E-6512/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl; Wegweisung; Vollzug
Karar Dilini Çevir:
E-6512/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl; Wegweisung; Vollzug
Abtei lung V
E-6512/2006/sct
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 0 . M ä r z 2 0 0 8
Richter Markus König (Vorsitz), Richter Hans Schürch,
Richterin Regula Schenker Senn,
Gerichtsschreiber Rudolf Bindschedler.
A._______,
B._______,
C._______,
alle Ukraine, _______,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6,
3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 11. Juli 2003 / N_______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-6512/2006
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführer verliessen nach eigenen Angaben am 18. Juli
2001 den Heimatstaat legal mit Pässen und Schengen-Visa. Über Po-
len und Deutschland gelangten sie am 23. Juli 2001 illegal in die
Schweiz, wo sie gleichentags um Asyl nachsuchten. Am 27. Juli 2001
fand die Erstbefragung im Empfangszentrum Vallorbe statt. Am 21.
Februar 2002 wurde der Beschwerdeführer und am 19. April 2002 die
Beschwerdeführerin von der zuständigen kantonalen Behörde zu den
Asylgründen angehört.
Im Wesentlichen machte der Beschwerdeführer geltend, er stamme
aus D._______ und sei am 12. Februar 2001 der Partei E._______
beigetreten. Am 9. März 2001 habe er an einer Massenkundgebung in
Kiew teilgenommen und sei, neben anderen Teilnehmern, von der Miliz
festgenommen worden. Da er sich geweigert habe, ein Geständnis zu
unterschreiben, sei er misshandelt und einen Monat lang in
Untersuchungshaft versetzt worden. Dank seines Anwalts sei er später
nach D._______ verlegt worden. Sein Rechtsvertreter habe ihm
mitgeteilt, dass die Partei ihn als Mitglied ausgeschlossen habe, weil
sie keine Häftlinge in ihren Reihen dulde. Am 22. oder 23. April 2001
sei der Beschwerdeführer mit der Auflage frei gelassen worden,
seinen Wohnort nicht zu verlassen. Ungefähr einen Monat danach
habe er wiederum an einer Kundgebung teilgenommen. Indessen sei
es ihm beim Erscheinen der Miliz gelungen, sich rechtzeitig und
unbehelligt nach Hause zu entfernen. Noch gleichentags sei er mit
Freunden zum Fischen aufs Land gefahren. Dort habe er von seiner
Frau erfahren, dass die Miliz eine Hausdurchsuchung vorgenommen
und dabei alle Dokumente ausser dem Reisepass sowie dem Führer-
schein beschlagnahmt habe. Für die übrigen Aussagen des Beschwer-
deführers wird auf die Akten verwiesen.
Im Wesentlichen machte die Beschwerdeführerin geltend, sie habe die
Ukraine wegen der Probleme ihres Mannes verlassen. Nachdem die
Miliz eine Hausdurchsuchung durchgeführt habe, sei sie am 22. Mai
2001 auf den Polizeiposten vorgeladen und zum Aufenthaltsort ihres
Mannes befragt worden. Darauf sei die Miliz noch einige Male zu
Hause erschienen, um sich nach dem Verbleib des Mannes zu
erkundigen.
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Die Beschwerdeführer reichten ihre ukrainischen Reisepässe, zwei Fo-
tografien, einen Steckbrief, ein Flugblatt und eine polizeiliche Vorla-
dung zu den Akten.
B.
Mit Verfügung vom 11. Juli 2003 – eröffnet am 15. Juli 2003 – stellte
das Bundesamt fest, die Vorbringen der Beschwerdeführer hielten den
Anforderungen an die Glaubhaftigkeit nicht stand, weshalb ihre Asylre-
levanz nicht geprüft werden müsse. Infolgedessen erfüllten die Be-
schwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht. Das Bundesamt lehn-
te das Asylgesuch ab, verfügte gleichzeitig die Wegweisung der Be-
schwerdeführer aus der Schweiz und ordnete den Wegweisungsvoll-
zug an.
C.
