E-7405/2016 - Abteilung V - Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid) - Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gege...
Karar Dilini Çevir:
E-7405/2016 - Abteilung V - Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid) - Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gege...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung V
E-7405/2016



Ur t e i l vom 7 . Feb r u a r 2 0 1 7
Besetzung
Richterin Muriel Beck Kadima (Vorsitz),
Richter Hans Schürch, Richterin Barbara Balmelli,
Gerichtsschreiberin Patricia Petermann Loewe.

Parteien

A._______, geboren am (…),
und deren Kinder
B._______, geboren am (…),
C._______, geboren am (…), und
D._______, geboren am (…),
Türkei,
alle vertreten durch lic. iur. Tim Walker, Rechtsanwalt,
Beschwerdeführende,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gegen
Nichteintreten auf Wiedererwägungsgesuch); Verfügung des
SEM vom 18. November 2016 / N (…).



E-7405/2016
Seite 2
Sachverhalt:
A.
A.a Die Beschwerdeführerin A._______ sei zusammen mit ihren Kindern –
E._______, F._______, G._______, B._______ und C._______ – am
12. November 2010 in die Schweiz gelangt, wo sie gleichentags ein erstes
Mal um Asyl nachsuchte. Anlässlich der summarischen Befragung vom
19. November 2010 und der einlässlichen Anhörung vom 2. Dezember
2010 brachte sie insbesondere die häusliche Gewalt seitens ihres Ehe-
mannes H._______ (N […]) vor. Mit Verfügung vom 15. April 2011 lehnte
die Vorinstanz die Asylgesuche ab, verfügte die Wegweisung und ordnete
den Vollzug an. Sie begründete diesen Entscheid dahingehend, dass die
Aussagen betreffend Asyl unglaubhaft seien. Ausserdem verfüge die Be-
schwerdeführerin in der Türkei über ein tragfähiges Beziehungsnetz. Die
dagegen eingereichte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht
mit Urteil E-2715/2011 vom 15. September 2011 ab.
A.b Am 21. Mai 2012 reichte der Lebenspartner der Beschwerdeführerin
I._______ (N […]) in der Schweiz ein Asylgesuch ein, welches mit Verfü-
gung vom 8. November 2013 abgelehnt wurde. Eine dagegen erhobene
Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil E-6948/2013
vom 25. Februar 2014 ab.
A.c Am (…) brachte A._______ den gemeinsamen Sohn D._______ zur
Welt.
A.d Auf die zweiten Asylgesuche der Beschwerdeführenden vom 10. No-
vember 2011 trat die Vorinstanz mit Verfügung vom 8. November 2013
nicht ein, verfügte die Wegweisung und ordnete den Vollzug an. Das Bun-
desverwaltungsgericht wies eine dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil
E-6467/2013 vom 25. Februar 2014 ab.
A.e Mit Eingabe vom 4. Juni 2014 ersuchte die Familie (die Beschwerde-
führerin, ihr Lebenspartner und deren vier Kinder aus erster Ehe sowie die
beiden gemeinsamen Kinder) ein weiteres Mal um Asyl nach (C1). Zur Be-
gründung wurde ausgeführt, dass die ältesten Kinder von A._______ be-
gründete Furcht davor hätten, in der Türkei in die Obhut ihres leiblichen
Vaters zu gelangen, der sie einst physisch und sexuell missbraucht habe.
Die Vorinstanz wies dieses (dritte) Asylgesuch mit Verfügung vom 23. Juli
2014 (C7) mit der Begründung ab, die Vorbringen seien nicht asylrelevant
(Art. 3 AsylG). Gleichentags erliess es auch für den Lebenspartner (bezie-
hungsweise Vater der jüngeren Kinder) einen negativen Asylentscheid
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Seite 3
(N […], B3). Im Hinblick auf den Vollzug der Wegweisung verwies die Vo-
rinstanz auf frühere Entscheide und ging davon aus, dass die Familie nach
einer Rückkehr in die Türkei in keine existenzielle Notlage geraten würde.
Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Bundesver-
waltungsgericht mit Urteil E-4737/2014 vom 1. April 2015 ab.
B.
Am 3. November 2016 (Poststempel) reichten die Beschwerdeführenden
und I._______ ein Wiedererwägungsgesuch beim SEM ein (G2). Dieses
wurde dahingehend begründet, dass sich zwischenzeitlich die Lebensum-
stände der gesamten Familie „grundstürzend“ verändert hätten, da seit
dem Militärputschversuch in der Türkei das herrschende Regime den Aus-
nahmezustand ausgerufen und immer wieder verlängert habe. Dieser be-
zwecke unverhüllt und demonstrativ die Umgestaltung der staatlichen Ord-
nung in ein diktatorisches Regime zu Gunsten des aktuellen Staatspräsi-
denten. Es herrsche aktuell ein Zustand allgemeiner Gewalt, indem die
Staatsgewalt willkürlich alle Personen, denen begründeter- oder unbegrün-
deterweise eine dem Regime nicht genehme Haltung oder Handlung un-
terstellt werde, verhafte. Die Beschwerdeführerin und I._______ seien als
Eltern ausserehelicher Kinder, als Kurden und als Personen mit Erfahrung
und Sympathie für eine liberaldemokratische Staats- und Gesellschaftsord-
nung folglich einem hohen Risiko einer Verfolgung ausgesetzt. Ausserdem
sei durch eine Entwurzelung in der Schweiz das Wohl der Kinder gefährdet.
Der Eingabe lagen verschiedene Berichte über die Türkei bei (G1).
C.
In der Folge machten die Beschwerdeführenden mit verschiedenen Einga-
ben auf die aktuelle politische Situation in der Türkei aufmerksam (G3 ff.)
D.
Mit Verfügung vom 18. November 2016 – eröffnet am 21. November 2016
– trat das SEM auf das Wiedererwägungsgesuch vom 3. November 2016
nicht ein und erklärte die Verfügungen vom 23. Juli 2014 als rechtskräftig
und vollstreckbar. Ausserdem erhob es eine Gebühr und stellte fest, einer
allfälligen Beschwerde komme keine aufschiebende Wirkung zu. Es be-
gründete diesen Entscheid dahingehend, dass sich weder aus den aktuel-
len Eingaben noch aufgrund der gesamten übrigen Aktenlage ein ersichtli-
cher Bezug der Beschwerdeführenden zu den seit dem Militärputsch ein-
getretenen Entwicklungen in der Türkei ergeben würde. Als „einfache Bür-
ger“ würden sie unter keinen der von den türkischen Behörden fokussierten
Personenkreise fallen, die nunmehr potentiell mit spezifischen Nachteilen
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zu rechnen hätten. Es könne ausserdem nicht von einer Situation allgemei-
ner Gewalt im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG (SR 142.20) gesprochen wer-
den. Denkbar wären allenfalls gewisse, auch „einfache Bürger“ betref-
fende, Unannehmlichkeiten (z.B. vermehrte Personenkontrollen auf den
Strassen oder verzögerte Behördengänge), welche aber die Unzumutbar-
keit eines Wegweisungsvollzugs nicht zu begründen vermöchten. Sodann
würden die Beschwerdeführenden aus J._______ und nicht aus den (…)
Regionen der Türkei stammen, welche seit Juli 2015 von Spannungen und
Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und
Elementen aus dem Umfeld der PKK (Partiya Karkerên Kurdistan, Arbei-
terpartei Kurdistans) spezifisch betroffen seien. Im Lichte der in der Türkei
bestehenden Niederlassungsfreiheit könnten sich die Beschwerdeführen-
den ohnehin in einer beliebigen Landesgegend niederlassen.
Im Weiteren sei daran zu erinnern, dass es sich bei den im vorliegenden
Verfahren eingeschlossenen drei jüngeren Kindern der Beschwerdeführe-
rin (wie bei den drei älteren Kindern, welche nicht Teil dieses Verfahrens
seien) nicht um unbegleitete Minderjährige handle, bei denen unter dem
Aspekt des Kindeswohls ein besonderes Augenmerk auf die Zumutbarkeit
des Wegweisungsvollzugs zu richten wäre. Da die Beschwerdeführerin
über die elterliche Sorge aller Kinder – I._______ zusätzlich über die ge-
meinsamen Kinder C._______ und D._______ – verfüge, erübrige sich von
vornherein, gleichsam vorsorglich und abstrakt, eine weitergehende Prü-
fung von allfälligen und theoretischen Vollzugshindernissen.
Ferner sei vollumfänglich auf die entsprechenden Erwägungen in den be-
reits ergangenen Entscheiden zu verweisen. Da insgesamt keine wesent-
lichen neuen Tatsachen und Beweismittel vorliegen würden, sei auf das
gemeinsame Wiedererwägungsgesuch nicht einzutreten.
E.
Gegen diesen Entscheid erhob der neu mandatierte Rechtsvertreter Tim
Walker am 28. November 2016 Beschwerde beim Bundesverwaltungsge-
richt und beantragte dabei, dass nach Aufhebung des Entscheides vom
18. November 2016 die Sache zur Ergänzung und Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen sei. Ausserdem seien die Akten von
H._______, Ehemann der Beschwerdeführerin, beizuziehen, sei das Kind
B._______ zu befragen und seien die Schulberichte der Kinder einzuholen.
Der Vollzug der Wegweisung sei ferner aufzuheben (eventualiter zu sistie-
ren) beziehungsweise die aufschiebende Wirkung der Beschwerde anzu-
ordnen und es sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Diese Rechtsmitteleingabe wurde im Wesentlichen damit begründet, dass
das SEM seinen Nichteintretensentscheid vom 18. November 2016 nur in
ungenügender Weise begründet habe. Gestützt auf die Entscheidungen
und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission
[EMARK] 1998 Nr. 13 müsse das Kindeswohl im Rahmen der Zumutbar-
keitsprüfung als gewichtiger Aspekt umfassend mitberücksichtigt werden.
Im konkreten Fall von traumatisierten Kindern sei beispielsweise nicht ge-
klärt, ob der türkische Staat weiterhin Kindesschutzorgane betreibe, wel-
che den Kindern bei einer Rückkehr zugutekommen würden. Ausserdem
sei offen, inwieweit bei einer Rückkehr der Beschwerdeführenden in die
Türkei die Rechte der Kinder auf Entwicklung (Art. 6 des Übereinkommens
über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 [Kinderrechtskonven-
tion, KRK]) – dies insbesondere, weil die Kinder nicht aus einer konventio-
nellen Ehe stammen würden (Art. 2 KRK) – und auf freie Meinungsäusse-
rung (Art. 13 KRK) tangiert seien.
Der Rechtsmittelschrift lagen verschiedene Berichte über die aktuelle poli-
tische Lage in der Türkei sowie Beschlüsse der (…) aus den Jahren 2012
bis 2014 bei.
F.
Am 1. Dezember 2016 setzte das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf
Art. 56 VwVG den Vollzug der Wegweisung per sofort einstweilen aus.
G.
Am 8. Dezember 2016 untermauerte der Rechtsvertreter seine Argumente
dahingehend, dass die Menschenrechtslage in der Türkei – besonders für
Frauen, Kinder und andere verletzliche Gruppen – sich seit dem Militär-
putsch unaufhaltbar verschlechtere. Befürchtet werde auch eine Verlet-
zungsgefahr dieser Gruppen durch den steigenden Einfluss der Scharia.
Es seien insbesondere Wiedererwägungsgründe im Lichte der Kinder-
rechtskonvention sowie des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau (CEDAW) zu erkennen. Falls das Bundes-
verwaltungsgericht wider Erwartungen nicht die gleiche Meinung vertrete,
beantragte der Rechtsvertreter – unter Ansetzung einer Frist für eine Stel-
lungnahme – Einsicht in die gerichtlichen Beweismittel.
H.
Mit eigener Eingabe vom 19. Dezember 2016 beschrieb die Beschwerde-
führerin ihre Angst vor einer Rückkehr in die Türkei und nannte verschie-
dene Personen, welche für Auskünfte zur Verfügung stehen würden.
