E-6265/2010 - Abteilung V - Asylwiderruf - Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylwid...
Karar Dilini Çevir:
E-6265/2010 - Abteilung V - Asylwiderruf - Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylwid...
Abtei lung V
E-6265/2010/ame
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 8 . O k t o b e r 2 0 1 0
Einzelrichterin Muriel Beck Kadima,
mit Zustimmung von Richter Hans Schürch;
Gerichtsschreiberin Patricia Petermann Loewe.
A._______, geboren (...),
B._______, geboren (...),
C._______, geboren (...),
D._______, geboren (...),
Kosovo,
(...),
Beschwerdeführende,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und
Asylwiderruf; Verfügung des BFM vom 20. August 2010 /
N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-6265/2010
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführer sind albanischer Ethnie und stammen aus
E._______, welches sich im Südwesten Kosovos befindet. Die
damaligen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien –
A._______, B._______ sowie die Kinder F._______ und G._______ –
reichten am 26. März 1990, respektive am 25. Juli 1990 Asylgesuche
ein. Zur Begründung brachten die Beschwerdeführenden im
Wesentlichen vor, vor dem Hintergrund der kosovoalbanisch-
serbischen Spannungen, habe sich der Beschwerdeführer
oppositionell in verschiedenen Formen des Protests betätigt. Der
negative Asylentscheids des damaligen Bundesamts für Flüchtlinge
(BFF, heute: BFM) vom 18. Januar 1994 wurde mit Urteil der damals
zuständigen Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK) vom 23.
Januar 1996 bestätigt. Die ARK hat nach einer Revisionseingabe vom
3. Mai 1996 das Verfahren indessen wiederaufgenommen und mit
Entscheid vom 27. Oktober 1998 die Beschwerde gutgeheissen,
worauf das BFF mit Verfügung vom 29. Oktober 1998 der Familie Asyl
gewährte. Die damalige Lage im Kosovo stand, insbesondere was das
Vorgehen der serbischen Behörden gegenüber den Angehörigen der
albanischen Ethnie anbelangte, kurz vor einer Eskalation, welche im
Jahr 1999 zu einem Krieg führte.
Die Kinder D._______ und C._______ wurden in der Schweiz geboren
und in die Asylgewährung einbezogen.
B.
Mit Schreiben des BFM vom 6. Januar 2006 wurde dem Beschwerde-
führer nach einer Reise in den Kosovo das rechtliche Gehör bezüglich
eines möglichen Asylwiderrufs gewährt. In der Stellungnahme des
Beschwerdeführers vom 9. Januar 2006 kam insbesondere die Verbit-
terung über seinen langjährigen Aufenthalt in der Schweiz zur Geltung.
Ferner brachte er vor, es sei einem Staatenlosen erlaubt, auf der
ganzen Welt wie ein Nomade zu reisen.
Mit Verfügung des BFM vom 16. Januar 2006 wurde gestützt auf
Art. 63 Abs. 1 Bst. b des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR
142.31) i.V.m. Art. 1C Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über
die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) die Flüchtlings-
eigenschaft von A._______ aberkannt und das Asyl widerrufen.
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Begründet wurde dieser Entscheid mit der grundlegenden politischen
Veränderung des Kosovos. Diesem Umstand habe der Beschwerde-
führer mit der erwähnten freiwilligen Reise in den Kosovo, welche sich
anhand einer Stempelung der UNMIK vom (...) in seinem Reisepass
bestätigen lasse, Rechnung getragen.
Gegen diese Verfügung reichte der damalige Rechtsvertreter des Be-
schwerdeführers am 15. Februar 2006 bei der ARK Beschwerde ein,
welche durch das Urteil vom 28. April 2006 gutgeheissen wurde. Zur
Begründung führte die ARK aus, gemäss der Rechtsprechung und im
Sinne der schweizerischen Praxis könne nicht von einer stabilen und
grundlegenden Verbesserung der Lage im Kosovo ausgegangen wer-
den.
C.