Mit Beschwerde vom 14. August 2003 an die damals zuständige
Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) beantragten die Be-
schwerdeführer die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, die Fest-
stellung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Asylgewährung, eventu-
ell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur persönlichen Be-
fragung und zum anschliessenden neuen Entscheid, subeventuell die
Feststellung der Unzulässigkeit sowie Unzumutbarkeit der Wegwei-
sung, verbunden mit der Anordnung der vorläufigen Aufnahme. In pro-
zessualer Hinsicht wurde die Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege und der Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses be-
antragt. Die Beschwerdeführer reichten als Beweismittel zwei Fotogra-
fien von der Kundgebung vom 9. März 2001 und ein fremdsprachiges
Schreiben eines Anwalts vom 30. Juli 2003 zu den Akten. Zudem stell-
ten sie die Einreichung weiterer Beweismittel in Aussicht.
D.
Mit Zwischenverfügung der damals zuständigen Instruktionsrichterin
vom 1. September 2003 wurde auf die Erhebung eines Kostenvor-
schusses verzichtet und der Entscheid über die Gewährung der unent-
geltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 des Bundesgeset-
zes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021) auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Gleichzeitig
wurden die Beschwerdeführer aufgefordert, innert fünfzehn Tagen die
Übersetzung des eingereichten Dokuments nachzureichen.
E.
Mit Eingabe vom 11. September 2003 gaben die Beschwerdeführer
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drei Dokumente mit Übersetzungen zu den Akten: eine anwaltschaftli-
che Bestätigung (analoges, wie mit der Beschwerde eingereichtes Do-
kument; Original), eine schriftliche Verpflichtung und ein Haussu-
chungsprotokoll (beides Fotokopien).
Mit Eingabe vom 13. November 2003 (Postaufgabe) reichten die Be-
schwerdeführer wiederum die Fotokopie der erwähnten schriftlichen
Verpflichtung ein.
F.
In seiner Vernehmlassung vom 28. Dezember 2005 hielt das Bundes-
amt an seiner Verfügung fest und verneinte das Vorliegen einer
schwerwiegenden persönlichen Notlage (im Sinne des mittlerweile auf-
gehobenen Art. 44 Abs. 3 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG,
SR 142.31]).
G.
Mit Zwischenverfügung vom 3. Januar 2006 wurde den Beschwerde-
führern Gelegenheit geboten, sich zu den Feststellungen des Bundes-
amtes zu äussern und allfällige Gegenbeweismittel zu nennen und ein-
zureichen.
H.
Mit Eingabe vom 17. Januar 2006 (Postaufgabe) nahmen die Be-
schwerdeführer zur Vernehmlassung des Bundesamtes Stellung. Mit
ihrer Replik legten sie verschiedene Beweismittel (Zeugnisse, Bewer-
bungsschreiben, mehrere Sympathieschreiben, Bestätigung, an den
Vater des Beschwerdeführers gerichtete behördliche Schreiben vom
_______) ins Recht.
I.
Am 5. April 2007 wurde den Beschwerdeführern mitgeteilt, dass das
bei der ARK anhängig gemachte Beschwerdeverfahren per 1. Januar
2007 vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden sei und von
der Abteilung V behandelt werde.
J.
Mit Eingabe vom 1. Mai 2007 (Postaufgabe) reichten die Beschwerde-
führer die Kopien von Deutsch-Diplomen, Arbeitszeugnissen und eines
Ausweises der Tochter zu den Akten.
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Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das Bun-
desamt für Migration (BFM) gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG
und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine
Ausnahme, was das Sachgebiet angeht, ist nicht gegeben (Art. 32
VGG). Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beur-
teilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet in diesem Be-
reich endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesge-
richtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die Beurtei-
lung erfolgt nach neuem Verfahrensrecht (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat bei gegebener Zuständigkeit
am 1. Januar 2007 die bei der ARK hängigen Rechtsmittel
übernommen. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für
die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde.
1.3 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
halts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
2.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht; die Beschwer-
deführer sind legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48, 50 und 52 VwVG).
Auf die Beschwerde ist mithin einzutreten.
3.
3.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen
grundsätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person aner-
kannt, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt
wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei-
ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen An-
schauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete
Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte
Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder
Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen
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Druck bewirken; den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung
zu tragen (Art. 3 AsylG).
