E-5197/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung (Beschwerden gegen Wiedererwägungsentscheid) - Vollzug der Wegweisung (Beschwerde gegen Wiedererw...
Karar Dilini Çevir:
E-5197/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung (Beschwerden gegen Wiedererwägungsentscheid) - Vollzug der Wegweisung (Beschwerde gegen Wiedererw...
Abtei lung V
E-5197/2006/
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 2 . J u n i 2 0 1 0
Richterin Christa Luterbacher (Vorsitz),
Richter Daniele Cattaneo, Richterin Gabriela Freihofer,
Gerichtsschreiberin Contessina Theis.
A._______, geboren (...),
B._______, geboren (...),
C._______, geboren (...),
D._______, geboren (...),
E._______, geboren (...),
F._______, geboren (...),
G._______, geboren (...),
H._______, geboren (...),
Jemen,
alle vertreten durch [Vertretung],
Beschwerdeführende,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Vollzug der Wegweisung (Beschwerde gegen
Wiedererwägungsentscheid); Verfügung des BFM vom
24. März 2006 / N_______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-5197/2006
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführenden, jemenitische Staatsangehörige aus
I._______, verliessen eigenen Angaben zufolge ihre Heimat am 7.
September 2003 und gelangten mit dem Flugzeug nach Italien und
von dort in die Schweiz, wo sie am 10. September 2003 Asylgesuche
stellten.
Sie wurden am 15. September 2003 an der Empfangsstelle Basel
summarisch und am 29. September 2003 im Kanton (...), dem sie für
die Dauer des Asylverfahrens zugewiesen wurden, zu ihren Asyl-
gründen angehört.
Sie machten im Wesentlichen geltend, von den Behörden aus ihrem
Haus in I._______ vertrieben worden zu sein. Als von somalischen
Vätern und jemenitischen Müttern abstammend, hätten sie beide nie
die jemenitische Staatsbürgerschaft erhalten; mehrere diesbezügliche
Versuche seien abgewiesen worden. Nachdem sie aus ihrem Haus
vertrieben worden seien, hätten sie keine Möglichkeit mehr gehabt, im
Jemen zu leben. Zudem hätten sie befürchtet, dass ihre Kinder
[Ausführungen zu den Kindern] als Obdachlose von religiösen
Gruppierungen zwangsrekrutiert würden.
B.
Mit Verfügung vom 21. September 2004 trat das Bundesamt für
Flüchtlinge (BFF) – heute das BFM – auf die Asylgesuche der
Beschwerdeführenden nicht ein und ordnete die Wegweisung aus der
Schweiz und deren Vollzug an. Zur Begründung führte es im
Wesentlichen an, dass die Beschwerdeführenden keine
Identitätspapiere eingereicht hätten und diesbezüglich keine ent-
schuldbaren Gründe glaubhaft machen könnten. Es sei davon auszu-
gehen, dass die Beschwerdeführenden nicht somalische, sondern
jemenitische Staatsbürger seien. Die Vorbringen der Beschwerde-
führenden seien offensichtlich unglaubhaft, weshalb im Jemen keine
Hinweise auf Verfolgung auszumachen seien. Zudem seien auch keine
Wegweisungshindernisse ersichtlich.
C.
Die gegen diese Verfügung des BFF am 27. September 2004 bei der
damals zuständigen schweizerischen Asylrekurskommission (ARK)
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erhobene Beschwerde wurde mit Urteil der ARK vom 31. Januar 2005
abgewiesen.
D.
Am 15. März 2006 beantragten die Beschwerdeführenden die
Wiedererwägung der Verfügung des BFF vom 21. September 2004
bezüglich des Vollzugs der Wegweisung und machten geltend, sie
hätten bei der somalischen Botschaft aufgrund von Sprachschwierig-
keiten ihr Anliegen nicht vorbringen können und bei der jemenitischen
Botschaft, ohne Unterstützung seitens der Behörden, keinen Termin
zur Vorsprache erhalten. Ein Jahr nach der vom BFF angesetzten Aus-
reisefrist sei folglich nicht absehbar, dass der Vollzug der Wegweisung
möglich sei, weshalb die Beschwerdeführenden in Anwendung des
Urteils der ARK vom 27. Juni 1995 (Entscheidungen und Mitteilungen
der ARK [EMARK] 1995 Nr. 14) vorläufig aufzunehmen seien (A25).
E.
Mit Verfügung vom 24. März 2006 wies das BFM das Wieder-
erwägungsgesuch mit der Begründung ab, es sei – wie im Urteil der
ARK vom 31. Januar 2005 bestätigt – unglaubhaft, dass die Be-
schwerdeführenden somalische Staatsangehörige seien. Es bestehe
kein Anlass, daran zu zweifeln, dass sie jemenitische Staatsbürger
seien. Die Beschwerdeführenden seien verpflichtet, bei der Be-
schaffung gültiger Reisepapiere mitzuwirken, damit sie die Schweiz
verlassen könnten. Aus dem Umstand, dass die jemenitischen Be-
hörden die persönliche Kontaktaufnahme mit den Beschwerde-
führenden mit der Begründung, die schweizerischen Asylbehörden
müssten in dieser Angelegenheit aktiv werden, verweigerten, könne
nicht auf Unmöglichkeit der Rückkehr geschlossen werden. Aufgrund
der Akten seien keine aktiven Bemühungen seitens der
Gesuchstellenden um eine freiwillige Rückkehr ins Heimatland zu er-
kennen. Auf die weitere Begründung wird, soweit entscheidwesentlich,
in den Erwägungen eingegangen werden.
F.
