E-3899/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl; Wegweisung; Vollzug
Karar Dilini Çevir:
E-3899/2006 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl; Wegweisung; Vollzug
Abtei lung V
E-3899/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 5 . J a n u a r 2 0 0 9
Richter Bruno Huber (Vorsitz),
Richter Martin Zoller,
Richterin Regula Schenker Senn,
Gerichtsschreiber Jonas Tschan.
A_______, geboren _______,
Türkei,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
vormals Bundesamt für Flüchtlinge (BFF),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM
vom 11. Februar 2005 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-3899/2006
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger alevitischer
Religionszugehörigkeit mit letztem Wohnsitz in (...) (...), verliess seinen
Heimatstaat gemäss eigenen Angaben am 26. Dezember 2004 und
gelangte über Bulgarien, Rumänien, Deutschland und andere, ihm
unbekannte Länder am 6. Januar 2005 illegal in die Schweiz, wo er am
20. Januar 2005 ein zweites Asylgesuch einreichte. (Ein erstes
Asylgesuch vom 28. September 1987 war vom Delegierten für das
Flüchtlingswesen (Vorgänger des BFF bzw. des BFM) mit Verfügung
vom 10. März 1988 abgelehnt und eine gegen diesen Entscheid er-
hobene Beschwerde mit Beschluss des Beschwerdedienstes EJPD
[Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement] vom 26. Juli 1988
abgeschrieben worden, nachdem der Beschwerdeführer seine Be-
schwerde zurückgezogen hatte.) Die summarische Erstbefragung im
Empfangszentrum Basel fand am 27. Januar 2005 und die direkte
Bundesanhörung am 3. Februar 2005 statt.
Zur Begründung seines Asylgesuches machte der Beschwerdeführer
geltend, dass in seiner Heimatregion ein erbitterter politischer Kampf
geführt werde. Allein aus seinem Dorf (...) seien rund 20 Personen als
Guerillakämpfer umgekommen. Vor (...) oder (...) Jahren hätten die
Behörden im Schulhaus des Dorfes einen Gendarmerieposten er-
richtet. Die Lage sei nicht mehr zum Aushalten gewesen. Er sei von
den Gendarmen immer wieder auf den Posten mitgenommen worden.
Deshalb habe er im Jahr 2003 das Dorf verlassen und sei nach (...)
gegangen. Seine Frau sei damals im Dorf geblieben. Ihre Familienan-
gehörigen hätten sie dann in die Schweiz geholt. Seit zwei Jahren lebe
er nun von seiner Familie getrennt. Er sehne sich sehr nach seinen
Kindern. Deshalb habe er beschlossen, in die Schweiz zu kommen. Es
gehe ihm psychisch sehr schlecht.
B.
Zur Stützung seiner Vorbringen reichte der Beschwerdeführer ein
Arztzeugnis der (...) (Türkei) vom (...) zu den Akten.
C.
Mit Verfügung vom 11. Februar 2005 - eröffnet am 14. Februar 2005 -
lehnte das BFM das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und
ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an.
Seite 2
E-3899/2006
D.
Mit Beschwerde vom 16. März 2005 (Poststempel) an die vormals zu-
ständige Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) liess der Be-
schwerdeführer durch seine damalige Rechtsvertreterin beantragen,
es sei die Verfügung des BFM vom 11. Februar 2005 aufzuheben und
sein Asylgesuch gutzuheissen, eventualiter sei besagte Verfügung auf-
zuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen,
subeventualiter sei die Wegweisungsverfügung aufzuheben und der
Beschwerdeführer vorläufig aufzunehmen. Für den Fall des Unterlie-
gens sei ihm die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung
mit der Unterzeichnenden als Rechtsvertreterin zu bewilligen. Gleich-
zeitig sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.
Weiter wurde beantragt, den Kanton (...) anzuweisen, vorderhand von
jeglichen Vollzugs- beziehungsweise Wegweisungsmassnahmen
abzusehen. Das Verfahren sei zudem mit dem bei der ARK hängigen
Verfahren der Ehefrau des Beschwerdeführers zu vereinigen. Letzte-
rem sei ausserdem das Replikrecht zu allfälligen Stellungnahmen des
BFM einzuräumen.
E.