3.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachwei-
sen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht,
wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrschein-
lichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen,
die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich wider-
sprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich
auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7
AsylG).
4.
4.1 In ihrer Rechtsmitteleingabe vom 14. August 2003 machen die Be-
schwerdeführer mit Bezug auf die Argumentation der Vorinstanz zur
Begründung der Unglaubhaftigkeit der Vorbringen Folgendes geltend:
4.1.1 Der Beschwerdeführer wisse selber nicht mit Sicherheit, wes-
halb er anlässlich der viel grösseren Demonstration in Kiew verhaftet
worden sei, nicht jedoch anlässlich derjenigen in D._______.
Möglicherweise sei dies deshalb so geschehen, weil er in Kiew als
Redner aufgetreten sei und die Miliz am Bahnhof gezielt Leute aus
D._______ angehalten habe. Die Kundgebung in D._______ habe
demgegenüber im Zusammenhang mit dem legalen, öffentlichen
Auftritt eines Abgeordneten stattgefunden; zudem habe sich der
Beschwerdeführer dort auch vorsichtiger verhalten.
4.1.2 Angesichts des von Korruption und mafiösen Machenschaften
durchdrungenen ukrainischen Justizsystems sei die Entlassung aus
der Untersuchungshaft trotz drohender zwölfjähriger Gefängnisstrafe
durchaus vorstellbar. Mit Bezug auf die behördlich beschlagnahmten
Dokumente bringt der Beschwerdeführer vor, er habe nie behauptet,
Pass und Führerschein seien zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung
auch zu Hause gewesen. Der Schluss des BFM sei falsch, die Miliz
habe diese Dokumente absichtlich nicht mitgenommen und habe wohl
kein echtes Verfolgungsinteresse. Tatsächlich sei der Pass bei seinen
Eltern und der Führerschein in deren Auto verblieben, das er regel-
mässig benutzt habe.
4.1.3 Auch die fehlenden Kenntnisse des Beschwerdeführers über die
Struktur seiner Partei seien kein Indiz gegen die Glaubhaftigkeit seiner
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politischen Aktivitäten. Wichtig sei ihm beim Parteibeitritt nicht die
Doktrin der Organisation gewesen, sondern namentlich die Möglich-
keit, seiner Empörung über das Zugrunderichten seines Geschäfts Luft
zu machen. Dass sich Parteikollegen nicht – beispielsweise mit der
Hilfe von Nichtregierungsorganisationen – für den inhaftierten Be-
schwerdeführer eingesetzt hätten, hänge damit zusammen, dass
solche Organisationen im Aufbau begriffen und wenig einflussreich
seien. Zudem sei der Festnahmeort unbekannt gewesen und dem
Beschwerdeführer bis zur Unterzeichnung des falschen Geständnisses
sei jeder Aussenkontakt verweigert worden.
4.1.4 Nach der Haftentlassung habe sich der Beschwerdeführer er-
neut politisch engagiert, weil er sich unbedingt gegen die von ihm für
eine Lüge gehaltene Ansicht eines Abgeordneten habe wehren wollen,
wonach eine Union mit Russland die Misere im Lande beheben würde.
4.1.5 Dass den drei Parteiführern und Kundgebungsorganisatoren im
Gegensatz zum Beschwerdeführer nichts geschehen sei, sei aus sei-
nen Aussagen nicht abzuleiten.
4.1.6 Schliesslich habe die Vorinstanz die vom Beschwerdeführer erlit-
tenen Folterungen und ihre Folgen bei der Beurteilung der Glaubhaf-
tigkeit ausser Acht gelassen (vgl. Beschwerde S. 5). Insbesondere bei
der kantonalen Anhörung, die ihn emotional sehr belastet habe, habe
er sehr detailliert und alles andere als stereotyp die unmenschliche
Behandlung durch Untersuchungsbehörden und Mithäftlinge geschil-
dert.
4.1.7 Zu seiner landesweiten Verfolgung (vgl. Beschwerde S. 5) sei zu
sagen, dass der Steckbrief in D._______ geschrieben worden sei und
bei Verschwinden einer gesuchten Person der Radius der Suche
stufenweise erweitert werde. Es sei nicht erstaunlich, dass am
provinziellen Grenzübergang zu Polen noch keine Meldung über die
Suche nach dem Beschwerdeführer eingegangen sei – zumal er nicht
als Schwerverbrecher gesucht worden sei – und er dort legal habe
ausreisen können.
