E-7948/2008 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl
Karar Dilini Çevir:
E-7948/2008 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl
Abtei lung V
E-7948/2008
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 7 . A u g u s t 2 0 1 0
Richterin Gabriela Freihofer,
Richterin Nina Spälti Giannakitsas,
Richterin Muriel Beck Kadima;
Gerichtsschreiber Jan Feichtinger.
A._______, geboren (...),
Kosovo und Serbien,
(...),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom
10. November 2008 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-7948/2008
Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass der Beschwerdeführer, ein ethnischer Serbe aus B._______,
Gemeinde C._______ (Kosovo), seinen Heimatstaat eigenen Angaben
zufolge am 5. Oktober 2008 verliess und am 6. Oktober 2008 in die
Schweiz gelangte, wo er gleichentags um Asyl nachsuchte,
dass er anlässlich der Kurzbefragung im (...) vom 10. Oktober 2008
sowie der direkten Anhörung vom 16. Oktober 2008 zur Begründung
des Asylgesuchs im Wesentlichen geltend machte, dass er als
ethnischer Serbe im Kosovo seit Jahren den Schikanen der
albanischstämmigen Bevölkerung ausgesetzt gewesen sei,
dass er am 1. Juni 2008 von drei ethnischen Albanern angegriffen,
zusammengeschlagen und zur Ausreise aufgefordert worden sei,
dass ihn die vorgenannten Personen am 20. September 2008 mit dem
Tod bedroht hätten,
dass er sich in der Befürchtung, diesfalls würde er noch mehr
Probleme bekommen, weder an die kosovarische Polizei noch an die
internationalen Schutztruppen gewandt, sondern beschlossen habe,
die Heimat zu verlassen,
dass das BFM mit Verfügung vom 10. November 2008 – eröffnet am
12. November 2008 – feststellte, der Beschwerdeführer erfülle die
Flüchtlingseigenschaft nicht, das Asylgesuch vom 6. Oktober 2008 ab-
lehnte und die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an-
ordnete,
dass es zur Begründung im Wesentlichen anführte, die internationalen
Sicherheitskräfte sowie der Kosovo Police Service (KPS), in dem auch
Angehörige der serbischen Minderheit dienten, garantierten die
Sicherheit und den Schutz der im Kosovo ansässigen Minderheiten,
dass auch die Strafgerichtsbarkeit und der Strafvollzug grösstenteils
funktionierten,
dass die Sicherheitskräfte regelmässig intervenierten und Übergriffe
und Straftaten gegen Minderheiten geahndet würden, weshalb die vom
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Beschwerdeführer geltend gemachten Übergriffe asylrechtlich nicht
relevant seien,
dass eine Gefährdung des Beschwerdeführers ausserhalb seiner En-
klave im Süden Kosovos nicht ausgeschlossen werden könne, er
jedoch über eine innerstaatliche Aufenthaltsalternative in den von den
Serben bewohnten Gebieten im Kosovo verfüge,
dass der Kosovo gemäss der serbischen Verfassung von 2006 inte-
graler Bestandteil Serbiens sei, weshalb Kosovo-Serben auch nach
der Unabhängigkeit Kosovos vom serbischen Staat als serbische
Staatsangehörige betrachtet würden, weshalb der Beschwerdeführer
auch in Serbien über eine Aufenthaltsalternative verfüge,
dass der Vollzug der Wegweisung somit durchführbar sei,
dass der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 10. Dezember 2008
gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde
erhob und beantragte, die angefochtene Verfügung sei hinsichtlich des
angeordneten Vollzugs der Wegweisung (Ziffern 4 und 5 des Dis-
positivs) aufzuheben, es sei die Unzumutbarkeit des Wegweisungs-
vollzugs festzustellen und die vorläufige Aufnahme anzuordnen,
dass er in verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragte, es sei ihm die
unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundes-
gesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren
(VwVG, SR 172.021) zu gewähren, und auf die Erhebung eines
Kostenvorschusses sei zu verzichten,
dass die zuständige Instruktionsrichterin mit prozessleitender Ver-
fügung vom 22. Dezember 2008 auf die Erhebung eines Kostenvor-
schusses verzichtete und das Gesuch um Gewährung der unentgelt-
lichen Rechtspflege auf den Endentscheid verwies,
dass das BFM mit Vernehmlassung vom 13. Januar 2009 die
Abweisung der Beschwerde beantragte,
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und zieht in Erwägung,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls end-
gültig über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des BFM
entscheidet (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG,
