E-6472/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung, Verfügung des BFM vom 3. Apri...
Karar Dilini Çevir:
E-6472/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung, Verfügung des BFM vom 3. Apri...
Abtei lung V
E-6472/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 8 . J u n i 2 0 0 9
Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz),
Richter Thomas Wespi, Richter François Badoud,
Gerichtsschreiber Rudolf Raemy.
A._______,
Sri Lanka,
vertreten durch B._______
Beschwerdeführerin,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), vormals Bundesamt
für Flüchtlinge (BFF),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung, Verfügung des BFF vom
3. April 2003 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
Parteien
E-6472/2006
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführerin, eine srilankische Staatsangehörige tamili-
scher Ethnie mit letztem Wohnsitz vor der Ausreise in C._______, ver-
liess ihr Heimatland zusammen mit D._______ (E-6471/2006, N (...))
am 3. Februar 2001 und erreichte die Schweiz am 16. Februar 2001,
wo sich bereits E._______ aufhielt, welche ihrerseits im Jahre 1997 in
die Schweiz reiste und im Besitz einer Niederlassungsbewilligung ist.
Am Tag ihrer Einreise stellte die Beschwerdeführerin in der Schweiz
ein Asylgesuch.
B.
Am 20. Februar 2002 wurde die Beschwerdeführerin in der damaligen
Empfangsstelle F._______ zu ihren Asylgründen befragt. Am 14. März
2001 erfolgte die kantonale Anhörung.
C.
Mit Verfügung vom 3. April 2003 - eröffnet am folgenden Tag - lehnte
das BFF das Asylgesuch der Beschwerdeführerin ab und verfügte ihre
Wegweisung sowie deren Vollzug aus der Schweiz. Zur Begründung
führte es aus, die Vorbringen der Beschwerdeführerin genügten den
Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft nicht.
D.
Am 11. April 2003 gewährte das BFF dem vormaligen Rechtsvertreter
der Beschwerdeführerin auf dessen Gesuch vom 8. April 2003 Einsicht
in die Asylakten.
E.
Mit Eingabe vom 16. April 2003 orientierte der aktuelle Rechtsvertreter
der Beschwerdeführerin das BFF über die Mandatsübernahme und er-
suchte seinerseits um Zustellung der Verfahrensakten.
F.
Gemäss Aktennotiz des BFF vom 29. April 2003 orientierte der
Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin die Vorinstanz telefonisch da-
hingehend, dass auf sein Gesuch um Gewährung der Akteneinsicht
nicht einzugehen sei, zumal der vormalige Rechtsvertreter der Be-
schwerdeführerin die Akten an ihn weitergeleitet habe.
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G.
Mit Eingabe vom 5. Mai 2003 reichte die Beschwerdeführerin durch ih-
ren Rechtsvertreter bei der damals zuständigen Schweizerischen Asyl-
rekurskommission (ARK) Beschwerde gegen die Verfügung vom 3. Ap-
ril 2003 ein und beantragte vorab, es sei das vorliegende Verfahren mit
demjenigen ihrer Eltern zu koordinieren. Weiter beantragte sie die Auf-
hebung der Verfügung sowie die Rückweisung der Sache zur Feststel-
lung des vollständigen und richtigen rechtserheblichen Sachverhalts
und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. Eventualiter sei ihre Flücht-
lingseigenschaft festzustellen und es sei ihr Asyl zu gewähren. Sube-
ventualiter sei festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung unzu-
mutbar sei.
H.
Mit Zwischenverfügung vom 14. Mai 2003 forderte die ARK die Be-
schwerdeführerin zur Zahlung eines Kostenvorschusses von Fr. 600.--
auf, welcher von der Beschwerdeführerin am 28. Mai 2003 fristgerecht
geleistet wurde.
I.
In seiner Vernehmlassung vom 3. Juli 2003 hielt das BFF an seiner
Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
J.
Mit Stellungnahme vom 17. Juli 2003 hielt die Beschwerdeführerin un-
ter anderem mit Verweis auf eine Eingabe im Verfahren ihrer Eltern
vom 17. Juli 2003 an ihrer Beschwerde fest.
K.
Mit Eingaben vom 15. und 19. September 2006 liess die Beschwerde-
führerin durch ihren Rechtsvertreter darauf hinweisen, dass sie er-
werbstätig sei und keine Unterstützungsbeiträge mehr beziehe. Dazu
reichte sie eine Arbeitsbestätigung, ein Schreiben der Einwohnerge-
meinde sowie eine Kopie ihrer letzten Lohnabrechnung zu den Akten.
L.
Am 7. März 2008 ersuchte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf
ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts um die Durchfüh-
rung eines erneuten Schriftenwechsels.
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M.
Mit Verfügung vom 14. Mai 2008 hob die Vorinstanz ihre Verfügung
vom 3. April 2003 im Rahmen einer weiteren Vernehmlassung teilwei-
se auf und nahm die Beschwerdeführerin zufolge der Unzumutbarkeit
des Vollzugs der Wegweisung in der Schweiz vorläufig auf.
N.
Mit Eingabe vom 30. Mai 2008 hielt die Beschwerdeführerin auf Anfra-
ge des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 2008 an der Be-
schwerde im Asylpunkt fest.
O.
Auf Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2009
reichte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 6. März 2009
eine Honorarnote zu den Akten.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgeset-
zes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021). Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und
ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine Aus-
nahme, was das Sachgebiet angeht, ist nicht gegeben (Art. 32 VGG).
Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung
der vorliegenden Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich end-
gültig (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG,
SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht übernahm bei gegebener Zustän-
digkeit am 1. Januar 2007 die bei der vormaligen ARK hängigen
Rechtsmittel. Die Beurteilung erfolgt nach neuem Verfahrensrecht (vgl.
Art. 53 Abs. 2 VGG).
