericht das Gesuch um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschus-
ses ab, mit dem Hinweis, dass es dem Beschwerdeführer frei stehe ein
rechtsgenüglich begründetes Gesuch – unter Einreichung eines aktuellen
Nachweises bzgl. seiner Bedürftigkeit – um unentgeltliche Rechtspflege in-
nert Frist zur Bezahlung des Kostenvorschusses nachzureichen.
Am 18. Mai 2015 wurden die entsprechenden Unterlagen nachgereicht, je-
doch mit Zwischenverfügung vom 24. Juni 2015 durch die Instruktionsrich-
terin des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen, da die Aussicht des
Prozessbegehrens kaum als ernsthaft bezeichnet werden konnte.
F-2182/2015
Seite 5
K.
In ihrer Vernehmlassung vom 10. September 2015 beantragte die Vorin-
stanz die Abweisung der Beschwerde.
L.
Die dem Beschwerdeführer gewährte Gelegenheit zur Replik blieb unge-
nutzt.
M.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit rechtserheblich, in den Erwägun-
gen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Verfügungen des SEM über die Nichtigerklärung einer erleichterten
Einbürgerung unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsge-
richt (Art. 51 Abs. 1 BüG i.V.m. Art. 31 ff. VGG). Das Rechtsmittelverfahren
richtet sich nach dem VwVG (Art. 37 VGG).
1.2 Der Beschwerdeführer ist zur Ergreifung des Rechtsmittels legitimiert.
Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten
(Art. 50 und 52 VwVG).
2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung
von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Er-
messens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheb-
lichen Sachverhalts und – soweit nicht eine kantonale Behörde als Be-
schwerdeinstanz verfügt hat – die Unangemessenheit gerügt werden
(Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerde-
verfahren das Recht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4
VwVG an die Begründung der Begehren nicht gebunden und kann die Be-
schwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheis-
sen oder abweisen (vgl. BVGE 2014/1 E. 2 m.H.).
Das Willkürverbot (Art. 9 BV) hat in casu keinen selbständigen Gehalt bzw.
keine eigenständige Auswirkung, weil das Bundesverwaltungsgericht Tat-
und Rechtsfragen mit voller Kognition überprüfen kann.
F-2182/2015
Seite 6
3.
3.1 Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann eine ausländische Person nach der
Eheschliessung mit einem Schweizer Bürger ein Gesuch um erleichterte
Einbürgerung stellen, wenn sie insgesamt fünf Jahre in der Schweiz ge-
wohnt hat (Bst. a), seit einem Jahr hier wohnt (Bst. b) und seit drei Jahren
in ehelicher Gemeinschaft mit einem Schweizer Bürger lebt (Bst. c). Die
Einbürgerung setzt zudem voraus, dass die ausländische Person in der
Schweiz integriert ist, die schweizerische Rechtsordnung beachtet und die
innere oder äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (vgl. Art. 26
Abs. 1 BüG). Sämtliche Einbürgerungsvoraussetzungen müssen sowohl
im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch anlässlich der Einbürge-
rungsverfügung erfüllt sein. Fehlt es im Zeitpunkt des Einbürgerungsent-
scheids an der ehelichen Gemeinschaft, darf die erleichterte Einbürgerung
nicht ausgesprochen werden (vgl. BGE 140 II 65 E. 2.1 m.H.).
3.2 Der Begriff der ehelichen Gemeinschaft im Sinne des Bürgerrechtsge-
setzes bedeutet mehr als das formelle Bestehen einer Ehe. Verlangt wird
vielmehr eine tatsächliche Lebensgemeinschaft, getragen vom beidseiti-
gen Willen, die Ehe auch künftig aufrecht zu erhalten (vgl. BGE 135 II 161
E. 2 m.H.). Mit Art. 27 BüG wollte der Gesetzgeber ausländischen Ehegat-
ten eines Schweizer Bürgers die erleichterte Einbürgerung ermöglichen,
um die Einheit des Bürgerrechts im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft
zu fördern (vgl. Botschaft zur Änderung des Bürgerrechtsgesetzes vom
27. August 1987, BBl 1987 III 310). Zweifel am Bestehen einer solchen
Gemeinschaft sind bspw. angebracht, wenn kurze Zeit nach der erleichter-
ten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die Scheidung eingeleitet wird
(vgl. BGE 135 II 161 E. 2 m.H.), der Gesuchsteller während der Ehe ein
aussereheliches Kind zeugt (vgl. Urteil des BGer 1C_27/2011 vom
21. März 2011 E. 6.4.1) oder eine Zweitehe schliesst, der Prostitution nach-
geht oder sich in einer anderen Weise verhält, die in grobem Widerspruch
zum traditionellen Bild der Ehe als einer ungeteilten, von Treue und Bei-
stand getragenen Geschlechtergemeinschaft zwischen Mann und Frau
steht (vgl. Urteil des BVGer C-3912/2008 vom 8. Juni 2009 E. 3.2. m.H.).