SR 142.31] i.V.m. Art. 31-33 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [VGG, SR 173.32]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung be-
sonders berührt ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung hat und daher zur Einreichung der Be-
schwerde legitimiert ist (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 137 VGG und Art. 48
Abs. 1 VwVG),
dass somit auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ein-
zutreten ist (Art. 108 Abs. 1 AsylG sowie Art. 105 i.V.m. Art. 37 VGG
und Art. 52 VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1
AsylG),
dass – wie bereits mit prozessleitender Verfügung vom
22. Dezember 2008 festgestellt – die Verfügung des BFM vom
10. November 2008, soweit sie die Frage der Flüchtlingseigenschaft
und der Asylgewährung betrifft (Ziff. 1 und 2 des Dispositivs der an-
gefochtenen Verfügung) unangefochten in Rechtskraft erwachsen und
auch die Anordnung der Wegweisung (Ziff. 3 des Dispositivs) grund-
sätzlich nicht mehr zu überprüfen ist (vgl. Entscheidungen und Mit-
teilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2001
Nr. 21),
dass damit Gegenstand des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage
bildet, ob die Wegweisung zu vollziehen oder ob anstelle des Vollzugs
eine vorläufige Aufnahme anzuordnen ist,
dass der Beschwerdeführer aussagegemäss Staatsangehöriger von
Kosovo ist, er jedoch infolge der serbischen Abstammung und Geburt
auf ehemaligem Staatsgebiet der Republik Serbien gemäss
serbischem Gesetz (Nr. 135/04, 21. Dezember 2004) auch über die
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serbische Staatsangehörigkeit verfügt (vgl. das zur Publikation vor-
gesehene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-7561/2008 vom
15. April 2010 E. 6.4.2),
dass die Republik Kosovo Angehörigen anderer Staaten die kosova-
rische Staatsangehörigkeit weder aberkennt noch verweigert, Serbien
die Republik Kosovo nicht als Staat anerkennt und damit die Staats -
angehörigen des Kosovo grundsätzlich als serbische Staatsangehörige
betrachtet,
dass Asylsuchende, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen,
nicht auf den Schutz eines Drittstaates angewiesen sind, sofern sie in
einem der Staaten, deren Staatsangehörige sie sind, Schutz vor
Verfolgung finden können (vgl. D-7561/2008 a.a.O. E. 6.5.1),
dass der Beschwerdeführer sich demnach grundsätzlich nach Serbien
begeben kann, wo er aufgrund der Niederlassungsfreiheit Wohnsitz
nehmen kann und ihm eine serbische Identitätskarte ausgestellt wird,
dass demnach nachfolgend die Durchführbarkeit des Wegweisungs-
vollzugs im Hinblick auf Serbien zu prüfen ist und es sich erübrigt, auf
die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente hinsichtlich der Un-
zumutbarkeit einer Rückkehr nach Kosovo einzugehen,
dass das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetz-
lichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern
regelt, wenn der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumut-
bar oder nicht möglich ist (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen
und Ausländer [AuG, SR 142.20]),
dass der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig ist, wenn völkerrecht-
liche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin
oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat
entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG),
dass keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land ge-
zwungen werden darf, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus
einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie
Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden
(Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom
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28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK,
SR 0.142.30]),
dass der Vollzug der Wegweisung nach Serbien vorliegend in Be-
achtung dieser massgeblichen völker- und landesrechtlichen Be-
stimmungen zulässig ist, da es dem Beschwerdeführer nicht gelungen
ist, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder
glaubhaft zu machen, weshalb das in Art. 5 AsylG verankerte Prinzip
des flüchtlingsrechtlichen Non-Refoulements im vorliegenden Ver-
fahren keine Anwendung findet und keine Anhaltspunkte für eine
menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK er-
sichtlich sind, die ihm in Serbien droht,
dass sich der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer als unzumut-
bar erweist, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat auf Grund von
Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizi-
nischer Notlage konkret gefährdet sind (Art. 83 Abs. 4 AuG),
dass hinsichtlich der allgemeinen Sicherheits- und Menschenrechts-
lage festzustellen ist, dass in Serbien nicht von einer Situation all -
gemeiner Gewalt oder von kriegerischen oder bürgerkriegsähnlichen
Verhältnissen gesprochen werden kann, die den Wegweisungsvollzug
dorthin unzumutbar erscheinen liessen, mithin der Vollzug der Weg-
weisung ethnischer Serben mit letztem Wohnsitz in Kosovo nach
Serbien grundsätzlich zumutbar ist (vgl. D-7561/2008 E. 8.3.2),
dass zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer in Serbien aus
individuellen Gründen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein
könnte,
dass bei der Beurteilung einer alternativen (landesinternen) Zu-
fluchtsmöglichkeit, an die naturgemäss höhere Anforderungen zu
stellen sind, als bei einer Rückführung in die Heimatregion, grundsätz -
lich die nachfolgend aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen sind
(vgl. a.a.O. E. 8.3.3 ff. i.V.m. EMARK 1996 Nr. 2),
dass zunächst die Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums
ins Gewicht fällt, wobei in erster Linie die Sprachkenntnisse sowie die
Schulbildung und Berufserfahrung der asylsuchenden Person mass-
geblich sind,
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dass weiter allfällige Beziehungen zum Zufluchtsort sowie zu dort
wohnhaften Verwandten und Freunden das wirtschaftliche und soziale
Fortkommen der asylsuchenden Person erleichtern,
dass sich schliesslich die soziale Integration der betroffenen Person
begünstigend auswirkt, wobei neben der allgemeinen familiären
Situation auch das Geschlecht, der Zivilstand, das Alter, die Frage, ob
Einzelperson oder Familie, die Anzahl und das Alter allfälliger Kinder,
die vorhandenen finanziellen Mittel und der allgemeine Gesundheits-
zustand zu beachten sind,
dass die aufgezeigten Kriterien auch für die vorliegende Konstellation,
bei welcher es sich – infolge der Anerkennung der Republik Kosovo als
unabhängiger Staat am 27. Februar 2008 – aus schweizerischer Sicht
formell um die Prüfung einer landesexternen alternativen Zufluchts-
möglichkeit handelt, zur analogen Anwendung gelangt,
dass sich aus den Akten ergibt, dass es sich beim Beschwerdeführer
um einen jungen, unverheirateten und soweit bekannt gesunden Mann
handelt, der ausserdem serbokroatischer Muttersprache ist und über
eine abgeschlossene Ausbildung (...) verfügt,
dass er deshalb in der Lage sein sollte, sich in Serbien eine Existenz
aufzubauen, zumal er mit seinem in D._______ wohnhaften (...) in
Serbien zumindest einen nahen Angehörigen hat, dessen
Unterstützungsbereitschaft im soziokulturellen Hintergrund des
Balkanraumes voraus-gesetzt werden kann,
dass sich nach dem Gesagten der Vollzug der Wegweisung auch unter
individuellen Gesichtspunkten als zumutbar erweist,
dass der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers nach
Serbien schliesslich möglich ist, da keine Vollzugshindernisse be-
stehen (Art. 83 Abs. 2 AuG), und es ihm obliegt, bei der Beschaffung
gültiger Reisepapiere mitzuwirken (Art. 8 Abs. 4 AsylG),
dass es dem Beschwerdeführer demnach nicht gelungen ist darzutun,
inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt
oder unangemessen ist (Art. 106 AsylG), weshalb die Beschwerde ab-
zuweisen ist,
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dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen wären (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG),
dass sich die Beschwerde jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anhängig-
machung – angesichts der damals noch unbestimmten Praxis des
Bundesverwaltungsgerichts – nicht als aussichtslos erwiesen hat und
die Fürsorgeabhängigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen ist,
dass deshalb das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG gutzuheissen ist und dement-
sprechend keine Verfahrenskosten zu erheben sind.
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss
Art. 65 Abs. 1 VwVG wird gutgeheissen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und (...).
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Gabriela Freihofer Jan Feichtinger
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