E-7405/2016
Seite 6
I.
Am 21. Dezember 2016 unterbreitete Klausfranz Rüst-Hehli dem Bundes-
verwaltungsgericht seine juristische Einschätzung der Lage.
J.
Mit Zwischenverfügung vom 23. Dezember 2016 wies das Bundesverwal-
tungsgericht die Anträge auf Gewährung der unentgeltliche Rechtspflege
(Art. 65 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG) und Herstellung der aufschiebenden Wir-
kung (Art. 111b Abs. 3 AsylG) ab und forderte die Beschwerdeführenden
auf, einen Kostenvorschuss zu leisten, welcher fristgerecht einbezahlt
wurde.
K.
Mittels einer „Eingabe in Absprache mit dem überlasteten Erstvertreter“
wies Klausfranz Rüst-Hehli am 9. Januar 2017 auf die erhöhte Suizidalität
von A._______ und die aktuelle Situation der Kinder hin. Ferner schätze er
die privaten Interessen an einem Vollzugsstopp höher als die öffentlichen
Interessen ein und qualifizierte die Beschwerde daher als nicht aussichts-
los, weswegen wiedererwägungsweise die aufschiebende Wirkung der Be-
schwerde durch das Bundesverwaltungsgericht herzustellen sei. Ausser-
dem beantragte er, es seien vom involvierten medizinischen Personal –
insbesondere von Dr. K._______ – Berichte über den jeweiligen Gesund-
heitszustand der Beschwerdeführenden einzuholen.
L.
Der Rechtsvertreter Tim Walker beantragte am 16. Januar 2017 die Zustel-
lung aller Unterlagen, welche seit seiner Beschwerdeerhebung dem Bun-
desverwaltungsgericht zugegangen seien, sowie einen Schriftenwechsel.
M.
Mit Eingabe vom 17. Januar 2017 reichte Klausfanz Rüst-Hehli eine Kopie
eines ärztlichen Attests von Dr. med. L._______ (Spezialärztin FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie) die Beschwerdeführerin betreffend zu den
Akten.
N.
Mit Verfügung vom 24. Januar 2017 gewährte das Bundesverwaltungsge-
richt Tim Walker Einsicht in sämtliche Dokumente mit Ausnahme von inter-
nen oder nicht das vorliegende Verfahren betreffende Akten sowie von Un-
terlagen anderer Behörden. Der Antrag auf einen Schriftenwechsel wurde
abgewiesen und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass sich keine vorin-
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Seite 7
stanzlichen Stellungnahmen in den Akten befinden würden, welche im
Rahmen eines Replikrechts zu erwidern wären. Zudem wurde Frist bis
1. Februar 2017 zur Klärung der Zustelladresse (im Sinne von Art. 12
AsylG) angesetzt.
O.
Am 1. Februar 2017 informierte Klausfranz Rüst-Hehli per Fax, er habe
sein Mandat im vorliegenden Verfahren zwecks Fokussierung auf seine
sachliche Kernkompetenz – konkret das (Erst-)Asylgesuch von B._______
mit Datum vom 11. Januar 2017 – niedergelegt. Mit Zwischenverfügung
vom 2. Februar 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht dessen Anträge
in der Eingabe vom 9. Januar 2017 (wiedererwägungsweise Erteilung der
aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und ärztliche Abklärungen) ab.
P.
Mit Eingabe vom 1. Februar 2017 beantragte der Rechtsvertreter Tim
Walker eine Fristerstreckung, welche mit Zwischenverfügung vom 2. Feb-
ruar 2017 abgelehnt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den
Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver-
waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne
von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Nachdem gemäss Lehre und Praxis Wie-
dererwägungsentscheide grundsätzlich wie die ursprüngliche Verfügung
auf dem ordentlichen Rechtsmittelweg weitergezogen werden können, ist
das Bundesverwaltungsgericht für die Beurteilung der vorliegenden Be-
schwerde zuständig. Es entscheidet auf dem Gebiet des Asyls – in der Re-
gel und auch vorliegend – endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1
BGG).