Mit Zwischenverfügung vom 29. März 2005 teilte der Instruktions-
richter der ARK dem Beschwerdeführer mit, er könne den Ausgang
des Beschwerdeverfahrens in der Schweiz abwarten. Gleichzeitig
wurde das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
im Sinne von Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) unter
Vorbehalt der Nachreichung einer Fürsorgebestätigung gutgeheissen.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeistän-
dung im Sinne von Art. 65 Abs. 2 VwVG wurde abgewiesen; auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses wurde verzichtet. Ausserdem
wurde dem Beschwerdeführer Frist zur Einreichung eines aktuellen
ärztlichen Berichts gesetzt. Das vorliegende Verfahren wurde mit dem
Verfahren E-3767/2006 (...), wie vom Beschwerdeführer beantragt,
vereinigt.
F.
Mit Schreiben vom 5. April 2005 reichte der Beschwerdeführer eine
Fürsorgebestätigung der Einwohnergemeinde (...) vom (...) zu den
Akten.
Seite 3
E-3899/2006
G.
Mit Eingabe vom 9. Mai 2005 reichte der Beschwerdeführer einen
Arztbericht der (...), vom (...) zu den Akten.
H.
Mit Schreiben vom 17. August 2005 reichte der Beschwerdeführer
einen ärztlichen Bericht der (...), vom (...) zu den Akten.
I.
Mit Schreiben vom 16. April 2007 teilte der neu zuständige
Instruktionsrichter dem Beschwerdeführer mit, dass das bei der ARK
anhängig gemachte Verfahren per 1. Januar 2007 vom Bundes-
verwaltungsgericht übernommen worden ist.
J.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 teilte die Rechtsvertreterin des
Beschwerdeführers dem Gericht mit, dass sie das Mandat niederlege,
da sie seit rund einem Jahr keinen Kontakt zu ihm habe herstellen
können.
K.
Telefonische Abklärungen vom 22. Dezember 2008 ergaben, dass der
Beschwerdeführer nach wie vor an der im Rubrum aufgeführten
Adresse wohnhaft ist.
L.
Das vorliegende Verfahren und das obgenannte Verfahren
E-3767/2006 (s. Bst. E) werden aufgrund der Scheidung der
Ehepartner vom (...) mit separaten Urteilen zum Abschluss gebracht.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Ju-
ni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu
den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des
Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Aus-
Seite 4
E-3899/2006
nahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesver-
waltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vor-
liegenden Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich endgültig
(Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31];
Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Be-
urteilung der bei der ARK hängigen Rechtsmittel übernommen. Das
neue Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.3 Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht. Der Be-
schwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung berührt und hat
ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert
(Art. 108 Abs. 1 und 6 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs.1 und 52 VwVG). Auf
die Beschwerde ist einzutreten.
1.4 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die
unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106
Abs. 1 AsylG).
2.
2.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen
grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimat-
staat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse,
Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nach-
teilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nach-
teilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten nament-
lich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie
Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken.
Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen (Art. 3
AsylG).
2.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nach-
weisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft ge-
macht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahr-
scheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vor-
bringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich
Seite 5
E-3899/2006
widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder mass-
geblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden
(Art. 7 AsylG).
3.
3.1 Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres ablehnenden Ent-
scheides aus, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Be-
nachteiligungen, so bedauerlich dies im Einzelnen sei, Ausdruck der
seit Jahren dauernden Kämpfe zwischen der PKK (Partiya Karkerên
Kurdistan, Kurdische Arbeiterpartei) und dem Militär seien. Solche
kriegerischen Auseinandersetzungen und deren Auswirkungen würden
jedoch keine Verfolgungsmassnahmen im Sinne des Asylgesetzes dar-
stellen und seien demzufolge nicht asylrelevant. Die Asylgewährung
setze gezielt gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete
staatliche Verfolgungsmassnahmen aus den in Art. 3 Abs. 1 AsylG ge-
nannten Gründen voraus. Diese Voraussetzungen seien im vorliegen-
den Fall nicht gegeben. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten
kurzen Festnahmen seitens der türkischen Sicherheitskräfte würden
oft vorkommen und müssten als Routinevorkommnis gewertet werden.
Zudem seien aus den Akten keine konkreten Hinweise zu entnehmen,
wonach er eine künftige asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte.
Der Beschwerdeführer mache weiter nur Nachteile geltend, die sich
aus lokal oder regional beschränkten Verfolgungsmassnahmen auf-
grund der allgemeinen Situation in der Region ableiten lassen würden.
Demgemäss sei er in seiner Heimat nicht mit einer landesweit ausweg-
losen Situation konfrontiert. Es sei ihm somit zumutbar, sich allfälligen
Behelligungen durch Wegzug in einen anderen Teil seines Heimatstaa-
tes zu entziehen. Er sei daher auf den Schutz der Schweiz nicht ange-
wiesen.
Ferner würden sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür ergeben,
dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Heimat-
staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine durch Art. 3 der Kon-
vention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) verbotene Strafe oder Behandlung
drohe. Weder die in seinem Heimatstaat herrschende politische
Situation noch andere Gründe würden gegen die Zumutbarkeit der
Rückführung in den Heimatstaat sprechen. So seien seine psychi-
schen Probleme in der Türkei behandelbar, wie auch seinen eigenen
Seite 6
E-3899/2006
Aussagen zu entnehmen sei. Ausserdem sei der Vollzug der Wegwei-
sung technisch möglich und praktisch durchführbar.
3.2 In der Beschwerde wird der Argumentation der Vorinstanz Fol-
gendes entgegengehalten: Das BFM habe bei seiner Beurteilung der
Asylrelevanz der Vorbringen allein auf die Intensität der geltend ge-
machten Eingriffe abgestellt; nicht berücksichtigt habe das Bundesamt
die übrigen Umstände sowie die individuelle Verletzlichkeit und
Empfindlichkeit des Beschwerdeführers. Seit beinahe (...) würden in
seinem Heimatdorf erbitterte Kämpfe zwischen den Militärs und der
Guerilla stattfinden. Er sei als Sohn eines Türken und einer Kurdin zwi-
schen den beiden Fronten hin- und hergerisssen. Es sei ihm vorgewor-
fen worden, als Staatsspitzel tätig zu sein. Seine Ehefrau sei (...)
worden. Der Beschwerdeführer leide unter einer (...), nehme
deswegen seit Jahren Medikamente mit massiven Nebenwirkungen
und habe wiederholt stationär behandelt werden müssen. Unter
Berücksichtigung der geschilderten Gesamtsituation müssten die
willkürlichen Inhaftierungen in den Jahren (...) und (...) als derart
gravierend eingestuft werden, dass ein ernsthafter Nachteil im Sinne
von Art. 3 AsylG ohne weiteres angenommen werden könne. Das
Vorliegen einer internen Fluchtalternative sei unter Berücksichtigung
der Schwierigkeit des Aufbaus einer existenz-sichernden
Lebensgrundlage nur mit Zurückhaltung anzunehmen.
Gemäss Art. 51 Abs. 1 AsylG würden Ehegatten von Flüchtlingen in
der Regel in deren Flüchtlingseigenschaft miteinbezogen. Vorliegend
habe die Ehefrau des Beschwerdeführers am 13. Januar 2004 in der
Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Aufgrund der in der Asylbeschwerde
vom 27. Februar 2004 gemachten Ausführungen sei die Flüchtlingsei-
genschaft der Ehefrau zu bejahen. Sollte die Beschwerdeinstanz wider
Erwarten zum Schluss gelangen, der Beschwerdeführer erfülle die
Flüchtlingseigenschaft nicht bereits aufgrund seiner eigenen Flucht-
gründe, so sei er zumindest aufgrund des Einbezugs in die Flücht-
lingseigenschaft seiner Ehefrau als Flüchtling anzuerkennen.
Da der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Türkei mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatlichen Repressalien ausgesetzt
wäre, verstosse die verfügte Wegweisung gegen völkerrechtliche
Verpflichtungen, insbesondere gegen Art. 3 EMRK.
Seite 7
E-3899/2006
4.