Mit Schreiben vom 14. Mai 2009 gewährte das BFM allen Mitgliedern
der Familie H._______ das rechtliche Gehör betreffend einer
Änderung der Daten über deren Nationalität. Es wurde beabsichtigt,
diese im Zentralen Migrationsinformationssystem ZEMIS auf Kosovo
zu ändern, nachdem sich am 17. Februar 2008 die Republik Kosovo
von der Republik Serbien abgelöst und die staatliche Unabhängigkeit
erklärt hatte. Am 15. Juni 2008 sei die neue kosovarische Verfassung
in Kraft getreten. Eine Reihe von Staaten – darunter auch die Schweiz
– habe den Kosovo seit der Unabhängigkeitserklärung als souveränen
Staat anerkannt.
In der Stellungnahme vom 23. Mai 2009 begrüsste der Beschwerde-
führer im Namen seiner Familie diesen Schritt.
D.
Mit Schreiben vom 15. September 2009 gewährte das BFM der inzwi-
schen volljährigen Tochter G._______ das rechtliche Gehör bezüglich
eines möglichen bevorstehenden Asylwiderrufs. Diese Massnahme
wurde ins Auge gefasst, da sich diese gemäss einem Grenzkontroll-
rapport zwischen dem (...) und dem (...) im Kosovo aufgehalten habe.
In ihrer Stellungnahme vom 16. September 2009 erwiderte
G._______, dass ihr nicht bewusst gewesen sei, dass sie mit ihrer
Reise ungesetzlich gehandelt habe. Da sie und ihre Familie als
Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro anerkannt worden seien, sei
es in ihren Augen nicht verboten, den Kosovo zu besuchen.
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Gestützt auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG i.V.m. Art. 1C Ziff. 1 FK ab-
erkannte das BFM mit Verfügung vom 28. September 2009 die Flücht-
lingseigenschaft von G._______ und widerrief das Asyl. Nach un-
benutztem Ablauf der Beschwerdefrist ist diese Verfügung am 28. Ok-
tober 2009 in Rechtskraft erwachsen.
E.
Mit Schreiben vom 4. August 2010 gewährte das BFM dem inzwischen
volljährigen F._______ sowie den Eltern A._______ und B._______
(miteinbezogen die noch minderjährigen Kinder D._______ und
C._______ hinsichtlich eines möglichen Asylwiderrufs das rechtliche
Gehör.
In seinen Briefen vom 7. August und 16. August 2010 äusserte sich
A._______ hinsichtlich des bevorstehenden Widerrufs und des
Lebens, welches er und seine Familie seit ihrer Ankunft in der Schweiz
führen müssten, mit Missfallen. Insbesondere beantragte er eine Ver-
längerung der Flüchtlingseigenschaft und eine Möglichkeit, den Koso-
vo unter Beibehaltung der Flüchtlingseigenschaft ungehindert besu-
chen zu können.
Mit separaten Verfügungen vom 20. August 2010 aberkannte das
Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft von A._______ und B._______
(eingeschlossen die Kinder D._______ und C._______ sowie von
F._______ H._______ und widerrief bei allen betroffenen Personen
das Asyl. Es stützte diesen Entscheid auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG
i.V.m. Art. 1C Ziff. 5 FK und begründete ihn mit der grundlegenden
Veränderung, die der Kosovo seit der Asylgewährung der Familie
erlebt habe. Im Weiteren bemerkte das BFM, eine uneingeschränkte
Reisemöglichkeit unter Beibehaltung der Flüchtlingseigenschaft sei mit
dem Schweizerischen Asylrecht nicht vereinbar; deshalb werde darauf
nicht eingegangen.
F.
Mit Eingabe vom 2. September 2010 an das Bundesverwaltungsge-
richt erhoben A._______ und B._______ Beschwerde. Der
Beschwerdeführer tat in erster Linie seinen Unmut über seine Situation
als Ausländer, der in der Schweiz lebe, kund. Da der Be-
schwerdeschrift jedoch nicht explizit das Begehren, die den Anfech-
tungsgegenstand (Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asyl-
widerruf) betreffen, entnommen werden konnte, insbesondere da der
Beschwerdeführer anfügte, der Asylwiderruf sei an und für sich für die
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Familie kein Problem, setzte das Bundesverwaltungsgericht mit
Zwischenverfügung vom 27. September 2010 Frist an, um eine Be-
schwerdeverbesserung einzureichen.
