E-7091/2009 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl; Verfügung des BFM vom 20. Oktober 2009
Karar Dilini Çevir:
E-7091/2009 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl; Verfügung des BFM vom 20. Oktober 2009
Abtei lung V
E-7091/2009
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 7 . N o v e m b e r 2 0 0 9
Richter Bruno Huber (Vorsitz),
Richter Maurice Brodard,
Richterin Regula Schenker Senn,
Gerichtsschreiber Peter Jaggi.
A._______, China,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz,
Asyl und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 20. Oktober 2009 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-7091/2009
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer verliess seinen Heimatstaat eigenen Angaben
zufolge illegal am (...) oder (...) und gelangte nach einem längeren
Aufenthalt in (...) am (...) in die Schweiz, wo er am gleichen Tag um
Asyl nachsuchte. Am 19. Januar 2009 erfolgte im B._______ die
Kurzbefragung durch das BFM und am 5. Juni 2009 in Bern-Wabern
die Anhörung zu den Asylgründen durch das Bundesamt.
Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Beschwerdeführer
geltend, er sei chinesischer Staatsangehöriger tibetischer Ethnie mit
letztem Wohnsitz in C._______ (...). Er habe bis zu seiner Ausreise in
(...) gearbeitet. An einem Dorftreffen habe er die Teilnehmer
aufgefordert, sich gegen die chinesische Regierung aufzulehnen. Der
Dorfvorsteher habe ihm daraufhin mitgeteilt, dass er diese
Äusserungen den Behörden melden müsse. Vor diesem Hintergrund
habe er Tibet auf Anraten eines Freundes verlassen und sei nach (...)
ausgereist. Für den Inhalt der weiteren Aussagen wird auf die Akten
verwiesen und, soweit für den Entscheid wesentlich, auf die nach-
folgenden Erwägungen.
Der Beschwerdeführer reichte im erstinstanzlichen Asylverfahren keine
Identitätspapiere zu den Akten.
B.
Mit Verfügung vom 20. Oktober 2009 - eröffnet am 22. Oktober 2009 -
stellte das BFM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingsei-
genschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch vom (...) ab und ordnete die
Wegweisung aus der Schweiz an. Gleichzeitig ordnete es zufolge
Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme in
der Schweiz an.
C.
Mit Rechtsmitteleingabe vom 14. November 2009 (Poststempel) bean-
tragte der Beschwerdeführer in materieller Hinsicht die Aufhebung der
angefochtenen Verfügung und unter Zuerkennung der Flüchtlingsei-
genschaft die Gewährung von Asyl, eventualiter unter Anordnung der
vorläufigen Aufnahme die Feststellung der Unzulässigkeit, Unzumut-
barkeit und Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs. In verfahrens-
rechtlicher Hinsicht beantragte er die Gewährung der unentgeltlichen
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Rechtspflege samt anwaltlicher Rechtsverbeiständung und den Ver-
zicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses, eventualiter die Wie-
derherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, die An-
weisung an die zuständige Behörde, die Kontaktaufnahme mit den Be-
hörden des Heimat- oder Herkunftsstaates sowie jegliche Datenweiter-
gabe an dieselben zu unterlassen, eventualiter bei bereits erfolgter
Datenweitergabe eine Information mittels separater Verfügung. Zur
Stützung seiner Vorbringen reichte er eine Bestätigung seines Sozial-
hilfebezuges (...) zu den Akten. Auf die Begründung der
Rechtsbegehren und das eingereichte Dokument wird, soweit für den
Entscheid wesentlich, in den nachfolgenden Erwägungen einge-
gangen.
D.
Am 18. November 2009 bestätigte der Instruktionsrichter den Eingang
der Beschwerde, teilte dem Beschwerdeführer mit, er dürfe den Aus-
gang des Verfahrens in der Schweiz abwarten, und verlegte den Ent-
scheid über die Verfahrensanträge auf einen späteren Zeitpunkt.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Ju-
ni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht
Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes
vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021). Das Bundesamt für Migration (BFM) gehört zu den Be-
hörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundes-
verwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im
Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht
ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde
und entscheidet in diesem Bereich endgültig (Art. 105 des Asylgeset-
zes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Be-
schwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist
durch die angefochtene Verfügung besonders berührt, hat ein schutz-
würdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung
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und ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 108
Abs. 1 und 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG, Art. 48 Abs. 1 und 52 VwVG).
Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
3.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen
grundsätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person aner-
kannt, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt
wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei-
ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen An-
schauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete
Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte
Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder
Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen
Druck bewirken; den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung
zu tragen (Art. 3 AsylG).
3.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachwei-
sen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht,
wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrschein-
lichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen,
die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich wider-
sprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich
auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7
AsylG).
4.
Das BFM führte zur Begründung seiner Verfügung an, der Beschwer-
deführer habe bei der Kurzbefragung behauptet, er habe seinen
Freund nach der Dorfversammlung auf dem Nachhauseweg getroffen,
und im Unterschied dazu bei der Anhörung zu seinen Asylgründen
aber ausgesagt, er habe die Versammlung in Begleitung seines Freun-
des verlassen. Des Weiteren habe er anlässlich der Kurzbefragung
geltend gemacht, an der Dorfversammlung hätten Leute des Dorfes
und viele Händler teilgenommen, bei der Anhörung hingegen zu Proto-
koll gegeben, er wisse nicht, ob Auswärtige zugegen gewesen seien.
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Zudem habe er im B._______ ausgesagt, es hätten alle Dorfbewohner
an der Versammlung teilgenommen, bei der Anhörung indessen
behauptet, sein Dorf zähle drei- oder vierhundert Einwohner, und an
der Versammlung hätten sicher mehr als dreissig Personen
teilgenommen. Angesichts dieser widersprüchlichen Aussagen könne
darauf verzichtet werden, auf weitere Unglaubhaftigkeitselemente in
den Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen. Seine
gesuchsbegründenden Aussagen zur Zeit vor seiner Ausreise aus
Tibet vermöchten somit den Anforderungen an die Glaubhaftigkeit
nicht zu genügen.
Die vormals zuständige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK),
so das BFM weiter, habe in Entscheidungen und Mitteilungen der
Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2006 Nr. 1 E. 6.4
festgehalten, dass "Asylsuchende tibetischer Ethnie, die sich illegal
aus dem Tibet nach Nepal oder Indien begeben haben und, ohne sich
dort während längerer Zeit aufgehalten zu haben, in die Schweiz wei-
ter gereist sind, wo sie um Asyl nachgesucht haben und über eine län-
gere Zeit verblieben sind, im Falle einer Rückkehr nach China mit Ver-
folgung im flüchtlingsrechtlich relevanten Sinne zu rechnen haben.“
Der Beschwerdeführer befinde sich erst seit Januar 2009 in der
Schweiz, weshalb nicht von einer „längeren Zeit“ im Sinne der Recht-
sprechung auszugehen sei. Demzufolge lägen keine Anhaltspunkte
dafür vor, er könnte bei einer allfälligen Rückkehr nach Tibet flücht-
lingsrelevanten Nachstellungen seitens der chinesischen Behörden
ausgesetzt sein.
Die Regelfolge der Ablehnung eines Asylgesuchs sei die Wegweisung
der asylsuchenden Person aus der Schweiz. Da der Beschwerdeführer
die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, gelange der Grundsatz der
Nichtrückschiebung gemäss Art. 5 Abs. 1 AsylG nicht zu Anwendung.
Aus den Akten ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, diesem drohe
im Falle seiner Rückkehr in den Heimatstaat mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit eine durch Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK,
SR 0.101) verbotene Strafe oder Behandlung. Der Vollzug der Wegwei-
sung in den Heimatstaat oder in einen Drittstaat sei indessen in Würdi-
gung sämtlicher Umstände und unter Berücksichtigung der Aktenlage
zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zumutbar, weshalb der Beschwer-
deführer vorläufig aufzunehmen sei.