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1.3 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
halts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
2.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht; die Beschwer-
deführerin ist legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48, 50 und 52 VwVG).
Auf die Beschwerde ist somit - unter Vorbehalt nachfolgender Ein-
schränkung - einzutreten.
3.
Die Beschwerdeführerin wurde von der Vorinstanz mit Verfügung vom
14. Mai 2008 wiedererwägungsweise in der Schweiz vorläufig aufge-
nommen (vgl. dazu oben O). Die Beschwerde vom 5. Mai 2003 ist da-
her betreffend den Vollzug der Wegweisung gegenstandslos geworden
und als solche abzuschreiben.
4.
4.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen
grundsätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person aner-
kannt, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt
wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei-
ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen An-
schauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete
Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte
Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder
Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen
Druck bewirken; den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung
zu tragen (Art. 3 AsylG).
4.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachwei-
sen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht,
wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrschein-
lichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen,
die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich wider-
sprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich
auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7
AsylG).
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5.
5.1 Zur Begründung ihres Asylgesuches machte die Beschwerdefüh-
rerin im Wesentlichen geltend, sie habe in ihrem Heimatland von Sei-
ten der Armee, der Polizei, der LTTE und auch der singhalesischen
und muslimischen Bevölkerung immer wieder Probleme gehabt. Wie-
derholt sei sie festgenommen und für etwa einen Tag festgehalten wor-
den, weil sie verdächtigt worden sei, zur LTTE zu gehören beziehungs-
weise diese zu unterstützen. Erstmals sei sie im Jahre 1985, nach ei-
ner Razzia zu Hause zusammen mit ihrem Vater festgenommen und
nach einem Tag wieder freigelassen worden. Letzmals sei sie am
20. November 2000 festgenommen worden, nachdem ein Stromaggre-
gat bombardiert worden sei und man von ihr habe wissen wollen, ob
sie die in diesem Zusammenhang verhafteten LTTE-Mitglieder kenne
und ob sie Kontakt zu diesen habe.
Im Jahre 1987, als die indische Armee in Sri Lanka gewesen sei, habe
sie sich einen Monat lang verstecken müssen, weil ihr wegen ihrer ver-
muteten LTTE-Zugehörigkeit mit der Erschiessung gedroht worden sei.
Die "damalige Armee" habe ihnen zudem den Fernseher, das Auto,
das Motorrad und ihren Schmuck entwendet.
Von der LTTE sei sie ständig bedrängt und zu Unterstützungsleistun-
gen aufgefordert worden, was sie aber verweigert habe, weil die LTTE
im Jahre 1986 G._______ getötet habe. Wegen dieser Probleme sei es
zur Verzögerung bei ihren Abschlussprüfungen an der Schule ge-
kommen und sie habe ihr Studium erst 1992 aufnehmen können. Auf-
grund der ständigen Bedrängung durch die LTTE habe sie das Studi-
um in Jaffna indessen aufgegeben und habe 1994 an eine Universität
im singhalesischen Gebiet gewechselt.
Während ihres Studiums habe sie Probleme mit den singhalesischen
Mitstudenten und den Moslems gehabt, weil diese aufgrund ihrer Her-
kunft vermutet hätten, dass sie bei der LTTE aktiv sei. Junge Moslems
hätten unter anderem geplant, sie zu verschleppen. Nachdem im Jahre
1995 Bilder (...) in den Zeitungen gezeigt worden seien, sei sie von
singhalesischen Kollegen bis zum Kopf in eine Grube eingegraben
worden und es sei behauptet worden, G._______ sei bei einer Attacke
im Norden umgekommen.
Auch nach Abschluss ihres Studiums sei sie wiederholt von der Armee
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und der Polizei wegen vermuteter Zugehörigkeit zur LTTE festgenom-
men und verhört worden. Dabei seien auch ihre Fingerabdrücke ge-
nommen und Fotos gemacht worden. Zudem sei sie immer wieder Be-
lästigungen durch die LTTE ausgesetzt gewesen, welche sie der Spio-
nage verdächtigt habe.
An ihrem letzten Wohnort (C._______) habe sie lediglich eine zweiwö-
chige Aufenthaltserlaubnis gehabt, welche sie immer wieder durch die
Armee habe erneuern lassen müssen. Auf dem Weg dorthin sei sie
von der CID und der LTTE verhört worden, weil diese hätten wissen
wollen, weshalb sie immer wieder ins Armeecamp gehe und weshalb
sie nicht in Jaffna studiert habe. Von der LTTE sei ihr gedroht worden,
dass sie - wie G._______ - erschossen werde, wenn Beweise
gefunden würden, dass sie die Armee unterstütze. Wegen dieser
ständigen, beidseitigen Belästigungen habe sie sich zur Ausreise
entschlossen und habe sich ein Visum für Italien besorgt. Im
November 1999 hätten die Tigers allen Bewohnern befohlen,
C._______ zu verlassen. Die Polizei habe die Beschwerdeführerin
aber nicht gehen lassen, so dass das Visum verfallen sei. Immer wenn
danach etwas passiert sei, sei sie von der Polizei zu Hause, aber auch
unterwegs festgenommen und befragt worden. Zudem sei sie von
unbekannter Seite auch telefonisch und per Brief bedroht worden.
Unter diesen Umständen habe sie in ihrem Heimatland keine Ruhe
mehr gehabt und sei schliesslich ausgereist.
5.2 Zur Begründung der das Asylgesuch ablehnenden Verfügung führ-
te das BFF aus, die von der Beschwerdeführerin bis zum Jahre 1998
geltend gemachten Benachteiligungen und Übergriffe durch die Ar-
mee, die tamilischen Organisationen, die singhalesischen Mitstuden-
ten und die Moslems lägen im Zeitpunkt ihrer Ausreise zu weit zurück,
um asylrechtlich relevant zu sein. Aus den Akten seien denn auch kei-
ne Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin diesbezüg-
lich noch mit Verfolgungsmassnahmen zu rechnen hätte.