Durch ein Schreiben vom 29. September 2010 stellte der Beschwer-
deführer seine Begehren klar, indem er implizit die Beibehaltung der
Asylgewährung und der Flüchtlingseigenschaft beantragte. Dabei be-
rief er sich einerseits auf die angebliche Staatenlosigkeit der ver-
schiedenen Familienmitglieder; anderseits betonte er, dass die Ser-
ben, die ihn und seine Familie gefoltert, terrorisiert und umgebracht
hätten, weiterhin im Staatsdienst arbeiten würden.
Zur Untermauerung reichte der Beschwerdeführer unter anderem ein
anwaltliches Schreiben vom 20. Dezember 2007 aus einem kantona-
len Einbürgerungsverfahren ein, in welchem der damalige Anwalt auf
die Staatenlosigkeit hinwies, und eine E-Mail-Korrespondenz (be-
stehend aus zwei E-Mails) vom 27. April 2010 zwischen A._______
und J._______ der UNMIK in fremdländischer Sprache.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgeset-
zes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021). Das Bundesamt für Migration (BFM) gehört zu den Be-
hörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundes-
verwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im
Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht
ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde
und entscheidet in diesem Bereich endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83
Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG,
SR 173.110]).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und
Art. 105 AsylG).
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1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht (Art. 108
Abs. 1 AsylG, Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 52 VwVG). Die Beschwerde-
führenden sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt
und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung bezie-
hungsweise Änderung; sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde
legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die Be-
schwerde ist – vorbehältlich folgender Erwägungen – einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterli -
cher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters bezie-
hungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e
AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um
eine solche, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu
begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die Durch-
führung des Schriftenwechsels verzichtet.
4.
4.1 Im Folgenden wird zu beantworten sein, ob die Vorinstanz zu
Recht die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführenden im Sinne
von Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG i.V.m. Art. 1C Ziff. 5 FK beendet hat.
4.2 Die Begehren die Integration der Familie in der Schweiz oder die
Wegweisung aus der Schweiz betreffend sind nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
5.
5.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG wird die Flüchtlingseigen-
schaft aberkannt und das Asyl widerrufen, wenn Gründe nach Art. 1C
Ziff. 1 bis 6 FK vorliegen. Art. 1C FK beinhaltet die Beendigungsklau-
seln betreffend den Flüchtlingsstatus. Namentlich endet gemäss
Art. 1C Ziff. 5 FK die Rechtsstellung als Flüchtling, wenn die betref-
fende Person nach dem Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als
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Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den
Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehör-
igkeit sie besitzt.
An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass das Verfahren
um Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und um Asylwiderruf die
Wegweisung und deren Vollzug nicht tangiert. Eine
Niederlassungsbewilligung wird ferner nur nach Art. 63 des
Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen
und Ausländer (AuG, SR 142.20) widerrufen.
5.2 Zunächst wird zu klären sein, ob sich die objektive Situation im
Kosovo tatsächlich massgeblich und nachhaltig positiv verändert hat.
5.2.1 In ihrem Entscheid vom 20. August 2010 machte die Vorinstanz
insbesondere geltend, dass nach dem Einmarsch der KFOR am
12. Juni 1999 die damalige jugoslawische Regierung alle ihre polizei-
lichen und militärischen Zuständigkeiten abgegeben habe. Mit interna-
tionaler Unterstützung seien daraufhin neue Sicherheitskräfte aufge-
baut worden, weshalb auch die Behörden des Nachfolgestaates Ser-
bien im Kosovo keine Machtbefugnisse mehr gehabt hätten. Am
17. Februar 2008 habe der Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt. Mit
der UNMIK und der EU würden zwei internationale Missionen be-
stehen. Unter dem Schirm der UNO habe am 9. Dezember 2008 die
EULEX-Mission gestartet; diese internationalen Sicherheitskräfte so-
wie die Kosovo Police (KP) würden Sicherheit garantieren. Angesichts
dieser politischen Änderungen habe der Bundesrat mit Beschluss vom
6. März 2009 die Republik Kosovo als verfolgungssicheren Staat im
Sinne von Art. 6a Abs. 2 Bst. a AsylG anerkannt.
5.2.2 In den Eingaben auf Beschwerdeebene nimmt der Beschwerde-
führer keine Stellung zu der vom BFM vorgebrachten Verbesserungen
in seinem Heimatland.
5.2.3 Das Bundesverwaltungsgericht schliesst sich der Einschätzung
des BFM über die allgemeine Lage im Kosovo an, weshalb es zum
Schluss kommt, dass sich die dortigen allgemeinen Umstände objektiv
massgeblich positiv verändert haben, so dass von einem schutzfähi-
gen und schutzwilligen Staat ausgegangen werden kann, zumal der
Bundesrat mit Bundesratsbeschluss vom 6. März 2009 Kosovo als
verfolgungssicheren Staat ("Safe Country") bezeichnete. Dieser
Beschluss trat am 1. April 2009 in Kraft. Massgebliche Kriterien für die
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Bezeichnung eines Staates als "Safe Country" sind insbesondere die
Einhaltung der Menschenrechte sowie die Anwendung internationaler
Konventionen im Menschenrechts- und Flüchtlingsbereich.
5.3 In einem weiteren Schritt soll geprüft werden, ob aus heutiger
Sicht die persönlichen asylrelevanten Umstände, welche zur
Flüchtlingsanerkennung geführt haben, weggefallen sind.
5.3.1 Im Urteil der ARK vom 27. Oktober 1998 wurde den Beschwer-
deführern Asyl gewährt, weil – vor dem Hintergrund der damaligen
kosovoalbanisch-serbischen Spannungen – A._______ durch sein
oppositionelles Verhalten die Aufmerksamkeit der serbischen Behör-
den auf sich gezogen hatte.
5.3.2 In der Beschwerdeschrift vom 2. September 2010 teilte der Be-
schwerdeführer mit, der Asylwiderruf sei für ihn und seine Familie an
und für sich kein Problem. Demgegenüber führte er in der Eingabe
vom 29. September 2010 an, die Serben, die ihn und seine Familie bis
im Jahr 1990 gefoltert, terrorisiert und getötet hätten, seien immer
noch im Staatsdienst tätig.
5.3.3 Diese Behauptung entbehrt jeglicher Grundlage und vermag
daher nicht zu überzeugen. Der Kosovo wird in grosser Mehrheit von
Albanern bewohnt. Seine Unabhängigkeit von der Republik Serbien,
welche der Kosovo am 17. Februar 2008 ausrief, ist das langersehnte
Ziel dieser albanischen Mehrheit, zu der auch die Familie H._______
zu zählen ist. Es gibt ferner keine serbische Beteiligung an der am
17. November 2007 gewählten Regierung. Einzig der von Serben be-
wohnte Norden Kosovos und die serbischen Enklaven werden weitge-
hend von Belgrad aus regiert (Rainer Mattern, Kosovo Update: Aktuel -
le Entwicklungen, SFH [Schweizerische Flüchtlingshilfe] 12. August
2008, S. 2 und 5). Im Gegensatz dazu leben in E._______, dem Her-
kunftsort der Beschwerdeführer, der sich im Südwesten Kosovos an
der Grenze zu Albanien befindet, gemäss einem OSZE-Bericht vom
22. April 2008 keine Serben mehr (
13982.html >, besucht am 8. Oktober 2010). Der ehemalige Verfolger-
staat ist somit im Kosovo faktisch nicht mehr vorhanden. Eine Rück-
kehr in den Kosovo würde für die Beschwerdeführer heute bedeuten,
dass sie zu den Angehörigen ihrer Ethnie heimkehren und sich unter
den Schutz der UNMIK respektive der KFOR stellen könnten (vgl. dazu
auch [BVGE] Entscheide des Schweizerischen Bundesverwaltungsge-
richts 2007/31, E. 5.3).