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4.1 Aus der Rechtsmitteleingabe ergibt sich als Rüge, die Vorinstanz
habe die Asylvorbringen zu Unrecht als nicht glaubhaft bezeichnet und
damit Bundesrecht verletzt. Die Entgegnungen in der Beschwerde zu
den vom BFM aufgezeigten Unstimmigkeiten in den Aussagen des Be-
schwerdeführers erweisen sich indessen als wenig stichhaltig und
nicht geeignet, die diesbezüglichen Vorbringen glaubhafter erscheinen
zu lassen. Inbesondere vermag der Beschwerdeführer mit dem Vor-
bringen - erste Unstimmigkeit -, seine bei der Kurzbefragung gemach-
te Aussage, er habe seinen Freund nach der Versammlung auf dem
Nachhauseweg getroffen, stimme nicht, den Widerspruch zu seiner
diesbezüglichen Ausführung bei der Anhörung zu den Asylgründen
(Akten BFM A15/17 S. 9) nicht zu erklären. Auch erweist sich der Er-
klärungsversuch zur zweiten Unstimmigkeit, bei den an der Versamm-
lung teilnehmenden Händlern habe es sich auch um von Geschäfts-
reisen zurückgekehrte Dorfbewohner gehandelt, die das tibetische
Neujahrsfest zuhause mit ihren Familien hätten verbringen wollen, als
unbehelflich; der Beschwerdeführer gab diesbezüglich bei der Kurz-
befragung an, beim Dorftreffen kämen alle Leute des Dorfes zusam-
men und auch viele Händler (A1/12 S. 5). Hinsichtlich der dritten Un-
stimmigkeit ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer bei der Kurz-
befragung im Unterschied zu seiner Aussage bei der Anhörung zu sei-
nen Asylgründen (A15/17 S. 9) explizit zu Protokoll gab, beim Treffen
hätten alle Leute des Dorfes und auch viele Händler teilgenommen.
Zudem erweist sich auch das Vorbringen in der Beschwerde, seine
Aussage anlässlich der Kurzbefragung stimme nicht, es könne gar
nicht sein, dass er dort eine solche Aussage gemacht habe, als nicht
stichhaltig, da sich der Beschwerdeführer bei seinen protokollierten
Aussagen behaften lassen muss, deren Richtigkeit er jeweils am
Schluss der Befragungen unterschriftlich bestätigt hat.
4.2 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer
für den Zeitraum bis zu seiner Ausreise aus Tibet keine Verfolgung
oder Furcht vor Verfolgung glaubhaft machen konnte. Aufgrund vorste-
hender Erwägungen erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den
weiteren Ausführungen in der Beschwerde, weil diese nicht geeignet
sind, eine andere Beurteilung herbeizuführen. Das BFM hat das Asyl-
gesuch zu Recht abgelehnt.
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5.
5.1 Nachfolgend bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer aufgrund
seiner illegalen Ausreise aus Tibet respektive China und der Asylge-
suchseinreichung im Ausland begründete Furcht vor zukünftiger Verfol-
gung hat und damit die Flüchtlingseigenschaft aufgrund von subjekti-
ven Nachfluchtgründen gemäss Art. 54 AsylG erfüllt.
5.2 Massgeblich für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft nach
Art. 3 AsylG ist nicht die Situation im Zeitpunkt der Ausreise, sondern
die Situation im Zeitpunkt des Asylentscheids. So ist auch eine asylsu-
chende Person als Flüchtling anzuerkennen, die aufgrund subjektiver
Nachfluchtgründe nach Art. 54 AsylG, das heisst erst durch die uner-
laubte Ausreise aus dem Heimat- oder Herkunftsstaat oder wegen
ihres Verhaltens nach der Ausreise, eine Verfolgung im Sinne von
Art. 3 AsylG befürchten muss. In diesen Fällen hat jedoch, trotz
Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, ein Ausschluss vom Asyl zu
erfolgen. Als subjektive Nachfluchtgründe im Sinne von Art. 54 AsylG
gelten insbesondere unerwünschte exilpolitische Betätigungen, illega-
les Verlassen des Heimatlandes (sog. Republikflucht) oder die Einrei-
chung eines Asylgesuchs im Ausland, wenn sie die Gefahr einer zu-
künftigen Verfolgung begründen (EMARK 2006 Nr. 1 E. 6.1 S. 10 mit
weiteren Hinweisen).
5.3 Das Bundesverwaltungsgericht ist im Urteil BVGE E-6706/2008
vom 7. Oktober 2009 aufgrund einer aktualisierten Lagebeurteilung
zum Schluss gelangt, dass sich die in EMARK 2006 Nr. 1 statuierte
Praxis, wonach nur diejenigen tibetischen Asylsuchenden im Sinne
subjektiver Nachfluchtgründe gefährdet sind, die nach der illegalen
Ausreise für längere Zeit im Ausland gewesen sind, nicht mehr auf-
rechterhalten lässt. Massgeblich sei, dass die chinesischen Behörden
illegal ausgereisten tibetischen Asylsuchenden wegen ihres Ausland-
aufenthaltes - namentlich in einem für die Tibeter Exilgemeinde be-
deutsamen Land wie die Schweiz - Kontakte zu als Dissidenten be-
handelten exiltibetischen Kreisen unterstellten und hierin eine opposi-
tionelle Haltung und eine Zugehörigkeit zu als separatistische Kräfte
betrachteten Kreisen erblickten. Zusammenfassend sei davon auszu-
gehen, dass illegal ausgereiste Asylsuchende tibetischer Ethnie unab-
hängig von der zeitlichen Dauer ihres Auslandaufenthaltes bei einer
Rückkehr nach China oppositionellen politisch-religiösen Anschau-
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ungen verdächtigt würden und aus diesem Grund mit Verfolgung im
flüchtlingsrelevanten Sinn zu rechnen hätten.
