E-4712/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Vollzug
Karar Dilini Çevir:
E-4712/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Vollzug
Abtei lung V
E-4712/2006
E-4716/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 8 . D e z e m b e r 2 0 0 9
Richter Markus König (Vorsitz),
Richter Pietro Angeli-Busi,
Richterin Regula Schenker Senn,
Gerichtsschreiber Rudolf Bindschedler.
A._______,
eigenen Angaben zufolge eritreischer
Staatsangehörigkeit,
Beschwerdeführerin 1,
und
B._______,
eigenen Angaben zufolge eritreischer
Staatsangehörigkeit,
Beschwerdeführerin 2,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Vollzug der Wegweisung;
Verfügungen des BFM vom 4. und 5. August 2005 /
N (...) / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-4712/2006
E-4716/2006
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführerinnen, zwei Schwestern, verliessen den Heimat-
staat nach eigenen Angaben gemeinsam am 4. Juli 2005 und gelang-
ten auf dem Luftweg von C._______ in Begleitung eines Schleppers
am 5. Juli 2005 über den Flughafen D._______ illegal in die Schweiz,
wo sie am 6. Juli 2005 um Asyl nachsuchten. Am 14. Juli 2005
respektive am 19. Juli 2005 fanden die summarischen Befragungen im
Empfangszentrum (EZ) E._______ statt. Am 27. Juli 2005 respektive
am 2. August 2005 wurden die Beschwerdeführerinnen vom BFM
direkt zu ihren Asylgründen angehört.
Im Wesentlichen machten die Beschwerdeführerinnen geltend, noch
vor ihrer Geburt seien ihre Eltern aus Eritrea nach Äthiopien einge-
wandert. Im Jahre _______ seien die Eltern aus Äthiopien vertrieben
worden. In der Folge hätten die Beschwerdeführerinnen bis am 4. Juli
2005 bei einem Onkel in F._______ (Äthiopien) gelebt. Damals hätten
sie sich wegen der instabilen Lage im Lande sowie wegen
persönlicher Schwierigkeiten mit der Gattin des Onkels zur Ausreise
entschieden.
B.
Mit Verfügungen vom 4. August 2005 (Beschwerdeführerin 1) respekti-
ve vom 5. August 2005 (Beschwerdeführerin 2) – eröffnet jeweils glei-
chentags – verneinte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft der
Beschwerdeführerinnen und lehnte die Asylgesuche ab. Gleichzeitig
verfügte es die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Weg-
weisungsvollzug an.
C.
Mit zwei gleichlautenden Beschwerden vom 2. September 2005 an die
vormals zuständige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) be-
antragten die Beschwerdeführerinnen die Aufhebung der Dispositivzif-
fern 3 (Wegweisung) und 4 (Vollzug) der Verfügungen vom 4. respekti-
ve 5. August 2005, die Feststellung der Unzumutbarkeit des Wegwei-
sungsvollzugs, die Gewährung der vorläufigen Aufnahme und in pro-
zessualer Hinsicht die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968
über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Zum Beleg ihrer
Mittellosigkeit gaben die Beschwerdeführerinnen je eine Bestätigung
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der Asylorganisation G._______ vom 2. September 2005 zu den Ak-
ten.
D.
Mit Zwischenverfügung vom 30. September 2005 des damals zuständi-
gen Instruktionsrichters wurde festgestellt, dass sich die Beschwerden
allein gegen den Vollzug der Wegweisung richteten, weshalb die Dis-
positivziffern 1 (Flüchtlingseigenschaft), 2 (Asylgewährung) und 3
(Wegweisung) der angefochtenen Verfügung in Rechtskraft erwachsen
seien. Zudem wurde wegen des engen persönlichen und sachlichen
Zusammenhangs die Vereinigung der beiden Beschwerdeverfahren
verfügt; der Entscheid über die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege wurde für später in Aussicht gestellt.
E.
In seiner Vernehmlassung vom 14. Oktober 2005 hielt das Bundesamt
an seinen Erwägungen in der angefochtenen Verfügung fest und bean-
tragte die Abweisung der Beschwerde. Dabei hielt es fest, dass die Be-
schwerdeführerinnen ihre Vorbringen, insbesondere jene betreffend
das angebliche Herkunftsland, nicht glaubhaft gemacht hätten.
