E-7457/2016 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dubl...
Karar Dilini Çevir:
E-7457/2016 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dubl...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung V
E-7457/2016



Ur t e i l vom 8 . D e z embe r 2 0 1 6
Besetzung
Einzelrichterin Gabriela Freihofer,
mit Zustimmung von Richter Martin Kayser;
Gerichtsschreiber Christoph Berger.

Parteien

A._______, geboren am (…),
Beschwerdeführerin,
und deren Kind
B._______, geboren am (…),
Eritrea,
beide vertreten durch Nora Maria Riss, (…),
Beschwerdeführende,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
(Dublin-Verfahren Italien);
Verfügung des SEM vom 22. November 2016 / N (…).



E-7457/2016
Seite 2
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführerin stellte für sich und ihr Kind am 12. August 2016 in
der Schweiz Asylgesuche. Ein Abgleich mit der europäischen Fingerab-
druck-Datenbank (Zentraleinheit Eurodac) ergab, dass die Beschwerde-
führerin am 14. Juli 2016 in Italien in das Hoheitsgebiet der Dublin-Staaten
einreiste. Gestützt darauf gewährte das SEM anlässlich der Befragung zur
Person (BzP) vom 22. August 2016 (Akten SEM A7/13) der Beschwerde-
führerin das rechtliche Gehör zur allfälligen Zuständigkeit Italiens für die
Durchführung ihres Asyl- und Wegweisungsverfahrens, zu einem allfälligen
Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit einer Überstellung nach Ita-
lien, welches gemäss Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien
und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung ei-
nes von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mit-
gliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist
(nachfolgend: Dublin-III-VO), grundsätzlich für die Behandlung ihres Asyl-
gesuchs zuständig sei. Dazu brachte sie vor, sie habe von vornherein in
der Schweiz ein Asylgesuch stellen wollen und wolle hier in der Schweiz
leben (A7/13 Pt. 8.01).
B.
Am 14. September 2016 ersuchte das SEM die italienischen Behörden um
Übernahme der Beschwerdeführenden gestützt auf Art.13 Abs. 1 Dublin-
III-VO.
C.
Am 21. November 2016 entsprachen die italienischen Behörden diesem
Ersuchen.

D.
Mit Verfügung vom 22. November 2016 (eröffnet am 29. November 2016)
trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31)
auf die Asylgesuche der Beschwerdeführenden nicht ein und verfügte ihre
Wegweisung aus der Schweiz und den Vollzug der Wegweisung nach Ita-
lien, welches gemäss Dublin-III-VO für die Behandlung ihrer Gesuche zu-
ständig sei. Gleichzeitig wurden den Beschwerdeführenden die editions-
pflichtigen Akten ausgehändigt. Das SEM stellte fest, einer allfälligen Be-
schwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu.
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Seite 3
E. Mit Telefaxeingabe vom 2. Dezember 2016 (Nachreichung des Originals
am 5. Dezember 2016) an das Bundesverwaltungsgericht beantragen die
Beschwerdeführenden, die angefochtene Verfügung des SEM sei aufzu-
heben und das SEM sei anzuweisen, sich für das vorliegende Asylgesuch
für zuständig zu erklären. Es sei im Sinne vorsorglicher Massnahmen die
aufschiebende Wirkung (der Beschwerde) zu erteilen und die Vollzugsbe-
hörden anzuweisen, von einer Überstellung nach Italien abzusehen, bis
das Bundesverwaltungsgericht über die vorliegende Beschwerde entschie-
den habe. In prozessualer Hinsicht ersuchen sie um Verzicht auf die Erhe-
bung eines Kostenvorschusses und um Gewährung der unentgeltlichen
Prozessführung.
Mit dem Rechtsmittel wurde ein Entscheid der zuständigen Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde (KESB) vom 17. November 2016 zu den Ak-
ten gereicht.
F.
Mit Verfügung des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2016
wurde der Vollzug der Überstellung (nach Italien) per sofort einstweilen
ausgesetzt.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den
Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver-
waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne
von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher
zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entschei-
det auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – und so auch vorliegend –
endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG,
soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die Beschwer-
deführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind
durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein
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schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Ände-
rung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105
und 108 Abs. 2 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).
1.4 Auf die Beschwerde ist einzutreten.
1.5 Vorliegend wurde gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG auf einen Schrif-
tenwechsel verzichtet.
2.
2.1 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich
Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt
werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG; zur Kognition des Bundesverwaltungs-
gerichts in Dublin-Beschwerdeverfahren vgl. BVGE 2015/9).
2.2
2.2.1 Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichter-
licher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungs-
weise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG).
2.2.2 Am 7. April 2016 wurden zentrale Rechtsfragen, die sich auch im vor-
liegenden Beschwerdeverfahren ergeben, im Referenzurteil Urteil
D-6358/2015 entschieden. Nach Ergehen dieses Urteils ist die Be-
schwerde als offensichtlich unbegründet zu erachten, zumal auch die im
vorliegenden Verfahren zusätzlich erhobenen Rügen als offensichtlich un-
begründet erscheinen müssen. Die Beschwerde ist deshalb im vereinfach-
ten Verfahren gemäss Art. 111 Bst. e AsylG zu behandeln (wodurch das
Urteil auch nur summarisch zu begründen ist; vgl. Art. 111a Abs. 2 AsylG).