5.4 Der Beschwerdeführer hat Tibet eigenen und übereinstimmenden
Angaben zufolge am (...) oder (...) illegal mit Hilfe eines Schleppers
verlassen und sich vor seiner Einreise in die Schweiz am (...) rund (...)
in (...) aufgehalten (A1/12 S. 6, 7 und 8). Damit erfüllt er die Anforde-
rungen an die Flüchtlingseigenschaft, weil er bei einer Rückkehr nach
China (Tibet) begründete Furcht vor flüchtlingsrechtlich relevanten
Nachstellungen seitens der chinesischen Behörden haben muss. Der
Wegweisungsvollzug erweist sich somit als unzulässig (Art. 5 AsylG
und Art 83 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über
die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR 142.20]). Die Ziffern 1
(Verneinung der Flüchtlingseigenschaft) und 4 (vorläufige Aufnahme
wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs) des Dispositivs der
Verfügung vom 20. Oktober 2009 sind aufzuheben und das Bundesamt
ist anzuweisen, den Beschwerdeführer als Flüchtling zufolge Unzuläs-
sigkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig aufzunehmen.
6.
6.1
Der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 65 Abs. 1 VwVG) ist
gutzuheissen, weil die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers mit der
eingereichten Bestätigung seines Sozialhilfebezuges belegt ist und
sich die gestellten Rechtsbegehren aufgrund vorstehender Erwägun-
gen nicht als aussichtslos erweisen. Der Beschwerdeführer ist von der
Bezahlung der Verfahrenskosten zu befreien.
6.2 Ausschlaggebend für die Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
verbeiständung im Sinne von Art. 65 Abs. 2 VwVG ist, ob die Be-
schwerde führende Partei zur Wahrung ihrer Rechte notwendigerweise
der professionellen juristischen Hilfe eines Anwaltes bedarf
(BGE 122 I 49 E. 2c S. 51 ff., BGE 120 Ia 43 E. 2a S. 44 ff.). In Verfah-
ren, welche - wie das vorliegende - vom Untersuchungsgrundsatz be-
herrscht werden, sind strenge Massstäbe an die Gewährung der un-
entgeltlichen Verbeiständung anzusetzen (EMARK 2000 Nr. 6 und
BGE 122 I 8 E. 2c S. 10). Im asylrechtlichen Beschwerdeverfahren
geht es im Wesentlichen um die Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts. Besondere Rechtskenntnisse sind daher zur wirksamen
Beschwerdeführung im Regelfall nicht unbedingt erforderlich. Das vor-
liegende Verfahren erscheint weder in tatsächlicher noch in rechtlicher
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Hinsicht besonders komplex, weshalb der Antrag auf unentgeltliche
Rechtsverbeiständung abzuweisen ist.
6.3 Eine Parteientschädigung ist nicht zu entrichten, weil dem nicht
vertretenen Beschwerdeführer keine verhältnismässig hohen Kosten
entstanden sein dürften (Art. 64 Abs. 1 VwVG).
6.4 Mit dem Entscheid in der Hauptsache ohne vorgängige Instruktion
sind die anderen Verfahrensanträge gegenstandslos geworden.
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird insoweit gutgeheissen, als die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft und die Anordnung der vorläufigen Aufnahme
zufolge Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs beantragt wird; im
Übrigen wird sie abgewiesen.
2.
Die Ziffern 1 und 4 des Dispositivs der Verfügung des BFM vom
20. Oktober 2009 werden aufgehoben. Das Bundesamt wird angewie-
sen, den Beschwerdeführer zufolge Unzulässigkeit des Wegweisungs-
vollzugs als Flüchtling vorläufig aufzunehmen.
3.
Der Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Der Be-
schwerdeführer wird von der Bezahlung der Verfahrenskosten befreit.
4.
Der Antrag auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung wird abgewiesen.
5.
Es wird keine Parteientschädigung entrichtet.
6.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die zustän-
dige kantonale Behörde.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Bruno Huber Peter Jaggi
Versand:
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