1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die Beschwer-
deführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind
durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Ände-
rung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105
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Seite 8
und Art. 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf
die Beschwerde ist einzutreten.
1.3 Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die Durchfüh-
rung eines Schriftenwechsels verzichtet.
2.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen
richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG.
3.
3.1 Das Wiedererwägungsverfahren ist im Asylrecht spezialgesetzlich ge-
regelt (vgl. Art. 111b ff. AsylG). Ein entsprechendes Gesuch ist dem SEM
innert 30 Tagen nach Entdeckung des Wiedererwägungsgrundes schrift-
lich und begründet einzureichen; im Übrigen richtet sich das Verfahren
nach den revisionsrechtlichen Bestimmungen von Art. 66-68 VwVG
(Art. 111b Abs. 1 AsylG).
3.2 In seiner praktisch relevantesten Form bezweckt das Wiedererwä-
gungsgesuch die Änderung einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung an
eine nachträglich eingetretene erhebliche Veränderung der Sachlage (vgl.
BVGE 2014/39 E. 4.5 m.w.H.). Falls die abzuändernde Verfügung unange-
fochten blieb oder ein eingeleitetes Beschwerdeverfahren mit einem blos-
sen Prozessentscheid abgeschlossen wurde, können auch Revisions-
gründe einen Anspruch auf Wiedererwägung begründen. Ein solchermas-
sen als qualifiziertes Wiedererwägungsgesuch zu bezeichnendes Rechts-
mittel war und ist grundsätzlich nach den Regeln des Revisionsverfahrens
zu behandeln (vgl. BVGE 2013/22 E. 5.4). Massgeblich ist vorliegend
Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG, wonach nebst anderem dann Revisionsgründe
vorliegen, wenn eine Partei neue erhebliche Tatsachen oder Beweismittel
vorbringt.
Die Wiedererwägung ist nicht beliebig zulässig. Sie darf nicht dazu dienen,
die Rechtskraft von Verwaltungsentscheiden immer wieder in Frage zu
stellen oder die Fristen für die Ergreifung von Rechtsmitteln zu umgehen.
Auf ein Wiedererwägungsgesuch ist nicht einzutreten, wenn lediglich eine
neue Würdigung der beim früheren Entscheid bereits bekannten Tatsachen
herbeigeführt werden soll oder Gründe angeführt werden, die bereits in ei-
nem ordentlichen Beschwerdeverfahren gegen die frühere Verfügung hät-
ten geltend gemacht werden können (Art. 66 Abs. 3 VwVG; vgl. EMARK
2000 Nr. 24 E. 5b).
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Seite 9
4.
4.1 Vorliegend wurde die Aufhebung der Verfügung vom 18. November
2016 sowie eine Rückweisung der Sache zur Ergänzung und Neubeurtei-
lung an die Vorinstanz beantragt. Dieser Antrag wurde insbesondere mit
der Unterlassung der Abklärung von Kindesinteressen sowie der politi-
schen Lage der Türkei seit der Einführung des Ausnahmezustandes und
somit mit einer unvollständigen Sachverhaltsfeststellung durch die Vorin-
stanz begründet.
4.2 Im vorliegenden Wiedererwägungsverfahren stellt sich die Frage, ob
das SEM zurecht auf das Wiedererwägungsgesuch der Beschwerdefüh-
renden nicht eingetreten ist beziehungsweise ob eine wesentlich verän-
derte Sachlage vorliegt, welche dazu führen müsste, den ursprünglichen
Entscheid anzupassen.
4.3 In der Türkei ist am 15. und 16. Juli 2016 ein Militärputsch gegen die
Regierung gescheitert; daraufhin verhängte diese den Ausnahmezustand
ursprünglich für 90 Tage (bis zum 18. Oktober 2016). Dieser wurde im Ok-
tober 2016 und Januar 2017 verlängert und gilt nun bis zum 19. April 2017.
Diese seit der ursprünglichen Verfügung veränderte Sachlage in der Türkei
hat indes keine konkrete Auswirkung auf die Beschwerdeführenden. Die
diesbezüglichen Erwägungen des SEM hinterlassen nach Durchsicht der
Akten einen überzeugenden und praxiskonformen Eindruck, weshalb sie
vom Bundesverwaltungsgericht geschützt werden können. Ausserdem
wurde bereits mit Verfügungen vom 15. April 2011, 8. November 2013 und
23. Juli 2014 festgestellt, dass kein individuelles Vollzugshindernis – auch
nicht im Bereich des Kindeswohls beziehungsweise der Gesundheitszu-
stände der Beschwerdeführenden – vorliegt.
Zu bemerken bleibt, dass EMARK 1998 Nr. 13 sich auf eine unbegleitete
minderjährige Person bezog. Gemäss dieser Rechtsprechung müssen die
Asylbehörden nicht nur abklären, ob das Kind im Sinne von Art. 83 Ab. 4
AuG konkret gefährdet wäre, sondern auch, ob das Kind zu seinen Eltern
oder Angehörigen zurückgeführt werden kann und ob diese in der Lage
sind, seine Bedürfnisse abzudecken. Im vorliegenden Fall sind die Kinder
in Begleitung ihrer Mutter (und teilweise auch ihres Vaters), so dass sich
eine Abklärung bezüglich einer Obhutsmöglichkeit bei Familienangehöri-
gen erübrigt. Im Übrigen ist dem Bundesverwaltungsgericht nicht bekannt,
dass sich die Schutzinfrastruktur – beispielsweise Frauenhäuser, die der
Aufsicht der Generaldirektion der Agentur für Soziale Dienste und Kinder-
schutz (Sosyal Hizmetler ve Çocuk Esirgeme Kurumu Genel Müdürlügü
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[SHÇEK]) unterstehen (vgl.
BVWGT_20140527_L511_1246498_1_00/BVWGT_20140527_L511_124
6498_1_00.pdf; besucht am 30. Januar 2017) – seit Sommer 2016 verän-
dert hat. Davon abweichende Aussagen wären im Rahmen der Mitwir-
kungspflicht (Art. 8 AsylG) von den beschwerdeführenden Personen zu be-
legen.
Auch ist hinsichtlich der Suizidalität der Beschwerdeführerin und der Ge-
sundheitszustände aller Familienmitglieder – welche bereits ausführlich in
den früheren Verfahren abgehandelt wurden – festzustellen, dass sich
diese nicht derart verändert haben, dass aus heutiger Sicht von einem Voll-
zugshindernis auszugehen ist.
4.4 Nach dem Gesagten ist der Sachverhalt vom SEM richtig und vollstän-
dig festgestellt worden und es liegt keine wesentlich veränderte Sachlage
vor. Es besteht somit kein Anlass für eine Rückweisung der Sache zur Er-
gänzung und Neubeurteilung an die Vorinstanz.
5.
Die Vorinstanz ist – angesichts des fehlenden Bezugs der „neuen“ Sach-
lage (politische Situation in der Türkei) zur individuell-konkreten Interes-
senlage der Beschwerdeführenden beziehungsweise bereits wiederholt
abgehandelten gesundheitlichen Umstände – demnach zu Recht auf das
Wiedererwägungsgesuch nicht eingetreten. Die Beschwerde ist mithin ab-
zuweisen. Die übrigen Verfahrensanträge – beispielsweise der Beizug wei-
terer Akten sowie die Durchführung zusätzlicher Anhörungen – erweisen
sich daher als gegenstandslos.
6.
Bei diesem Ausgang des Beschwerdeverfahrens sind die Verfahrenskos-
ten den Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und
auf insgesamt Fr. 600.- festzusetzen (Art. 1-3 VGKE). Sie sind mit dem am
6. Januar 2017 in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss zu verrech-
nen.

E-7405/2016
Seite 11
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Der einbezahlte Kostenvorschuss wird zur Bezahlung der Verfahrenskos-
ten verwendet.
3.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kanto-
nale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Muriel Beck Kadima Patricia Petermann Loewe