Mit Eingabe ihrer damaligen Rechtsvertreterin vom 18. April 2006 er-
hoben die Beschwerdeführenden bei der ARK Beschwerde gegen die
Verfügung des BFM vom 24. März 2006 und beantragten die Auf-
hebung dieses Entscheides, die Gutheissung des Wiedererwägungs-
gesuchs vom 15. März 2006, die Feststellung, die Beschwerde-
führenden hätten vergeblich versucht, Kontakt zur Botschaft aufzu-
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nehmen und das BFM habe seit dem 21. Februar 2005 nichts unter-
nommen, um die Ausreise der Familie zu ermöglichen. In prozessualer
Hinsicht beantragten sie die unentgeltliche Prozessführung und den
Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.
Zur Begründung der Beschwerde führte die Rechtsvertreterin im
Wesentlichen an, dass die Beschwerdeführenden versucht hätten,
einen Termin bei der jemenitischen Botschaft zu erhalten, ihnen dies
aber nicht gelungen sei; bei der somalischen Botschaft seien sie
abgewiesen worden, da es unmöglich sei, nachzuweisen, dass sie
somalische Staatsangehörige seien. Die jemenitischen Behörden
würden nur auf Verlangen der Schweizerischen Behörden einen
Termin vereinbaren. Die Abteilung Rückkehrförderung des BFM sei –
abgesehen vom Gesuch des [kantonale Behörde] vom 21. Februar
2005 um Vollzugsunterstützung – vollkommen untätig geblieben. Ein
Vollzug der Wegweisung sei nicht möglich. Bei den
Beschwerdeführenden sei zudem eine fortgeschrittene Integration zu
erkennen.
Zur Untermauerung der Beschwerde reichte die Rechtsvertreterin ein
Schreiben der Sozialbehörde der Gemeindeverwaltung K._______, mit
welchem auf die Integration und Beliebtheit der Beschwerdeführenden
in der Gemeinde hingewiesen wird, sowie ein Zwischenzeugnis des
Arbeitgebers des Beschwerdeführers zu den Akten.
G.
Mt Verfügung vom 28. April 2006 verzichtete die ARK auf die Erhebung
eines Kostenvorschusses, verlegte den Entscheid über das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auf einen späteren
Zeitpunkt und stellte die Akten der Vorinstanz zur Vernehmlassung zu.
H.
Innert – mehrmals erstreckter – Frist beantragte die Vorinstanz in ihrer
Vernehmlassung vom 28. Juni 2006 die Abweisung der Beschwerde.
Zur Begründung führte sie an, dass der mit der jemenitischen Ver-
tretung in Genf vereinbarte Zuführungstermin für die Beschwerde-
führenden vom 26. Januar 2006, welchen das BFM an die kantonalen
Behörden weitergeleitet habe, aus Gründen, welche nicht ab-
schliessend hätten geklärt werden können, nicht stattgefunden habe.
Es sei jedoch zweifelsfrei festzustellen, dass Personen dieses Staates
die jemenitische Vertretung selbständig für den Erhalt von Reise-
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papieren kontaktieren könnten und in einigen Fällen ganze Familien
laissez-passers auf dieser Vertretung organisiert hätten. Der Be-
schwerdeschrift lasse sich in keiner Weise entnehmen, dass sich die
Beschwerdeführenden jemals ernsthaft um den Erhalt solcher Papiere
bemüht hätten.
I.
Mit Replik vom 10. Juli 2006 führte die Rechtsvertreterin unter
anderem aus, dass die Beschwerdeführenden, wie auch sie selbst,
mehrmals telefonisch versucht hätten, einen Termin auf der
jemenitischen Botschaft zu erhalten. Ihnen sei aber immer gesagt
worden, ein solcher Termin müsse von den Behörden organisiert
werden. Die Rechtsvertreterin bat in diesem Schreiben auch um Zu-
stellung einer Kopie der Vorladung für einen nächsten Termin, da die
Beschwerdeführenden durchaus bereit seien, selbständig nach Genf
zu reisen (act. 10).
J.
Mit Eingabe vom 17. Juli 2006 reichte die Rechtsvertreterin ein
Schreiben des Lehrers von C._______, [Ausführungen zu den
Kindern] der Beschwerdeführenden, zu den Akten, in welchem von
einem ausserordentlichen Integrationswillen des Schülers die Rede ist
(act. 11).
K.
Mit Schreiben vom 13. April 2008 informierte die Rechtsvertreterin,
dass die Beschwerdeführenden am 9. April 2008 einen Termin in der
jemenitischen Botschaft hätten wahrnehmen können, und reichte
gleichzeitig eine Bestätigung des jemenitischen Konsuls zu den Akten,
aus welcher hervorgeht, dass die Konsularabteilung für die Be-
schwerdeführenden keine Reisdokumente ausgestellt habe und, so-
lange keine Originaldokumente vorhanden seien, auch keine aus-
stellen könne (act. 14).
L.
Mit Verfügung vom 15. April 2008 bat das Bundesverwaltungsgericht
die Vorinstanz um Vernehmlassung bezüglich der Eingabe der
Beschwerdeführenden vom 13. April 2008. Mit Vernehmlassung vom
30. April 2008 führte das BFM aus, die eingereichte jemenitische
Bestätigung lasse nicht den Schluss zu, dass Zweifel an der
Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführenden bestehe. Gemäss ihrer
Mitwirkungspflicht nach Art. 8 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
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(AsylG, SR 142.31) seien die Beschwerdeführenden zudem
verpflichtet, ihre Identität durch geeignete Dokumente nachzuweisen.
M.
Mit Eingabe vom 22. Mai 2008 reichte die Rechtsvertreterin eine
schriftliche Zusammenfassung des Gesprächs zwischen dem
jemenitischen Konsul und den Beschwerdeführenden (verfasst vom
Beschwerdeführer selbst in Deutsch) sowie eine Kopie der im Asylver-
fahren eingereichten Beurkundung eines Auftrags des Beschwerde-
führers im Zusammenhang mit der Enteignung seines Hauses in
I._______ vom 28. Juli 2003, welche dem Konsul vorgelegt worden
sei, ein.