4.1.8 Hinsichtlich der Beweismittel (vgl. Beschwerde S. 5 f.) wird gel-
tend gemacht, die eingereichten Fotografien seien entgegen der Auf-
fassung der Vorinstanz datiert und – wenn auch kein Beweis für die
geschilderte Verfolgung – jedenfalls ein Beleg für das politische Enga-
gement des Beschwerdeführers.
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4.1.9 Die fehlende Grundangabe auf der Vorladung der Beschwerde-
führerin spreche ebenfalls nicht gegen das Vorliegen einer asylrele-
vanten Verfolgung; die ukrainischen Justizbehörden müssten ihre
Handlungsweise gegenüber niemandem rechtfertigen.
4.2 Nach Prüfung der Akten, kommt das Bundesverwaltungsgericht
zum Schluss, dass die angefochtene Verfügung einer Überprüfung im
Ergebnis insgesamt standhält. Die Vorinstanz hat in ihrer Verfügung
nachvollziehbar und überzeugend aufgezeigt, weshalb die Vorbringen
des Beschwerdeführers als im Wesentlichen unglaubhaft zu qualifizie-
ren sind. Im Einzelnen ist zwecks Vermeidung unnötiger Wiederholun-
gen vorab auf die Erwägungen in der angefochtenen Verfügung zu ver-
weisen. Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift sind insgesamt
nicht geeignet, die Einschätzung der Vorinstanz zu entkräften.
4.2.1 Soweit in der Beschwerde ausgeführt wird, der Beschwerdefüh-
rer sei an der Grossdemonstration gegen den damaligen Staatspräsi-
denten Kutschma selber als Redner aufgetreten (vgl. Beschwerde S. 3
und 4), ist nach Durchsicht der Anhörungsprotokolle festzuhalten, dass
der Beschwerdeführer solches nie geltend gemacht hatte. Wäre dies
tatsächlich der Fall gewesen, hätte er es kaum versäumt, dieses für
die Begründung eines Asylgesuchs offensichtlich potenziell wichtige
Sachverhaltselement bei der Befragung zu erwähnen. Zwar ist denk-
bar, dass der Beschwerdeführer – wie Tausende anderer Personen –
bei jener Kundgebung anwesend war. Das Vorbringen, die Miliz habe
am Bahnhof von Kiew gezielt Personen aus D._______ angehalten
(vgl. Beschwerde S. 4), hinterlässt aber einen unrealistischen und
konstruierten Eindruck, zumal sich sowohl unzählige
Kundgebungsteilnehmer aus anderen Ortschaften als auch viele
andere Leute seinerzeit auf dem Bahnhof aufgehalten haben dürften,
so dass die angebliche Gruppe aus D._______ als solche kaum
aufgefallen sein dürfte.
4.2.2 Das Bundesverwaltungsgericht schliesst sich weiter namentlich
der Auffassung der Vorinstanz an, wonach das vom Beschwerdeführer
geschilderte Verhalten der Partei gegenüber dem angeblich inhaftier-
ten Genossen, dessen Informationsstand betreffend die Organisation
sowie auch die Freilassung unter den vom Beschwerdeführer
geschilderten Umständen unlogisch und lebensfremd erscheinen.
Dass dieser sein Heimatland ohne weiteres legal habe verlassen
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können, während er bereits mittels Steckbrief zur Fahndung
ausgeschrieben gewesen sei, ist offensichtlich nicht glaubhaft.
4.2.3 Die beim BFM eingereichten Fotografien erwecken einen wenig
authentischen Eindruck und weisen, wie von der Vorinstanz korrekt
festgestellt, keine Datierung auf. Mit Bezug auf die anderen einge-
reichten Dokumente ist festzuhalten, dass nach Kenntnis des Bundes-
verwaltungsgerichts Verfahrensdokumente aller Art im Heimatland der
Beschwerdeführer ohne Aufwand käuflich erworben werden können,
was deren Beweiswert grundsätzlich in Frage stellt. Die vorliegend
eingereichten Unterlagen vermögen eine tatsächlich bestandene
Verfolgungssituation umso weniger zu belegen, als es sich dabei
teilweise um nicht verifizierbare Fotokopien oder um ohne ersichtliche
Veranlassung angeblich lange Zeit nach der Ausreise der
Beschwerdeführer erstellte Schriftstücke handelt.
4.3 Hinzu kommt Folgendes:
4.3.1 Der Beschwerdeführer führt seine angebliche persönliche Verfol-
gungssituation auf Vorkommnisse zurück, welche sich zur Regierungs-
zeit des ukrainischen Präsidenten Kutschma – gegen den sich auch
die Kundgebung vom 9. März 2001 gerichtet habe, die nach Wissen
des Beschwerdeführers von Viktor Juschtchenko mitorganisiert worden
sei (vgl. kantonales Anhörungsprotokoll Beschwerdeführer S. 16) – er-
eignet haben sollen.
Im Zusammenhang mit den ukrainischen Präsidentschaftswahlen von
2004 mündeten die Ereignisse um die Stichwahl im November in die
so genannte Orangefarbene Revolution, einen mehrwöchigen friedli-
chen Protest gegen Wahlfälschungen, nachdem zunächst der von Prä-
sident Kutschma (der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidiert hat-
te) als Nachfolger vorgeschlagene Kandidat Viktor Janukowitsch zum
Wahlsieger erklärt worden war. Nach einem Beschluss des Obersten
Gerichts wurde die Stichwahl am 26. Dezember 2004 wiederholt. Am
10. Januar 2005 wurde der westlich orientierte Viktor Juschtchenko
zum neuen Präsidenten der Ukraine ernannt.
4.3.2 Nach Lehre und Praxis ist der Zeitpunkt des Asyl- beziehungs-
weise Beschwerdeentscheids massgebend für die Beurteilung einer
asylrelevanten Bedrohungssituation im Heimatland eines Asylsu-
chenden. Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise auf zwingende
Gründe im Sinne von Art. 1 C Ziff. 5 Abs. 2 des Abkommens vom
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28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK,
SR 0.142.30) aufgrund derer den Beschwerdeführern die Änderung
der politischen Verhältnisse im Heimatland nicht entgegengehalten
werden könnte (vgl. zum Ganzen auch Entscheidungen und Mit-
teilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1997
Nr. 14 S. 101 ff.).
Die angeblichen Befürchtungen des Beschwerdeführers vor zukünfti-
gen Verfolgungsmassnahmen wegen seines Engagements gehen den
früheren Präsidenten Kutschma würden sich schon aufgrund dieser
neuen politischen Situation im Heimatland nicht mehr als begründet
erweisen.
4.4 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen erübrigt es sich, auf die
weiteren Ausführungen in der Beschwerdeschrift einzugehen, weil sie
am Ergebnis nichts ändern können. Der rechtserhebliche Sachverhalt
ist genügend erstellt, eine zusätzliche Befragung des Beschwerde-
führers erweist sich als ebenso wenig erforderlich wie die beantragte
Rückweisung der Akten an die Vorinstanz.
Zusammenfassend folgt, dass den Vorbringen des Beschwerdefüh-
rers sowohl die Glaubhaftigkeit als auch die flüchtlingsrechtliche Re-
levanz abzusprechen ist. Das Gleiche muss hinsichtlich der Angaben
der Ehefrau gelten, welche sich vollumfänglich auf die vom Be-
schwerdeführer geltend gemachten Asylgründe abstützt. Die Vorins-
tanz hat das Asylgesuch demnach zu Recht abgelehnt.
5.
5.1 Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht
ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und
ordnet den Vollzug an; dabei ist der Grundsatz der Einheit der Familie
zu berücksichtigen (Art. 44 Abs. 1 AsylG). Ist der Vollzug der Wegwei-
sung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar, so regelt das
Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Be-
stimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern (Art. 44
Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember
2005 über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR 142.20]).