2.2.3 Die in der Beschwerde sinngemäss erhobene Rüge, das SEM habe
den rechtserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend erstellt, indem es un-
terlassen habe, konkrete Abklärungen über die Betreuung, Versorgung und
Unterbringung der Beschwerdeführenden in Italien einzuholen, ist im
Lichte der geltenden Rechtsprechung und aufgrund nachfolgender Erwä-
gungen offensichtlich unbegründet. Eine Aufhebung der angefochtenen
Verfügung infolge Verletzung dieses Teilaspektes des rechtlichen Gehörs
fällt demnach nicht in Betracht, wie in den nachfolgenden Erwägungen auf-
zuzeigen sein wird.

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2.3 Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das
SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen
(Art. 31a Abs. 1–3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwer-
deinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu
Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2
m.w.H.).
3.
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende
in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl-
und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a
Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen
Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO.
Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die
Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betref-
fende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt
hat, auf das Asylgesuch nicht ein.
3.1 Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem
einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als
zuständiger Staat bestimmt wird.
3.2 Gemäss Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin-III-VO wird der die Zustän-
digkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zu-
ständig, falls es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller in den ei-
gentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche
Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahme-
bedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische
Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder
entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union (2012/C 326/02, nachfolgend: EU-Grund-
rechtecharta) mit sich bringen, und nach den Regeln der Dublin-III-VO kein
anderer Mitgliedstaat bestimmt werden kann.
3.3 Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet,
einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag ge-
stellt hat, nach Massgabe der Art. 21, 22 und 29 Dublin-III-VO aufzuneh-
men (Art. 18 Abs. 1 Bst. a Dublin-III-VO).
3.4 Jeder Mitgliedstaat kann sodann abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-
III-VO beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder
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Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch
wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die
Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbstein-
trittsrecht). Würde die Durchsetzung einer Zuständigkeit gemäss Dublin-
III-VO eine Verletzung der EMRK bedeuten, ist das Selbsteintrittsrecht
zwingend auszuüben (vgl. FILZWIESER/SPRUNG, Dublin III-Verordnung,
Wien 2014, K2 zu Artikel 17).
4.
Gestützt auf Art.13 Abs. 1 Dublin-III-VO ersuchte das SEM am 14. Septem-
ber 2016 die italienischen Behörden um Übernahme der Beschwerde-
führenden. Mit Schreiben vom 21. November 2016 entsprachen die italie-
nischen Behörden diesem Ersuchen und das Dublin-Office Rom drückte
explizit die Bereitschaft aus, die Beschwerdeführenden gestützt auf Art. 13
Abs. 1 Dublin-III-VO zu übernehmen. Die Beschwerdeführenden sind mit
ihren Personalien (Namen, Geburtsdaten, Nationalität) aufgeführt. In der
mit „NUCLEO FAMILIARE" überschriebenen Zustimmungserklärung wird
zudem ausgeführt, diese Familie werde "be accommodated in accordance
to the circular letter of the 8th of June 2015" (A17/1).
Die grundsätzliche Zuständigkeit Italiens steht bei dieser Aktenlage fest
und wird in der Beschwerde auch nicht bestritten.
5.
5.1 Im Lichte von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO ist nachfolgend zu prüfen, ob
es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die
Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien würden systemische
Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder
entwürdigenden Behandlung im Sinn des Artikels 4 der EU-Grund-
rechtecharta mit sich bringen würden.
5.2 Italien ist Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom 10. De-
zember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder er-
niedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens
vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR
0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967
(SR 0.142.301) und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Ver-
pflichtungen nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat aner-
kenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richt-
linien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom
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26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aber-
kennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie
2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Auf-
nahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnah-
merichtlinie) ergeben.
5.3 Diese Ansicht wird durch den Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte (EGMR) bestätigt, indem dieser in seiner bisherigen Rechtspre-
chung festhält, dass in Italien kein systematischer Mangel an Unterstüt-
zung und Einrichtungen für Asylsuchende bestehe, obwohl die allgemeine
Situation und insbesondere die Lebensumstände von Asylsuchenden, an-
erkannten Flüchtlingen und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus
in Italien gewisse Mängel aufweisen würden (vgl. EGMR: Entscheidungen
Mohammed Hussein und andere gegen die Niederlande und Italien [Be-
schwerde Nr. 27725/10] vom 2. April 2013, § 78, sowie Tarakhel gegen die
Schweiz [Beschwerde Nr. 29217/12] vom 4. November 2014, §§ 114 f. und
120).