N.
Mit Eingabe vom 5. Juni 2008 teilte die Rechtsvertreterin mit, dass
sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nach Erhalt der
Vernehmlassung des BFM vom 30. April 2008 verschlechtert habe und
[Ausführungen zur gesundheitlichen Situation]. Sie habe so erfahren,
dass die Beschwerdeführerin seit längerer Zeit in ärztlicher
Behandlung sei. Zusammen mit einem Kurzbericht des behandelnden
Arztes, aus welchem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin seit
Ende Mai 2006 zur Behandlung eines [Diagnose] in ärztlicher
Behandlung ist und nunmehr zur weiteren Behandlung an die
[Pflegeeinrichtung] überwiesen wurde, reichte die Rechtsvertreterin
eine Entbindungserklärung der Beschwerdeführerin für den
behandelnden Arzt L._______ gegenüber dem
Bundesverwaltungsgericht zu den Akten.
O.
Am 29. Juli 2008 reichte die Rechtsvertreterin ein Schreiben des
Präsidenten der Sozialbehörde der Gemeinde K._______ zu den
Akten. Darin wird – unter Beilage zweier Schreiben der zuständigen
Behörden – die Situation [der Kinder] der Beschwerdeführenden aus-
geführt; C._______, [Ausführungen zur Altersfolge der Kinder], würde
bei vorhandener Bewilligung eine Lehrstelle bei der
Gemeindeverwaltung beginnen können und D._______ sei mit
Unterstützung der Gemeinde, [Ausführungen zur Integration von D.].
Beide Jugendliche seien motiviert und talentiert, die anderen vier
Kinder sprächen gut Deutsch und seien in der Schule sehr gut
integriert, sie seien zudem sehr motiviert und lernbereit. Der Vater der
Kinder würde von der Gemeinde sofort eine Arbeitsstelle erhalten,
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wenn er eine Arbeitsbewilligung hätte. Weiter wird um einen schnellen
Abschluss des Beschwerdeverfahrens gebeten, damit die Kinder eine
Zukunftsperspektive hätten.
Bezüglich der Beschwerdeführerin reichte die Rechtsvertreterin ein
Schreiben der [Pflegeeinrichtung] an die Gemeindeverwaltung
K._______ vom 27. Juni 2008 ein, mit welchem die
Gemeindeverwaltung K._______ gebeten wird, eine Kostenübernahme
zu prüfen, da eine weitere Abklärung und Behandlung der [Diagnose]
Beschwerdeführerin indiziert sei (act. 20).
P.
Mit Verfügung vom 22. August 2008 lud das Bundesverwaltungsgericht
die Vorinstanz zur erneuten Vernehmlassung bezüglich der zwischen-
zeitlich erfolgten Eingaben der Beschwerdeführenden ein und forderte
sie auf, die konkreten Vollzugsbemühungen seitens der kantonalen
und Bundesbehörden seit Erlass der angefochtenen Verfügung vom
24. März 2006 darzulegen.
Q.
Nach zweimaliger Fristverlängerung liess sich die Vorinstanz am
29. September 2008 wie folgt vernehmen: Beim eingereichten
Schreiben vom 28. Juli 2003 gehe es nicht um die Staatsangehörigkeit
des Beschwerdeführers, die darin lediglich beiläufig erwähnt werde,
weshalb es nicht geeignet sei, seine Staatsangehörigkeit in Frage zu
stellen. Die Beschwerdeführenden hätten aufgrund ihrer
Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Reisepapieren mitzuwirken
und seien dazu auch in der Lage. Dies beinhalte auch, dass sie ihre
Identität durch geeignete Dokumente nachweisen würden. Aufgrund
der Akten liessen sich keine aktiven Bemühungen der
Beschwerdeführenden um Erhalt dieser Dokumente erkennen. Es
bestehe deshalb auch kein Grund zur Annahme, einer freiwilligen
Rückkehr würden unüberwindbare faktische Hindernisse
entgegenstehen.
R.
Am 19. Januar 2009 leitete die Rechtsvertreterin ein Schreiben des
Beschwerdeführers mit der Bitte um Behandlung der Beschwerde und
[Beschrieb der sportlichen Tätigkeit] für D._______ als Beilage an das
Bundesverwaltungsgericht weiter (act. 26).
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S.
Mit Eingabe vom 25. April 2009 reichte die Rechtsvertreterin einen
Verlaufsbericht des [Pflegeeinrichtung] bezüglich der
Beschwerdeführerin zu den Akten. Darin wird der Beschwerdeführerin
[Diagnose] diagnostiziert (act. 28).
T.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2009 zeigte die Rechtsvertreterin einen
Mandatswechsel an und reichte Kopien der Substituierung des neuen
Rechtsvertreters, [Angaben zur Rechtsvertretung], zu den Akten.
U.
Mit Eingabe vom 6. August 2009 (act. 32) beantragte der neue
Rechtsvertreter mittels einer Beschwerdeergänzung die vorläufige
Aufnahme der Beschwerdeführenden aufgrund der fortgeschrittenen
Integration der Kinder sowie der Krankheit der Beschwerdeführerin
und der daraus resultierenden Unzumutbarkeit des Vollzugs der
Wegweisung nach Art. 83 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR
142.20). Auf die eingehende Begründung wird, soweit entscheid-
wesentlich, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen werden.
Zum Nachweis der fortgeschrittenen Integration der Kinder reichte der
Rechtsvertreter zahlreiche Unterstützungsschreiben von Behördenver-
treterinnen und Behördenvertretern, Lehrpersonen, Nachbarinnen und
Nachbarn sowie des Sportchefs des M._______ zu den Akten. Weiter
wurde ein Antwortschreiben des [Pflegeeinrichtung] vom 28. Juli 2009
eingereicht; dieses äussert sich zu Fragen des Rechtsvertreters
bezüglich des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin, bezüg-
lich eines allfälligen Abhängigkeitsverhältnisses zu ihren Familien-
angehörigen und dazu, was aus fachärztlicher Sicht einer Wegweisung
C._______s aus der Schweiz entgegenstehen würde.