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5.4 Im Weiteren macht der Beschwerdeführer geltend, seine Familie
sei staatenlos. Daher könne sie – sinngemäss – den Schutz der Re-
publik Kosovo nicht im Sinne von Art. 1C Ziff. 5 FK in Anspruch neh-
men.
5.4.1 Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bedeutet grund-
sätzlich nicht den gleichzeitigen Verlust der bisherigen Staatsangehö-
rigkeit. Der völkerrechtlich anerkannte und legitime Nachfolgestaat der
ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien ist Serbien und Montenegro,
beziehungsweise nach der Abspaltung von Montenegro die Republik
Serbien. Die betroffenen Individuen (inklusive die von Drittstaaten an-
erkannten Flüchtlinge) wurden damit in der Regel automatisch zu
Staatsangehörigen des jeweiligen Nachfolgestaates (vgl. dazu das zur
Publikation vorgesehene Urteil D-7561/2008 E. 6.4.2).
Die Eltern – A._______ und B._______ – haben bei der Einreise in die
Schweiz die jugoslawische Staatsbürgerschaft besessen. Der Vater
führte dabei einen jugoslawischen Reisepass mit der Nummer (...),
ausgestellt am (...) in E._______, mit (vgl. Kontrollblatt der
Empfangsstelle vom 27. März 1990); die Mutter besass ebenfalls einen
jugoslawischen Reisepass mit der Nummer (...), ausgestellt am (...) in
E._______ (vgl. Kontrollblatt der Empfangsstelle vom 26. Juli 1990).
Mangels eines Ausbürgerungsverfahrens und aufgrund des
Umstandes, dass Serbien weder die Staatlichkeit Kosovos noch die
kosovarische Staatsbürgerschaft anerkennt, ist davon auszugehen,
dass die Beschwerdeführenden die Staatsangehörigkeit der Republik
Serbien – als legitimen Nachfolgestaat der ehemaligen Bundesrepublik
Jugoslawien – besitzen.
5.4.2 Da die Familie H._______ jedoch aus dem Kosovo stammt,
dürfte diese seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am
17. Februar 2008 Staatsangehörige der neugegründeten Republik sein
beziehungsweise sich erleichtert einbürgern lassen können. Gemäss
dem kosovarischen Gesetz über die Staatsangehörigkeit Nr. 03/L-034
vom 20. Februar 2008 sind alle Personen, die am 1. Januar 1998 die
jugoslawische Staatsbürgerschaft besassen und am selben Tag auch
ihr Domizil auf dem Territorium der jetzigen Republik Kosovo hatten –
ohne Rücksicht auf weitere Staatsbürgerschaften – Staatsangehörige
der Republik Kosovo. Subsidiär sind alle weiteren Personen Staats-
angehörige der Republik Kosovo, die gemäss und im Einklang mit der
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"UNMIK Regulation No. 2000/13" im Verzeichnis der Bevölkerung vom
Kosovo nach dem 1. Januar 1998 eingetragen sind.
Da die Familie H._______ den Kosovo vor diesem Stichtag verlassen
hatte, kommt allenfalls eine Einbürgerung in Frage. Nach Art. 13 des
kosovarischen Gesetzes über die Staatsangehörigkeit können
Mitglieder der Kosovo-Diaspora – also Personen, welche wie die
Beschwerdeführenden vor dem 1. Januar 1998 den Kosovo verlassen
hatten – erleichtert eingebürgert werden. Als Mitglied gilt, wer seinen
Wohnsitz ausserhalb Kosovos hat, in Kosovo geboren ist und dorthin
enge familiäre und wirtschaftliche Beziehungen pflegt. Auch
Nachkommen der ersten Generation, die familiäre Verbindungen in
Kosovo haben, zählen zur Kosovo-Diaspora.
5.4.3 Nach dem Gesagten gilt festzuhalten, dass – wenn sich die
Familie H._______ gegen die serbische Staatsbürgerschaft
entscheiden würde – mindestens die Möglichkeit einer erleichterten
Einbürgerung im Kosovo besteht. Es kann daher zum jetzigen
Zeitpunkt nicht von einer Staatenlosigkeit der Beschwerdeführeenden
gesprochen werden. Der vage Verweis auf die Staatenlosigkeit im
anwaltlichen Schreiben vom 20. Dezember 2007 vermag diese Ansicht
nicht umzustossen, zumal dieser Brief vor der Unabhängigkeit
Kosovos geschrieben wurde.
Es ist dem BFM beizupflichten, dass die Beschaffung neuer heimatli-
cher Reisepässe beziehungsweise die Erfassung in den neuen koso-
varischen Registern für kosovarische Staatsangehörige zurzeit mit
erheblichem Aufwand verbunden ist. Doch stellt dies bezüglich der
Flüchtlingsaberkennung und des Asylwiderrufs kein Kriterium dar.
5.5 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Umstände, aufgrund
derer die Beschwerdeführenden als Flüchtlinge anerkannt wurden, aus
heutiger Sicht weggefallen sind.
6.
6.1 Nach der Bejahung der Voraussetzungen für die Anwendung von
Art. 1C Ziff. 5 FK gilt in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob zwin-
gende Gründe gegen eine Beendigung der Flüchtlingseigenschaft
sprechen. Eine erlittene Vorverfolgung ist auch nach Wegfall einer zu-
künftig drohenden Verfolgungsgefahr weiterhin als asylrelevant zu be-
trachten, wenn eine Rückkehr in den früheren Verfolgungsstaat aus
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zwingen Gründen nicht zumutbar ist (Art. 1C Ziff. 5 FK; vgl. Entschei-
dungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission
[EMARK] 1993 Nr. 31, EMARK 2001 Nr. 3; zuletzt bestätigt in BVGE
2007/31 E. 5.4). Als zwingende Gründe in diesem Zusammenhang
sind vorab traumatisierende Erlebnisse zu betrachten, die es der be-
troffenen Person angesichts erlebter schwerwiegender Verfolgungen,
insbesondere Folterungen, im Sinne einer Langzeittraumatisierung
psychologisch verunmöglichen, ins Heimatland zurückzukehren (vgl.
EMARK 1995 Nr. 16 E. 6d).
6.2 Der Beschwerdeführer hat zwar psychische Probleme einzelner
Familienmitglieder in seinen verschiedenen Schriften jeweils kundge-
tan, doch hat er jedes Mal betont, dass diese auf das unmenschliche
Leben zurückzuführen seien, welches die Familie in der Schweiz zu le-
ben habe. Hinzukommt, dass wie schon erwähnt der ehemalige Ver-
folgerstaat in der Republik Kosovo faktisch nicht mehr vorhanden ist.
Ferner deuten auch die Reisen, welche einzelne Familienmitglieder in
den Kosovo unternommen haben, nicht auf eine Langzeittraumatisie-
rung hin, welche eine Rückkehr verhindern würde.
6.3 Aufgrund des Gesagten kommt das Bundesverwaltungsgericht
zum Schluss, dass die Voraussetzungen von Art. 1C Ziff. 5 FK offen-
sichtlich erfüllt sind. Die Vorinstanz hat daher zu Recht die Flücht-
lingseigenschaft der Beschwerdeführer aberkannt und das Asyl wider-
rufen.
7.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig
und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die
Beschwerde ist demnach abzuweisen.
8.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten den Beschwer-
deführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG) und auf ins-
gesamt Fr. 600.- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Feb-
ruar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundes-
verwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird – soweit darauf eingetreten wird – abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.- werden den Beschwerdeführenden
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
3.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführer, an das BFM und an die
zuständige kantonale Behörde.
4.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Muriel Beck Kadima Patricia Petermann Loewe
Versand:
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