E-73/2011 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Karar Dilini Çevir:
E-73/2011 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung V
E-73/2011
Urteil vom 14. Januar 2011
Besetzung Einzelrichter Bruno Huber,
mit Zustimmung von Richterin Nina Spälti Giannakitsas;
Gerichtsschreiberin Carmen Wittwer.
Parteien A._______, geboren am (…),
Irak,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 29. Dezember 2010 / N (…).
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass das BFF (Bundesamt für Flüchtlinge; heute: BFM) mit Verfügung
vom 7. April 2004 feststellte, der Beschwerdeführer erfülle die
Flüchtlingseigenschaft nicht, sein erstes Asylgesuch vom 30. Juli 2001
ablehnte und die Wegweisung aus der Schweiz und den Vollzug
anordnete,
dass diese Verfügung unangefochten in Rechtskraft erwuchs,
dass der Beschwerdeführer am (…) 2005 eine Schweizer Bürgerin
heiratete und ihm im Anschluss daran vom Kanton B._______ eine
Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) erteilt wurde,
dass der Beschwerdeführer, nachdem diese Ehe geschieden worden und
die Aufenthaltsbewilligung am 29. September 2009 erloschen war, am
5. September 2010 nach Deutschland reiste und dort ein Asylgesuch
stellte,
dass das BFM dem im Rahmen eines Dublin-Verfahrens gestellten
Ersuchen der deutschen Behörden um Wiederaufnahme des
Beschwerdeführers am 9. November 2010 zustimmte, worauf dieser am
2. Dezember 2010 wieder in die Schweiz einreiste,
dass der Beschwerdeführer am 3. Dezember 2010 in der Schweiz ein
zweites Mal um Asyl nachsuchte und anlässlich der am 8. Dezember
2010 stattgefundenen Befragung zur Person ausführte, die im ersten
Asylverfahren geltend gemachten Asylgründe bestünden weiterhin und er
sei nie in sein Heimatland zurückgekehrt,
dass er als neue Beweismittel eine Faxkopie eines ihn betreffenden
irakischen Todesurteils vom (…) 2000 samt deutscher
Zusammenfassung und vier Kopien von Fotos, auf denen er als Kämpfer
der PKK (Partiya Karkerên Kurdistan) zu sehen sei, zu den Akten reichte,
dass der Beschwerdeführer anlässlich der Anhörung vom 23. Dezember
2010 ergänzte, der Grund für das Todesurteil sei, dass man ihn der
Beteiligung an einem Mordattentat auf einen Verantwortlichen der
C._______ beschuldige,
dass er zwar damals mit der PKK unterwegs gewesen sei, aber selber
nicht geschossen habe,
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dass er eines Nachts mit der PKK eine Stellung der (…) angegriffen
habe, wobei alle (…) ums Leben gekommen seien,
dass die Behörden Unterlagen und Beweise gehabt hätten, dass er bei
diesem Angriff und bei jenem Attentat dabei gewesen sei, und er dies
beim ersten Asylgesuch nicht angegeben habe, weil er befürchtet habe,
man würde ihn als Verbrecher bezeichnen (vgl. Akten BFM B 10/11
F38 f.),
dass für die weiteren Aussagen auf die Akten verwiesen wird,
dass das BFM mit Verfügung vom 29. Dezember 2010 – gleichentags
eröffnet – gestützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. e des Asylgesetzes vom
26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) auf das zweite Asylgesuch des
Beschwerdeführers nicht eintrat und die Wegweisung aus der Schweiz
und den Vollzug anordnete,
dass der Beschwerdeführer mit Rechtsmitteleingabe vom 5. Januar 2011
(Poststempel) in materieller Hinsicht – unter Kosten- und
Entschädigungsfolge – die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung
beantragt,
dass er in prozessualer Hinsicht beantragt, die Vollzugsbehörden seien
im Sinne einer vorsorglichen Massnahme anzuweisen, die
Kontaktaufnahme mit dem Heimat- und Herkunftsstaat sowie jede
Weitergabe von Daten an denselben bis zur Entscheidung über die
Beschwerde zu unterlassen,
dass vor einer allfälligen Ablehnung der Beschwerde die Vorinstanz
anzuweisen sei, eine eventuell bereits erfolgte Datenweitergabe an den
Hei-matstaat offenzulegen und ihm im Hinblick auf subjektive
Nachfluchtgründe das rechtliche Gehör zu gewähren,
dass ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten sei,
dass der Beschwerde ein Schreiben der Verlobten des
Beschwerdeführers beilag, in welchem die persönliche Beschaffung des
Originals des zu den Akten gegebenen Urteils in Aussicht gestellt wird,
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und erwägt,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig
über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG,
SR 172.021]) des BFM entscheidet (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 31-33 des
Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [VGG, SR 173.32];
Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[BGG, SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer am Verfahren vor der Vorinstanz
teilgenommen hat, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt
ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung hat und daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert ist
(Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG),
dass somit auf die im Übrigen frist- und formgerecht eingereichte
Beschwerde einzutreten ist (Art. 108 Abs. 2 AsylG und Art. 105 AsylG
i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass über offensichtlich begründete Beschwerden in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise
einer zweiten Richterin entschieden wird (Art. 111 Bst. e AsylG), und es
sich vorliegend, wie nachfolgend aufgezeigt, um eine solche handelt,
weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist
(Art. 111a Abs. 2 AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG vorliegend auf einen Schrif-
tenwechsel verzichtet wurde,
dass ein erneutes Gesuch einer asylsuchenden Person, welche bereits
ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen hat, nur dann als zweites
Asylgesuch im Rahmen von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG zu beurteilen ist,
wenn damit Gründe geltend gemacht werden, die seit dem ersten
Asylentscheid eingetreten und für die Flüchtlingseigenschaft relevant sind
(vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der vormaligen Schweizerischen
Asylrekurskommission [EMARK] 1998 Nr. 1, unter Anpassung an die
Artikelnummerierung des geltenden AsylG),
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dass ein solches Gesuch indessen als Wiedererwägungsgesuch zu
behandeln ist, wenn entweder geltend gemacht wird, die ursprüngliche
(feh￿lerfreie) Verfügung sei anzupassen, weil sich der rechtserhebliche
Sachverhalt seit dem ursprünglichen Entscheid beziehungsweise seit
dem Urteil der mit Beschwerde angerufenen Rechtsmittelinstanz
hinsichtlich des Bestehens von völker- oder landesrechtlichen
Wegweisungsvollzugshin-dernissen in wesentlicher Weise verändert
habe (EMARK 1998 Nr. 1), oder anbegehrt wird, die mangels Anfechtung
oder infolge eines formellen Prozessurteils im Beschwerdeverfahren in
materielle Rechtskraft erwachsene Verfügung sei wegen ursprünglicher
Fehlerhaftigkeit revisionsweise (analog zu Art. 66 ff. VwVG) aufzuheben
(EMARK 2003 Nr. 17 E. 2a S. 103 f., mit weiteren Hinweisen),
dass der Beschwerdeführer zur Begründung seines erneuten Gesuches
geltend machte, er sei im Irak wegen der Beteiligung an einem
Mordanschlag auf einen C._______-Verantwortlichen mit Urteil vom (…)
2000 zum Tode verurteilt worden, und er habe die bei der PKK
begangenen Taten beim ersten Asylverfahren nicht erwähnt, weil er
befürchtet habe, man würde ihn als Verbrecher bezeichnen,
dass er als neue Beweismittel eine Faxkopie des vorerwähnten
irakischen Todesurteils vom (…) 2000 samt deutscher
Zusammenfassung und vier Kopien von Fotos, auf denen er als Kämpfer
der PKK zu sehen sei, zu den Akten reichte,
dass er damit offensichtlich nicht geltend macht, es hätten sich seit
Abschluss des ordentlichen Asylverfahrens neue Ereignisse ergeben,
welche seine Flüchtlingseigenschaft begründen würden, sondern die
ursprüngliche Fehlerhaftigkeit der unangefochten gebliebenen Verfügung
des BFM vom 7. April 2004 rügt, womit sinngemäss ein Gesuch um
Wiedererwägung und revisionsweise Aufhebung der genannten
Verfügung gestellt wird (vgl. Art. 66 ff. VwVG),
dass vor diesem Hintergrund das Bundesamt offensichtlich zu Unrecht
das Gesuch des Beschwerdeführers vom 3. Dezember 2010 als zweites
Asylgesuch qualifiziert hat, weshalb die angefochtene Verfügung
Bundesrecht verletzt (Art. 106 AsylG),
dass sich der festgestellte Verfahrensmangel nicht im Rahmen des
Rechtsmittelverfahrens heilen lässt, weshalb die Beschwerde im Sinne
der Erwägungen gutzuheissen, die angefochtene Verfügung vom 29. De-
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zember 2010 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung als
Wiedererwägungsgesuch an das BFM zurückzuweisen ist,
dass bei diesem Entscheid in der Hauptsache ohne vorgängige
Instruktion der Antrag auf Verzicht auf die Erhebung eines
Kostenvorschusses und die übrigen Verfahrensanträge hinfällig werden,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens keine Verfahrenskosten
auf￿zuerlegen sind (Art. 63 Abs. 3 VwVG), womit der Antrag auf
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 65 Abs. 1 VwVG)
gegenstandslos wird,
dass dem nicht vertretenen Beschwerdeführer aus dem vorliegenden
Verfahren keine ins Gewicht fallenden Kosten erwachsen sind, weshalb
ihm keine Parteientschädigung auszurichten ist (Art. 7 Abs. 1 und 4 des
Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
2.
Die Verfügung vom 29. Dezember 2010 wird aufgehoben. Die Sache wird
zur Neubeurteilung als Wiedererwägungsgesuch an das BFM
zurückge￿wiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
5.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:
Bruno Huber Carmen Wittwer
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