F.
Mit gleichlautenden Eingaben vom 1. November 2005 machten die Be-
schwerdeführerinnen geltend, sie seien als Staatsangehörige von Erit-
rea in Äthiopien geboren worden. Ihre Eltern seien von Äthiopien nach
Eritrea deportiert worden, als sie (die beiden Beschwerdeführerinnen)
in der Schule gewesen seien. Sie wüssten nicht, wo die Eltern sich
befänden. Weil die Eltern nicht in Äthiopien seien und die (äthiopische)
Regierung sie ins Gefängnis stecken würde, könnten sie (die
Beschwerdeführerinnen) nicht dorthin zurückkehren.
G.
Am 5. April 2007 wurde den Beschwerdeführerinnen mitgeteilt, dass
ihre bei der ARK anhängig gemachten Beschwerdeverfahren per 1. Ja-
nuar 2007 vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden seien
und von der Abteilung V behandelt werden.
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Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Ju-
ni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR
172.021). Das Bundesamt für Migration (BFM) gehört zu den Behör-
den nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver-
waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sin-
ne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist
daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und
entscheidet in diesem Bereich endgültig (Art. 105 des Asylgesetzes
vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bun-
desgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurtei-
lung der bei der ARK hängigen Rechtsmittel übernommen. Das neue
Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.3 Die Beschwerden sind frist- und formgerecht eingereicht. Die Be-
schwerdeführerinnen sind durch die angefochtene Verfügungen beson-
ders berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhe-
bung beziehungsweise Änderung. Die Beschwerdeführerinnen sind da-
her zur Einreichung der Beschwerden legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m.
Art. 48 Abs. 1, Art. 50 und 52 VwVG). Auf die Beschwerden ist einzu-
treten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Die vorliegenden Beschwerden richten sich formal gegen die Wegwei-
sung sowie gegen den von der Vorinstanz angeordneten Wegwei-
sungsvollzug. Da die Wegweisung die übliche Folge der Ablehnung ei-
nes Asylgesuchs darstellt, ist über diesen Punkt, wie bereits mit Zwi-
schenverfügung vom 30. September 2005 festgestellt, praxisgemäss
nicht mehr zu befinden. Damit sind die Verfügungen des Bundesamtes
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vom 4. und 5. August 2005, soweit sie die Frage der Flüchtlingseigen-
schaft, des Asyls sowie die Anordnung der Wegweisung als solche be-
treffen (Ziffern 1 bis 3 der Dispositive der angefochtenen Verfügun-
gen), rechtskräftig geworden. Zu prüfen bleibt somit im Rahmen des
vorliegenden vereinigten Verfahrens einzig die Frage des Vorliegens
allfälliger Wegweisungsvollzugshindernisse.
4.
Die angefochtenen Verfügungen hatte das BFM im Wesentlichen damit
begründet, dass die Vorbringen der Beschwerdeführerinnen ebenso
wenig glaubhaft gemacht worden seien, wie die geltend gemachte erit-
reische Staatsangehörigkeit. Der Asylpunkt der Verfügungen wurde mit
den nur den Vollzug der Wegweisung betreffenden Beschwerden nicht
angefochten. Die ausführliche und im Ergebnis überzeugende Un-
glaubhaftigkeitsargumentation der Vorinstanz wird von den Beschwer-
deführerinnen denn auch mit keinem Wort bestritten. Diese beschrän-
ken sich diesbezüglich auf die unzutreffende Feststellung, das BFM
habe ihre Asylgesuche (einzig) mangels asylrechtlicher Relevanz ab-
gewiesen. Bei dieser Aktenlage – und angesichts der Tatsache, dass
ohne nachvollziehbare Begründung keinerlei Identitätsausweise einge-
reicht worden sind – geht auch das Bundesverwaltungsgericht davon
aus, dass die Beschwerdeführerinnen die eritreische Staatsangehörig-
keit nicht aufweisen.
5.