V.
Am 7. April 2010 führte der Rechtsvertreter bezüglich der geltend
gemachten Unmöglichkeit des Vollzugs der Wegweisung aus, dass die
Beschwerdeführenden erneut bei der jemenitischen Vertretung in Genf
vorgesprochen hätten, und reichte ein diesbezügliches Schreiben der
jemenitischen Vertretung vom 24. Februar 2010 zu den Akten. Aus
dem Schreiben gehe hervor, dass die jemenitische Vertretung die
jemenitische Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführenden in Abrede
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stelle. Der Vollständigkeit halber hätten die Beschwerdeführenden
auch die somalische Vertretung aufgesucht, welche in ihrem Schreiben
vom 26. März 2010 zum Schluss gekommen sei, dass der Be-
schwerdeführer nicht somalischer Staatsangehöriger sei.
Diese Beweismittel würden deutlich untermauern, dass der Vollzug der
Wegweisung der Beschwerdeführenden unmöglich sei. Die Be-
schwerdeführenden hätten konkrete Bemühungen unternommen, ihre
Staatsangehörigkeit zu belegen. Da jedoch die jemenitischen Be-
hörden nicht bereit seien, die Beschwerdeführenden als jemenitische
Staatsangehörige anzuerkennen, bleibe sowohl der Zeitpunkt der
freiwilligen Rückkehrmöglichkeit als auch der Zeitpunkt des zwangs-
weisen Vollzugs unbestimmt und unabsehbar, weshalb den Be-
schwerdeführenden praxisgemäss im Sinne von Art. 83 Abs. 2 AuG die
vorläufige Aufnahme zu erteilen sei.
W.
Am 3. Mai 2010 reichte der Rechtsvertreter seine Kostennote zu den
Akten.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungs-
gericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundes-
gesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren
(VwVG, SR 172.021). Das Bundesamt für Migration (BFM, vormals
BFF) gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine
Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet be-
treffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das
Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der
vorliegenden Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich endgültig
(Art. 105 AsylG, Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
Nach Lehre und Praxis können Wiedererwägungsentscheide grund-
sätzlich wie die ursprüngliche Verfügung auf dem ordentlichen
Rechtsmittelweg weitergezogen werden. Demzufolge ist das Bundes-
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verwaltungsgericht auch zuständig für die Beurteilung des vor-
liegenden Beschwerdeverfahrens (vgl. auch die diesbezüglich auch
heute noch zutreffende Rechtsprechung der ARK in EMARK 2003 Nr.
7, E. 2a.aa.).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Be-
urteilung der bei der ARK hängigen Rechtsmittel übernommen. Das
neue Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG). Das
Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG,
soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6
AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht (Art. 6
AsylG i.V.m. Art. 50 und 52 VwVG). Die Beschwerdeführenden sind
durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung; sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert
(Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist
einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Mit Urteil vom 31. Januar 2005 wies die ARK die Beschwerde gegen
die Verfügung des BFF vom 21. September 2004 ab. Die Verfügung
des BFF erwuchs damit in Rechtskraft. Zu Recht hat demnach die
Vorinstanz das Gesuch der Beschwerdeführenden um vorläufige Auf-
nahme vom 15. März 2006 als Wiedererwägungsgesuch bezüglich der
Frage des Vollzugs der Wegweisung behandelt. Prozessgegenstand
des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildet einzig die Frage des
Vollzugs der Wegweisung.
4.
4.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar
oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsver-
hältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Auf-
nahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG).
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4.2 Der Vollzug der Wegweisung ist nicht möglich, wenn der Ausländer
oder die Ausländerin weder in den Herkunfts- oder in den Heimatstaat
noch in einen Drittstaat reisen oder dorthin gebracht werden kann
(Art. 83 Abs. 2 AuG). Gemäss der heute noch zutreffenden Recht-
sprechung der ARK setzt die Feststellung der technischen und
praktischen Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs voraus, dass
sowohl seitens der betroffenen Person als auch seitens der zu-
ständigen kantonalen und Bundesbehörden alle Anstrengungen hin-
sichtlich einer freiwilligen Ausreise respektive der zwangsweisen
Rückführung unternommen worden sind (so in EMARK 2006 Nr. 15,
E. 3.3.). Ferner ist die vorläufige Aufnahme aufgrund der technischen
Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs erst dann anzuordnen, wenn
die Unmöglichkeit bereits seit mindestens einem Jahr angedauert hat
und voraussichtlich auf unbestimmte Zeit, wiederum aber mindestens
während eines Jahres andauern wird (so in EMARK 1997 Nr. 27,
E. 4b; 1995 Nr. 14, E. 8a).
Er ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der
Schweiz einer Weiterreise des Ausländers oder der Ausländerin in den
Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen.
Der Vollzug kann insbesondere nicht zumutbar sein, wenn er für den
Ausländer oder die Ausländerin eine konkrete Gefährdung darstellt
(Art. 83 Abs. 2 - 4 AuG).
5.
5.1 Seit der mit Urteil der ARK vom 31. Januar 2005 eingetretenen
Rechtskraft der Verfügung des BFF vom 21. November 2004 ist der
Vollzug der Wegweisung der Beschwerdeführenden aus der Schweiz
vollstreckbar, da das Einreichen eines ausserordentlichen Rechts-
mittels den Vollzug nicht hemmt, ausser die Behörde entscheide
anders (Art. 112 AsylG). Vorliegendenfalls beantragten die Be-
schwerdeführenden konsequenterweise auch keine Aussetzung des
Vollzugs respektive keine aufschiebende Wirkung der Beschwerde
gegen den Entscheid des BFF, machten sie doch in ihrem Wieder-
erwägungsgesuch wie in der vorliegenden Beschwerde geltend, der
Vollzug der Wegweisung sei nicht möglich, weshalb sie nach Art. 83
Abs. 1 und 2 AuG vorläufig aufzunehmen seien.