4.
4.1 Die erleichterte Einbürgerung kann mit Zustimmung des Heimatkan-
tons innert gesetzlicher Frist für nichtig erklärt werden, wenn sie durch fal-
sche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen,
d.h. mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt wurde
(Art. 41 Abs. 1 BüG). Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbe-
standes wird nicht verlangt. Es genügt, wenn die gesuchstellende Person
F-2182/2015
Seite 7
bewusst falsche Angaben macht bzw. die mit dem Gesuch um erleichterte
Einbürgerung befasste Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt
und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, über eine er-
hebliche Tatsache zu informieren (vgl. BGE 140 II 65 E. 2.2 m.H.).
4.2 Weiss die betroffene Person, dass die Voraussetzungen für die erleich-
terte Einbürgerung auch im Zeitpunkt der Verfügung vorliegen müssen, so
muss sie die Behörden unaufgefordert über eine nachträgliche Änderung
der Verhältnisse orientieren, von der sie weiss oder wissen muss, dass sie
einer Einbürgerung möglicherweise entgegensteht. Die Pflicht dazu ergibt
sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben und aus der verfahrens-
rechtlichen Mitwirkungspflicht gemäss Art. 13 Abs. 1 Bst. a VwVG. Die Be-
hörde darf sich ihrerseits darauf verlassen, dass die vormals erteilten Aus-
künfte bei passivem Verhalten der gesuchstellenden Person nach wie vor
der Wirklichkeit entsprechen (vgl. BGE 140 II 65 E. 2.2 m.H.).
5.
Die Möglichkeit der Nichtigerklärung geht durch Zeitablauf unter. Art. 41
Abs. 1 BüG in der Fassung vom 29. September 1952 (AS 1952 1087) sta-
tuierte hierfür eine Frist von fünf Jahren ab Einbürgerung. Auf den 1. März
2011 wurde der neue Art. 41 Abs. 1bis BüG und mit ihm eine differenzierte
Fristenregelung eingeführt. Danach kann die Einbürgerung innert zwei
Jahren, nachdem das Bundesamt vom rechtserheblichen Sachverhalt
Kenntnis erhalten hat, spätestens aber innert acht Jahren nach dem Er-
werb des Schweizer Bürgerrechts nichtig erklärt werden. Nach jeder Un-
tersuchungshandlung, die der eingebürgerten Person mitgeteilt wird, be-
ginnt eine neue zweijährige Verjährungsfrist zu laufen. Die Fristen stehen
während eines Beschwerdeverfahrens still (vgl. Urteil des BVGer
C-518/2013 vom 17. März 2015 E. 4.4).

6.
6.1 Das Verfahren zur Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung
richtet sich nach dem VwVG (vgl. Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Bst. a VwVG).
Es gilt namentlich der Untersuchungsgrundsatz (Art. 12 VwVG). Die Be-
hörde hat daher von Amtes wegen zu untersuchen, ob der betroffenen Per-
son die Täuschung über eine Einbürgerungsvoraussetzung vorgeworfen
werden kann, wozu insbesondere die Existenz eines beidseitig intakten
und gelebten Ehewillens gehört. Da die Nichtigerklärung in die Rechte der
betroffenen Person eingreift, liegt die Beweislast bei der Behörde. Aller-
dings geht es in der Regel um innere, dem Kern der Privatsphäre zugehö-
F-2182/2015
Seite 8
rige Sachverhalte, die der Behörde nicht bekannt und einem direkten Be-
weis naturgemäss kaum zugänglich sind. Sie können regelmässig nur in-
direkt durch Indizien erschlossen werden. Die Behörde kann sich darüber
hinaus veranlasst sehen, von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf
unbekannte (Vermutungsfolge) zu schliessen. Solche sogenannten natür-
lichen bzw. tatsächlichen Vermutungen stellen eine besondere Form des
Indizienbeweises dar und können sich in allen Bereichen der Rechtsan-
wendung ergeben, namentlich auch im öffentlichen Recht. Dabei handelt
es sich um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die auf Grund der Lebenser-