5.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder
nicht zumutbar, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis
nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme
von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bundesgeset-
zes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer
[AuG, SR 142.20]).
Der Vollzug ist nicht möglich, wenn der Ausländer oder die Ausländerin
weder in den Herkunfts- oder in den Heimatstaat noch in einen Dritt-
staat verbracht werden kann (Art. 83 Abs. 2 AuG). Er ist nicht zulässig,
wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise in
den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83
Abs. 3 AuG). Der Vollzug kann insbesondere nicht zumutbar sein,
wenn er für die ausländische Person eine konkrete Gefährdung dar-
stellt (Art. 83 Abs. 4 AuG).
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5.2 Ob der Vollzug der Wegweisung in den Heimatstaat als zulässig,
zumutbar und möglich qualifiziert werden kann, ist zwar grundsätzlich
von Amtes wegen zu prüfen (vgl. Art. 44 Abs. 2 AsylG). Praxisgemäss
findet diese Untersuchungspflicht jedoch nach Treu und Glauben ihre
Grenze in der Mitwirkungspflicht der asylsuchenden Person (Art. 8
AsylG), die auch die Substanziierungslast trägt (Art. 7 AsylG). Es kann
deshalb nicht Sache der Asylbehörden sein, nach allfälligen Wegwei-
sungshindernissen in hypothetischen Herkunftsländern zu forschen.
Die Beschwerdeführerinnen haben deshalb die Folgen ihrer mangel-
haften Mitwirkung respektive der Verheimlichung ihrer wahren Identität
und Herkunft zu tragen, indem vermutungsweise davon auszugehen
ist, es würden einer Wegweisung in den tatsächlichen Heimatstaat kei-
ne landes- oder völkerrechtlichen Vollzugshindernisse im Sinne von
Art. 44 Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 83 Abs. 2-4 AuG entgegenstehen (vgl.
auch Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylre-
kurskommission [EMARK] 2005 Nr. 1 E. 3.2.2 S. 5 f.),
5.3 Die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerinnen ist, wie oben
festgestellt, unklar. Aufgrund der Akten, namentlich angesichts der
Sprachkenntnisse der Rekurrentinnen, liegt die Vermutung nahe, dass
es sich bei ihnen um Äthiopierinnen handelt.
Der Vollständigkeit halber kann an dieser Stelle festgehalten werden,
dass sich aus den Akten auch bei dieser vermuteten Herkunft keinerlei
Hinweise für die Annahme ergeben, die Beschwerdeführerinnen wären
in ihrem tatsächlichen Heimatland irgendeiner konkreten Gefährdung
ausgesetzt, die unter dem Blickwinkel von Art. 83 Abs. 3 und 4 AuG re-
levant sein könnte: In Äthiopien herrscht keine Situation allgemeiner
Gewalt und die Beschwerdeführerinnen haben keine individuellen Ge-
fährdungsaspekte glaubhaft gemacht.
5.4 Konkrete Hinweise auf eine Unmöglichkeit des Vollzugs der Weg-
weisung lassen sich den Akten ebenfalls nicht entnehmen. Es obliegt
den Beschwerdeführerinnen, sich bei der zuständigen Vertretung ihres
Heimatlandes die für eine Rückkehr notwendigen Reisepapiere zu be-
schaffen (Art. 8 Abs. 4 AsylG).
6.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtenen Verfügun-
gen Bundesrecht nicht verletzen, den rechtserheblichen Sachverhalt
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richtig und vollständig feststellen und angemessen sind (Art. 106
AsylG). Die Beschwerden sind infolgedessen abzuweisen.
7.
Nachdem die prozessuale Bedürftigkeit der Rekurrentinnen mit den
Beschwerden belegt worden ist und diese nicht als aussichtslos im
Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG bezeichnet werden konnten, sind die
Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gutzuheis-
sen und von einer Kostenauflage ist abzusehen.
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden gutgeheissen.
3.
Er werden für beide Beschwerdeverfahren keine Kosten erhoben.
4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerinnen, das BFM und die
kantonale Ausländerbehörde.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Markus König Rudolf Bindschedler
Versand:
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