Die Übergriffe der LTTE stellten asylrechtlich nicht relevante Übergriffe
Dritter dar, zumal den srilankischen Behörden eine ausgebliebene
Schutzgewährung nicht vorgeworfen werden könne. Wegen der bür-
gerkriegsähnlichen Zustände im Norden Sri Lankas sei es ihnen nicht
möglich gewesen, jeden denkbaren Übergriff Dritter präventiv zu ver-
hindern. Der Beschwerdeführerin wäre es zudem zuzumuten gewesen,
sich diesen Benachteiligungen - wie auch jenen anderer tamilischer
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Organisationen - durch einen Wegzug in einen anderen Teil ihres Hei-
matstaates ausserhalb des von diesen kontrollierten Gebiets zu ent-
ziehen oder bei Übergriffen die lokalen Behörden um Schutz zu ersu-
chen.
Die angebliche Verpflichtung zur periodischen Erneuerung der Aufent-
haltsbewilligung, die regelmässigen kurzen Festnahmen mit Befragun-
gen sowie die gelegentlichen Schläge und kleineren Übergriffe seien
in ihrer Art und Weise zu wenig intensiv, um asylrechtliche Relevanz
entfalten zu können. Es sei davon auszugehen, dass diese Massnah-
men Routinekontrollen der Behörden in einer vom Krieg geplagten Re-
gion darstellten. Festzustellen sei, dass die Beschwerdeführerin immer
wieder freigelassen und nicht anderweitig durch die Behörden beläs-
tigt worden sei. Die Schläge und kleineren Übergriffe müssten als
Überschreitung der Machtbefugnisse eines einzelnen Beamten gese-
hen werden, welche auf Anzeige hin in Sri Lanka durch den Staat
auch geahndet würden. Die Weigerung der Behörden, die Beschwer-
deführerin im Jahre 1999 aus C._______ weggehen zu lassen, müsse
als Kontrollmassnahme in einem Kriegsgebiet gesehen werden. Dieser
Weigerung fehle es zudem an Intensität, um als asylrelevante Verfol-
gung gelten zu können.
Die von der Beschwerdeführerin erwähnten persönlichen Nachteile,
die sich aus Kriegsereignissen in einem Land ergeben würden, könn-
ten nicht als Verweigerung staatlichen Schutzes gelten, da der Staat in
derartigen Situationen nicht schutzfähig sei und somit seine Schutz-
pflicht nicht ausüben könne.
Angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin immer wieder
freigelassen worden sei, sich politisch nicht exponiert habe und eine
innerstaatliche Wohnsitzalternative bestehe, sei ihre Furcht vor weiter-
gehenden asylrechtlich relevanten Verfolgungsmassnahmen nicht ob-
jektiv begründet. Weiter müsse der neueren positiven Entwicklung in
Sri Lanka seit dem Waffenstillstandsabkommen Rechnung getragen
werden.
5.3 In ihrer Beschwerde rügt die Beschwerdeführerin, dass die Vorins-
tanz den rechtserheblichen Sachverhalt nicht vollständig und nicht
richtig abgeklärt habe und verweist dazu auf eine Diskrepanz zwi-
schen ihren im kantonalen Anhörungsprotokoll festgehalten Aussagen
und den Erwägungen der Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung.
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Aus dieser werde ersichtlich, dass die Vorinstanz nicht erkannt habe,
dass die erlittenen Nachteile bezüglich ihrer Kausalität, der Dauer, der
Intensität und des künftigen Bedrohungspotenzials weit über das hin-
ausgehen würden, was weite Teile der Bevölkerung in Sri Lanka in die-
sem Bürgerkrieg hätten ertragen müssen. Mit ihrer Begründung erbrin-
ge die Vorinstanz den Beweis, dass sie dies trotz des Vorliegens von
klaren Hinweisen nicht erkannt habe. Ihre Situation könne sodann nur
vor dem Hintergrund der Situation ihrer Eltern verstanden werden. Mit
Verweis auf die Ausführungen in der Rekurseingabe ihrer Eltern macht
die Beschwerdeführerin dazu geltend, dass gerade der Umstand, dass
sie "aus (...)" stamme, von grosser Bedeutung sei. So habe die LTTE
den Krieg zum Anlass genommen, um (...) zu entmachten und das
damit verbundene Kastensystem zu verändern. Ihr Vater sei (...) und
ihre Mutter (...) gewesen. Dass sie nicht nur ihren gesamten Besitz,
sondern auch ihre gesellschaftliche Stellung verloren hätten, sei nicht
ein zufälliges Ergebnis des Krieges, sondern gerade von Seiten der
LTTE gewollt gewesen, um sich auch künftig die Macht im tamilischen
Teil Sri Lankas zu sichern. Von Seiten der LTTE bestehe weiterhin ein
starkes Motiv, die Beschwerdeführerin und ihre Eltern von Einfluss und
Macht fern zu halten. Der (...) der Tamilen werde aber auch von Seiten
der Sicherheitskräfte mit viel Misstrauen begegnet, da nicht klar sei, in
welchem Umfang diese Kreise die Politik der LTTE unterstützen und
finanzieren würden. Zwar seien diese das Bindeglied zwischen der
Regierung und der tamilischen Bevölkerung und müssten deshalb
erhalten und gestützt werden. Dagegen werde ihnen aber klar
gemacht, dass ihre Entscheidungsfreiheit begrenzt sei, weshalb sie
gezielt drangsaliert würden. Zu beachten sei sodann, dass sich die
Beschwerdeführerin durch ihren Werdegang dem Spannungsfeld
zwischen Armee und LTTE ausgesetzt habe, obwohl es angesichts der
Situation in Sri Lanka einfacher und sicherer gewesen wäre, ein
zurückgezogenes Leben bei den Eltern zu führen oder sich durch eine
Heirat einen Ausweg aus dieser Situation zu suchen. Die nicht
aufhörende Reihe von Übergriffen und Benachteiligungen habe von
der Vorinstanz vor diesem Hintergrund verstanden werden müssen.