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5.2 Obwohl der Vollzug der Wegweisung der Beschwerdeführenden
demnach seit dem 31. Januar 2005 vollstreckbar ist, wurden bis zum
heutigen Tag seitens des BFM oder der kantonalen Behörden keine
erfolgreichen Vollzugsbemühungen durchgeführt. Einzig im Januar
2006 wurde ein Termin mit der jemenitischen Botschaft organisiert,
dieser wurde jedoch den Beschwerdeführenden offenbar nie
bekanntgegeben (siehe diesbezüglich die Ausführungen in der Ver-
nehmlassung vom 28. Juni 2006 [act. 8] sowie der interne Schriften-
wechsel und die internen Aktennotizen der Vorinstanz [A36, A37 und
A38]). Auf Anfrage des kantonalen Migrationsamtes zum Stand der
Papierbeschaffung führte der zuständige Beamte der Abteilung Rück-
kehr des BFM aus, dass eine Beschwerde beim Bundesverwaltungs-
gericht eingereicht worden sei. Diese sei noch hängig, weshalb mit der
Papierbeschaffung nicht weitergefahren werden könne (siehe Voll-
zugsdossier, Mail vom 16. Februar 2007).
5.3 Seitens der Beschwerdeführenden wurde im Wiedererwägungs-
gesuch geltend gemacht, sie hätten versucht, einen Termin bei der
jemenitischen Botschaft zur erhalten, was aber ohne Mitwirkung der
Behörden nicht funktioniere (A25, S. 3).
Nachdem die Beschwerdeführenden zu Beginn des Beschwerde-
verfahrens noch geltend machten, sie könnten ohne Mitwirkung der
Behörden keinen Termin bei der jemenitischen Botschaft erhalten,
stünden aber jederzeit zur Verfügung (act. 1 und act. 10), reichten sie
im Laufe des Beschwerdeverfahrens Unterlagen ein, welche belegen
sollten, dass weder die somalischen, noch die jemenitischen Behörden
bereit seien, ihnen Reisepapiere auszustellen: So bestätigte die
jemenitische Botschaft in einem Schreiben vom 9. April 2008 die Vor-
sprache der Beschwerdeführenden und die Tatsache, dass die Bot-
schaft keine Papiere herstellen könne, solange die Beschwerde-
führenden keine Originalpapiere beibringen könnten (act. 14). Weiter
brachten die Beschwerdeführenden vor, dass sie trotz Vorsprechens
auf der somalischen wie auf der jemenitischen Botschaft keine Papiere
erhalten hätten (vgl. act. 1, S. 2; act. 14 und act. 33). Anlässlich des
letzten Vorsprachetermins am 18. Februar 2010 führte die
jemenitische Vertretung in der Folge aus, dass sie keine Beweise dafür
gefunden habe, dass die Beschwerdeführenden jemenitische Staats-
angehörige seien (vgl. Schreiben der Botschaft vom 24. Februar 2010
in act. 33). Die somalische Vertretung führte in einem Schreiben vom
26. März 2010 aus, dass die Behörden nach einem Interview mit den
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Beschwerdeführenden der Meinung seien, dass diese nicht die
somalische Staatsbürgerschaft besässen (Schreiben der somalischen
Vertretung in Genf vom 26. März 2010 in act. 33).
5.4 In ihrer Vernehmlassung vom 28. Juni 2006 beantragte die Vor-
instanz die Abweisung der Beschwerde und führte aus, dass
jemenitische Staatsbürger die jemenitische Vertretung selbständig
kontaktieren könnten und in einigen Fällen bereits ganze Familien auf
der Vertretung Reisepapiere hätten organisieren können. Aus der Be-
schwerde sei in keiner Weise ersichtlich, dass sich die Beschwerde-
führenden jemals ernsthaft um den Erhalt solcher Papiere bemüht
hätten. Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels führte die Vor-
instanz am 30. April 2008 aus, dass die Beschwerdeführenden im
Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht verpflichtet seien, bei der Be-
schaffung von Reisedokumenten aktiv mitzuwirken, was auch be-
inhalte, dass sie ihre Identität durch geeignete Dokumente nachweisen
würden.
Mit Zwischenverfügung vom 22. August 2008 wurde die Vorinstanz im
Rahmen eines weiteren Schriftenwechsels aufgefordert, ihre
konkreten Vollzugsbemühungen seit Erlass der angefochtenen Ver-
fügung vom 24. März 2006 darzulegen. Mit Vernehmlassung vom 29.
September 2008 führte die Vorinstanz jedoch nichts Neues an (act. 24)
5.5 Nicht zuletzt aufgrund des langen Zeitablaufs seit Einreichung des
Wiedererwägungsgesuchs im März 2006 respektive der Beschwerde
im April 2006 reichte der Rechtsvertreter am 6. August 2009 eine Be-
schwerdeergänzung zu den Akten und machte die Unzumutbarkeit des
Vollzugs der Wegweisung aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen
fortgeschrittenen Integration der minderjährigen Kinder (welche nun-
mehr ausführlich dokumentiert wurde) geltend. Gemäss konstanter
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei eine vorläufige
Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung nach
Art. 83 Abs. 4 AuG anzuordnen.
5.6 Die Frage, ob sowohl die Beschwerdeführenden als auch die Be-
hörden alle erforderlichen Anstrengungen für eine Zwangsvoll -
streckung bzw. eine freiwillige Rückkehr ins Heimatland unternommen
haben oder nicht und ob folglich der Vollzug der Wegweisung der Be-
schwerdeführenden nicht möglich im Sinne der obigen Ausführungen
ist, kann vorliegend offen gelassen werden, da im Folgenden auf-
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gezeigt werden soll, dass der Vollzug der Wegweisung der Be-
schwerdeführenden nicht zumutbar ist.
Die Wegweisungsvollzugshindernisse (Unzulässigkeit, Unzumutbar-
keit, Unmöglichkeit) sind alternativer Natur: Sobald eines von ihnen
erfüllt ist, ist der Vollzug der Wegweisung als undurchführbar zu be-
trachten und die weitere Anwesenheit in der Schweiz gemäss den
Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme zu regeln (vgl. EMARK
2006 Nr. 6 E. 4.2. S. 54 f., wobei zu berücksichtigen ist, dass die Be-
stimmung über die vorläufige Aufnahme zufolge einer schwer-
wiegenden persönlichen Notlage i.S. von Art. 44 Abs. 3 AsylG in der
Fassung vom 26. Juni 1998 [AS 1999 2273] per 1. Januar 2007 auf -
gehoben worden ist).
6.
6.1 Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG ist der Vollzug der Wegweisung nicht
zumutbar, wenn die beschwerdeführende Person bei einer Rückkehr in
ihren Heimatstaat einer konkreten Gefährdung ausgesetzt wäre. Diese
Bestimmung wird vor allem bei Gewaltflüchtlingen angewendet, das
heisst bei Ausländerinnen und Ausländern, die mangels persönlicher
Verfolgung weder die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft
noch jene des völkerrechtlichen Non-Refoulement-Prinzips erfüllen, je-
doch wegen der Folgen von Krieg, Bürgerkrieg oder einer Situation all -
gemeiner Gewalt nicht in ihren Heimatstaat zurückkehren können. Im
Weiteren findet sie Anwendung auf andere Personen, die nach ihrer
Rückkehr ebenfalls einer konkreten Gefahr ausgesetzt wären, weil sie
die absolut notwendige medizinische Versorgung nicht erhalten könn-
ten oder - aus objektiver Sicht - wegen der vorherrschenden Verhält-
nisse mit grosser Wahrscheinlichkeit unwiederbringlich in völlige Armut
gestossen würden, dem Hunger und somit einer ernsthaften Ver-
schlechterung ihres Gesundheitszustands, der Invalidität oder sogar
dem Tod ausgeliefert wären (EMARK 2005 Nr. 12 E. 10.3 S. 114,
EMARK 2005 Nr. 24 E. 10.1 S. 215, je mit weiteren Hinweisen).
Sind von einem allfälligen Wegweisungsvollzug Kinder betroffen, so
bildet im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung das Kindeswohl einen
Gesichtspunkt von gewichtiger Bedeutung. Dies ergibt sich nicht zu-
letzt aus einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 83 Abs. 4
AuG im Licht von Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens vom
20. November 1989 über die Rechte des Kindes (SR 0.107). Unter
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dem Aspekt des Kindeswohls sind demnach sämtliche Umstände
einzubeziehen und zu würdigen, die im Hinblick auf eine Wegweisung
wesentlich erscheinen (vgl. EMARK 2005 Nr. 6, E. 6.2).
In Bezug auf das Kindeswohl können namentlich folgende Kriterien im
Rahmen einer gesamtheitlichen Beurteilung von Bedeutung sein: Alter
des Kindes, Reife, Abhängigkeiten, Art (Nähe, Intensität, Tragfähigkeit)
seiner Beziehungen, Eigenschaften seiner Bezugspersonen
(insbesondere Unterstützungsbereitschaft und -fähigkeit), Stand und
Prognose bezüglich Entwicklung/Ausbildung, Grad der erfolgten
Integration bei einem längeren Aufenthalt in der Schweiz usw.. Gerade
letzterer Aspekt, die Dauer des Aufenthaltes in der Schweiz, ist im
Hinblick auf die Prüfung der Chancen und Hindernisse einer
Reintegration im Heimatland bei einem Kind als gewichtiger Faktor zu
werten, da Kinder nicht ohne guten Grund aus einem einmal
vertrauten Umfeld wieder herausgerissen werden sollten. Dabei ist aus
entwicklungspsychologischer Sicht nicht nur das unmittelbare
persönliche Umfeld des Kindes (d.h. dessen Kernfamilie) zu
berücksichtigen, sondern auch dessen übrige soziale Einbettung.
Die Verwurzelung in der Schweiz kann eine reziproke Wirkung auf die
Frage der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs haben, indem eine
starke Assimilierung in der Schweiz eine Entwurzelung im Heimatstaat
zur Folge haben kann, welche unter Umständen die Rückkehr dorthin
als unzumutbar erscheinen lässt (vgl. BVGE 2009/28 E. 9.3.2 sowie
die vom Bundesverwaltungsgericht übernommene Praxis der ARK in
EMARK 2006 Nr. 24 E. 6.2.3 S. 259 f.; EMARK 2005 Nr. 6 E. 6. S.
55 ff., je mit weiteren Hinweisen).
6.2 Während Kindern in einem anpassungsfähigen sehr jungen Alter
die Rückkehr in ihr Heimatland selbst nach einem mehrjährigen Auf-
enthalt im Gastland gemeinhin zugemutet wird, verlangt ein Weg-
weisungsvollzug eines langjährig anwesenden Adoleszenten sowie
auch eines zwischenzeitlich erwachsen gewordenen Kindes be-
ziehungsweise Jugendlichen eine differenzierte Betrachtung.
Abzuwägen sind dabei insbesondere die besonderen Bindungen,
welche die betreffende Person im Aufenthaltsstaat eingegangen ist, in
dem sie massgeblich ihre Erziehung erhalten, den Grossteil der
sozialen Kontakte geknüpft und ihre eigene Identität entwickelt hat. Die
Gewichtung der Aufenthaltsdauer hat sodann der Intensität und
Prägung des Aufenthalts Rechnung zu tragen.
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6.3 Die Beschwerdeführenden verliessen den Jemen im September
2003 und stellten noch im gleichen Monat ihr Asylgesuch in der
Schweiz. Die Kinder der Beschwerdeführenden sind demnach seit
beinahe sieben Jahren in der Schweiz. Zum Zeitpunkt der Ausreise
aus ihrer Heimat war C._______ 13jährig. D._______ war neunjährig,
E._______ siebenjährig, F._______ fünfjährig, G._______ dreijährig
und H._______ gerade einige Monate alt. Abgesehen von C._______,
welcher mittlerweile volljährig geworden ist, sind alle Kinder zum
heutigen Zeitpunkt minderjährig.
6.3.1 Vorab ist die Situation der fünf minderjährigen Kinder genauer
zu betrachten:
Alle Kinder haben ihre gesamte, oder im Falle von D._______ ihre
beinahe gesamte Schulzeit und damit prägende Jugendjahre in der
Schweiz verbracht. Gemäss Akten sind sie alle bestens integriert; so
ist D._______, heute 16jährig, [Ausführungen zur Integration von D.
und E. im Gemeinde- und Vereinsleben]. [Ausführungen zur guten
schulischen Integration von F., G. und H. mittels Schreiben der
Lehrerschaft]. Allen Kindern wird von Seiten ihrer Lehrerinnen und
Lehrer, sowie von zahlreichen Nachbarinnen und Freunden eine
ausserordentliche Integration attestiert. Aktenkundig ist, dass die
gesamte Familie ausserordentlich viel Kontakt mit Menschen aus der
Gemeinde K._______ pflegt und sich die Eltern und damit folglich
auch die Kinder im Gemeindeleben engagieren. Sie haben zudem
offenkundig eine überdurchschnittliche Sozialisierung in der Schweiz
durchlaufen, haben zahlreiche Freundschaften aufgebaut und
sprechen fliessend Deutsch wie Schweizerdeutsch. Aufgrund dieser
Ausführungen kann bei allen Kindern davon ausgegangen werden,
dass eine klare Integration betreffend der schweizerischen Kultur und
Lebensweise erfolgt ist. Demgegenüber dürften alle minderjährigen
Kinder kaum über die (mündlichen und schriftlichen) sprachlichen
Fähigkeiten verfügen, welche sie für eine schulische und berufliche
Wiedereingliederung im Jemen benötigen würden. Auch angesichts
der kulturellen Differenzen zwischen der Schweiz und ihrem
Herkunftsland Jemen wäre ihre Integration in der Heimat in erhöhtem
Mass in Frage gestellt. Es besteht bei dieser Sachlage – insbesondere
für die älteren minderjährigen Kinder der Beschwerdeführenden –
somit die konkrete Gefahr, dass die mit einem Vollzug der Wegweisung
verbundene Entwurzelung aus dem gewachsenen sozialen Umfeld in
der Schweiz einerseits und die sich gleichzeitig abzeichnende
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Problematik einer Integration in die ihnen weitgehend fremde
respektive fremdgewordene Kultur und Umgebung im Heimatland
anderseits zu starken Belastungen in ihrer weiteren Entwicklung
führen würde, die mit dem Schutzanliegen des Kindeswohls nicht zu
vereinbaren wäre.
Ob allenfalls eines der jüngeren Kinder, namentlich G._______ oder
H._______, noch in einem als anpassungsfähig geltenden Alter wäre,
in welchem ihm allenfalls eine Rückkehr ins Heimatland zugemutet
werden könnte, kann vorliegend nach dem Grundsatz der Einheit der
Familie keine Rolle spielen (Art. 44 Abs.1 in fine AsylG).
6.3.2 Weiter gilt es die Situation [Ausführungen zur Altersabfolge der
Kinder] heute volljährigen Sohnes C._______ zu erfassen, der als
Minderjähriger in die Schweiz kam, in der Zwischenzeit volljährig ge-
worden ist, und dem – wie sich aus den Akten ergibt – eine be-
merkenswerte Integration gelungen ist: C._______ war im Zeitpunkt
der Einreise 13jährig und damit mitten in der Adoleszenz. Gemäss
Schreiben seiner ehemaligen Lehrerschaft war C._______ ein
neugieriger, freundlicher und angenehmer Schüler, welcher sich in
bemerkenswerter Weise die deutsche Sprache zu eigen gemacht,
bereits nach kurzer Zeit gute bis sehr gute Leistungen in der Schule
erbracht hat und in deutscher Grammatik gar seinen Mitschülerinnen
und Mitschülern voraus war (siehe Schreiben von N._______ vom 14.
Juli 2006 bei act. 11, sowie Schreiben des Lehrerteams K._______
vom 30. April 2009 und Schreiben von O._______, Lehrerin für
Deutsch als Zweitsprache, vom 29. April 2009 bei act. 32). Nachdem er
2007 die Schule abschloss, wurde er dank seiner guten Integration in
K._______ und seiner sprachlichen Fähigkeiten (mangels Möglichkeit,
ihn als Lehrling anzustellen) als Praktikant bei der Gemeinde
[Ausführungen zum Arbeitsbereich] angestellt. Sein Vorgesetzter
attestiert ihm ein „grosses geistiges Potential,“ „Biss und einen
grossen Durchaltewillen“ (vgl. Mail von P._______ vom 1. Juli 2008 bei
act. 20). C._______ übt in seiner Freizeit [Ausführungen zur Tätigkeit
von C. in seiner Freizeit] und besucht neben seiner 100%
Beschäftigung als Praktikant einen Deutschkurs mit Diplomabschluss
sowie einen Englischkurs (vgl. Schreiben der Sozialbehörde
K._______ vom 29. April 2009). C._______ ist es demnach gelungen,
als junger Erwachsener in einer überaus schwierigen Situation
weiterhin engagiert und motiviert zu bleiben, was ein Zeichen von
bemerkenswerter Charakterstärke und Integrität ist. Nicht zuletzt ist
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ihm dies wohl auch dank seiner hervorragenden Integration in der
Gemeinde K._______ gelungen, welche ihm sofort eine Lehrstelle
anbieten würde (siehe act. 20).

C._______ ist zwar erst im Alter von 13 Jahren in die Schweiz
gekommen. Nichtsdestotrotz kann aber festgestellt werden, dass er
den für das anstehende Berufsleben wesentlichen Teil der
Sozialisation in der hiesigen Kultur erlebt hat. Aus den Akten geht
nicht hervor, dass er in den knapp sieben Jahren seines Aufenthaltes
in der Schweiz eine mit den hiesigen Bindungen vergleichbare
Beziehung mit Bezugspersonen seines Heimatlandes hat unterhalten
können. Er würde heute somit aus einer Lebensstruktur herausge-
rissen, welche sich grundlegend von derjenigen im Jemen unter-
scheiden dürfte und welche während der letzten Jahre seine
Persönlichkeitsentwicklung und seinen Alltag geprägt hat. Da er seit
mehr als sechs Jahren im Kanton (...) lebt, dort die Schule besucht,
Ausbildungen absolviert und geplant und sich in sozialer Hinsicht
überdurchschnittlich integriert hat, dürfte er an diese Kultur und
Lebensweise assimiliert sein.
Wie bereits erwähnt, kann die Verwurzelung in der Schweiz eine
reziproke Wirkung auf die Frage der Zumutbarkeit des
Wegweisungsvollzugs haben, indem eine starke Assimilierung in der
Schweiz eine Entwurzelung im Heimatstaat zur Folge haben kann,
welche unter Umständen die Rückkehr dorthin als unzumutbar
erscheinen lässt. Angesichts der überdurchschnittlichen Integration
C._______s, der während knapp sieben Jahren erfolgten, sämtliche
Lebensbereiche betreffenden Prägung, der kulturellen Differenzen
zum Heimatland, dem bevorstehenden Abbruch der persönlichen
Beziehungen sowie der beruflichen Projekte zeichnet sich vorliegend
eine solche, mit dem Zumutbarkeitsgedanken nicht zu vereinbarende
Entwurzelungssituation geradezu ab.
Zusammenfassend kommt das Bundesverwaltungsgericht deshalb
zum Schluss, dass auch ein Wegweisungsvollzug C._______s heute
als unzumutbar zu gelten hat.
6.3.3 Da wie oben ausgeführt der Vollzug der Wegweisung sämtlicher
Kinder der Beschwerdeführenden unter dem Gesichtspunkt des
Kindeswohls im heutigen Zeitpunkt als unzumutbar im Sinne von
Art. 83 Abs. 4 AuG zu qualifizieren ist, sind die Beschwerdeführenden
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als erziehungsberechtigte Personen aufgrund des Grundsatzes der
Einheit der Familie ebenfalls vorläufig aufzunehmen (vgl. Art. 44 Abs. 1
AsylG in fine sowie EMARK 1996 Nr. 18 E. 14e S. 189 f.). Ob ein Voll-
zug der Wegweisung der Beschwerdeführerin allenfalls auch aufgrund
ihrer gesundheitlichen Situation ([Diagnose]) als unzumutbar zu gelten
hätte, kann deshalb vorliegend offen gelassen werden.
7.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen ist.
Die vorinstanzliche Verfügung vom 24. März 2006 ist demnach inso-
weit aufzuheben als sie die Rechtskraft der Verfügung vom
21. September 2004 bezüglich des Vollzugs der Wegweisung betrifft.
Die Vorinstanz ist anzuweisen, die Beschwerdeführenden und alle ihre
Kinder in der Schweiz wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvoll-
zugs vorläufig aufzunehmen.
8.
8.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind den Beschwerde-
führenden keine Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG), weshalb
das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gegen-
standslos geworden ist.
8.2 Den Beschwerdeführenden ist angesichts des Obsiegens im Be-
schwerdeverfahren in Anwendung von Art. 64 Abs. 1 VwVG eine Par-
teientschädigung für die ihnen erwachsenen notwendigen Vertretungs-
kosten zuzusprechen (vgl. Art. 7 des Reglements vom 21. Februar
2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesver-
waltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Die vormalige Rechtsver-
treterin R._______ weist in ihrer Kostennote vom 18. April 2006 einen
Betrag von Fr. 200.- aus. Der heutige Rechtsvertreter S._______ weist
in seiner Kostennote vom 3. Mai 2010 einen Gesamtaufwand von
8 Stunden bei einem Stundenansatz von Fr. 150.- sowie Auslagen in
Höhe von Fr. 20.- aus. Dies erscheint angesichts des erheblichen
Verfahrensumfangs als angemessen (Art. 10 Abs. 2 und Art. 14
VGKE). Die Parteientschädigung zu Lasten des BFM wird deshalb auf
Fr. 1420.- (exklusive Mehrwertsteuer) festgesetzt.
(Dispositiv nächste Seite)
Seite 19
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Verfügungen des BFM vom 24. März 2006 sowie vom
21. September 2004 bezüglich der Dispositivziffern 3 und 4 werden
aufgehoben
3.
Das BFM wird angewiesen, die Beschwerdeführenden in der Schweiz
vorläufig aufzunehmen.
4.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
5.
Das BFM wird angewiesen, den Beschwerdeführenden eine Parteient-
schädigung von Fr. 1'420.-- (exkl. Mehrwertsteuer) auszurichten.
6.
Dieses Urteil geht an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführenden,
das BFM und die kantonale Behörde.
-
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Christa Luterbacher Contessina Theis
Versand:
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