5.2 Der Vollzug ist nicht möglich, wenn die Ausländerin oder der Aus-
länder weder in den Herkunfts- oder in den Heimatstaat noch in einen
Drittstaat verbracht werden kann. Er ist nicht zulässig, wenn
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völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise in den
Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen. Der Vollzug
kann für Ausländerinnen oder Ausländer unzumutbar sein, wenn sie in
Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und
medizinischer Notlage im Heimat- oder Herkunftsstaat konkret
gefährdet sind (Art. 83 Abs. 2 - 4 AuG).
5.3 Die Beschwerdeführer verfügen weder über eine fremdenpolizeili-
che Aufenthaltsbewilligung noch einen Anspruch auf Erteilung einer
solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet
(Art. 44 Abs. 1 AsylG; vgl. EMARK 2001 Nr. 21).
5.4
5.4.1 Niemand darf in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land ge-
zwungen werden, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus
einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet sind oder in dem die
Gefahr besteht, dass er zur Ausreise in ein solches Land gezwungen
wird (Art. 5 Abs. 1 AsylG). Gemäss Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfas-
sung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV,
SR 101), Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Be-
handlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 der
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
vom 4. November 1950 (EMRK, SR 0.101) darf niemand der Folter
oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung un-
terworfen werden.
5.4.2 Die Vorinstanz wies in ihrer angefochtenen Verfügung zutreffend
darauf hin, dass der Grundsatz der Nichtrückschiebung nur Personen
schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen (vgl. MARIO GATTIKER,
Das Asyl- und Wegweisungsverfahren, Bern 1999, S. 89). Da es den
Beschwerdeführern nicht gelungen ist, eine asylrechtlich erhebliche
Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, kann das in
Art. 5 AsylG verankerte Prinzip des flüchtlingsrechtlichen Non-refoule-
ments im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden. Eine Rück-
kehr der Beschwerdeführer in ihren Heimatstaat ist demnach unter
dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
5.4.3 Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen der Beschwer-
deführer noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie für den
Fall einer Ausschaffung in ihren Heimatstaat dort mit beachtlicher
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Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbote-
nen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Gemäss Praxis des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie jener des UN-
Anti-Folterausschusses müssten die Beschwerdeführer eine konkrete
Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen, dass ihnen im
Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung dro-
hen würde (vgl. EMARK 2001 Nr. 16, S. 122, m.w.H.). Die allgemeine
Menschenrechtssituation in ihrem Heimatstaat lässt den Wegwei-
sungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt klarerweise nicht als unzulässig
erscheinen. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung so-
wohl im Sinne der asyl- als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen
zulässig.
5.5
5.5.1 Aus humanitären Gründen, nicht in Erfüllung völkerrechtlicher
Pflichten der Schweiz, wird auf den Vollzug der Wegweisung auch ver-
zichtet, wenn die Rückkehr in den Heimatstaat für den Betroffenen
eine konkrete Gefährdung darstellt. Eine solche Gefährdung kann an-
gesichts der im Heimatland herrschenden allgemeinen politischen
Lage, die sich durch Krieg, Bürgerkrieg oder durch eine Situation all-
gemeiner Gewalt kennzeichnet, oder aufgrund anderer Gefahrenmo-
mente, wie beispielsweise einer nicht zur Verfügung stehenden not-
wendigen medizinischen Behandlung, angenommen werden (vgl. Bot-
schaft zum Bundesbeschluss über das Asylverfahren vom 22. Ju-
ni 1990, BBl 1990 II 668).
5.5.2 Eine Situation, welche die Beschwerdeführer als "Gewalt- oder
De-facto-Flüchtlinge" qualifizieren würde, lässt sich aufgrund der heuti-
gen Situation in der Ukraine nicht bejahen. Nach dem oben Gesagten
ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nach einer
Rückkehr in ihr Heimatland relevanten Behelligungen ausgesetzt wä-
ren. Die Beschwerdeführer lebten und arbeiteten in der Stadt
D._______, wo sie zweifellos über ein soziales und berufliches
Beziehungsnetz verfügen. Ihre Angehörigen leben nach wie vor im
Heimatstaat. Angesichts ihrer beruflichen Ausbildung und Erfahrungen
wird es ihnen möglich sein, sich in der Ukraine wieder eine Existenz
aufzubauen.
Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung somit auch als
zumutbar zu bezeichnen.
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5.6
5.6.1 Die bisherigen Bestimmungen betreffend vorläufige Aufnahme
infolge einer schwerwiegenden persönlichen Notlage (Art. 44 Abs. 3-5
AsylG; Art. 14a Abs. 4bis ANAG) sind mit Änderung des Asylgesetzes
vom 16. Dezember 2005 aufgehoben worden. Per 1. Januar 2007 ist
eine neue Härtefallregelung in Kraft getreten, welche insbesondere
eine Verschiebung der Zuständigkeit zur Prüfung des Vorliegens einer
Notlage mit sich brachte: Gemäss Art. 14 Abs. 2 AsylG haben neu die
Aufenthaltskantone bei Personen aus dem Asylbereich die Möglichkeit,
bei Vorliegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalles
– unabhängig von der Hängigkeit des ordentlichen Asylverfahrens –
eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Der Kanton, der von der
Möglichkeit Gebrauch machen will, dem Ausländer mit Zustimmung
des BFM gestützt auf Art. 14 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsbewilligung
zu erteilen, hat dies dem BFM unverzüglich zu melden (Art. 14 Abs. 3
AsylG). Der betroffene Ausländer hat nur im Zustimmungsverfahren
Parteistellung (Art. 14 Abs. 4 AsylG). Gegen die Verweigerung der
Zustimmung durch das BFM kann beim Bundesverwaltungsgericht
Beschwerde erhoben werden.
5.6.2 Die Beschwerdeführer haben in ihren Eingaben auf ihre
überdurchschnittlich gute Integration hingewiesen und verschiedene
Unterlagen zum Beleg dieses Vorbringens zu den Akten gereicht. Das
Bundesverwaltungsgericht ist nach dem oben Gesagten nicht mehr
zuständig, das Vorliegen eines schwerwiegenden persönlichen
Härtefalles zu prüfen. Dem zuständigen Aufenthaltskanton werden
zusammen mit dem vorliegenden Urteil – zur gutscheinenden
Verwendung, nicht im Sinne einer formellen Überweisung – auch
Kopien der von den Beschwerdeführern unter diesem Titel
eingereichten Dokumente zur Kenntnis gebracht.
5.7 Schliesslich obliegt es den Beschwerdeführern, sich bei der zu-
ständigen Vertretung ihres Heimatstaates die für eine Rückkehr not-
wendigen Reisedokumente zu beschaffen (Art. 8 Abs. 4 AsylG), wes-
halb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu bezeichnen ist.
5.8 Insgesamt ist auch die durch die Vorinstanz verfügte Wegweisung
zu bestätigen. Die Vorinstanz hat deren Vollzug zu Recht als zulässig,
zumutbar und möglich erachtet. Nach dem Gesagten fällt eine Anord-
nung der vorläufigen Aufnahme ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4
AuG).
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6.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig
und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Be-
schwerde ist deshalb abzuweisen.
7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten von insgesamt
Fr. 600.-- den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
In ihrer Eingabe beantragten sie den Erlass des Kostenvorschusses
sowie die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1
VwVG. Mit diesem Entscheid in der Sache selbst ist erstgenannte Be-
gehren gegenstandslos geworden. Nachdem gemäss Akten nach wie
von der Bedürftigkeit der Beschwerdeführer auszugehen ist und die
Beschwerde zum Zeitpunkt ihrer Einreichung nicht als aussichtslos im
Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG qualifiziert werden musste, ist dem Ge-
such auf unentgeltliche Rechtspflege zu entsprechen und folglich auf
die Auferlegung von Verfahrenskosten zu verzichten.
(Dispositiv nächste Seite)
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E-6512/2006
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird
gutgeheisen. Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
3.
Dieses Urteil geht an:
- die Beschwerdeführer (Einschreiben)
- die Vorinstanz, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit
den Akten (Ref.-Nr. N_______)
- den F._______ ad _______ (Einschreiben; Beilagen: Ukrainische
Reisepässe _______ und _______; Kopien der Eingaben der
Beschwerdeführer vom 3. Januar 2006 und 27. April 2007 sowie der
darin zum Beleg des Vorliegens eines schwerwiegenden
persönlichen Härtefalls eingereichten Beweis-mittel [vgl. E. 5.6.2])
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Markus König Rudolf Bindschedler
Versand:
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