fahrung gezogen werden. Die betroffene Person ist bei der Sachverhalts-
abklärung mitwirkungspflichtig (vgl. BGE 140 II 65 E. 2.2 und BGE 135 II
161 E. 3 je m.H.).
6.2 Die natürliche Vermutung gehört zur freien Beweiswürdigung (vgl.
Art. 19 VwVG i.V.m. Art. 40 BZP [SR 273]). Sie stellt eine Beweiserleichte-
rung dar, indem eine bereits vorhandene, aber nicht mit letzter Schlüssig-
keit mögliche Beweisführung unterstützt wird. Eine Umkehr der Beweislast
hat sie nicht zur Folge. Wenn daher bestimmte Tatsachen – bspw. die Chro-
nologie der Ereignisse – die natürliche Vermutung begründen, dass die er-
leichterte Einbürgerung erschlichen wurde, muss die betroffene Person
nicht den Nachweis für das Gegenteil erbringen. Es genügt, wenn sie einen
Grund anführt, der es als hinreichend möglich erscheinen lässt, dass sie
die Behörde nicht getäuscht hat. Bei diesem Grund kann es sich um ein
ausserordentliches, nach der erleichterten Einbürgerung eingetretenes Er-
eignis handeln, das zum raschen Scheitern der Ehe führte, oder die be-
troffene Person kann plausibel darlegen, dass sie die Ernsthaftigkeit eheli-
cher Probleme zum Zeitpunkt der erleichterten Einbürgerung nicht er-
kannte und den wirklichen Willen hatte, mit dem Schweizer Ehepartner
auch weiterhin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft zu leben
(BGE 135 II 161 E. 3 m.H.).
7.
Im vorliegenden Verfahren hat der Heimatkanton die von Art. 41 Abs. 1
BüG geforderte Zustimmung erteilt; die Fristen nach Art. 41 Abs. 1bis BüG
wurden ebenfalls gewahrt. Die formellen Voraussetzungen der Nichtiger-
klärung einer erleichterten Einbürgerung sind somit erfüllt.
8.
8.1 Das SEM gelangte in der angefochtenen Verfügung gestützt auf den
zeitlichen Ereignisablauf und die vorinstanzlichen Akten zur Überzeugung,
die Ehegatten hätten bereits während des Einbürgerungsverfahrens nicht
F-2182/2015
Seite 9
mehr in stabilen und zukunftsgerichteten ehelichen Verhältnissen gelebt.
Bei den von der Ex-Ehefrau genannten Gründen – wiederkehrende Ar-
beitslosigkeit des Beschwerdeführers und die damit korrespondierende
Unzufriedenheit und Streitereien, fehlende Harmonie im Alltag sowie
Müdigkeit am Abend –, handle es sich nicht um plötzliche oder unerwartete
Ereignisse, die erst kurz nach der erleichterten Einbürgerung eingetreten
seien. Vielmehr hätten die besagten Eheprobleme schon seit längerer Zeit
bestanden und gemäss Aussagen der Ex-Ehefrau die Ehe während ihrer
gesamten Dauer belastet. Die Voraussetzungen für die Nichtigerklärung
der erleichterten Einbürgerung seien somit erfüllt.
8.2 Die Chronologie der Ereignisse, namentlich während der kurzen Zeit-
spanne zwischen der gemeinsamen Erklärung zum Zustand der ehelichen
Gemeinschaft und der erleichterten Einbürgerung sowie der Scheidung
knapp neun Monate später, begründet ohne Weiteres die natürliche Ver-
mutung, dass die Ehe zum Zeitpunkt der gemeinsamen Erklärung bzw. der
erleichterten Einbürgerung in Wahrheit nicht intakt gewesen war und die
Einbürgerungsbehörde über diesen Umstand aktiv oder passiv getäuscht
wurde. Das Scheitern einer intakten und auf die Zukunft ausgerichteten
Ehe stellt einen Prozess dar, der – besondere Umstände vorbehalten –
regelmässig wesentlich längere Zeit in Anspruch nimmt, als es vorliegend
der Fall war. Es obliegt somit – wie in E. 6.2 bereits ausgeführt – dem Be-
schwerdeführer, diese Vermutung zu erschüttern, indem er ein ausseror-
dentliches, nach der erleichterten Einbürgerung eingetretenes Ereignis
aufzeigt, das den nachfolgenden raschen Zerfall einer zuvor intakten ehe-
lichen Beziehung plausibel erklärt oder, falls die Ehe zum Zeitpunkt der
erleichterten Einbürgerung nicht mehr intakt war, glaubhaft darlegt, dass er
zu diesem Zeitpunkt in guten Treuen von einer intakten Ehe ausging.
8.3 Ob der genannte Gegenbeweis in der vorliegenden Streitsache er-
bracht wurde, ist nachfolgend zu prüfen:
8.3.1 In seinem Schreiben vom 23. Juli 2014 (SEM-act. 106-107) machte
der Beschwerdeführer gegenüber der Vorinstanz geltend, er habe nach der
Heirat schnell Arbeit gefunden, diese nach einem Jahr aus wirtschaftlichen
Gründen jedoch wieder verloren. Danach habe er in der Arbeitswelt nicht
mehr richtig Fuss fassen können. Die Streitereien seien vor allem entstan-
den, wenn er ohne Arbeit gewesen sei; dies sei nach der erleichterten Ein-
bürgerung wiederum der Fall gewesen. Seine Ex-Ehefrau habe von ihm
verlangt, er solle sich mehr um Arbeit bemühen und habe ihm dabei gehol-
fen so gut es gegangen sei. Es habe die Harmonie im Alltag gefehlt, was
F-2182/2015
Seite 10
für ein Kind nicht gut sei. Er betonte weiter, dass die Tochter der Ex-Ehefrau
für ihn wie sein eigenes Kind sei. Seines Erachtens sei nach der erleich-
terten Einbürgerung nichts Spezielles vorgefallen. Seiner Ex-Ehefrau sei
einfach alles zu viel geworden. Sie habe für ihn und ihre Tochter schauen
müssen und habe 80% gearbeitet. Rückblickend verstehe er nicht, warum
er sich nicht mehr bemüht habe. Er würde es heute anders machen. Seine
Frau habe eine Therapie machen wollen, was er nicht gewollt habe. Im Mai
2009 habe sich seine Ex-Ehefrau Hilfe bei einer Anwältin geholt und da-
nach sei alles sehr schnell gegangen. Er habe die Wohnung verlassen
müssen und sei bei einem Bekannten eingezogen. Nach wie vor habe er
Kontakt zum Kind seiner Ex-Ehefrau und er fühle sich ihm gegenüber als
Vater. Bis heute pflege er mit beiden eine freundschaftliche Beziehung.
8.3.2 Die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers bestätigte diese Ausführun-
gen im Wesentlichen bereits gegenüber der Vorinstanz. In Ihrem Schreiben
vom 7. September 2014 (SEM-act. 117) legte sie dar, sie habe ihren Ex-
Mann zunehmend unzufrieden erlebt mit dem was er und sie als Familie
gehabt hätten. Seine Unselbständigkeit bei der Arbeitssuche habe sie un-
geduldig gemacht, und da er gut Deutsch spreche, sei diese Unselbstän-
digkeit für sie nicht nachvollziehbar gewesen. Sie habe während dieser Zeit
zu 80% im sozialen Bereich gearbeitet und ihre damals elfjährige Tochter
habe sie auch gebraucht. Sie sei an vielen Orten gefordert worden und am
Abend wirklich müde gewesen. In der Erklärung habe sie vorbehaltlos an-
gegeben in einer stabilen und zukunftgerichteten Ehe zu leben, da sie der
Überzeugung gewesen sei, dass sie es zusammen schaffen würden. Seit
der Heirat bis zur Trennung seien sie nie getrennt gewesen. Sie seien zu-
sammen in die Ferien gegangen, hätten gemeinsam Feste gefeiert, seien
oft Wandern und Picknicken gegangen. Den Beschwerdeführer habe sie
als modernen, weltoffenen Menschen erlebt, der ihre Tochter von Herzen
gemocht habe. Sie wolle die Jahre mit ihrem Ex-Ehegatten nicht missen.
Zum Scheitern werde wohl auch der Altersunterschied von 12 Jahren bei-
getragen haben. Aussereheliche Partnerschaften seien ihr keine bekannt.
Ihr schnelles Handeln und die schnelle Eingabe der Trennung hätten vor
allem mit ihrer Tochter zu tun gehabt. Hätte sie alleine mit dem Beschwer-
deführer zusammen gelebt, hätte sie wohl noch etwas mehr Geduld auf-
bringen können. Vor der Scheidungseingabe habe der Beschwerdeführer
eine Phase gehabt, in welcher er oftmals erst gegen den Morgen alkoholi-
siert nach Hause gekommen sei. Gespräche hätten zu keiner Veränderung
der Situation geführt. Zu einer Ehetherapie sei der Beschwerdeführer nicht
bereit gewesen, weshalb sie sich entschieden habe, sich von einer Anwäl-
tin beraten zu lassen. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2014 (SEM-act. 125)
F-2182/2015
Seite 11
erläuterte sie ergänzend, sie könne sich nicht mehr genau erinnern, wann
sie zum ersten Mal eine Ehetherapie vorgeschlagen habe. Auch wenn dies
vermutlich im Jahre 2006 gewesen sei, bedeute dies für sie nicht, dass die
Ehe schlecht gewesen sei, sondern dass sie bereit gewesen sei, an der
Beziehung zu arbeiten. Im Mai 2009 habe der Scheidungswunsch noch
nicht festgestanden, sondern sie habe lediglich eine Beratung gesucht. Es
sei richtig, dass zwar bereits vor Unterzeichnung der Erklärung gewisse
Probleme bestanden hätten, jedoch sei sie der festen Überzeugung gewe-
sen, dass sie zusammen in einer zukunftsgerichteten Ehe gelebt hätten.
8.3.3 In der Rechtsmitteleingabe vom 7. April 2015 liess der Beschwerde-
führer den Einwänden der Vorinstanz ausserdem entgegen halten, dass es
zum Verständnis des Sachverhalts von Bedeutung sei, was zwischen der
in Rechtskraft getretenen Einbürgerung und der Vereinbarung über die Ne-
benfolgen der Scheidung (also zwischen dem 21. Januar 2009 und dem
21. Mai 2009) geschehen sei. Trotz Schweizerpass habe er nach der er-
leichterten Einbürgerung nicht sogleich Arbeit gefunden, was zu weiteren
Streitereien geführt habe und er sei sich nicht bewusst gewesen, dass er
an einer depressiven Verstimmung gelitten hätte, was sich bezeichnender-
weise in alkoholischen Abstürzen geäussert habe. Rückblickend verstehe
er nicht, weshalb er sich nicht mehr bemüht habe. Gemäss Aussage der
Ex-Ehefrau sei die schnelle Eingabe auf Trennung damit in Zusammen-
hang gestanden, dass der Beschwerdeführer in dieser Phase oft erst ge-
gen Morgen und alkoholisiert nach Hause gekommen sei. Dies sei für sie
und ihre damals elfjährige Tochter eine „inakzeptable Situation“ gewesen,
die sie so (schnell) habe handeln lassen.
8.3.4 Tatsächlich liegt, abgesehen von der Einschätzung des Rechtsver-
treters, kein medizinisches Attest vor, welches die psychische Krankheit
des Beschwerdeführers bestätigt. Auch die Ex-Ehegattin, welche als Psy-
chiatrieschwester ein gewisses Fachwissen bezüglich psychischer Erkran-
kungen besitzt, bestätigt dies in ihren Stellungnahmen nicht. Kommt hinzu,
dass nicht jede Reaktion einer Person auf eine schwierige Lebenssituation
ein psychisches Leiden zur Folge hat. Aus dem Umstand, dass der Be-
schwerdeführer vermehrt alkoholisiert nach Hause zurückkehrte und dass
er sein Handeln nachträglich bereut, kann jedenfalls nicht geschlossen
werden, er leide an einer depressiven Verstimmung bzw. habe daran gelit-
ten. Im Übrigen kann die Darstellung, wonach der Beschwerdeführer ledig-
lich während einer kurzen Lebensphase nach der erleichterten Einbürge-
rung am Morgen alkoholisiert nach Hause zurückgekehrt sei, nicht bestä-
tigt werden. Wie die Vorinstanz bereits korrekt festgehalten hat, hat die Ex-
F-2182/2015
Seite 12
Ehefrau erklärt, dass dies zwar im Januar 2009 vermehrt, aber bereits in
der Vergangenheit wiederholt vorgekommen sei. Es ist sodann auch nicht
ersichtlich und es wurden keine Gründe geltend gemacht, weshalb die über
Jahre immer wieder auftretende Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers
und die damit verbundene Situation der ständigen Arbeitssuche erst nach
der erleichterten Einbürgerung die Ehe ernsthaft belastet haben soll.
8.3.5 Der Beschwerdeführer räumt zudem selber ein, dass nichts Speziel-
les vorgefallen sei. Rückblickend verstehe er auch nicht, warum er sich
nicht mehr bemüht hätte und er würde heute alles anders machen. Er wäre
froh, wenn er den Schweizerpass behalten könnte. Er lebe seit 1999 in der
Schweiz und hätte nach wie vor Kontakt zu seiner Ex-Ehefrau und deren
Tochter. Damit kann der Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft erklären,
dass er die Ernsthaftigkeit der ehelichen Probleme zum Zeitpunkt der er-
leichterten Einbürgerung nicht erkannt hat oder nicht hätte erkennen kön-
nen.
8.4 Zusammenfassend ist es dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen,
eine plausible Alternative zur dargestellten Vermutungsfolge zu präsentie-
ren und damit die gegen ihn sprechende tatsächliche Vermutung in Frage
zu stellen, wonach er und seine damalige Ehefrau im Zeitpunkt der Unter-
zeichnung der gemeinsamen Erklärung bzw. der erleichterten Einbürge-
rung nicht (mehr) in einer tatsächlichen und stabilen ehelichen Gemein-
schaft gelebt hätten. Es kann kein ausserordentliches, nach der erleichter-
ten Einbürgerung eingetretenes Ereignis dargetan werden, das den nach-
folgenden raschen Zerfall einer zuvor scheinbar intakten ehelichen Bezie-
hung plausibel erklären könnte. Es ist demnach davon auszugehen, dass
die erleichterte Einbürgerung im Sinne von Art. 41 BüG durch falsche An-
gaben und das Verheimlichen erheblicher Tatsachen erschlichen wurde.
Daran ändert auch die Aussage der Ex-Schwiegereltern im Schreiben vom
28. November 2014 (SEM-act. 135) nichts, in welchem sie ihre Bedenken
bezüglich der Heirat äusserten und dass es eine schwierige Zeit für ihre
Tochter gewesen sei, es sich hingegen aus ihrer Sicht nicht um eine
Scheinehe gehandelt habe. Auch die Äusserungen der Tochter der Ex-
Ehefrau in ihrem Schreiben vom 7. Dezember 2014 (SEM-act. 140), der
Beschwerdeführer sei für sie wie ein Vater, habe viel mit ihr unternommen
und ihr Kraft gegeben, vermag die Einschätzung der Vorinstanz, die eheli-
che Gemeinschaft des Beschwerdeführers sei im Zeitpunkt seiner Einbür-
gerung nicht mehr intakt gewesen, nicht zu widerlegen. Im Übrigen stellen
auch die sonstigen Begebenheiten und Zeitverhältnisse (ungeregelter Auf-
enthalt vor Eheabschluss, Altersunterschied, eilige Gesuchseinreichung,
F-2182/2015
Seite 13
schnelle Trennung nach der Einbürgerung) klare und vom Beschwerdefüh-
rer unwiderlegte Indizien für die gemäss der Rechtsprechung zulässigen
Wahrscheinlichkeitsfolgerungen dar.
9.
Die angefochtene Verfügung ist als rechtmässig und angemessen zu be-
stätigen (Art. 49 VwVG) und die Beschwerde demzufolge abzuweisen.
10.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdefüh-
rer aufzuerlegen (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 1 ff. des Reglements
vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bun-
desverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

(Dispositiv nächste Seite)

F-2182/2015
Seite 14
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 1‘500.- werden dem Beschwerdeführer auf-
erlegt. Sie sind durch den in gleicher Höhe am 11. August 2015 geleisteten
Kostenvorschuss gedeckt.
3.
Dieses Urteil geht an:
– den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde)
– die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. […] zurück)
– den Zivilstands- und Bürgerrechtsdienst des Kantons Bern


Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Marianne Teuscher Jacqueline Moore

Rechtsmittelbelehrung:
Geg en diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bun-
desgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Ange-
legenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Rechts-
schrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren
Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten.
Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie der Be-
schwerdeführer in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

Versand: