E-5642/2012 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch (Papierlosigkeit) und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Karar Dilini Çevir:
E-5642/2012 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch (Papierlosigkeit) und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung V
E-5642/2012


U r t e i l v o m 9 . N o v e m b e r 2 0 1 2
Besetzung

Einzelrichter Daniel Willisegger,
mit Zustimmung von Richterin Contessina Theis;
Gerichtsschreiberin Linda Rindlisbacher.
Parteien

A._______, geboren am (…),
Nigeria,
vertreten durch Hansjörg Trüb, Asylbrücke Zug,
(…),
Beschwerdeführer,


gegen

Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verfügung
des BFM vom 16. Oktober 2012 / N (…).


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Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reichte am
25. Juli 2012 in der Schweiz ein Asylgesuch ein. Am 23. August 2012
wurde er summarisch befragt und am 11. Oktober 2012 zu seinen Asyl-
gründen angehört.
B.
Mit Verfügung vom 16. Oktober 2012 (eröffnet am 22. Oktober 2012) trat
das BFM auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, wies ihn
aus der Schweiz weg, beauftragte den zuständigen Kanton mit dem Voll-
zug der Wegweisung und händigte die editionspflichtigen Akten gemäss
Aktenverzeichnis aus.
C.
Mit Eingabe vom 29. Oktober 2012 (Poststempel) erhob der Beschwerde-
führer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte in
materieller Hinsicht, die Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz
aufzufordern, auf das Asylgesuch einzutreten. In prozessualer Hinsicht
beantragte er Verzicht auf Erhebung eines Kostenvorschusses und die
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.


Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von
Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021)
zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie
auch vorliegend – endgültig (vgl. Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesge-
richtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]; Art. 105 des Asyl-
gesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]). Der Beschwerdeführer
ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48
VwVG). Die Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben (Art. 52 und
Art. 108 VwVG Abs. 2 AsylG). Die Beschwerdevoraussetzungen sind in-
soweit erfüllt.
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Seite 3
2.
2.1 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich
Missbrauch und Überschreitung des Ermessens, die unrichtige und un-
vollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes sowie Un-
angemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
2.2 Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im
Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten
Richters bzw. einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG) ohne Weite-
rungen und mit summarischer Begründung zu behandeln (Art. 111a Abs.
1 und Abs. 2 AsylG).
3.
3.1 Gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG wird auf ein Asylgesuch nicht ein-
getreten, wenn die asylsuchende Person den Behörden nicht innert 48
Stunden nach Einreichung des Gesuchs Reise- oder Identitätspapiere
abgibt. Diese Bestimmung findet nach Art. 32 Abs. 3 AsylG keine Anwen-
dung, wenn die asylsuchende Person glaubhaft machen kann, dass sie
dazu aus entschuldbaren Gründen nicht in der Lage war (Bst. a), wenn
aufgrund der Anhörung sowie gestützt auf Art. 3 und 7 AsylG die Flücht-
lingseigenschaft festgestellt wird (Bst. b) oder wenn sich auf Grund der
Anhörung erweist, dass zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der
Flüchtlingseigenschaft oder eines Wegweisungsvollzugshindernisses nö-
tig sind (Bst. c).
3.2 Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das
BFM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen
(Art. 32 – 35a AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdein-
stanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht
auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist. Bei einem Nichteintreten ge-
stützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. a und Abs. 3 AsylG ist indessen über die
Flüchtlingseigenschaft abschliessend materiell zu entscheiden, soweit
dies im Rahmen einer summarischen Prüfung möglich ist (vgl. BVGE
2007/8 insb. E. 5.6.5). Die Flüchtlingseigenschaft ist insoweit im Be-
schwerdeverfahren Prozessgegenstand (vgl. BVGE a.a.O. E. 2.1). Da die
Vorinstanz die Frage der Wegweisung und des Vollzugs materiell geprüft
hat, kommt dem Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich volle Kognition
zu.

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4.
4.1 Entschuldbare Gründe für die Nichtabgabe von Reise- oder Identi-
tätspapiere liegen praxisgemäss vor, wenn die asylsuchende Person
glaubhaft darzutun vermag, dass sie dazu nicht in der Lage ist, weil sie
die Reise- oder Identitätspapiere im Heimatstaat zurückgelassen hat, sich
aber umgehend und ernsthaft darum bemüht, diese innert angemessener
Frist zu beschaffen (BVGE 2010/2 E. 6).
4.2 Der Beschwerdeführer gibt an, keine Zeit gehabt zu haben, seine ID-
Karte zuhause zu suchen, da er so schnell wie möglich habe flüchten
müssen. Er legt indessen mit keinem Wort dar, dass und inwiefern er sich
ohne Verzug und ernsthaft darum bemüht habe, ein Reise- oder Identi-
tätspapier innert angemessener Frist zu beschaffen. Eigenen Angaben
zufolge hatte er bis zu seiner Flucht mit seiner Mutter und seiner Schwes-
ter in Kaduna-City zusammengelebt. Seine Schwester sei (…) erschos-
sen worden. Es erstaunt daher sehr, dass er seit der Flucht angeblich
keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter haben soll. Er erklärt diesen Um-
stand denn auch in keiner Art und Weise. Des Weiteren sind seine Anga-
ben widersprüchlich. Anlässlich der Befragung gab er an, dass seine Mut-
ter immer noch an derselben Adresse lebe, bei der Anhörung indes, dass
er nicht wisse, ob das Haus niedergebrannt sei. Die Angaben des Be-
schwerdeführers sind nach dem Gesagten nicht glaubhaft. Die Vorinstanz
nimmt daher zutreffend an, dass der Beschwerdeführer sich um die Be-
schaffung seiner Reise- oder Identitätspapiere nicht ernsthaft bemüht hat
und deshalb keine entschuldbaren Gründe im Sinn Art. 32 Abs. 3
Bst. a AsylG vorliegen.
5.
5.1 Gemäss Art. 32 Abs. 3 Bst. c AsylG ist das Asylgesuch trotz (unent-
schuldigter) Papierlosigkeit einlässlich zu behandeln, wenn sich erweist,
dass zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
oder eines Wegweisungsvollzugshindernisses nötig sind.
5.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, im Sommer 2012 in Kaduna-City ei-
ne Moschee in Brand gesetzt zu haben und deshalb von Mitgliedern der
muslimischen Gruppe Boko Harem gesucht worden zu sein. Die Vorin-
stanz hielt dagegen in ihrer Verfügung vom 16. Oktober 2012 fest, dass
der Beschwerdeführer nicht aus Kaduna stamme, da er mehrere Fragen
zu der Stadt weder korrekt noch detailliert habe beantworten können.
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Ferner seien seine Ausführungen zu den Vorfällen mit den Boko Haram
tatsachenwidrig und realitätsfremd ausgefallen. Er erfülle die Flüchtlings-
eigenschaft nicht und zusätzliche Abklärungen zur Feststellung der
Flüchtlingseigenschaft seien aufgrund der Aktenlage nicht erforderlich.
Es kann vorliegend offen bleiben, ob der Beschwerdeführer tatsächlich in
Kaduna-City gelebt hat, da sich seine Vorbringen als unglaubhaft erwei-
sen. So schildert er die Ereignisse äusserst unsubstantiiert, plakativ und
lässt jegliche Realkennzeichen vermissen. Es wäre zu erwarten gewe-
sen, dass er detailliert Auskunft zu den Vorkommnissen hätte geben kön-
nen. Seine Schilderungen beschränken sich indes auf eine chronologi-
sche Auflistung von Sachverhaltselementen, die er ohne Weiteres auch
einer der zahlreichen Zeitungsberichten zu den Vorfällen hat entnehmen
können. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist deshalb festzustellen,
dass seine Ausführungen zu den Ereignissen mit den Boko Haram un-
glaubhaft sind.
5.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass keine Hinweise auf eine Verfol-
gung vorliegen und die Vorinstanz auf das Asylgesuch zu Recht nicht
eingetreten ist.
6.
Gemäss Art. 44 Abs. 1 AsylG verfügt das Bundesamt in der Regel die
Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an, wenn es das
Asylgesuch ablehnt oder darauf nicht eintritt. Der Beschwerdeführer ver-
fügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch
über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen (BVGE 2009/50 E. 9).
Das Bundesamt hat die Anordnung der Wegweisung zu Recht verfügt.
7.
7.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach
den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Aus-
ländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR
142.20]).
7.2 Der Vollzug der Wegweisung ist nach Art. 83 Abs. 3 AuG unzulässig,
wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der
Ausländerin in den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegen-
stehen. Da der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt,
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ist das flüchtlingsrechtliche Rückschiebungsverbot von Art. 33 Abs. 1 des
Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(FK, SR 0.142.30) und Art. 5 AsylG nicht anwendbar. Die Zulässigkeit des
Vollzuges beurteilt sich vielmehr nach den allgemeinen verfassungs- und
völkerrechtlichen Bestimmungen (Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung
der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV, SR
101]); Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter
und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe [FoK, SR 0.105]; Art. 3 der Konvention vom 4. November
1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK, SR
0.101]. Aus den Aussage des Beschwerdeführers und den Akten ergeben
sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er für den Fall einer Aus-
schaffung in sein Heimatland dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ei-
ner nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behand-
lung ausgesetzt wäre. Der Vollzug der Wegweisung ist somit zulässig.
7.3 Der Vollzug der Wegweisung kann nach Art. 83 Abs. 4 AuG unzumut-
bar sein, wenn der Ausländer oder die Ausländerin im Heimat- oder Her-
kunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner
Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine kon-
krete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG
– die vorläufige Aufnahme zu gewähren.
Weder die allgemeine Lage in Nigeria noch individuelle Gründe lassen
auf eine konkrete Gefährdung im Falle einer Rückkehr des Beschwerde-
führers nach Nigeria schliessen. Der Vollzug der Wegweisung ist dem-
nach zumutbar.
7.4 Der Vollzug ist schliesslich nach Art. 83 Abs. 2 AuG als möglich zu
bezeichnen, weil es dem Beschwerdeführer obliegt, sich bei der zustän-
digen Vertretung des Heimatstaates die für eine Rückkehr notwendigen
Reisedokumente zu beschaffen (BVGE 2008/34 E. 12 S. 513-515).
8.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene
Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und auch kein anderer Beschwer-
degrund erfüllt ist (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist abzuwei-
sen.
9.
Dem Ersuchen des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltli-
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chen Prozessführung kann nicht entsprochen werden, weil sein Begehren
als aussichtslos zu gelten hat (Art. 65 Abs. 1 VwVG). Der Beschwerde-
führer hat daher die Kosten des vorliegenden Verfahrens zu tragen
(Art. 63 Abs. 1 VwVG), die auf Fr. 600.– festzusetzen sind (Art. 1-3 des
Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Das Gesuch
um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses wird mit dem vor-
liegenden Urteil gegenstandslos.
(Dispositiv nächste Seite)

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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.– werden dem Beschwerdeführer auf-
erlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu Guns-
ten der Gerichtskasse zu überweisen.
3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und das Migrati-
onsamt des Kantons Aargau.

Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:

Daniel Willisegger Linda Rindlisbacher


Versand: