E-4617/2011 - Abteilung V - Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung - Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung...
Karar Dilini Çevir:
E-4617/2011 - Abteilung V - Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung - Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung...
Bundesve rwa l t ungsge r i ch t
T r i buna l   adm in i s t r a t i f   f édé ra l
T r i buna l e   ammin i s t r a t i vo   f ede ra l e
T r i buna l   adm in i s t r a t i v   f ede ra l
   
Abteilung V
E­4617/2011
U r t e i l   v om     2 9 .   S ep t embe r   2 0 1 1
Besetzung Richterin Muriel Beck Kadima (Vorsitz),
Richter Hans Schürch, Richterin Emilia Antonioni,   
Gerichtsschreiberin Patricia Petermann Loewe.
Parteien A._______, geboren am (…),
Eritrea,  
handelnd durch (…),
und
vertreten durch lic. iur. LL. M. Tarig Hassan, 
Advokatur Kanonengasse, (…),
Beschwerdeführerin, 
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), 
Quellenweg 6, 3003 Bern,   
Vorinstanz. 
Gegenstand Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung; 
Verfügung des BFM vom 28. Juli 2011 / N (…).
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Sachverhalt:
A. 
Am 22. Juni 2010 stellte die minderjährige Beschwerdeführerin über den 
Rechtsvertreter  ihrer  Mutter,  die  durch  einen  Entscheid  des  BFM  vom 
29. August  2008  in  der  Schweiz  wegen  unzumutbarem 
Wegweisungsvollzugs  vorläufig  genommen  wurde,  ein  Gesuch  um 
Einreise  in  die  Schweiz  und  um  Asylgewährung.  Dabei  machte  sie  im 
Wesentlichen geltend, sie habe Eritrea aufgrund der politischen Situation 
und des fehlenden sozialen und familiären Netzes – ihr Vater sei im Jahr 
2001  verstorben  und  ihr  Bruder  seit  seiner  Desertion  im  Jahr  2006 
verschwunden –  verlassen und befinde  sich nun –  vorübergehend –  im 
Sudan  bei  entfernten  Verwandten.  Unter  Berücksichtigung  des 
Familienlebens, der frauenspezifischen Problematik und des Kindeswohls 
könne  der  Beschwerdeführerin  ein  Leben  im  Drittstaat  nicht  zugemutet 
werden.
B. 
Mit  Zwischenverfügung  vom  15. Juli  2010  informierte  das  BFM  den 
Rechtsvertreter,  dass  die  Schweizer  Botschaft  in  Khartum  aus 
kapazitätsmässigen  Gründen  nicht  in  der  Lage  sei,  Befragungen  von 
Asylsuchenden  durchzuführen.  Daher  erhalte  er  einen  Fragebogen  mit 
der  Bitte,  diesen  möglichst  genau  und  konkret  zu  beantworten.  Bei 
unbenutztem  Fristablauf  werde  das  BFM  aufgrund  der  Aktenlage 
entscheiden.
C. 
Am 20. August 2010 ersuchte der Rechtsvertreter die Vorinstanz um eine 
Erstreckung der Frist bis zum 3. September 2010.
D. 
Mit Schreiben vom 26. Juli 2011 informierte der Rechtsvertreter das BFM, 
dass  die  Beschwerdeführerin,  welche  zwischenzeitlich  von  ihrem Onkel 
väterlicherseits  nach Eritrea  zurückgeführt worden  sei  – weshalb  er mit 
Schreiben  vom  3. September  2010  das  BFM  um  Sistierung  des 
Verfahrens gebeten habe –, sich nun wieder im Sudan befinde. Sie halte 
sich  im  Flüchtlingscamp  B._______  im  Osten  Sudans  auf  und  sei  im 
Besitz  eines  Flüchtlingsausweises.  Die  Vorinstanz  werde  mit  diesem 
Schreiben gebeten, das Gesuch vom 22. Juni 2010 wiederaufzunehmen.
In der Beilage fand sich ein Brief der Mutter der Beschwerdeführerin, mit 
welchem  sie  insbesondere  auf  die  schwierige  Situation,  die  im 
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Flüchtlingscamp  vorherrsche,  hinwies.  In  letzter  Zeit  sei  es  zu  vielen 
Entführungen  aus  dem  Lager  B._______  (vor  allem  von  Frauen  und 
Kindern)  Richtung  Sinai,  bzw.  Israel,  gekommen.  Sie  habe  auch  schon 
aus dem Lager Drohanrufe erhalten, dass ihrer Tochter etwas Schlimmes 
angetan werde, wenn sie (die Mutter) nicht Geld schicke.
E. 
Mit Verfügung vom 28. Juli 2011 – eröffnet am 29. Juli 2011  ­ bewilligte 
das  BFM  die  Einreise  der  Beschwerdeführerin  in  Schweiz  nicht  und 
lehnte  das  Asylgesuch  ab.  Im  Wesentlichen  wurde  dieser  Entscheid 
damit begründet, dass sie keine ernstzunehmenden Schwierigkeiten mit 
den eritreischen Behörden gehabt habe, da sie ihre Heimat wegen eines 
fehlenden sozialen und  familiären Netzes verlassen habe. Ferner sei es 
ihr  zuzumuten,  vorderhand  im  Sudan  zu  verbleiben,  wo  offensichtlich 
entfernte Verwandte leben würden. Im Weiteren wies es darauf hin, dass 
der  Rechtsvertreter  den  am  15. Juli  2010  zugestellten  Fragebogen 
unbeantwortet liess.
F. 
Am  22. August  2011  (Poststempel)  reichte  die  Mutter  der 
Beschwerdeführerin  gegen  diese  Verfügung  beim 
Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde ein. Sie beantragte, dass die 
vorinstanzliche Verfügung aufzuheben sei und dass ihrer Tochter zwecks 
Prüfung ihres Asylgesuchs die Einreise in die Schweiz zu bewilligen sei; 
eventualiter  sei  das Gesuch  zur  Abklärung  des  gesamten  Sachverhalts 
an das BFM zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht sei auf die 
Bezahlung  der  Verfahrenskosten  sowie  auf  die  Erhebung  eines 
Kostenvorschusses zu verzichten.
Die  Mutter  der  Beschwerdeführerin  begründete  ihre  Beschwerde  im 
Wesentlichen  mit  der  bevorstehenden  Einberufung  ihrer  Tochter  ins 
eritreische  Militär  und  der  prekären  Situation,  die  in  sudanesischen 
Flüchtlingslagern  vorherrsche.  Vor  allem  minderjährige  Kinder  seien 
infolge  der  knappen Nahrung  und medizinischen Versorgung  gefährdet. 
Hinzu  komme  die  Gefahr  der  Entführung  zwecks  Lösegelderpressung 
insbesondere  dann,  wenn  Angehörige  im  Ausland  lebten,  und  der 
sexuellen Ausbeutung von Kindern.
G. 
Mit Verfügung vom 30. August 2011 wies das Bundesverwaltungsgericht 
das Gesuch der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 
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des  Bundesgesetzes  vom  20. Dezember  1968  über  das 
Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) mangels Bedürftigkeit ab und 
verzichtete auf einem Kostenvorschuss. 
Das BFM wurde gleichzeitig zu einer Stellungnahme eingeladen (Art. 57 
Abs. 1  VwVG).  Insbesondere  wurde  die  Vorinstanz  gebeten,  sich 
hinsichtlich  der  Situation  der  minderjährigen  Beschwerdeführerin,  die 
alleine in einem Flüchtlingslager im Sudan lebe, zu äussern. Auch sei auf 
ihre  individuelle  Lage  Bezug  zu  nehmen,  die  sie  bei  einer  möglichen 
Rückkehr nach Eritrea antreffen könnte.
H. 
Mit  Eingabe  vom  29. August  2011  (Eingang  Bundesverwaltungsgericht: 
30. August  2011)  reichte  auch  der  Rechtsvertreter  (innerhalb  der 
Beschwerdefrist)  namens  und  im  Auftrag  der  Beschwerdeführerin  eine 
Beschwerde  beim  Bundesverwaltungsgericht  ein.  Diese  wurde  als 
Beschwerdeergänzung  entgegengenommen.  Dabei  wurde  zusätzlich  zu 
den Begehren der Eingabe vom 22. August 2011 beantragt, in der Person 
des  Unterzeichnenden  sei  der  Beschwerdeführerin  ein  unentgeltlicher 
Rechtsbeistand zu stellen.
Ergänzend  zu  den  Ausführungen  über  die  Gefahr  der 
Beschwerdeführerin,  die  ihr  in  Eritrea  und  im  Sudan  drohe,  wurde  in 
materieller Hinsicht ausgeführt, dass sie – wie zu keinem anderen Staat – 
durch die Anwesenheit  ihrer Mutter eine besondere Beziehungsnähe zur 
Schweiz  habe.  In  formeller  Hinsicht  wurde  darüber  hinaus  gerügt,  die 
Beschwerdeführerin  sei  nicht  wie  vorgeschrieben  von  der 
schweizerischen  Botschaft  in  Khartum  befragt  worden;  entgegen  der 
Meinung  der  Vorinstanz  liege  in  casu  kein  Ausnahmegrund  von  dieser 
Regel vor. Dieser Mangel stelle eine Verletzung des  rechtlichen Gehörs 
dar,  weshalb  der  vorinstanzliche  Entscheid  aufzuheben  und  die  Sache 
eventualiter  zur  Durchführung  einer  Anhörung  an  das  BFM 
zurückzuweisen sei.
I. 
Im Rahmen der Vernehmlassung vom 1. September 2011 wies das BFM 
darauf  hin,  dass  erhebliche  Zweifel  über  eine  Rückkehr  der 
Beschwerdeführerin  nach  Eritrea  im  August  2010,  um  einige  Monate 
später wieder auszureisen, bestehen würden. Weiter bemerkte es, dass 
ein  Gesuch  um  Familienzusammenführung  (Art. 85  Abs. 7  des 
Bundesgesetzes  vom 16. Dezember  2005  über  die Ausländerinnen  und 
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Ausländer  [AuG,  SR  142.20]  i.V.m.  Art. 74  der  Verordnung  vom 
24. Oktober  2007  über  Zulassung,  Aufenthalt  und  Erwerbstätigkeit 
[VZAE, SR 142.201])  – nachdem die erforderliche Frist  von drei  Jahren 
abgelaufen  sei  –  bei  der  zuständigen  kantonalen Behörde  einzureichen 
sei. 
Die  Stellungnahme  wurde  am  8. September  2011  dem  Rechtsvertreter 
der Beschwerdeführerin zur Kenntnisnahme zugesandt.
J. 
Mit  Instruktionsverfügung  vom  16. September  2011  wies  das 
Bundesverwaltungsgericht  das  Gesuch  um  Gewährung  der 
unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 2 VwVG ab.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1. 
1.1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden 
gegen  Verfügungen  nach  Art. 5  VwVG.  Das  BFM  gehört  zu  den 
Behörden  nach  Art. 33  VGG  und  ist  daher  eine  Vorinstanz  des 
Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme 
im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht 
ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und 
entscheidet  auf  dem  Gebiet  des  Asyls  endgültig,  ausser  bei  Vorliegen 
eines  Auslieferungsersuchens  des  Staates,  vor  welchem  die 
beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d 
Ziff. 1  des  Bundesgerichtsgesetzes  vom  17. Juni  2005  [BGG, 
SR 173.110]).
1.2. Das  Verfahren  richtet  sich  nach  dem  VwVG,  dem  VGG  und  dem 
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 
AsylG).
1.3.  Der  Umstand,  dass  das  betreffende  Gesuch  nicht  bei  einer 
schweizerischen Vertretung, sondern direkt beim BFM eingereicht wurde, 
ist  nicht  massgebend  (vgl.  für  die  in  dieser  Hinsicht  weiterhin  Geltung 
beanspruchende  Praxis  der  Schweizerischen  Asylrekurskommission 
[ARK]  die  Feststellungen  in  Entscheidungen  und  Mitteilungen  der 
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Schweizerischen Asylrekurskommission  [EMARK] 1997 Nr. 15 E. 2b, die 
sich zwar auf den damaligen Art. 13a AsylG beziehen, jedoch auch nach 
geltendem Asylgesetz massgeblich bleiben).