4.1 Die generellen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit
ein Asylsuchender in der Schweiz als Flüchtling anerkannt werden
kann, sind vorstehend erwähnt. Anzufügen bleibt Folgendes: Die Um-
schreibung der Verfolgung als ernsthafte Nachteile für die zentralsten
Rechtsgüter macht klar, dass eine gewisse Intensität der Eingriffe für
die Anerkennung als Flüchtling vorauszusetzen ist. Während Massnah-
men, wie sie in Art. 3 EMRK umschrieben werden (Folter, unmensch-
liche und erniedrigende Handlung), die erforderliche Intensität ohne
weiteres zuzusprechen ist, ist bei geringeren Eingriffen in die genann-
ten Rechtsgüter - wie Freiheitsentzug, Schläge und sexuelle Be-
lästigungen - die physische oder psychische Beeinträchtigung in Re-
lation zu ihrer Dauer und Häufigkeit sowie zu den gesamten Umstän-
den (unter Einbezug der individuellen Empfindlichkeit und Verletzlich-
keit) zu setzen. Massnahmen, welche einen unerträglichen psychi-
schen Druck bewirken, müssen sich demgegenüber nicht gegen eines
der drei namentlich aufgeführten Rechtsgüter Leib, Leben und Freiheit
richten. Da es aber auch bei diesem Tatbestand um einschneidende
Eingriffe gehen muss, sind gemäss der von der ARK festgelegten und
vom Bundesverwaltungsgericht übernommenen Praxis grundsätzlich
hohe Anforderungen an solche Verfolgungsmassnahmen zu stellen:
Sie müssen derart ernsthaft und intensiv sein, dass damit dem Betrof-
fenen ein menschenwürdiges Leben verunmöglicht wird (vgl. Entschei-
dungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission
[EMARK] 1996 Nr. 28). Zudem bedarf es der Aktualität der Verfol-
gungssituation. Die Furcht vor Verfolgung muss im Zeitpunkt der Flucht
aus dem Verfolgerstaat bestanden und bis zum Zeitpunkt des
Asylentscheides angedauert haben. Vom Bestehen der begründeten
Furcht im Zeitpunkt der Ausreise wird in der Regel ausgegangen,
wenn zwischen einer erfolgten Verfolgungsmassnahme oder der
Kenntnisnahme einer Verfolgungsgefahr und der Ausreise ein zeitlicher
und sachlicher Zusammenhang besteht. Die Flüchtlingseigenschaft
setzt weiter voraus, dass die betroffene Person landesweiter Verfol-
gung ausgesetzt ist. Gemäss der Rechtssprechung der ARK und nun
auch des Bundesverwaltungsgerichts kann vom Vorhandensein einer
inländischen Fluchtalternative ausgegangen werden, wenn die betrof-
fene Person am neuen Zufluchtsort nicht erneut asylrelevanten Be-
helligungen ausgesetzt ist, die zur internen Flucht führende Verfolgung
nicht von einer Zentralgewalt ausgeht, die betroffene Person am neuen
Ort auch vor mittelbarer Verfolgung sicher und nicht Behelligungen
Seite 8
E-3899/2006
ausgesetzt ist, die zwar für sich betrachtet zu wenig intensiv sind, um
Asylbeachtlichkeit zu erlangen, aber dazu führen, dass sie gezwungen
wird, erneut an ihren Ursprungsort zurückzukehren (EMARK 1996
Nr.1).
4.2 Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er im Jahre (...)
von den Behörden mitgenommen und für einen Tag festgehalten
worden sei, kann mangels zeitlicher Kausalität zu seiner Flucht keine
Asylrelevanz zukommen. Letzteres gilt auch für die kurzzeitige Fest-
nahme im Jahre (...); diesem Vorfall fehlt es an der nötigen Intensität.
Wie bereits von der Vorinstanz ausgeführt, ist ausserdem darauf hin-
zuweisen, dass die Asylgewährung gezielt gegen die Person des Be-
schwerdeführers gerichtete staatliche Verfolgungsmassnahmen aus
den in Art. 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründen voraussetzt. Solche
sowie auch nichtstaatliche Verfolgungsmassnahmen (vgl. EMARK
2006 Nr. 18) gehen allerdings weder aus seinen Aussagen noch aus
den Akten hervor. Weiter ist auch nicht ersichtlich, weshalb sich der
Beschwerdeführer, wäre es für ihn in seinem Heimatdorf wirklich
unerträglich gewesen, nicht längst an einem anderen Ort in der Türkei
niederliess.
4.3 Das Bundesamt hat das Asylgesuch des Beschwerdeführers mit-
hin zu Recht abgelehnt.
5.
5.1 Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht
ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und
ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der
Einheit der Familie (Art. 44 Abs. 1 AsylG).
5.2 Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländer-
rechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf
Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht
angeordnet (Art. 44 Abs. 1 AsylG; vgl. EMARK 2001 Nr. 21).
6.
6.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar
oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsver-
hältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Auf-
nahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bun-
Seite 9
E-3899/2006
desgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und
Ausländer [AuG, SR 142.20]).
6.2 Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtun-
gen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Auslän-
ders in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenste-
hen (Art. 83 Abs. 3 AuG).
So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land ge-
zwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus ei-
nem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Ge-
fahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden
(Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom
28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK,
SR 0.142.30]).
Gemäss Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101), Art. 3 des Über-
einkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grau-
same, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Fol-
ter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
unterworfen werden.
6.3 Die Vorinstanz wies in ihrer angefochtenen Verfügung zutreffend
darauf hin, dass der Grundsatz der Nichtrückschiebung nur Personen
schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Da es dem Beschwer-
deführer nicht gelungen ist, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung
nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, kann das in Art. 5 AsylG
verankerte Prinzip des flüchtlingsrechtlichen Non-Refoulements im
vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden. Eine Rückkehr des
Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat ist demnach unter dem As-
pekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen des Beschwerdefüh-
rers noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass er für den Fall ei-
ner Ausschaffung in seinen Heimatstaat dort mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen
Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre. Gemäss Praxis des EGMR
und jener des UN-Anti-Folterausschusses müsste der Beschwerdefüh-
rer eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft ma-
chen, dass ihm im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschli-
Seite 10
E-3899/2006
che Behandlung drohen würde (vgl. EMARK 2001 Nr. 16 S. 122, mit
weiteren Hinweisen; EGMR, Bensaid gegen Grossbritannien, Urteil
vom 6. Februar 2001, Recueil des arrêts et décisions 2001-I,
S. 327 ff.). Auch die allgemeine Menschenrechtssituation in der Türkei
lässt, auch wenn sie nicht in allen Belangen zu befriedigen vermag,
den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig
erscheinen. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung so-
wohl im Sinne der asyl- als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen
zulässig.
6.4 Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen
und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunfts-
staat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner
Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine
konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83
Abs. 7 AuG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl. Botschaft zum
Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März
2002, BBl 2002 3818).
6.5 Angesichts der heutigen Lage in der Türkei kann nicht von einer
Situation allgemeiner Gewalt oder von kriegerischen oder bürger-
kriegsähnlichen Verhältnissen gesprochen werden, welche für den Be-
schwerdeführer bei einer Rückkehr eine konkrete Gefährdung darstel-
len würde (vgl. die weiterhin zutreffende Lagebeurteilung in EMARK
2004 Nr. 8). Festzuhalten ist weiter, dass seine psychischen Probleme
auch in seinem Heimatstaat behandelbar wären, was im Übrigen auch
in den beiden eingereichten Arztzeugnissen so beurteilt wird. Es sind
somit keine persönlichen Gründe ersichtlich, die gegen die Rückkehr
des Beschwerdeführers sprechen. Nach dem Gesagten erweist sich
der Vollzug der Wegweisung auch als zumutbar.
6.6 Schliesslich obliegt es dem Beschwerdeführer, sich bei der
zuständigen Vertretung des Heimatstaates die für eine Rückkehr
notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (Art. 8 Abs. 4 AsylG),
weshalb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu bezeichnen
ist (Art. 83 Abs. 2 AuG).
7.
Insgesamt ist die durch die Vorinstanz verfügte Wegweisung zu
bestätigen. Die Vorinstanz hat deren Vollzug zu Recht als zulässig,
zumutbar und möglich erachtet. Nach dem Gesagten fällt eine
Seite 11
E-3899/2006
Anordnung der vorläufigen Aufnahme ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4
AuG).
8.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig
und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die
Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen.
9.
9.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Be-
schwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG). Nachdem
aber aufgrund der Aktenlage von der Bedürftigkeit des Beschwer-
deführers auszugehen ist und die Beschwerde nicht als aussichtslos
bezeichnet werden konnte, ist in Gutheissung des Gesuchs um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege von einer Kostenauflage
abzusehen (Art. 65 Abs. 1 VwVG).
9.2 Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 reichte die vormalige Rechtsver-
treterin des Beschwerdeführers eine Kostennote, in welcher sie einen
Aufwand von insgesamt Fr. 4'072.05 (inkl. MWST) ausweist, zu den
Akten. Aufgrund des Verfahrensausgangs ist jedoch vorliegend keine
Parteientschädigung auszurichten.
(Dispositiv nächste Seite)
Seite 12
E-3899/2006
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird
gutgeheissen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil geht an:
- den Beschwerdeführer (Einschreiben)
- die vormalige Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers (in Kopie)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit den
Akten Ref.-Nr. N (...) (per Kurier; in Kopie)
- das (...) ad (...) (in Kopie)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Bruno Huber Jonas Tschan
Versand:
Seite 13