6.
6.1 Das SEM vertritt in seiner Verfügung zusammenfassend die Meinung,
dass im vorliegenden Verfahren hinreichende Garantien im Sinne der
Rechtsprechung des EGMR vorliegen würden und hat ausdrücklich auf das
Urteil Tarakhel des EGMR und die diesbezügliche Praxis des Bundes-
verwaltungsgerichts Bezug genommen.
6.1.1 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil BVGE
2015/4 ausführlich mit der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Verfahren Tarakhel gegen
die Schweiz (Urteil der Grossen Kammer vom 4. November 2014;
Nr. 29217/1) auseinandergesetzt.
6.1.2 In jenem Entscheid hatte der EGMR festgestellt, asylsuchende Per-
sonen würden als besonders benachteiligte und verletzliche Gruppe spe-
ziellen Schutz benötigen, welcher umso wichtiger werde, wenn es sich da-
bei angesichts ihrer speziellen Bedürfnisse und ihrer Verletzlichkeit um Kin-
der handle. Angesichts der ernsthaften Zweifel an den aktuellen Kapazitä-
ten der italienischen Aufnahmestrukturen bestehe eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit, dass Dublin-Rückkehrende in Italien keine adäquate Unter-
kunft vorfänden. Daraus folge, dass es eine Verletzung von Art. 3 EMRK
darstellen würde, wenn die Schweizer Behörden eine Überstellung von Fa-
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milien mit Kindern nach Italien vornähmen, ohne zuvor von den italieni-
schen Behörden eine individuelle Garantie erhalten zu haben, dass für eine
kindgerechte Unterbringung gesorgt sei und die Einheit der Familie ge-
wahrt werde (vgl. BVGE 2015/4 E. 4.1 mit Hinweisen auf die entsprechen-
den Erwägungen des EGMR).
6.1.3 Das Bundesverwaltungsgericht führte in BVGE 2015/4 weiter aus,
die einzuholenden individuellen Garantien einer kindgerechten und die Ein-
heit der Familie respektierenden Unterbringung würden nicht eine blosse
Überstellungsmodalität darstellen, sondern seien eine Voraussetzung der
völkerrechtlichen Zulässigkeit der Anordnung einer Überstellung. Folge-
richtig müsse im Zeitpunkt der Verfügung der Vorinstanz eine konkretisierte
individuelle Zusicherung ‒ insbesondere unter Namens- und Altersanga-
ben der betroffenen Personen ‒ vorliegen, mit welcher namentlich garan-
tiert werde, dass eine dem Alter des Kindes entsprechende Unterkunft bei
der Ankunft der Familie in Italien zur Verfügung stehe und die Familie bei
der Unterbringung nicht getrennt werde (vgl. a.a.O. E. 4.3).
6.1.4 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Referenzurteil D-6358/ 2015
vom 7. April 2016 festgestellt, dass ein Schreiben der italienischen Behör-
den, welches die jeweiligen Familienmitglieder unter Namens- und Alters-
angabe und als Familiengemeinschaft aufführe und deren Überstellung in
ihr Hoheitsgebiet zustimme, als genügend im Sinn der Rechtsprechung
BVGE 2015/4 zu beurteilen sei. Das Gericht hielt fest, dass eine solche
individualisierte Zusicherung auch im Zusammenhang mit den vom italie-
nischen Staat abgegebenen allgemeinen Garantien gesehen werden
müsse (vgl. Urteil D-6358/2015 E. 5.2); so sei im Rundschreiben vom
2. Februar 2015 bestätigt worden, dass alle im Rahmen des Dublin-Über-
einkommens überstellten Familien unter Wahrung der Einheit der Familie
in familiengerechten Unterbringungen aufgenommen würden; und im
Rundschreiben vom 8. Juni 2015 sei eine Liste von SPRAR-Projekten zu-
handen der Mitgliedstaaten publiziert worden, woraus deutlich werde, dass
es Italien gelungen sei, familiengerechte Unterbringungsplätze zu schaf-
fen. In neueren Dublin-Verfahren seien die italienischen Behörden erfreuli-
cherweise dazu übergegangen, explizit die Feststellung in die individuelle
Zusicherung aufzunehmen, dass die jeweilige Familie in Übereinstimmung
mit dem Rundschreiben vom 8. Juni 2015 untergebracht werde.
6.1.5 Im Referenzurteil vom 7. April 2016 wurde weiter festgestellt, dass
das Rundschreiben vom 8. Juni 2015 als wesentliche Zusicherung dafür
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zu verstehen sei, dass kontinuierlich für familiengerechte Unterbringungs-
plätze gesorgt werde. Dies werde namentlich durch das letzte Rundschrei-
ben vom 15. Februar 2016 bestätigt, welches eine aktualisierte Liste der
SPRAR-Projekte enthalte. Dies zeige auf, dass es sich bei den SPRAR-
Projekten um ein bewirtschaftetes System handelt, das sein Angebot auf-
grund der bestehenden Bedürfnisse auszurichten versuche (vgl. a.a.O.,
E. 5.2).
6.1.6 Schliesslich hielt das Gericht im Koordinationsurteil fest, es gebe ak-
tuell auch keine Anzeichen dafür, dass es in Italien bei der Unterbringung
von Familien zu gravierenden Problemen komme, zumal nicht ausser Acht
bleiben dürfe, dass es sich bei Italien auch bei vorkommenden Problemen
bei der Unterbringung von Asylsuchenden um einen funktionierenden
Rechtsstaat handle. An den Inhalt der Zusicherungen dürften keine über-
höhten Anforderungen gestellt und beispielsweise verlangt werden, dass
die Unterkunft genau benannt werde, zumal ein derartiges Vorgehen auch
kaum praktikabel wäre.

6.2 In casu haben die italienischen Behörden mit ihrer konkreten Zusiche-
rung vom 27. April 2016 zur Übernahme der Beschwerdeführenden, unter
deren Namens- und Altersangaben sowie der Ankerkennung als Familien-
einheit ("Nucleo Familiare"), zusammen mit dem expliziten Hinweis deren
Unterbringung in Übereinstimmung mit dem Rundschreiben vom 8. Juni
2015 den im Referenzurteil vom 7. April 2016 genannten Voraussetzungen
für eine individualisierte und konkrete Garantieerklärung im Einzelfall ge-
nügend Rechnung getragen.

6.2.1 Damit sind jedenfalls die Grundvoraussetzungen geschaffen, dass
die Beschwerdeführenden eine adäquate, strukturierte und familienge-
rechte Aufnahme in Italien vorfinden werden.

6.2.2 In der Beschwerde wird der Standpunkt vertreten, vorliegend genüg-
ten die Garantien der Wahrung der Einheit der Familie und einer gemein-
samen adäquaten Unterbringung nicht. Mit Verweis auf den Entscheid der
KESB vom 17. November 2016, mit dem für die Beschwerdeführenden
eine Beistandschaft errichtet worden sei, wird geltend gemacht, es brauche
für die Beschwerdeführenden eine sehr engmaschige Betreuung. Es
müsse sichergestellt werden, dass auch in Italien eine Verbeiständung ver-
fügt werde und/ oder dass die Familie in einer eng betreuten Mutter-Kind
Wohngruppe untergebracht werde, wie es hier in der Schweiz geplant sei.
Die Vorinstanz habe es unterlassen, konkrete Abklärungen zu treffen über
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die Unterbringung, Versorgung und Betreuung in Italien. Dadurch sei eine
durchgehende und enge Betreuung der Familie nicht garantiert, ja sogar
sehr unwahrscheinlich. Die angefochtene Verfügung müsse deshalb auf-
gehoben werden. Die Vorinstanz solle aber zumindest angewiesen wer-
den, bei den italienischen Behörden Garantien einzuholen, dass eine Ver-
beiständung in der Art des Entscheides der KESB in Italien angeordnet und
die Familie engmaschig betreut werde. Ohne diese Betreuung sei das
Kindswohl akut gefährdet. Es müsse auch geprüft werden, ob eine Unter-
bringung in einer eng betreuten Wohngemeinde, ähnlich der Mutter-Kind
Wohngruppe, in welche die Beschwerdeführenden bald verlegt würden, in
Italien möglich sei.

6.2.3 Vorab ist, wie oben bereits ausgeführt, festzuhalten, dass gemäss
dem Referenzurteil des Bundesverwaltungsgerichts an den Inhalt der Zu-
sicherungen durch die italienischen Behörden keine überhöhten Anforde-
rungen gestellt werden dürfen und beispielsweise nicht verlangt werden
dürfe, dass die Unterkunft genau benannt werde, zumal ein derartiges Vor-
gehen auch kaum praktikabel wäre. Die in der Beschwerde erhobene
Rüge, das SEM habe es unterlassen, vorgängig konkrete Abklärungen
über die Unterbringung, Versorgung und Betreuung in Italien zu treffen, ist
im Lichte der Rechtsprechung offensichtlich unbegründet. Das Gericht teilt
auch das in der Beschwerde den italienischen Behörden entgegenge-
brachte Misstrauen gegenüber einer adäquaten Betreuung von verletzli-
chen Personen, insbesondere einer fragilen Mutter-Kind Beziehung, in der
vorgebrachten Form nicht. Es ist davon auszugehen, dass Italien als Mit-
gliedstaat der Dublin-Verordnung den Antragstellenden mit besonderen
Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (ein-
schliesslich erforderlichenfalls einer geeigneten psychologischen Betreu-
ung) gewährt (Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie) und sich die Beschwerde-
führenden bei einer vorübergehenden Einschränkung im Übrigen nötigen-
falls an die italienischen Behörden wenden und die ihnen zustehenden Auf-
nahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern könnten (vgl. Art. 26
Aufnahmerichtlinie). Zudem ist mit Vormerk darauf hinzuweisen, dass das
Dublin-Office Rom mit dem Zustimmungsschreiben vom 21. November
2016 nebst der Aufforderung an das SEM, vor der Überstellung nach Italien
allfällige spezielle gesundheitliche Einschränkungen der Beschwerdefüh-
renden in physischer oder psychischer Hinsicht bekanntzugeben, auch ex-
plizit Informationen über „any disability or delicate situation which can entail
considerable reception problems“ mitgeteilt zu erhalten wünscht. Die in der
Beschwerde genannten Gründe sind nach den vorstehenden Erwägungen
nicht geeignet, zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung zu führen.
E-7457/2016
Seite 11

6.2.4 Auch ist aufgrund vorstehender Erwägungen nicht geboten, die
Vorinstanz anzuweisen, (vorgängig) bei den italienischen Behörden Garan-
tien einzuholen, dass eine Verbeiständung in der Art des Entscheides der
KESB in Italien angeordnet und die Familie engmaschig betreut werde und
zu prüfen, ob eine Unterbringung in einer eng betreuten Wohngemeinde,
ähnlich der Mutter-Kind Wohngruppe, in welche die Beschwerdeführenden
bald verlegt würden, in Italien möglich sei. Demgegenüber ist es angezeigt,
dem SEM eine Kopie des Entscheides der KESB vom 17. November 2016
zu überstellen, damit die Vorinstanz im Stande ist, die italienischen Behör-
den im Rahmen von Art. 31 f. Dublin-III-VO über die aktuellen Bedürfnisse
der Beschwerdeführenden zu informieren. Der Sicherstellung der diesbe-
züglichen Informationen an die italienischen Behörden in sachlich korrekter
Form und dem nachdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit einer engen
Betreuung der Beschwerdeführenden in beistandsähnlicher Form ist unter
den vorliegenden Umständen durch das SEM zwingend besondere Beach-
tung zu schenken. Im Übrigen ist auf die Mitwirkungspflicht der Beschwer-
deführenden hinzuweisen, wonach sie Beweismittel unverzüglich (an die
zuständige Amtsstelle) einzureichen haben (Art. 8 Abs. 1 Bst. d AsylG).

6.2.5 Bezüglich der völkerrechtlichen Vorgaben ist im Übrigen zu erwäh-
nen, dass eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheit-
lichen Problemen nur dann einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen
kann, wenn die betroffene Person sich in einem fortgeschrittenen oder ter-
minalen Krankheitsstadium und bereits in Todesnähe befindet (vgl. BVGE
2011/9 E. 7 mit Hinweisen auf die Praxis des EGMR).
Eine solche Situation ist hier nicht gegeben. Hinweise auf eine dauerhafte
Reiseunfähigkeit ergeben sich aus den Akten nicht.
7.
Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO
nicht gerechtfertigt.

8.
8.1 Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts verfügt das SEM bei
der Anwendung der Kann-Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 der Asylverord-
nung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) über einen Ermes-
sensspielraum (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.). Seit der Kognitionsbeschrän-
kung durch die Asylgesetzrevision vom 1. Februar 2014 (Streichung der
Angemessenheitskontrolle des Bundesverwaltungsgerichts gemäss
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Seite 12
aArt. 106 Abs. 1 Bst. c AsylG) überprüft das Gericht den vorinstanzlichen
Verzicht der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 nicht mehr auf Ange-
messenheit hin. Das Gericht beschränkt seine Beurteilung nunmehr im
Wesentlichen darauf, ob das SEM den Sachverhalt diesbezüglich korrekt
und vollständig erhoben, allen wesentlichen Umständen Rechnung getra-
gen und seinen Ermessensspielraum korrekt ausgeübt hat (vgl. Art. 106
Abs. 1 Bst. a und b AsylG).
8.2 Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung die gesundheitli-
chen Leiden der Beschwerdeführerin (Grand-mal-Epilepsi) im vorliegend
erheblichen Umfange hinreichend berücksichtigt. Es führte aus, Italien ver-
füge über eine ausreichende medizinische Infrastruktur und sei verpflichtet,
die erforderliche medizinische Versorgung zu gewähren, die auch die un-
bedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasse.

8.3 Es liegen keine hinreichenden Hinweise vor, wonach Italien den
Beschwerdeführenden eine adäquate Behandlung verweigern würde.
Auch ist nach dem Gesagten nicht ersichtlich, dass eine Übertragung der
entsprechenden Verantwortlichkeit an die italienischen Behörden eine Ver-
letzung der Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte des Kin-
des vom 20. November 1989 (KRK, SR 0.107) zur Folge haben würde.

8.4 Die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochten
Verfügung beauftragt sind, werden den gesundheitlichen und den beson-
deren persönlichen Umständen bei der Bestimmung der konkreten Moda-
litäten der Überstellung der Beschwerdeführenden Rechnung tragen und
die italienischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über die spezifi-
schen Sachverhalte informieren (vgl. Art. 31 f. Dublin-III-VO).

8.5
8.5.1 Den Akten sind keine Hinweise auf einen Ermessensmissbrauch
oder ein Über- respektive Unterschreiten des Ermessens zu entnehmen.
Das Gericht enthält sich unter den gegebenen Umständen weiterer Äusse-
rungen im diesem Zusammenhang.
8.5.2 Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Er-
messenklausel von Art. 17 Dublin-III-VO. Der Vollständigkeit halber ist fest-
zuhalten, dass die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden kein Recht ein-
räumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. auch
BVGE 2010/45 E. 8.3).
E-7457/2016
Seite 13
8.5.3 Demnach bleibt Italien der für die Behandlung der Asylgesuche der
Beschwerdeführenden zuständige Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO und
ist verpflichtet, sie aufzunehmen.
9.
9.1 Das SEM ist somit zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b
AsylG auf die Asylgesuche der Beschwerdeführenden nicht eingetreten.
Da die Beschwerdeführenden nicht im Besitz einer gültigen Aufenthalts-
oder Niederlassungsbewilligung sind, wurde die Überstellung nach Italien
in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32
Bst. a AsylV 1).
9.2 Da das Fehlen von Überstellungshindernissen bereits Voraussetzung
des Nichteintretensentscheides gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist,
sind allfällige Vollzugshindernisse gemäss Art. 83 Abs. 3 und 4 AuG
(SR 142.20) unter diesen Umständen nicht mehr zu prüfen (vgl. BVGE
2015/18 E. 5.2 m.w.H.).
9.3 Für die beantragte Rückweisung der Sache an das SEM besteht keine
Veranlassung. Eine Aufhebung der angefochtenen Verfügung infolge Ver-
letzung des rechtlichen Gehörs fällt nicht in Betracht.

10.
Die Beschwerde ist abzuweisen und die Verfügung des SEM vom 22. No-
vember 2016 zu bestätigen.

11.
Mit dem Entscheid in der Hauptsache wird das Gesuch um Gewährung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.

12.
Die Kosten des Verfahrens sind den Beschwerdeführenden aufzuerlegen
(Art. 63 Abs. 1 VwVG).
13.
Aufgrund der vorliegend massgeblichen Rechtsprechung mussten die
Rechtsbegehren als aussichtslos erachtet werden. Das Gesuch um Ge-
währung der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 65 Abs. 1 VwVG) ist dem-
nach abzuweisen. Das Gesuch um Verzicht auf die Erhebung eines Kos-
tenvorschusses ist gegenstandslos geworden.
E-7457/2016
Seite 14

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.– werden den Beschwerdeführenden
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zuguns-
ten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die zustän-
dige kantonale Behörde.

Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:

Gabriela Freihofer Christoph Berger





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