1.4.  Die  Beschwerde  ist  frist­  und  formgerecht  eingereicht.  Die 
Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, 
ist  durch  die  angefochtene  Verfügung  besonders  berührt  und  hat  ein 
schutzwürdiges  Interesse  an  deren  Aufhebung  bzw.  Änderung;  sie  ist 
daher  zur Einreichung der Beschwerde  legitimiert  (Art. 105 und Art. 108 
Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist 
einzutreten.
2. 
Mit  Beschwerde  kann  die  Verletzung  von  Bundesrecht,  die  unrichtige 
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und 
die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3. 
Das  BFM  bewilligt  Asylsuchenden  die  Einreise  in  die  Schweiz  zur 
Abklärung des Sachverhalts, wenn  ihnen nicht  zugemutet werden kann, 
im  Wohnsitz­  oder  Aufenthaltsstaat  zu  bleiben  oder  in  einen  anderen 
Staat  auszureisen  (Art. 20  Abs. 2  AsylG).  Die  Voraussetzungen  für  die 
Erteilung  einer  Einreisebewilligung  sind  grundsätzlich  restriktiv 
umschrieben.  Den  Asylbehörden  kommt  dabei  ein  weiter 
Ermessensspielraum zu. Neben der erforderlichen Gefährdung  im Sinne 
von Art. 3 AsylG  sind  namentlich  die Beziehungsnähe  zur Schweiz  und 
zu  anderen  Staaten,  die  Möglichkeit  und  objektive  Zumutbarkeit  einer 
anderweitigen  Schutzsuche  sowie  die  voraussichtlichen  Eingliederungs­ 
und Assimilationsmöglichkeiten  in Betracht zu ziehen. Ausschlaggebend 
ist mit anderen Worten die Schutzbedürftigkeit der betreffenden Person, 
d.h.  die  Beantwortung  der  Fragen,  ob  eine  Gefährdung  im  Sinne  von 
Art. 3  AsylG  glaubhaft  erscheint  und  der  Verbleib  am Aufenthaltsort  für 
die Dauer  der  Sachverhaltsabklärung  zugemutet  werden  kann,  bzw.  ob 
der  betreffenden  Person  –  ohne  nähere  Prüfung  einer  allfälligen 
Gefährdung  im  Sinne  von  Art. 3  AsylG  –  zuzumuten  ist,  sich  in  einem 
anderen Staat um Aufnahme zu bemühen (vgl. EMARK 1997 Nr. 15 E. 2; 
2004 Nr. 21 E. 2; 2004 Nr. 20 E. 3b).
4. 
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4.1.  Es  gilt  im  vorliegenden  Verfahren  vorab  zu  klären,  ob  –  wie  vom 
Rechtsvertreter  gerügt  –  das  rechtliche  Gehör  der  Beschwerdeführerin 
verletzt  wurde.  Gerügt  wird,  dass  das  BFM  das  vorgeschriebene 
Verfahren  bei  Asylgesuchen  aus  dem  Ausland  (Art. 20  AsylG  i.V.m. 
Art. 10  der  Asylverordnung 1  vom  11. August  1999  über 
Verfahrensfragen  [AsylV 1, SR 142.311])  falsch gehandhabt  (vgl. E. 4.2) 
und  seine Begründungspflicht  verletzt  habe  (vgl. E. 4.3). Ferner wird  zu 
prüfen sein, ob die Vorinstanz den Sachverhalt richtig festgestellt hat (vgl. 
E. 4.4).
Das Bundesverwaltungsgericht  stellt  an  dieser Stelle  fest,  dass  der  von 
der  beschwerdeführenden  Partei  erwähnte  Antrag  um  Sistierung  des 
Verfahrens  vom  3. September  2010  (vgl.  Schreiben  vom  26. Juli  2011) 
sich  nicht  bei  den  Akten  der  Vorinstanz  befindet.  Ferner  fehlt  das 
Aktenstück A7  (Formular  Ausweiserfassung)  im Dossier  der  Vorinstanz. 
Hingegen  ist die Eingabe des Rechtsvertreters vom 26. Juli 2011 weder 
im  Aktenverzeichnis  aufgeführt  noch  paginiert  (vgl.  dazu  das  zur 
Publikation  vorgesehene  Urteil  des  Bundesgerichts  2C_327/2010  vom 
19. Mai 2011 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen).
4.2. Gemäss Art. 10 Abs. 1 AsylV 1  führt  die  schweizerische Vertretung 
im Ausland mit  der asylsuchenden Person  in der Regel  eine Befragung 
durch.  Davon  kann  abgewichen  werden,  wenn  eine  Anhörung  faktisch, 
aus  organisatorischen  oder  kapazitätsmässigen Gründen  unmöglich  ist. 
In  diesem  Fall  muss  die  asylsuchende  Person  mittels  eines 
individualisierten  und  konkretisierten  Schreibens  aufgefordert  werden, 
ihre  Gründe  für  das  Asylgesuch  schriftlich  einzureichen.  Ist  der 
Sachverhalt schon aufgrund des eingereichten Asylgesuchs entscheidreif 
erstellt,  kann sich eine persönliche Befragung ebenfalls erübrigen. Beim 
Abweichen  von  der  Regel,  eine  Befragung  durchzuführen,  ist  das  BFM 
gehalten,  dies  in  der  Verfügung  zu  begründen.  Zeichnet  sich  ein 
negativer Entscheid ab, ist der asylsuchenden Person diesbezüglich das 
rechtliche Gehör zu gewähren (BVGE 2007/30 E. 5.2 ff.).