Ohne die Kenntnisse dieser Hintergründe könne der rechtserbliche
Sachverhalt weder richtig noch vollständig abgeklärt werden. Die
Vorinstanz hätte die Pflicht gehabt, eine weitere Anhörung der
Beschwerdeführerin durchzuführen und die Sache der
schweizerischen Vertretung in Sri Lanka zur Stellungnahme zu unter-
breiten. Die Vorinstanz sei aufgrund der bestehenden Akten nicht im
Stande gewesen, die Relevanz und Bedeutung des Falles zu erkennen
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und dementsprechend seien weitere Sachverhaltsabklärungen anzu-
ordnen. Sofern die Sache nicht an die Vorinstanz zurückgewiesen wer-
de, sei sie der Schweizerischen Vertretung in Sri Lanka zur Stellung-
nahme - insbesondere zur Erstellung eines Gefährdungsprofils der Be-
schwerdeführerin - zu unterbreiten.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei sodann ein genügend enger
Kausalzusammenhang zwischen der Verfolgung vor dem Jahre 1998
und der Ausreise der Beschwerdeführerin gegeben; die Vorinstanz
habe den Gesamtzusammenhang verkannt. Die gesamte Entwicklung,
die Reihe der Benachteiligungen und die in der Vergangenheit erkenn-
baren Muster der Verfolgung seien vor dem Hintergrund des Bürger-
kriegs in Sri Lanka auch für die Zukunft relevant. Mit ihren Ausführun-
gen zur asylrechtlichen Unbeachtlichkeit von Übergriffen Dritter blende
die Vorinstanz die konkrete Realität aus. Gerade das Spannungsfeld
zwischen der LTTE und der srilankischen Regierung sei es gewesen,
welches die nicht mehr tragbare Situation für die Beschwerdeführerin
geschaffen habe.
Besonders stossend seien sodann die Ausführungen der Vorinstanz
zur Intensität der Benachteiligungen, welchen die Beschwerdeführerin
ausgesetzt gewesen sei. Deren Systematik und Intensität seien au-
sserordentlich gewesen und es sei offensichtlich, dass unter solchen
Umständen ein menschenwürdiges Leben verunmöglicht worden sei.
Vorliegend dürften die einzelnen Massnahmen denn auch nicht isoliert
betrachtet werden, sondern es sei deren Summe zu berücksichtigen.
Bei einer Rückkehr müsse die Beschwerdeführerin damit rechnen,
dass die Schikanen und Druckversuche von allen möglichen Seiten mit
der gleichen Systematik und Intensität weitergehen würden und dass
ihr ein menschenwürdiges Leben dort verunmöglicht werde. Eine in-
nerstaatliche Fluchtalternative existiere nicht, was bereits durch ihre
im singhalesischen Teil Sri Lankas erlittenen Nachteile deutlich doku-
mentiert werde.
5.4 In ihrer Vernehmlassung vom 3. Juli 2003 führte die Vorinstanz
aus, es werde nicht in Abrede gestellt, dass die Beschwerdeführerin
als (...) Probleme mit Angehörigen der LTTE gehabt habe. Diesem
Druck hätte sie sich indessen durch einen Wegzug in einen anderen
Teil von Sri Lanka entziehen können. Weit hergeholt sei das
Vorbringen, wonach es die LTTE vor allem auf die (...) der Tamilen
abgesehen habe und diese in erhöhtem Mass drangsaliere. Natürlich
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werde versucht, einerseits qualifizierte Tamilen auf ihre Seite zu
ziehen und andererseits von besser gestellten Tamilen vermehrt Geld
zu erpressen. Dabei handle es sich aber in keiner Weise um eine
ideologisch begründete Strategie und dieses Vorgehen stelle auch
keine Kollektivgefährdung dar. Die LTTE übe im Norden Sri Lankas
allgemein einen grossen Druck auf die tamilische Bevölkerung zum
Beitritt und zur Unterstützung aus und zwar unbesehen ihrer Aus-
bildung.
5.5 Mit Verfügung vom 14. Mai 2008 wurde die Beschwerdeführerin im
Rahmen eines weiteren Schriftenwechsels von der Vorinstanz in der
Schweiz vorläufig aufgenommen, zumal der Vollzug der Wegweisung
als unzumutbar erachtet wurde.
5.6 In ihrer weiteren Eingaben vom 30. Mai 2008 wies die Beschwer-
deführerin unter anderem darauf hin, dass sich zur Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts weiterhin eine ergänzende Anhörung
zu ihren Asylgründen aufdränge. Aufgrund der stark veränderten Lage
im Heimatland habe ihre Bedrohung sodann zugenommen. Dazu ver-
wies sie auf ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
14. Februar 2008, dessen Erwägungen, insbesondere diejenigen im
Zusammenhang mit der Frage einer innerstaatlichen Aufenthaltsalter-
native, Eingang in die Beurteilung ihres Falles finden müssten. Zu be-
rücksichtigen sei sodann auch die zwischenzeitlich erfolgte Praxisän-
derung betreffend "Asylrelevanz von Drittverfolgung". Durch die jüngs-
te Zuspitzung im Bürgerkrieg in Sri Lanka sei die Beschwerdeführerin,
welche von beiden Konfliktparteien unter Druck gesetzt werde, noch
mehr gefährdet und sie würde nach einer Rückkehr erst recht ins Vi-
sier sämtlicher Konfliktparteien geraten.
6.
6.1 Vorab ist die Rüge der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung zu
prüfen, zumal ein allenfalls ungenügend abgeklärter Sachverhalt eine
materielle Behandlung verunmöglichen würde.
6.2 Der Untersuchungsgrundsatz gehört zu den allgemeinen Grund-
sätzen des Verwaltungs- und mithin des Asylverfahrens (vgl. Art. 12
VwVG i.V.m. Art. 6 AsylG, zur Bedeutung des Untersuchungsgrundsat-
zes allgemein vgl. ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemei-
nes Verwaltungsrecht, 5. Auflage, Zürich 2006, Rz. 1623 ff.). Demnach
hat die Behörde von Amtes wegen für die richtige und vollständige Ab-
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klärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Sie muss die
für das Verfahren notwendigen Sachverhaltsunterlagen beschaffen und
die rechtlich relevanten Umstände abklären sowie ordnungsgemäss
darüber Beweis führen. Dieser Grundsatz gilt indes nicht uneinge-
schränkt, er findet sein Korrelat in der Mitwirkungspflicht des Asylsu-
chenden (vgl. Art. 13 VwVG und Art. 8 AsylG). Trotz Untersuchungs-
grundsatz kann sich nämlich die entscheidende Behörde in der Regel
darauf beschränken, die Vorbringen des Gesuchstellers zu würdigen
und die von ihm angebotenen Beweise abzunehmen, ohne weitere Ab-
klärungen vornehmen zu müssen. Eine ergänzende Untersuchung
kann sich jedoch aufdrängen, wenn auf Grund dieser Vorbringen und
Beweismittel berechtigte Zweifel oder Unsicherheiten bestehen, die
voraussichtlich nur mit Ermittlungen von Amtes wegen beseitigt wer-
den können (vgl. dazu die weiterhin zutreffende Praxis der ARK in Ent-
scheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskom-
mission [EMARK] 1995 Nr. 23 E. 5a S. 222).
6.3 Aufgrund einer eingehenden Prüfung der vorliegenden Akten und
insbesondere der angefochtenen Verfügung ergeben sich für das Bun-
desverwaltungsgericht keine Hinweise dafür, dass die Vorinstanz bei
ihrer Entscheidfindung von einem unvollständigen oder unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist. Weder die vorgebrachten Einwände
noch die Akten lassen darauf schliessen, dass die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung eine rechtswesentliche Tatsache trotz ihrer
Erheblichkeit nicht zum Gegenstand des Beweisverfahrens gemacht
oder nicht alle für den Entscheid rechtserheblichen Tatsachen berück-
sichtigt hätte. Aus den detaillierten Anhörungsprotokollen geht hervor,
dass der Beschwerdeführerin ausführlich Gelegenheit gegeben wurde,
sich sowohl zu ihren Asylgründen als auch zu ihrer beruflichen und ge-
sellschaftlichen Situation im Heimatland zu äussern, was von ihr denn
auch nicht bestritten wird. Festzuhalten ist sodann, dass die Vorins-
tanz den von der Beschwerdeführerin dargelegten Sachverhalt in tat-
sächlicher Hinsicht nicht bestritten hat (vgl. dazu insbesondere auch
die Vernehmlassung vom 3. Juli 2003). Für das Bundesverwaltungsge-
richt besteht - wie im Verfahren ihrer Eltern - angesichts der im We-
sentlichen widerspruchsfreien und substanziierten Sachverhaltsdar-
stellung der Beschwerdeführerin ebenfalls kein Anlass, die Glaubhaf-
tigkeit ihrer Asylvorbringen anzuzweifeln. Schliesslich wurde die Be-
schwerdeführerin bei allen Anhörungen gefragt, ob sie alles habe sa-
gen können, was für sie wichtig sei. Diese Frage hat sie jedes Mal be-
jaht, weshalb die Rüge der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
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beziehungsweise der unrichtigen und unvollständigen Sachverhaltsab-
klärung nicht gehört werden kann.
Im Weiteren geht die Vorinstanz in ihren Erwägungen sodann sowohl
auf die von der Beschwerdeführerin seitens der tamilischen Organisa-
tionen als auch jenen durch die staatlichen Sicherheitskräfte erlittenen
Nachteile ein. Von einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes im
Rahmen einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhaltes kann demnach nicht ausgegangen
werden. So gilt ein Sachverhalt erst dann als unvollständig festgestellt,
wenn in der Begründung des Entscheides ein rechtswesentlicher Sa-
chumstand übergangen, bzw. überhaupt nicht beachtet wird (vgl. FRITZ
GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 286). Die
Vorinstanz ist ferner nach Würdigung der Parteivorbringen offensicht-
lich zu einem anderen Schluss als die Beschwerdeführerin gekommen,
was indessen keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes dar-
stellt.
6.4 Der Antrag auf Aufhebung der angefochtenen Verfügung und
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu weiteren Abklärungen
sowie zur Neubeurteilung wird daher abgewiesen. Nach dem Gesag-
ten besteht zudem - auch in Berücksichtigung der seit der Ausreise
der Beschwerdeführerin sowohl in Bezug auf die Situation im Heimat-
land als auch in rechtlicher Hinsicht eingetretenen Änderungen (vgl.
dazu nachfolgend E. 7) - kein Grund für weitere Sachverhaltsabklärun-
gen (insbesondere eine Botschaftsanfrage) durch das Bundesverwal-
tungsgericht. Bloss der Vollständigkeit halber kann schliesslich festge-
halten werden, dass die Behörde denn auch nicht verpflichtet ist, alles
und jedes, was wünschbar erscheint, von Amtes wegen abzuklären.
7. Die Beschwerdeführerin rügt sodann, es sei ihr zu Unrecht kein
Asyl erteilt worden.
7.1 Nach Lehre und Rechtsprechung erfüllt eine asylsuchende Person
die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG, wenn sie Nach-
teile von bestimmter Intensität erlitten hat beziehungsweise solche mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft berechtig-
terweise befürchten muss, welche ihr gezielt und aufgrund bestimmter,
in Art. 3 Abs. 1 AsylG aufgezählter Verfolgungsmotive zugefügt worden
sind beziehungsweise zugefügt zu werden drohen. Die erlittene Verfol-
gung beziehungsweise die begründete Furcht vor künftiger Verfolgung
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muss zudem anlässlich der Ausreise aus dem Heimat- oder Herkunfts-
staat, grundsätzlich aber auch im Zeitpunkt des Asylentscheids noch
aktuell sein, und es darf dem Asylsuchenden nicht möglich sein, in ei-
nem anderen Teil seines Heimat- oder Herkunftsstaates Schutz vor
Verfolgung zu finden.
7.2 Gemäss ständiger Praxis setzt der Flüchtlingsbegriff voraus, dass
zwischen Verfolgung und Flucht in zeitlicher und sachlicher Hinsicht
ein genügend enger Kausalzusammenhang besteht. Mit anderen Wor-
ten wird ein fehlender zeitlicher Zusammenhang angenommen, wenn
die Vorverfolgung nicht mehr als unmittelbarer Anlass zur Ausreise an-
gesehen werden kann. Kausalität zwischen Vorverfolgung und Flucht
wird in diesem Sinne verneint, wenn die Verfolgung im Zeitpunkt der
Ausreise schon einige Jahre zurückliegt beziehungsweise wenn die
Heimat erst beachtliche Zeit nach dem Abschluss der Verfolgung ver-
lassen wurde und nicht plausibel dargetan werden kann, was die Ab-
reise erschwert oder verzögert hat. Ferner gilt in der Praxis der zeitli-
che Zusammenhang als zerrissen, wenn - je nach Einzelfall - länger
als sechs bis zwölf Monate mit der Flucht zugewartet wurde (vgl.
WALTER KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a. M.
1990, S. 127 f.). Gemäss Rechtsprechung hat diese zeitliche Regel-
vermutung aber nicht absolute Geltung (vgl. EMARK 1996 Nr. 25 und
1998 Nr. 20).
7.3 Wie die Vorinstanz in ihrer Verfügung vom 3. April 2003 zutreffend
festgehalten hat, liegen die von der Beschwerdeführerin bis in das
Jahre 1998 datierenden Vorbringen im Zeitpunkt ihrer Ausreise im
Februar 2001 zu weit zurück, um asylrelevant zu sein. Hinsichtlich feh-
lender asylrechtlicher Relevanz ergibt sich aus den Akten ausserdem,
dass sie im Jahre 1997 zusammen mit ihren Eltern legal, mit eigenem
Reisepass und mit entsprechendem Visum an die Hochzeit ihrer - heu-
te in der Schweiz lebenden - Schwester nach Singapur gereist und da-
nach legal und freiwillig in das Heimatland zurückgekehrt ist, so dass
daraus ohne weiteres geschlossen werden kann, dass die zuvor ein-
getretenen Ereignisse nicht (mehr) als unmittelbar für die Ausreise
massgeblich betrachtet werden können. Durch die Ausstellung ihres
Reisepasses, den sie im Jahre 1996 in Colombo selber beantragt hat,
den Erhalt des Visums sowie der offenbar problemlosen, kontrollierten
Aus- und der freiwilligen Wiedereinreise im Jahre 1997 bestätigt sich
sodann, dass seitens der staatlichen Behörden zum damaligen Zeit-
punkt nichts gegen die Beschwerdeführerin vorlag.
Seite 14
E-6472/2006
7.4 In Bezug auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten,
von der Vorinstanz ebenfalls nicht bestrittenen, behördlichen, insbe-
sondere polizeilichen Benachteiligungen, teilt das Bundesverwaltungs-
gericht die Ansicht der Vorinstanz, wonach diesen aufgrund der man-
gelnden Intensität die Asylrelevanz abzusprechen ist. Die Verpflich-
tung, die Aufenthaltsbewilligung in C._______ alle zwei Wochen zu
verlängern, die wiederholten Anhaltungen, Befragungen und mit
gelegentlichen Schlägen und kleineren Übergriffen verbundenen
kurzen Festnahmen der Beschwerdeführerin wie auch die
Verweigerung der Ausreise im Jahre 1999 durch die srilankischen
Behörden sind in ihrer Art und Weise zu wenig intensiv, um als
ernsthafte Nachteile im Sinne von Art. 3 Abs. 2 AsylG gelten zu
können. So ist festzustellen, dass die Beschwerdeführerin zwar
regelmässig zum Polizeiposten gehen musste, von dort aber - wie sie
selber geltend machte - immer wieder freigelassen worden sei, ohne
dass weitergehende Massnahmen oder gar ein Verfahren gegen sie
eingeleitet worden wären. Die Beschwerdeführerin war denn auch
weder Mitglied der LTTE noch in exponierter Stellung für die LTTE
tätig, weshalb ein gezieltes Verfolgungsinteresse der srilankischen
Behörden an ihr auch aus diesem Grund nicht als wahrscheinlich
erachtet werden kann. Dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer
Ausreise seitens der staatlichen Behörden offensichtlich nichts zu
befürchten hatte, ergibt sich sodann aus dem Umstand, dass sie ihren
Heimatstaat legal, mit eigenem Reisepass und mit gültigem Visum
versehen über den notorisch gut kontrollierten Flughafen von Colombo
verlassen konnte.
7.5
7.5.1 Die angefochtene Verfügung datiert vom 3. April 2003. In Über-
einstimmung mit der Beschwerdeführerin ist festzustellen, dass zu die-
sem Zeitpunkt bei nichtstaatlicher Verfolgung die Praxis der Zurechen-
barkeitstheorie galt. Mit ihrem in EMARK 2006 Nr. 18 publizierten
Grundsatzurteil vom 8. Juni 2006 vollzog die ARK als Vorgängerorga-
nisation des Bundesverwaltungsgerichts den Wechsel von der Zure-
chenbarkeits- zur Schutztheorie, gemäss welcher auch private Verfol-
gung im schutzunfähigen Staat flüchtlingsrechtlich relevant sein kann.
Gestützt auf die Schutztheorie ist die Flüchtlingseigenschaft von Asyl-
suchenden, welche im Herkunftsland - unter asylrechtlich im Übrigen
relevanten Umständen - von nichtstaatlicher Verfolgung bedroht sind,
zu verneinen, wenn in diesem Staat Schutz vor nichtstaatlicher Verfol-
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E-6472/2006
gung gewährt werden kann (vgl. EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.2 und
E. 10.3 S. 202 f.)
7.5.2 Bei der Beurteilung, welche Art beziehungsweise welcher Grad
von Schutz im Heimatland als "genügend" zu qualifizieren ist, kann ge-
mäss dem vorgenannten Grundsatzentscheid vollumfänglich auf die
bisherige Rechtsprechung abgestellt werden. Zunächst ist nicht eine
faktische Garantie des Schutzgewährers für langfristigen individuellen
Schutz des von nichtstaatlicher Verfolgung Bedrohten zu verlangen:
Keinem Staat gelingt es, die absolute Sicherheit aller seiner Bürger je-
derzeit und überall zu garantieren. Erforderlich ist vielmehr, dass eine
funktionierende und effiziente Schutz-Infrastruktur zur Verfügung steht,
wobei in erster Linie an polizeiliche Aufgaben wahrnehmende Organe
sowie an ein Rechts- und Justizsystem zu denken ist, das eine effekti-
ve Strafverfolgung ermöglicht. Die Inanspruchnahme eines solchen in-
nerstaatlichen Schutzsystems muss dem Betroffenen einerseits objek-
tiv zugänglich sein (unabhängig von persönlichen Merkmalen wie Ge-
schlecht oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Min-
derheit); andererseits muss sie für den Schutzbedürftigen auch indivi-
duell zumutbar sein, was beispielsweise dann zu verneinen ist, wenn
der Betroffene sich mit einer Strafanzeige der konkreten Gefahr weite-
rer (oder anderer) Verfolgungsmassnahmen aussetzen würde. Auch
über diese Zumutbarkeitsfrage ist im Rahmen der individuellen Einzel-
fallprüfung unter Berücksichtigung des länderspezifischen Kontexts zu
entscheiden. Analog der Einwendung einer sicheren innerstaatlichen
Fluchtalternative obliegt es der entscheidenden Behörde, die Effektivi-
tät des Schutzes vor nichtstaatlicher Verfolgung im Heimatland abzu-
klären und zu begründen (EMARK 2006 Nr. 18 E. 10.3.1 und 10.3.2
S. 203).
7.5.3 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Grundsatzentscheid
BVGE 2008 Nr. 2 aus dem Jahre 2008 betreffend Zumutbarkeit des
Wegweisungsvollzugs für Tamilen aus Sri Lanka einlässlich mit der
Lage in Sri Lanka befasst. Es kam dabei zum Schluss, dass sich seit
Januar 2006 die Sicherheitslage kontinuierlich verschlechtert habe.
Viele der wieder vermehrt vorkommenden Entführungen liessen sich
innertamilischen Auseinandersetzungen zuordnen; mit der Abspaltung
der Karuna-Fraktion sei ein neuer Konfliktpunkt entstanden. Die LTTE
seien dafür bekannt, dass sie gegen Widersacher und Abtrünnige in-
ner- und ausserhalb ihres Herrschaftsgebietes mit blutiger Härte vor-
gehen würden. Die Entführungen würden seitens der Sicherheitskräfte
Seite 16
E-6472/2006
oft passiv geduldet. Auffallend sei in diesem Zusammenhang vor allem
die Untätigkeit der Behörden bei der Aufklärung von Verbrechen. Einen
polizeilichen Schutz vor diesen Entführungen gebe es nicht, und die
entsprechenden Taten würden so gut wie nie aufgeklärt. Das UNHCR
spreche von einem Unvermögen der staatlichen Behörden, Personen
Schutz vor zielgerichteter Gewalt und Menschenrechtsverletzungen
durch die LTTE zu bieten. So sei die Regierung selbst in Colombo
nicht in der Lage und nicht willens, die dort lebenden Tamilen, welche
der Opposition gegen die LTTE verdächtigt würden oder bei diesen gar
als Informanten der Regierung gälten, vor der Ermordung durch die
LTTE zu schützen.
7.5.4 Nach dieser - im letzten Jahr beschlossenen - Praxis des Bun-
desverwaltungsgerichts konnte zwar nicht in jedem Fall von einer ef-
fektiven Schutzgewährung der staatlichen Behörden bei einer Verfol-
gung durch die LTTE ausgegangen werden, was bei der Beurteilung
des Verfahrens der Beschwerdeführerin indessen nicht ins Gewicht zu
fallen vermag. So musste sich die Beschwerdeführerin weder im Zeit-
punkt ihrer Ausreise im Februar 2001 in begründeter Weise vor asylre-
levanter Verfolgung seitens der LTTE fürchten, noch sind genügend
konkrete Anhaltspunkte dafür zu erkennen, sie hätte im Falle einer
Rückkehr mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, in ab-
sehbarer Zukunft seitens der LTTE Verfolgungsmassnahmen im Sinne
von Art. 3 AsylG ausgesetzt zu werden. So ist insbesondere festzu-
stellen, dass sie weder als der Opposition gegen die LTTE verdächtigt
wird noch bei dieser als Informantin der Regierung gilt (vgl. dazu
BVGE 2008/2 S. 19 oben). Bloss der Vollständigkeit halber kann
schliesslich darauf hingewiesen werden, dass die geltend gemachten
Behelligungen durch die LTTE am Herkunftsort der Beschwerdeführe-
rin offensichtlich ausschliesslich lokalen Charakter aufwiesen, so dass
sich die Beschwerdeführerin diesbezüglich auch das Bestehen einer
innerstaatlichen Ausweichmöglichkeit entgegenhalten lassen müsste.
Die Frage, ob die Ergreifung dieser Alternative zugemutet werden
kann, ist - beziehungsweise wäre - sodann allein unter dem Aspekt der
Wegweisungshindernisse zu prüfen, welcher indessen nicht mehr Ge-
genstand des vorliegenden Verfahrens bildet (vgl. oben E. 3 sowie un-
ten E. 9.2). Fraglich erscheint schliesslich, ob die LTTE als solche
nach den jüngsten Ereignissen im Heimatland der Beschwerdeführerin
überhaupt noch als Urheberin von Verfolgungsmassnahmen im Sinne
von Art. 3 AsylG betrachtet werden kann. Vor dem Hintergrund obiger
Erwägungen kann diese Frage indessen offen gelassen werden.
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E-6472/2006
7.5.5 Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Beschwerde-
führerin keine Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG glaubhaft darzutun
oder nachzuweisen vermochte. Sie kann nicht als Flüchtling anerkannt
werden. Die Vorinstanz hat ihr Asylgesuch demnach auch unter Be-
rücksichtigung der aktuell veränderten Umstände im Heimatland zu
Recht abgelehnt. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die weite-
ren Vorbringen in der Beschwerdeschrift betreffend den Asylpunkt und
die als Beweismittel eingereichten Dokumente näher einzugehen, zu-
mal diese insgesamt nicht zu einem anderen Entscheid zu führen ver-
mögen.
8.
8.1 Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht
ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und
ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Ein-
heit der Familie (Art. 44 Abs. 1 AsylG).
8.2 Die Beschwerdeführerin verfügt weder über eine ausländerrechtli-
che Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung ei-
ner solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet
(Art. 44 Abs. 1 AsylG; EMARK 2001 Nr. 21).
9.
9.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar
oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsver-
hältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Auf-
nahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bun-
desgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und
Ausländer [AuG, SR 142.20]).
9.2 Das BFM nahm die Beschwerdeführerin mit Verfügung vom
14. Mai 2008 in der Schweiz vorläufig auf. Damit ist die Beschwerde im
Vollzugspunkt gegenstandslos geworden (vgl. E. 3).
10.
Aus oben stehenden Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene
Verfügung bezüglich der Fragen der Anerkennung als Flüchtling, der
Gewährung des Asyls und der Wegweisung Bundesrecht nicht verletzt,
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E-6472/2006
den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt und
angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist nach dem Ge-
sagten abzuweisen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist.
11.
11.1 Nachdem die Beschwerdeführerin durch die wiedererwägungs-
weise Anordnung der vorläufigen Aufnahme mit ihren Rechtsbegehren
teilweise durchgedrungen ist, sind ihr reduzierte Verfahrenskosten auf-
zuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Diese sind auf insgesamt Fr. 300.-
festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die
Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
[VGKE, SR 173.320.2]). Sie sind mit dem am 28. Mai 2003 geleisteten
Kostenvorschuss zu verrechnen. Der Restbetrag ist der Beschwerde-
führerin zurückzuerstatten.
11.2 Sodann ist der vertretenen Beschwerdeführerin angesichts ihres
teilweisen Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7
Abs. 1 und 2 VGKE eine praxisgemäss um die Hälfte reduzierte Ent-
schädigung für die ihr notwendigerweise erwachsenen Parteikosten
zuzusprechen. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hat in sei-
ner Kostennote vom 6. März 2009 einen Zeitaufwand von total 11.38
Stunden zu Fr. 230.-- sowie Auslagen von insgesamt Fr. 82.-- ausge-
wiesen. In Bezug auf den ausgewiesenen Zeitaufwand sei zu beach-
ten, dass das vorliegende Verfahren mit demjenigen der Eltern der Be-
schwerdeführerin zusammenhänge. Die meisten Besprechungen seien
deshalb mit der ganzen Familie durchgeführt worden und viele Einga-
ben hätten gleichzeitig die Beschwerdeführerin und ihre Eltern betrof-
fen. In der eingereichten Kostennote seien deshalb die entsprechen-
den Aufwändungen halbiert und die andere Hälfte in der Kostennote
der Eltern aufgeführt worden.
Der vom Rechtsvertreter ausgewiesene Zeitaufwand erscheint auch in
Berücksichtigung seiner Ausführungen als leicht überhöht, zumal die
Kostennote Positionen enthält, die aufgrund der Aktenlage nicht nach-
vollziehbar sind. Er ist deshalb auf ein als angemessen zu erachten-
des Mass von zehn Stunden zu kürzen. Unter Berücksichtigung des
veranschlagten Stundenansatzes von Fr. 230.--, der ausgewiesenen
Auslagen von Fr. 82.-- sowie unter Anrechnung des in Anwendung des
massgeblichen Mehrwertsteuersatzes von 7,6% hinzuzufügenden
Mehrwertsteueranteils ist die um die Hälfte reduzierte Parteientschädi-
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gung auf Fr. 1281.50 festzusetzen. Diese ist der Beschwerdeführerin
von der Vorinstanz zu entrichten.
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit sie nicht zufolge Gegen-
standslosigkeit abgeschrieben wird.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 300.-- werden der Beschwerdeführerin
auferlegt. Sie werden mit dem am 28. Mai 2003 in der Höhe von
Fr. 600.-- geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. Der Restbetrag von
Fr. 300.-- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.
3.
Der Beschwerdeführerin wird eine Parteientschädigung in der Höhe
von Fr. 1281.50 zugesprochen, welche ihr vom BFM zu entrichten ist.
4.
Dieses Urteil geht an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin,
das BFM sowie die zuständige kantonale Behörde.
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Regula Schenker Senn Rudolf Raemy
Versand:
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