Das  Bundesverwaltungsgericht  kann  sich  der  Meinung  des 
Rechtsvertreters,  die  von  der  Vorinstanz  angeführten  Gründe  für  einen 
Verzicht  einer  Befragung  würden  für  einen  Ausnahmetatbestand  nicht 
ausreichen,  nicht  anschliessen.  Das  Bundesamt  hat  mit  der 
Zwischenverfügung  vom  15. Juli  2010  ausgeführt,  weshalb  –  gemäss 
einem  beigelegten  Schreiben  der  Schweizer  Botschaft  in  Khartum  vom 
23. März 2010 – die Vertretung bis auf Weiteres aus kapazitätsmässigen 
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Gründen  nicht  in  der  Lage  sei,  die  Befragungen  von  Asylsuchenden 
durchzuführen.  Unter  dem  Hinweis  auf  die  Mitwirkungspflicht  der 
Beschwerdeführerin  (Art. 8 AsylG) wurde  in  der  gleichen Verfügung  der 
Rechtsvertreter  aufgefordert,  die  aufgelisteten  Fragen  möglichst  genau 
und konkret zu beantworten. Diese Fragestellungen decken sämtliche für 
die Beurteilung des Asylgesuchs aus dem Ausland notwendigen Aspekte 
ab,  namentlich den Aufenthalt  in Eritrea, Familienangehörige/Verwandte 
in Drittstaaten, Ereignisse, die zur Ausreise aus Eritrea  führten und den 
Aufenthalt im Sudan. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist 
folglich abzulehnen.
Hingegen  gilt  es  festzustellen,  dass  das  Bundesamt  dennoch  das 
rechtliche Gehör  im Sinne  von Art. 30 VwVG verletzt  hat,  indem es der 
Ankündigung  in  seiner  Verfügung  vom  15. Juli  2010,  es  werde  der 
Beschwerdeführerin  im  Falle  einer  negativen  Verfügung  Gelegenheit 
einräumen,  sich  abschliessend  dazu  zu  äussern  (vgl.  auch  BVGE 
2007/30 E. 5.8), nicht nachgekommen ist.
4.3. Weiter gilt es zu prüfen, ob das BFM die Begründungspflicht verletzt 
hat.  Die  Pflicht  der  Behörde  zur  Begründung  von  Verfügungen  wird  in 
Art. 35 Abs. 1 VwVG  festgehalten  (vgl.  dazu FELIX UHLMANN/ALEXANDRA 
SCHWANK,  in:  Bernhard  Waldmann/Philippe  Weissenberger  [Hrsg.], 
Praxiskommentar  VwVG,  Zürich  2009,  Art. 35  N. 10 ff.;  LORENZ 
KNEUBÜHLER,  in:  Christoph  Auer/Markus  Müller/Benjamin  Schindler 
[Hrsg.],  Kommentar  zum  Bundesgesetz  über  das  Verwaltungsverfahren 
[VwVG],  Zürich/St. Gallen  2008, Art. 35 N. 4 ff.).  Die Begründungspflicht 
gewährleistet  dem  Verfügungsadressaten,  wirksam  Beschwerde  zu 
führen,  und  verhindert,  dass  sich  die  Behörden  von  unsachgemässen 
Motiven leiten lassen (vgl. EMARK 2006 Nr. 4 E. 5). Dies bedeutet, dass 
das BFM in seiner Verfügung darzulegen hat, weshalb es der betroffenen 
Person kein Asyl gewährt und sie nicht einreisen  lässt. Ausnahmsweise 
kann  gemäss  Art. 35  Abs. 3  VwVG  darauf  verzichtet  werden,  wenn  die 
Behörde den Begehren der Parteien voll entspricht.
Die Begründungsdichte richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls 
(ALFRED  KÖLZ/ISABELLE  HÄNER,  Verwaltungsverfahren  und 
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, N. 355), d.h. 
dem  Verfügungsgegenstand,  den  Verfahrensumständen  und  den 
Interessen des Betroffenen, wobei bei schwerwiegenden Eingriffen in die 
rechtlich geschützten  Interessen des Betroffenen – und um solche geht 
es bei der Frage des Asyls – eine sorgfältige Begründung verlangt wird 
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(BVGE  2008/47  E. 3.2;  EMARK  2006  Nr. 24  E. 5.1  mit  weiteren 
Hinweisen).
Im vorliegenden Fall ist der Vorwurf der unzureichenden Begründung der 
vorinstanzlichen  Verfügung  als  erfüllt  zu  betrachten.  Es  wurde  –  nach 
einem  grossen  theoretischen  Teil  –  lediglich  festgestellt,  dass  die 
Beschwerdeführerin  ihre  Heimat  wegen  eines  fehlenden  sozialen  und 
familiären Netzes verlassen habe, weshalb keine Gefahr für sie bestehe. 
Dabei wurde unterlassen, sich bezüglich der Minderjährigkeit,  ihrer Rolle 
als  alleinstehende  junge  Frau  und  des  Umstandes,  dass  ihr  Bruder 
desertiert  habe,  zu  äussern.  Hinsichtlich  der  Situation  im  Sudan 
informierte  das  BFM  in  einem  Satz,  es  sei  der  Beschwerdeführerin 
zuzumuten,  vorderhand  im  Sudan  zu  verbleiben,  wo  offensichtlich 
Verwandte leben würden. Angesichts der hohen persönlichen Interessen 
der  Beschwerdeführerin  ist  die  Verfügung  vom  28. Juli  2011  als 
ungenügend begründet zu betrachten.
4.4.  Die  Asylbehörden  sind  verpflichtet,  unter  Mitwirkung  der 
asylsuchenden Person (Art. 8 AsylG), den rechtserheblichen Sachverhalt 
von Amtes wegen vollständig und richtig festzustellen (Art. 6 AsylG i.V.m. 
Art. 12 und Art. 32 VwVG). Das BFM ist demgemäss verpflichtet, die  für 
das Verfahren erforderlichen Sachverhaltsunterlagen  zu beschaffen und 
darüber  ordnungsgemäss  Beweis  zu  führen.  Ferner  hat  sie  die 
rechtsrelevanten  Umstände  abzuklären  (PATRICK  L.  KRAUSKOPF/KATRIN 
EMMENEGGER,  in:  Bernhard  Waldmann/Philippe  Weissenberger  [Hrsg.], 
Praxiskommentar VwVG, Zürich 2009, Art. 12 N. 21 ff.). Aus Art. 8 Abs. 1 
Bst. d  AsylG  ergibt  sich  die  Berechtigung  der  Asylsuchenden,  Beweise 
anzubieten,  die  die  Behörde  grundsätzlich  im  Rahmen  der  Gewährung 
des  rechtlichen Gehörs zu würdigen hat, bevor sie verfügt  (vgl. EMARK 
2004 Nr. 16 E. 7a).
Wie bereits festgestellt wurde, hat sich das BFM nicht zur mutmasslichen 
Minderjährigkeit geäussert. In allen Dokumenten der Vorinstanz wie auch 
im  Zentralen  Migrationsinformations­System  (ZEMIS)  wurde  als 
Geburtsjahr der Beschwerdeführerin das Jahr 1977 erwähnt. Dies obwohl 
das  Asylgesuch  vom  22. Juni  2010  wie  auch  die  weiteren  Eingaben 
seitens des Rechtsvertreters als Geburtstag der Beschwerdeführerin den 
2. Juni  1997  angaben.  Auch  hat  die  Mutter  im  Rahmen  ihrer 
summarischen  Befragung  vom  9. Oktober  2006  ausgeführt,  dass  ihre 
Töchter  im  Jahr  1997  geboren  worden  seien  (A1,  S. 3).  Nach  diesen 
Ausführungen  ist  festzustellen, dass der Vorinstanz einen offenkundigen 
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Fehler  unterlief,  indem  sie  einen  falschen  Jahrgang  der 
Beschwerdeführerin registrierte. Der rechtserhebliche Sachverhalt wurde 
demgemäss vom BFM nicht richtig festgestellt.
4.5. Bei  einer Rechtsverletzung  formeller Natur wird  der  vorinstanzliche 
Entscheid  grundsätzlich  aufgehoben.  Allerdings  besteht  auch  unter 
gewissen  Umständen  die  Möglichkeit  der  Heilung  eines  derartigen 
Verfahrensmangels  (ALFRED  KÖLZ/ISABELLE  HÄNER,  a.a.O.,  N. 131).  Es 
stellt  sich  daher  die  Frage,  ob  die  vorgängig  festgestellte  Verletzung 
geheilt  werden  kann  oder  zur  Kassation  der  angefochtenen  Verfügung 
führen  muss.  Gemäss  Art. 105  AsylG  i.V.m.  Art.  37  VGG  und  Art.  61 
Abs. 1 VwVG darf eine Kassation und Rückweisung an die Vorinstanz nur 
ausnahmsweise  erfolgen,  so  etwa,  wenn  weitere  Tatsachen  festgestellt 
werden müssen und ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen ist 
(vgl.  EMARK 1995  Nr. 6  E. 3d;  ALFRED  KÖLZ/ISABELLE  HÄNER,  a.a.O., 
N. 694). Massgebende Kriterien sind daher im Wesentlichen die Schwere 
und  die  Anzahl  der  Verfahrensfehler,  die  Spruchreife  des  Falles,  die 
Möglichkeit,  das  allenfalls  zu  Unrecht  verweigerte  rechtliche  Gehör  auf 
Beschwerdestufe  zu  gewähren  sowie  die  Kognition  des  Gerichts  (vgl. 
EMARK 2004 Nr. 38 E. 7.1 mit weiteren Hinweisen).
Vorliegend ist die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie 
die  mangelhafte  Feststellung  des  rechtserheblichen  Sachverhalts  als 
schwerwiegenden Mangel und zu erachten, der kein Versehen, sondern 
das  Resultat  gehäufter  unsorgfältiger  Verfahrensführung  darstellt  (vgl. 
EMARK 2004 Nr. 28  E. 7e).  Dies  gilt  insbesondere  für  die  unterlassene 
Beachtung  der  zentralen  Minderjährigkeit  der  Beschwerdeführerin.  Von 
daher  gesehen wäre  in  casu  eine  Kassation  und  eine Rückweisung  an 
die  Vorinstanz  angebracht,  um  eine  formell  korrekte  Durchführung  des 
Verfahrens vor erster Instanz zu erreichen.
Aus  prozessökonomischen  Gründen  hat  der  Gesetzgeber  die 
Beschwerde  an  das  Bundesverwaltungsgericht  grundsätzlich 
reformatorisch  ausgestaltet.  Im  vorliegenden  Fall  ist  von  einem 
minderjährigen  Mädchen  aus  Eritrea  auszugehen,  das  sich  alleine  in 
einem  Flüchtlingslager  im  Osten  Sudans  befindet.  Aufgrund  dieser 
aussergewöhnlichen Umstände, die eine dringliche Entscheidfindung und 
keinen  formalistischen  Leerlauf  erfordern,  und  der  vollen  Kognition  des 
Bundesverwaltungsgerichts  entscheidet  es  in  dieser  Sache  selbst  (vgl. 
dazu BGE 133 I 201 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen).
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5. 
5.1. Es  ist  nachfolgend  zu  prüfen,  ob  die  Beschwerdeführerin  bei  einer 
Rückkehr in ihr Heimatland Eritrea einer Gefährdung im Sinne von Art. 3 
AsylG ausgesetzt wäre.
5.2. Das BFM führte diesbezüglich in seiner ablehnenden Verfügung aus, 
die Beschwerdeführerin sei  in Eritrea nicht gefährdet, da sie  ihre Heimat 
wegen eines fehlenden sozialen und familiären Netzes verlassen habe.
5.3.  Die  Beschwerdeführerin  hielt  dem  entgegen,  es  drohe  ihr  in 
absehbarer Zukunft den Einzug ins eritreische Militär. Weiter sei bekannt, 
dass  Familienangehörige  von  Deserteuren  systematisch  verhaftet, 
befragt und  in Beugehaft genommen werden würden. Zudem sei darauf 
hinzuweisen,  dass  alleinstehende  Frauen  wie  die  Beschwerdeführerin 
besonders gefährdet seien.
5.4.  Gemäss  der  massgebenden  Rechtsprechung  ist  eine  Furcht  vor 
einer  Bestrafung  wegen  Dienstverweigerung  oder  Desertion  begründet, 
wenn  die  betroffene  Person  in  einem  konkreten  Kontakt  zu  den 
Militärbehörden stand, aus dem erkennbar ist, dass die Person rekrutiert 
werden  soll  (beispielsweise  ein  Marschbefehl,  vgl.  EMARK  2006  Nr. 3 
E. 4.10).  Von  einer  solchen  Kontaktaufnahme  seitens  des  eritreischen 
Militärs ist den Akten nichts zu entnehmen.
5.5. Weiter  gilt  es  zu  untersuchen,  ob  die  Beschwerdeführerin  aus  den 
Umständen,  dass  ihr  Bruder  mutmasslich  aus  der  eritreischen  Armee 
desertiert habe, bzw. dass ihre Mutter ausser Landes geflüchtet  ist, eine 
begründete  Furcht  hat,  ernsthaften  Nachteilen  ausgesetzt  zu  sein.  In 
seiner  rechtskräftigen  Verfügung  vom  29. August  2008  betreffend  das 
Asylgesuch der Mutter  der Beschwerdeführerin  führte  das BFM aus,  es 
sei nicht glaubhaft, dass sie aus Eritrea ausgereist sei, weil sie wegen der 
Desertion  eines  Sohnes  Verfolgungsmassnahmen  zu  befürchten  habe. 
Implizit  wird  hingegen  offengelassen,  ob  die  Desertion  des  Sohnes  an 
und  für  sich  glaubhaft  sei.  Es  muss  auch  im  vorliegenden  Fall  nicht 
abschliessend beurteilt werden, ob hinsichtlich der Desertion des Bruders 
tatsächlich  im  Zeitpunkt  der  Ausreise  eine  asylrechtlich  relevante 
Gefährdung für die Beschwerdeführerin bestand. 
Doch erscheint es vorliegend nicht abwegig, insbesondere angesichts der 
Tatsache,  dass  eritreische  Behörden  oftmals  auch  harte  Sanktionen 
gegen nahe Angehörige von illegal ausgereisten Personen – wie in casu 
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die Mutter (vgl. deren Anhörungsprotokoll vom 7. Januar 2008 A12 S. 9) 
– verhängen,  von einer begründeten Furcht  der Beschwerdeführerin  vor 
einer  drohenden  Reflexverfolgung  auszugehen.  Hinzu  kommt,  dass 
gemäss  verschiedenen  Lageberichten  zu  Eritrea  Angehörige  von  im 
Ausland  lebenden  Dissidenten,  Wehrdienstpflichtigen  und  Deserteuren 
oder  Personen,  welche  die  von  Eritreern  im  Ausland  erhobene 
zweiprozentige  Einkommenssteuer  nicht  bezahlt  haben,  von  den 
Sicherheitsorganen  befragt  und  häufig  inhaftiert  werden,  damit  sie  den 
Aufenthaltsort der gesuchten Person Preis geben (vgl. US Department of 
State,  2010  Human  Rights  Report,  Eritrea,  8.  April  2011;  UNHCR, 
Eligibility Guidelines  for Assessing  the  International Protection Needs of 
Asylum­seekers from Eritrea, 20. April 2011, S. 17 f.; ALEXANDRA GEISER, 
Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Eritrea Update vom Februar 2010, 
8. Februar 2010, S. 14).
Diese  Indizien  genügen,  um  eine  allfällige  Gefährdung  der 
Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Eritrea  im Sinne von Art. 3 
AsylG prima facie als glaubhaft erscheinen zu lassen.
5.6.  Eine  illegale  Ausreise  aus  Eritrea  kann  ebenfalls  staatliche 
Sanktionen nach sich ziehen, da dies als Zeichen politischer Opposition 
gegen den Staat gewertet wird. Gemäss der "Proclamation No. 24/1992", 
welche die Ein­ und Ausreise nach und von Eritrea regelt – ist ein legales 
Verlassen  des  Landes  nur  mit  einem  gültigen  Reisepass  und  einem 
zusätzlichen  Ausreisevisum  möglich  (vgl.  Urteil  des 
Bundesverwaltungsgerichts  D­3892/2008  vom  6.  April  2010  E. 5.3.2). 
Verschiedene  Quellen  berichten,  dass  schon  Kindern  –  bevor  sie  mit 
18 Jahren  ins  Militär  eingezogen  werden  –  die  Ausreise  aus  Eritrea 
verweigert  werde,  da  viele  Jugendliche  wegen  der  bevorstehenden 
Dienstpflicht ausser Landes fliehen würden. Teilweise wird berichtet, dass 
Kinder  ab  dem  elften  Lebensjahr  kein  Ausreisevisum  erhalten 
(ALEXANDRA  GEISER,  Eritrea:  Familiennachzug  über  den  Sudan  in  die 
Schweiz, SFH  [Schweizerische Flüchtlingshilfe, Hrsg.],  Bern,  Juni  2011, 
S. 4).  Andere  Quellen  erwähnen,  dass  Kindern  mit  14 Jahren  das 
Ausreisevisa verweigert werde (UNHCR, UNHCR Eligibility Guidelines for 
Assesing  the  international  Protection  Needs  of  Asylum­Seekers  from 
Eritrea, April 2011, S. 17).
Unter der Annahme, dass die Beschwerdeführerin erst 14­jährig  ist  (vgl. 
auch  die  Kopie  des mutmasslichen  Flüchtlingsausweises  als  Beilage  in 
der  Eingabe  vom  22.  und  vom  29. August  2011),  muss  davon 
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ausgegangen  werden,  dass  die  Beschwerdeführerin  ihren  Heimatstaat 
illegal verlassen hat. Dies wäre ein subjektiver Nachfluchtgrund im Sinne 
von Art. 54 AsylG, d.h. die betroffene Person würde, wäre sie bereits  in 
der  Schweiz,  als  Flüchtling  vorläufig  aufgenommen  werden.  Die 
Wegweisung würde indes bestehen bleiben. Nach neuer Rechtsprechung 
ist allerdings Personen, die sich  im Ausland befinden die Einreise  in die 
Schweiz zur Abklärung des Sachverhalts nicht zu bewilligen, wenn sie – 
wären sie in der Schweiz – trotz allfälliger Anerkennung als Flüchtling aus 
der Schweiz weggewiesen würden (vgl. das zur Publikation vorgesehene 
Urteil  des  Bundesverwaltungsgericht  E­8127/2008  vom  12. Mai  2011 
E. 7). Ob  diese Rechtsprechung  auch  auf  vorliegenden  Fall  anwendbar 
wäre,  kann  –  angesichts  des  Ausgangs  des  vorliegenden  Verfahrens – 
folglich offen gelassen werden.
6. 
6.1. Als nächstes ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin im Sudan den 
Schutz  eines  Drittstaates  geniesst  und  ihr  zuzumuten  ist,  dort  zu 
verbleiben  (Art. 52  Abs. 2  AsylG),  weshalb  ihr  diesfalls  das  Asyl 
verweigert  würde  und  sie  folglich  keine  Einreisebewilligung  erhalten 
könnte. Die Regelvermutung,  das Stellen eines Asylgesuchs aus einem 
Drittstaat sei mit bereits gefundenem Schutz gleichzusetzen, woraus die 
Zumutbarkeit des Verbleibs in jenem Land folgt, ist allerdings keineswegs 
unumstösslich, wie sich aus Art. 52 Abs. 2 AsylG erschliesst. Diese Norm 
trifft  bezeichnenderweise  keine Unterscheidung  zwischen  Asylgesuchen 
aus dem Herkunftsland der asylsuchenden Person und solchen, die aus 
einem Drittstaat  gestellt werden. Demnach  ist  es  zwar  sachgerecht,  bei 
einem  Gesuch  aus  einem  Drittstaat  in  bestimmter  Hinsicht  höhere 
Anforderungen  in  Bezug  auf  die  Zumutbarkeit  der  Zufluchtnahme  in 
einem anderen Staat als der Schweiz zu stellen. Dies gilt  insbesondere 
unter  dem  Aspekt,  dass  davon  auszugehen  ist,  die  betroffene  Person 
habe  bereits  Schutz  vor  der  fluchtauslösenden  Verfolgung  gefunden. 
Andererseits  wird  aus  Art.  52  Abs.  2  AsylG  auch  deutlich,  dass  die 
zuständigen  Asylbehörden  auch  bei  Asylgesuchen  aus  einem  solchen 
Drittstaat  eine  Abwägung  der  Zumutbarkeit  der  Zufluchtnahme  in  eben 
diesem (oder auch einem anderen) Land vorzunehmen haben. Bei dieser 
Abwägung  bildet  die  besondere  Beziehungsnähe  der  asylsuchenden 
Person zur Schweiz ein zentrales, wenn auch nicht das einzige Kriterium. 
Dabei  gilt  die  generelle  Feststellung,  es  lasse  sich  nicht  allgemein 
festlegen,  unter  welchen  Voraussetzungen  die  Zumutbarkeit  der 
Bemühung um Aufnahme in einem anderen Staat zu verneinen ist, auch 
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für  das  spezifische  Kriterium  der  Beziehungsnähe.  Diesbezüglich  ist  an 
dieser  Stelle  lediglich  (aber  immerhin)  festzuhalten,  dass  die 
Beziehungsnähe im Sinne des Zumutbarkeitskriteriums von Art. 52 Abs. 2 
AsylG nicht mit den Voraussetzungen des Familienasyls in Bezug auf den 
Verwandtschaftsgrad  nach  Art.  51  AsylG  gleichzusetzen  ist.  Eine 
Beschränkung auf die Kernfamilie ist schon insofern nicht angebracht, als 
von  der  asylsuchenden  Person  die  Glaubhaftmachung  einer  eigenen 
asylrelevanten  Verfolgungssituation  verlangt  wird  und  der 
verwandtschaftliche  Beziehungsgrad  somit  lediglich  ein 
Abwägungskriterium  unter  anderen  bildet.  Im  Übrigen  ist  nicht 
ausgeschlossen,  dass  gegebenenfalls  auch  aus  anderen  Gründen  als 
aufgrund  einer  Verwandtschaft  zu  hier  lebenden  Personen  eine  enge 
Beziehung  zur  Schweiz  anzunehmen  sein  könnte  (vgl.  EMARK  2004 
Nr. 21 E. 4b.aa).
6.2.  Das  BFM  führte  knapp  aus,  es  sei  der  Beschwerdeführerin 
zuzumuten,  vorderhand  im  Sudan  zu  verbleiben,  wo  offensichtlich 
entfernte Verwandte leben würden.
6.3. Dem  wurde  entgegengehalten,  es  drohe  ihr  aus  ihrem  derzeitigen 
Aufenthaltsort  Camp  B.___  eine  zwangsweise  Deportation  nach  Eritrea 
oder auf die Sinai­Halbinsel, um später Verwandte erpressen zu können. 
Ferner  sei  die  dortige  Situation  aus  ernährungstechnischer  und 
medizinischer  Hinsicht  äusserst  prekär.  Für  junge  Mädchen  bestehe 
ferner die Gefahr des sexuellen Missbrauchs.
6.4. Gemäss den Angaben der Mutter  und des Rechtsvertreters  verfügt 
die  Beschwerdeführerin  über  kein  soziales  Netz  im  Sudan,  bzw.  im 
Flüchtlingscamp,  wo  sie  sich  derzeit  alleine  aufhält.  Es  besteht  für  die 
Minderjährige  zu  diesem  Staat  auch  keine  besonders  kulturelle  und 
sprachliche  Verbindung.  Im  vorliegenden  Fall  bildet  ferner  das 
Kindeswohl  einen  Gesichtspunkt  von  gewichtiger  Bedeutung,  weshalb 
Art. 52  Abs. 2  AsylG  im  Lichte  von  Art. 3  des  Übereinkommens  vom 
20. November  1989  über  die  Rechte  des  Kindes  (SR  0.107) 
völkerrechtskonform auszulegen  ist. Dabei sind nicht nur die materiellen 
Bedürfnisse wie Ernährung zu berücksichtigen, auch  ist die Nähe zur  in 
der  Schweiz  lebenden  Mutter  für  den  Entwicklungsprozess  und  für  die 
Stabilität des Mädchens von zentraler Bedeutung. Zu berücksichtigen ist 
darüber  hinaus,  dass  der  Sudan  die  Flüchtlingskonvention  zwar 
unterzeichnet  hat,  aber  in  der  Praxis  keinen  zuverlässigen  Schutz  vor 
Rückschiebung  in Verfolgerstaaten  gewährt  und Flüchtlinge  –  vor  allem 
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diejenigen,  die  im  Osten  Sudans  leben  –  in  vielfacher  Hinsicht 
diskriminiert  (ALEXANDRA  GEISER,  a.a.O.,  S. 2 f.;  ALEXANDRA  GEISER, 
Eritrea:  Entführungen  im  Sudan,  SFH  [Schweizerische  Flüchtlingshilfe, 
Hrsg.], Bern, Mai 2011, S. 4 f. mit weiteren Hinweisen; U.S. Department 
of State,  2010 Human Rights Report: Sudan, April  2011). Obwohl  nicht 
klar  gesagt  werden  kann,  wie  gross  die  Gefahr  einer  Verschleppung 
tatsächlich  ist,  muss  in  casu  darauf  hingewiesen  werden,  das  die 
Beschwerdeführerin  –  was  als  auffälliges  persönliches  Merkmal 
bezeichnet  werden  kann  –  ein  minderjähriges  Mädchen  ist,  das  ohne 
Bezugspersonen  in einem Camp  lebt. Folglich  könnte  sie  sich nicht  nur 
gegen eine Entführung nicht wehren, es würde auch niemanden geben, 
der  sie  vermissen  oder  vor  der  Gefahr  der  sexuellen  Ausbeutung 
beschützen  würde.  Weiter  scheinen  die  entfernten  Verwandten  der 
Beschwerdeführerin,  die  offensichtlich  im Sudan  leben  und  bei welchen 
sie während ihres ersten Aufenthaltes habe wohnen dürfen, ihr aufgrund 
ihres Verbleibens im Flüchtlingslager nicht den nötigen Schutz gewähren 
zu können oder zu wollen.
6.5.  Im Gegensatz  zum Sudan besteht  für  die Beschwerdeführerin  eine 
viel engere Beziehung zur Schweiz, wo  ihre Mutter seit  fünf Jahren  lebt 
und  seit  dem  29. August  2008  über  eine  vorläufige  Aufnahme  verfügt. 
Aus den Akten  ist  auch ersichtlich,  dass die Mutter  derzeit  erwerbstätig 
ist. Der Vater  ist gemäss den Akten  im Jahr 2001 verstorben. Angesicht 
dieser engen Beziehung zur Schweiz ist es demnach angebracht, ihr die 
Einreise  in  die  Schweiz  zu  gestatten.  Dies  umso  mehr,  als  die 
Beschwerdeführerin  nach Ablauf  der  dreijährigen Wartefrist  ohnehin  um 
Aufnahme in der Schweiz gemäss Art. 85 Abs. 7 AuG ersuchen kann. 
7.  
In Würdigung  aller  Umstände  des  vorliegenden  Falles  ergibt  sich,  dass 
die  angefochtene  Verfügung  Bundesrecht  verletzt  und  der 
rechtserhebliche  Sachverhalt  unrichtig  festgestellt  wurde.  Die 
Beschwerde  ist  nach  dem  Gesagten  gutzuheissen,  die  Verfügung  des 
BFM vom 28. Juli 2011 aufzuheben und das Bundesamt anzuweisen, der 
Beschwerdeführerin  die  Einreise  in  die  Schweiz  zwecks  Durchführung 
des ordentlichen Asylverfahrens zu bewilligen.
8.  
8.1.  Bei  diesem  Ausgang  des  Verfahrens  sind  keine  Verfahrenskosten 
aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
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9.  Sodann  ist  der  Beschwerdeführerin  angesichts  ihres  Obsiegens  in 
Anwendung  von  Art. 64  VwVG  und  Art. 7  Abs. 1  des  Reglements  vom 
21. Februar  2008  über  die  Kosten  und  Entschädigungen  vor  dem 
Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für 
die  notwendigerweise  erwachsenen  Parteikosten  zuzusprechen. 
Vorliegend  hat  der  Rechtsvertreter  keine  Kostennote  eingereicht.  Die 
Entschädigung ist daher aufgrund der Akten (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE) 
unter  Berücksichtigung  der  massgeblichen  Bemessungsfaktoren  auf 
Fr. 900.­ (inkl. Auslangen und Mehrwertsteuer) festzusetzen. Das BFM ist 
anzuweisen,  der  Beschwerdeführerin  diesen  Betrag  als 
Parteientschädigung  für  das  Verfahren  vor  dem 
Bundesverwaltungsgericht auszurichten. 
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1. 
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
2. 
Die Verfügung des BFM vom 28. Juli 2011 wird aufgehoben und das BFM 
wird  angewiesen,  der  Beschwerdeführerin  die  Einreise  in  die  Schweiz 
zwecks Durchführung des ordentlichen Asylverfahrens zu bewilligen.
3. 
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4. 
Das  BFM  wird  angewiesen,  der  Beschwerdeführerin  eine 
Parteientschädigung  von  Fr. 900.­  (inkl.  Auslagen  und  Mehrwertsteuer) 
zu entrichten.
5. 
Dieses  Urteil  geht  an  den  Rechtsvertreter  der  Beschwerdeführerin  und 
das BFM.
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Muriel Beck Kadima Patricia Petermann Loewe
Versand: