E-3763/2014 - Abteilung V - Asyl (ohne Wegweisung) - Flüchtlingseigenschaft und Asyl; Verfügung des BFM...
Karar Dilini Çevir:
E-3763/2014 - Abteilung V - Asyl (ohne Wegweisung) - Flüchtlingseigenschaft und Asyl; Verfügung des BFM...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l




Abteilung V
E-3763/2014



Ur t e i l vom 2 2 . De zembe r 2 0 1 5
Besetzung
Richter Walter Stöckli (Vorsitz),
Richter Bendicht Tellenbach, Richter William Waeber,
Gerichtsschreiberin Sarah Straub.

Parteien

A.________, geboren (…), und ihre Kinder
B.________, geboren (…), C.________, geboren (…),
Syrien,
alle vertreten durch Michael Steiner, Rechtsanwalt, (…),
Beschwerdeführende,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM; zuvor Bundesamt
für Migration, BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Flüchtlingseigenschaft und Asyl;
Verfügung des BFM vom 12. Juni 2014 / N (…).



E-3763/2014
Seite 2
Sachverhalt:
A.
A.a Die Beschwerdeführerin verliess Syrien eigenen Angaben zufolge zu-
sammen mit ihren damals fünf- beziehungsweise dreijährigen Kindern am
(…). Sie gelangten am nächsten Tag in die Schweiz und suchten am 4.
Januar 2012 im Empfangs- und Verfahrenszentrum D._______ um Asyl
nach. Am 17. Januar 2012 erfolgte die Befragung zur Person (Protokoll:
SEM-Akten B4/11); angehört wurde sie am 28. November und am 12. De-
zember 2013 (Protokoll: SEM-Akten B28/4 und B34/14).
Ihr Ehemann E.________ (Beschwerdeverfahren E-3930/2014) hatte den
Heimatstaat gemäss seinen Angaben bereits am (…) verlassen und war
am 19. Oktober 2010 in die Schweiz gelangt, wo er am 26. Oktober 2010
um Asyl nachsuchte. Am 2. November 2010 erfolgte seine Befragung zur
Person; am 12. und 28. November 2010 fanden seine Anhörungen statt.
A.b Zur Begründung ihres Asylgesuches brachte die Beschwerdeführerin
vor, die Feindesfamilie ihres Ehemannes habe sich nach dessen Flucht an
ihr und den Kindern rächen wollen, indem sie ihn beschuldigt habe, die
Tochter der Feindesfamilie belästigt beziehungsweise eine Affäre mit ihr
gehabt zu haben. Diese Leute hätten deswegen ihre eigene Tochter getö-
tet. Nachdem ihr Ehemann in die Türkei gegangen sei, sei sie mit den Kin-
dern für drei Monate in das Haus ihres Bruders gezogen, da die andere
Familie sich rächen und auch ein Familienmitglied des Ehemannes habe
töten wollen. Deshalb sei sie mit den Kindern ins Ausland geflohen.
(…) Nach etwa drei Monaten sei sie in die Türkei gereist. Später sei sie
nach Syrien zurückgekehrt, habe ihre Papiere vorbereitet und sei definitiv
ausgereist.
Die Beschwerdeführerin reichte einen ärztlichen Bericht der Dermatologi-
schen Praxis F.________ vom (…), einen ärztlichen Bericht von Dr. med.
G.________ vom (…) sowie Fotos und Internetausdrucke von Demonstra-
tionen ein, an welchen sie und ihr Ehemann in der Schweiz teilgenommen
hätten.
A.c Mit Verfügung vom 19. Dezember 2013 stellte das BFM fest, die Be-
schwerdeführerin erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte ihr Asylge-
such ab und ordnete infolge Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs
ihre vorläufige Aufnahme in der Schweiz an. Eine im Resultat gleichlau-
tende Verfügung erging gleichentags hinsichtlich ihres Ehemannes.
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Seite 3
B.
B.a Am 27. Januar 2014 liessen die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann
diese Verfügungen durch ihren (gleichen) Rechtsvertreter anfechten.
B.b Das Bundesverwaltungsgericht hiess die Beschwerden am 11. Feb-
ruar 2014 gut, hob die Verfügungen des BFM vom 19. Dezember 2013 auf
und wies die Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Zur Begründung führte es aus, das
Gericht habe das BFM in vergleichbaren Fällen bereits wiederholt auf die
Pflicht aufmerksam gemacht, entsprechend den Anträgen auch in von ihm
als unwesentlich oder als bekannt bezeichnete Akten Einsicht zu gewähren.
C.
C.a Der Ehemann der Beschwerdeführerin reichte am 14. Februar 2014
ein Schreiben der Partiya Yekitîya Demokrat (PYD), Sektion Europa, vom
(…) zu den vorinstanzlichen Akten.
C.b Am 1. April 2014 gewährte die Vorinstanz die anbegehrte Aktenein-
sicht, wobei es die Einsicht in das Aktenstück B35/2 (interner Antrag auf
vorläufige Aufnahme) verweigerte, da es sich um ein internes Aktenstück
handle. Zu den zugestellten Aktenstücken gewährte sie das rechtliche Ge-
hör mit Frist bis zum 15. April 2014.
C.c Nach Ablauf der Frist teilte der Rechtsvertreter auf Rückfrage des
BFM-Sachbearbeiters am 28. April 2014 mit, es sei ihm ein Versehen un-
terlaufen und er werde bis am 1. Mai 2014 eine Eingabe machen. In dieser
vom 1. Mai 2014 datierten Eingabe ersuchte er die Vorinstanz zu präzisie-
ren, worauf sich die Gewährung des rechtlichen Gehörs beziehe, da in den
Beschwerden vom 27. Januar 2014 neben der Verletzung der Pflicht, Ak-
teneinsicht zu gewähren, zahlreiche weitere Gehörsverletzungen geltend
gemacht worden seien. Er könne nicht nachvollziehen, wozu er konkret
das rechtliche Gehör wahrnehmen solle; es müsse ihm mitgeteilt werden,
wie das Bundesamt im neuen Entscheid zu argumentieren beabsichtige.
Zudem sei ihm die Akte B13/1 nicht zugestellt worden.
Am 8. Mai 2014 teilte die Vorinstanz mit, die Gehörsgewährung beziehe
sich auf die zugestellten Akten, stellte dem Rechtsvertreter die Akte B13/1
zu und verlängerte die Frist zur Einreichung einer Stellungnahme.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2014 hielt der Rechtsvertreter fest, es sei ihm
nicht möglich, sich zur gewährten Akteneinsicht zu äussern, und reichte
drei Fotoausdrucke ein.
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Die Vorinstanz erstreckte mit Schreiben vom 2. Juni 2014 die Frist zur Stel-
lungnahme letztmals bis zum 10. Juni 2014 und teilte dem Rechtsvertreter
mit, es gebe vor der Entscheideröffnung nicht bekannt, wie und mit welcher
Begründung entschieden werde, zumal dies von der Stellungnahme im
Rahmen des rechtlichen Gehörs und entsprechenden Abklärungen des
BFM abhängig sei.
Der Rechtsvertreter insistierte in seinem Schreiben vom 10. Juni 2014, er
wisse nicht wozu er sich äussern sollte.
C.d Mit Verfügung vom 12. Juni 2014, gegenüber dem Rechtvertreter er-
öffnet am 17. Juni 2014, stellte das BFM fest, die Beschwerdeführerin er-
fülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte ihr Asylgesuch ab und ordnete
ihre vorläufige Aufnahme in der Schweiz an. An den Ehemann erging am
selben Tag eine im Resultat gleichlautende separate Verfügung.
D.
Die Beschwerdeführerin liess diesen Entscheid mit Eingabe ihres Rechts-
vertreters vom 7. Juli 2014 beim Bundesverwaltungsgericht anfechten. Sie
liess beantragen, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und die Sa-
che zur vollständigen und richtigen Abklärung des Sachverhaltes sowie zur
Neubeurteilung an das BFM zurückzuweisen; es sei festzustellen, dass die
Rechtswirkungen der vorläufigen Aufnahme bei Aufhebung der Verfügung
fortbestehen würden, eventualiter sei der Beschwerdeführerin nach rechts-
gültiger Zustellung des Asylentscheides ihres Ehemannes Frist zur Einrei-
chung einer Beschwerdeergänzung anzusetzen; (sub-)eventualiter sei die
Verfügung aufzuheben und es sei ihre Flüchtlingseigenschaft festzustellen
und ihr Asyl zu gewähren; (subsub-)eventualiter sei sie als Flüchtling vor-
läufig aufzunehmen; (subsubsub-)eventualiter sei die Unzulässigkeit des
Wegweisungsvollzuges festzustellen.
Als Beweismittel reichte sie das Begleitschreiben des BFM zu den Asylent-
scheiden vom 12. Juni 2014 und zwei Schreiben des Rechtsvertreters vom
18. Juni und 7. Juli 2014 ein.
Der Ehemann der Beschwerdeführerin liess den ihn betreffenden Ent-
scheid mit Eingabe des Rechtsvertreters vom 14. Juli 2014 ebenfalls an-
fechten (Beschwerdeverfahren E-3930/2014).
E.
Mit Zwischenverfügung vom 24. Juli 2014 stellte der Instruktionsrichter
fest, es rechtfertige sich, das vorliegende Beschwerdeverfahren separat
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Seite 5
von demjenigen des Ehemannes zu führen, und erhob einen Kostenvor-
schuss. Dieser wurde in der Folge fristgerecht bezahlt.
F.
Die Vorinstanz hielt in ihrer Vernehmlassung vom 11. September 2014, die
der Beschwerdeführerin am 3. Oktober 2014 zur Kenntnis gebracht wurde,
ohne weitere Ausführungen vollumfänglich an ihren Erwägungen fest.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwer-
den gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM respektive BFM ge-
hört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des
Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme
im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist
daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und ent-
scheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – so auch vorliegend –
endgültig (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG und das
AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die Beschwer-
deführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind
durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Ände-
rung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105
und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die
Beschwerde ist folgenden Vorbehalten einzutreten.
1.3.1 Da das BFM die Beschwerdeführenden wegen unzumutbaren Weg-
weisungsvollzugs vorläufig aufgenommen hat und die Vollzugshindernisse
im Sinne von Art. 83 Abs. 1 AuG (SR 142.20) bekanntlich alternativer Natur
sind (vgl. BVGE 2009/51 E. 5.4), besteht kein schutzwürdiges Interesse an
der Feststellung der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs (Art. 25
Abs. 2 VwVG). Auf den entsprechenden Subeventualantrag kann daher
nicht eingetreten werden.
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1.3.2 Nicht einzutreten ist auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Ge-
hörs, soweit sich diese auf die festgestellte Unzumutbarkeit des Wegwei-
sungsvollzuges bezieht, da ein schutzwürdiges Interesse diesbezüglich
ebenfalls fehlt.
1.3.3 Ohnehin nicht einzutreten ist auf den in sich widersprüchlichen An-
trag, im Falle der Aufhebung der angefochtenen Verfügung sei das Fortbe-
stehen der Rechtswirkung der vorläufigen Aufnahme festzustellen, würde
doch die Aufhebung der Verfügung auch die Wegweisung umfassen, womit
die gesetzessystematische Grundlage für eine Ersatzmassnahme für ei-
nen undurchführbaren Vollzug dahinfallen würde.
2.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen
richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Aus-
länderrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
3.
Die Beschwerdeführenden rügten, das BFM habe den Anspruch auf recht-
liches Gehör verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt nicht vollstän-
dig und richtig abgeklärt. Diese verfahrensrechtlichen Rügen sind vorab zu
prüfen, da sie gegebenenfalls geeignet wären, eine Kassation der vorin-
stanzlichen Verfügung zu bewirken (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen
der [vormaligen] Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2004
Nr. 38; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungs-
rechtspflege des Bundes; 3. Aufl. 2013, Rz. 1043 ff. m.w.H.).
3.1 In der Beschwerde wurde ausgeführt, die Vorinstanz habe das rechtli-
che Gehör verletzt, da sie die Entscheide der Beschwerdeführerin und ih-
res Ehemannes nicht gleichzeitig eröffnet habe. Die Frage einer Gefähr-
dung der Beschwerdeführerin sei zwingend im Zusammenhang mit der Ge-
fährdung des Ehemannes zu betrachten, weshalb es dem Rechtsvertreter
mangels Kenntnis des Inhalts der Verfügung des Ehemannes nicht möglich
sei, sich in der vorliegenden Beschwerde vollständig zu äussern.
3.1.1 Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches
Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, ander-
seits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass
eines Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen ein-
greift. Dazu gehört insbesondere das Recht der Betroffenen, sich vor Er-
lass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise
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beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisan-
trägen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise ent-
weder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern,
wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch
auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse,
die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren
Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1;
BVGE 2009/35 E. 6.4.1).
Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbrin-
gen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung
angemessen zu berücksichtigen. Das gilt für alle form- und fristgerechten
Äusserungen, Eingaben und Anträge, die zur Klärung der konkreten Streit-
frage geeignet und erforderlich erscheinen. Die Begründung muss so ab-
gefasst sein, dass die betroffene Person den Entscheid sachgerecht an-
fechten kann. Sie muss die wesentlichen Überlegungen nennen, von de-
nen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sie ihren Entscheid
stützt. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Partei-
standpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen
ausdrücklich widerlegt (vgl. BGE 136 I 184 E. 2.2.1).
3.1.2 Die Verfügungen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes er-
folgten im selben Verfahren und stehen in engstem Zusammenhang. (…).
In der angefochtenen Verfügung wurde unter anderem auf die den Ehe-
mann betreffende Verfügung verwiesen, wo Vorbringen der Beschwerde-
führerin als unglaubhaft qualifiziert worden seien. Die diesbezügliche Be-
gründung konnte folglich nur im Zusammenhang mit der Verfügung des
Ehemannes verstanden werden, womit deren Kenntnis zur Anfechtung der
vorliegenden Verfügung erforderlich war. Vorliegend kann sich die Be-
schwerdeführerin indessen nicht auf die Unkenntnis der ihren Ehemann
betreffenden Verfügung berufen. Letztere wurde vom BFM fälschlicher-
weise nicht dem Rechtsvertreter zugestellt, sondern an den Beschwerde-
führer adressiert, an die gemeinsame Adresse des Ehepaars gesandt und
von der Beschwerdeführerin entgegengenommen. Da ihr Rechtsvertreter
auch den Ehemann vertritt und den sie betreffenden Entscheid erhalten
und angefochten hat, konnte er sich vorliegend nicht in guten Treuen auf
die mangelhafte Eröffnung und eine angeblich fehlende Kenntnis beider
Entscheide berufen. Wie im Beschwerdeverfahren des Ehemannes (E-
3930/2014) mit Zwischenverfügung vom 24. Juli 2014 festgestellt wurde,
ist davon auszugehen, der Rechtsvertreter habe bereits in jenem Zeitpunkt
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Kenntnis von beiden Verfügungen gehabt, zumal er sich die den Beschwer-
deführer betreffende Verfügung ohne weiteres hätte beschaffen können
und müssen. Es bestand daher kein Anlass, der Beschwerdeführerin eine
Frist zur Beschwerdeergänzung anzusetzen.
Weshalb der Rechtsvertreter beanstandet, dass das BFM zwei separate
Verfügungen erliess, ist weder nachvollziehbar noch mit dem Interesse sei-
ner Mandantin vereinbar. (…). Im Übrigen wurden die Vorbringen ihres
Ehemannes in der angefochtenen Verfügung hinreichend beachtet, und die
Beschwerdeverfahren werden parallel und unter Berücksichtigung sämtli-
cher Aussagen geführt.
Soweit in dem in die Beschwerdeschrift hineinkopierten Text der seinerzei-
tigen Beschwerdeschrift vom 27. Januar 2014 (vgl. Prozessgeschichte B.a)
gerügt wurde, das BFM habe diverse Sachverhaltselemente nicht aus-
drücklich genannt und die Verfügung teilweise pauschal begründet, ist fest-
zustellen, dass sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid mit den
Vorbringen der Beschwerdeführerin differenziert auseinandersetzte und
zum Ergebnis kam, sie seien nicht asylbeachtlich und nicht glaubhaft. Sie
hat eine konkrete Würdigung des Einzelfalles vorgenommen, und es ist
nicht ersichtlich, dass sie Sachverhaltselemente oder vorhandene Beweis-
mittel nicht beachtet hätte. Dass in der Zusammenfassung des Sachver-
haltes nicht jede Einzelheit der Aussagen der Beschwerdeführerin aufge-
führt wurde, ist nicht zu beanstanden. Es liegt nach dem Gesagten keine
Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
3.2 Die Beschwerdeführerin rügte, die Vorinstanz habe den Sachverhalt
unrichtig und unvollständig festgestellt, ohne dies in der aktuellen Be-
schwerdeschrift explizit zu begründen. Gemäss dem in die Beschwerde-
schrift hineinkopierten Text der Beschwerde vom 27. Januar 2014 sei nicht
nachvollziehbar, weshalb keine Botschaftsabklärung vorgenommen wor-
den sei, wobei gleichzeitig zum vorherein Zweifel an der Aussagekraft einer
Botschaftsauskunft angemeldet wurden. Die Vorinstanz hätte aufgrund der
Hinweise auf eine starke psychische Belastung zudem weitere psychologi-
sche Abklärungen vornehmen müssen.
3.2.1 Gemäss Art. 12 VwVG stellt die Behörde den Sachverhalt von Amtes
wegen fest und bedient sich nötigenfalls der gesetzlichen Beweismittel
(Bstn. a–e). Der Untersuchungsgrundsatz findet seine Grenze an der Mit-
wirkungspflicht der Asylsuchenden (Art. 8 AsylG; Art. 13 VwVG). Dazu ge-
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hört, die Identität offenzulegen und vorhandene Identitätspapiere abzuge-
ben, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken und in der Anhö-
rung die Asylgründe darzulegen, allfällige Beweismittel vollständig zu be-
zeichnen und unverzüglich einzureichen sowie bei der Erhebung der bio-
metrischen Daten mitzuwirken (vgl. BVGE 2011/28 E. 3.4).
Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sach-
verhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht bildet einen
Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG). Unrichtig ist die Sachver-
haltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sach-
verhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt werden; un-
vollständig ist sie, wenn nicht alle für den Entscheid rechtswesentlichen
Sachumstände berücksichtigt werden (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, a.a.O.,
Rz. 1043).
3.2.2 Aus der angefochtenen Verfügung ergeben sich keine hinreichenden
Anhaltspunkte, wonach die Vorinstanz den Sachverhalt unvollständig ab-
geklärt oder die eingereichten Beweismittel nicht gewürdigt hätte. Aufgrund
des Anhörungsprotokolls vom 12. Dezember 2013 ist davon auszugehen,
dass die Beschwerdeführerin bedrückt war, es ist jedoch nicht ersichtlich,
dass sich psychologische oder psychiatrische Abklärungen aufgedrängt
hätten. Gemäss dem Unterschriftenblatt der Hilfswerksvertretung sah auch
diese hierzu keine Veranlassung. Angesichts der Mitwirkungspflicht der Be-
schwerdeführerin war die Vorinstanz nicht gehalten, weitere Abklärungen
vorzunehmen. Soweit eine Botschaftsabklärung in Syrien angeregt (und
gleichzeitig disqualifiziert) wurde, ist darauf hinzuweisen, dass die Schwei-
zer Vertretung in Damaskus seit Ende Februar 2012 geschlossen ist.
3.3 Der Antrag, die angefochtene Verfügung sei aus formellen Gründen –
wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und wegen un-
vollständiger oder unrichtiger Abklärung des rechtserheblichen Sachver-
haltes – aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, ist
mithin abzuweisen.
4.
4.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grund-
sätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im
Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationali-
tät, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer
politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder be-
gründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden; als
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ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Le-
bens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psy-
chischen Druck bewirken, wobei auch frauenspezifischen Fluchtgründen
Rechnung zu tragen ist (Art. 3 Abs. 1 und 2 AsylG).
Nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. BVGE 2013/11 E. 5.1 m.w.H.) erfüllt
eine asylsuchende Person die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3
AsylG und Art. 1 A des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstel-
lung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30), wenn sie mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit und in absehbarer Zukunft mit gutem Grund Nachteile von
bestimmter Intensität befürchten muss, die ihr gezielt und aufgrund be-
stimmter Verfolgungsmotive zugefügt zu werden drohen und vor denen sie
keinen ausreichenden staatlichen Schutz erwarten kann. Die in Art. 3
Abs. 1 AsylG erwähnten fünf Verfolgungsmotive sind über die sprachlich al-
lenfalls engere Bedeutung ihrer Begrifflichkeit hinaus so zu verstehen, dass
die Verfolgung wegen äusserer oder innerer Merkmale, die untrennbar mit
der Person oder Persönlichkeit des Opfers verbunden sind, erfolgt ist bezie-
hungsweise droht. Aufgrund der Subsidiarität des flüchtlingsrechtlichen
Schutzes setzt die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausserdem vo-
raus, dass die betroffene Person in ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat kei-
nen ausreichenden Schutz finden kann. Massgeblich für die Beurteilung der
Flüchtlingseigenschaft ist die Situation im Zeitpunkt des Entscheides über
deren Bestehen – nicht diejenige im Zeitpunkt der Ausreise –, wobei aller-
dings erlittene Verfolgung oder im Zeitpunkt der Ausreise bestehende be-
gründete Furcht vor Verfolgung auf andauernde Gefährdung hinweisen
kann. Veränderungen der Situation im Heimatstaat zwischen Ausreise und
Asylentscheid sind zu Gunsten und zu Lasten der asylsuchenden Person
zu berücksichtigen.
4.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die
Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für ge-
geben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen
Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsa-
chen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte
Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
5.
5.1 Zur Begründung der angefochtenen Verfügung führte die Vorinstanz
aus, wie aus der Verfügung vom 12. Juni 2014 betreffend ihren Ehemann
hervorgehe, müssten dessen Vorbringen zum Vorfall mit der verheirateten
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Frau und der Bedrohung durch deren Familie als unglaubhaft qualifiziert
werden. Die diesbezüglichen Schilderungen der Beschwerdeführerin wür-
den diese Einschätzung bestätigen. Sie habe beispielsweise widersprüch-
liche Angaben dazu gemacht, wann und weshalb sie zu ihrem Bruder ge-
zogen sei. Zuerst habe sie gesagt, dies sei zwei Tage nach der Ermordung
der Frau gewesen, weil Mitglieder jener Familie sie zu Hause angegriffen
hätten, anschliessend habe sie demgegenüber angegeben, beim Angriff
nicht zu Hause gewesen zu sein, da sie unmittelbar nach dem Tod der Frau
zu ihrem Bruder geflohen sei. Weiter müsse ihre Erklärung, wie sie von der
Bedrohungssituation erfahren habe, als substanzlos bezeichnet werden.
Sie habe erst nach mehrmaligem Nachfragen angeben können, von wem
sie die entsprechenden Informationen erhalten habe. Die Schilderung ihrer
Gedanken, als sie von der ihrem Ehemann vorgeworfenen sexuellen
Handlung mit der besagten Frau erfahren habe, sei inhaltslos. Das Vorbrin-
gen halte daher den Anforderungen an die Glaubwürdigkeit (recte: Glaub-
haftigkeit) nicht stand. Zudem würden die geltend gemachten Nachteile
nicht auf einer in Art. 3 AsylG aufgeführten Verfolgungsmotivation beruhen.
(…). Hinsichtlich der Zusammenarbeit ihres Mannes mit kurdischen Par-
teien habe sie angegeben, er sei Mitglied der kurdischen Partei YPK und
habe kurdische Kleider für die Partei genäht. Die Verfügung vom 12. Juni
2014 zum Asylgesuch ihres Ehemannes halte hierzu fest, dass die vorge-
brachte Verfolgung aufgrund des Nähens von kurdischen Kleidern un-
glaubhaft sei. (…).
Die Beschwerdeführerin mache geltend, in der Schweiz an mehreren De-
monstrationen von Kurden teilgenommen zu haben. Die syrischen Sicher-
heitsdienste seien zwar auch im Ausland aktiv, würden sich aber auf die
Erfassung von Personen konzentrieren, welche qualifizierte Aktivitäten
ausüben würden. Die von ihr geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten
seien nicht geeignet, eine Furcht vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung zu
begründen. Sie habe sich durch die blosse Teilnahme an Demonstrationen
nicht in bedeutender Weise von der grossen Masse exilpolitisch tätiger Sy-
rer abgehoben; diese Tätigkeit sei keine qualifizierte Aktivität, die aus Sicht
des syrischen Regimes als potentielle Bedrohung wahrgenommen würde.
Die geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten seien demnach nicht ge-
eignet, eine Furcht vor flüchtlingsrelevanter Verfolgung zu begründen.
5.2 In der Beschwerde wurde der vorinstanzlichen Argumentation entge-
gengehalten, die Vorbringen der Beschwerdeführerin (…) seien detailliert
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und von emotionaler Subjektivität geprägt gewesen, und sie habe wieder-
holt weinen müssen. (…). Auch ihre Aussagen zum angeblichen Intimkon-
takt ihres Mannes mit der getöteten Frau seien glaubhaft, da sie angege-
ben habe, nicht zu wissen, ob ihr Mann tatsächlich etwas mit dieser Frau
gehabt habe. Hinsichtlich der Frage, wie sie von der Bedrohungssituation
durch die Familie der Frau erfahren habe, könne von der Beschwerdefüh-
rerin nicht mehr erwartet werden, als dass sie die Person bezeichne, von
welcher sie die Information gehabt habe. Die entsprechenden Aussagen
seien nicht substanzlos, und sie habe nicht nach mehrmaligem Nachfra-
gen, sondern nach zweimaligem Fragen die betreffende Person genannt.
Die Beschwerdeführerin habe angegeben, sie sei unmittelbar nach Kennt-
nisnahme vom Tod der Frau zu ihrem Bruder gegangen. Diesbezüglich be-
stehe kein Widerspruch in ihren Aussagen, da das Wort "unmittelbar" einen
grossen Interpretationsspielraum lasse. (…).
(…). Ob ihr Ehemann tatsächlich Kleider genäht habe oder politisch aktiv
gewesen sei, sei unerheblich. Entscheidend sei, dass ein entsprechender
Verdacht bestanden habe.
Weiter sei nicht nachvollziehbar, wie die Vorinstanz zum Schluss komme,
die geltend gemachten Ängste vor der Rache der Familie der getöteten
Frau würden nicht auf einer in Art. 3 AsylG genannten Verfolgungsmotiva-
tion beruhen. Es bestehe aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Eth-
nie eine grosse Gefahr, dass sie oder ihre Ehemann einem Ehrenmord zum
Opfer fallen könnten, und der syrische Staat sei weder schutzfähig noch
wolle er von Ehrenmord bedrohte Kurden schützen. Es drohe ihr aufgrund
ihres ethnischen und politischen Profils in Syrien eine Verfolgung, zumal
der Verdacht gegen ihren Ehemann weiterhin bestehe.
Die Vorinstanz unterstelle der Beschwerdeführerin indirekt, dass es ihr gar
kein Anliegen sei, sich gegen die brutalen Vorgänge und das Regime in
Syrien zu wehren. Dem sei nicht so. Sie nutze die Möglichkeit, am Protest
teilzunehmen, und es schmälere ihr politisches Profil nicht, dass dieser
Protest von einer grossen Masse getragen werde. Die Beschwerdeführerin
habe durch ihre exilpolitische Tätigkeit in der Öffentlichkeit die Aufmerk-
samkeit der syrischen Behörden auf sich gezogen. Angesichts der unkon-
trollierbaren Verbreitung der Informationen im Internet und der heutigen
technischen Möglichkeiten sei es für diese ein Leichtes, oppositionelle Per-
sonen zu identifizieren, und es werde immer wieder von Hackerangriffen
durch syrische, dem Regime nahestehende Gruppierungen berichtet. An-
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Seite 13
gehörige der syrischen Botschaften würden bei regimekritischen Demonst-
rationen als Spione eingesetzt, und die Teilnehmenden würden identifiziert.
Auch geringe Aktivitäten seien ausreichend, um ins Visier der syrischen
Behörden zu gelangen, und zudem könne bereits die Stellung als abge-
wiesene Asylbewerberin im Falle einer Rückkehr eine asylrelevante Verfol-
gung auslösen.
Ohne Bezugnahme auf den vorliegenden Fall warf der Rechtsvertreter in
seiner Beschwerdeschrift der Vorinstanz in pauschaler Weise vor, sie sei
"bezüglich der Anerkennung von asylrelevanter Verfolgung bezüglich Syrer
sehr restriktiv" und versuche immer wieder durch konstruierte Widersprü-
che und kleinliche, wenn nicht unfaire Wortauslegungen, den syrischen
Asylbewerbern den rechtmässigen Anspruch auf Asyl vorzuenthalten. Die
extrem restriktive Anerkennung von Flüchtlingen sei nicht gerechtfertigt.
6.
6.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, sie sei in Syrien von Famili-
enmitgliedern einer Frau, mit der ihr Ehemann angeblich ausserehelichen
sexuellen Kontakt gehabt habe, verfolgt worden; sie hätten sich nach der
Ausreise des Ehemannes an ihr rächen wollen.
6.1.1 Die Vorinstanz wies in der angefochtenen Verfügung auf gewisse Wi-
dersprüche in den Aussagen der Beschwerdeführerin hin. Diese vermochte
sie in der Beschwerde nicht aufzulösen. So sagte sie im Rahmen der zwei-
ten Anhörung, sie sei zwei Tage nach der Ermordung der Frau zu ihrem
Bruder gezogen, weil eine Gruppe von Personen jener Familie sie zu
Hause angegriffen habe. Auf die Frage nach dem Angriff gab sie hingegen
an, sie seien bereits vorher geflüchtet, und zwar unmittelbar nachdem sie
erfahren habe, dass die Frau getötet worden sei (vgl. B34 F62 f.). Selbst
wenn der Argumentation in der Beschwerde gefolgt wird, wonach "unmit-
telbar" bei einer grosszügigen Interpretation auch noch "nach zwei Tagen"
bedeuten könne, vermag dies den Widerspruch hinsichtlich ihrer Anwesen-
heit beim vorgebrachten Angriff nicht zu erklären. Weiter hätte entgegen
der in der Beschwerde vertretenen Ansicht auf die Frage, wie sie von der
Bedrohungssituation durch die Familie der getöteten Frau erfahren habe,
durchaus eine konkretere Antwort erwartet werden können als die pau-
schale Angabe, sie habe dies von Verwandten gehört, welche sie erst nach
zweimaligem Nachfragen präzisierte. Ob diese Vorbringen als glaubhaft
bezeichnet werden könnten, kann vorliegend jedoch offen bleiben, da es
ihnen – wie auch im Verfahren ihres Ehemannes (E-3930/2014 E. 6.1) fest-
gestellt wurde – an der flüchtlingsrechtlichen Relevanz fehlt.
E-3763/2014
Seite 14
6.1.2 Die geltend gemachte Verfolgung könnte nur von flüchtlingsrechtli-
cher Relevanz sein, wenn die ihr drohenden Nachteile aus einem flücht-
lingsrechtlichen Verfolgungsmotiv (vgl. E. 4.1 vorstehend) erfolgen wür-
den. Der Grund der von der Beschwerdeführerin behaupteten Verfolgung
durch Personen der besagten Familie liegt gemäss ihren Angaben im Vor-
wurf, ihr Ehemann habe ausserehelichen Sexualkontakt mit einer verhei-
rateten Frau gehabt – eine flüchtlingsrechtliches Motiv (Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische
Anschauungen) wird nicht geltend gemacht und besteht offensichtlich nicht.
Ob völkerrechtliche Verpflichtungen einer Wegweisung nach Syrien entge-
genstehen, wäre gegebenenfalls unter dem Aspekt der Zulässigkeit des
Wegweisungsvollzugs zu prüfen. Da die Beschwerdeführenden vorläufig
aufgenommen worden sind, ist der Wegweisungsvollzug jedoch nicht Ge-
genstand des vorliegenden Verfahrens (vgl. E. 1.3 vorstehend).
6.2 (…).
6.3 Im Folgenden ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin durch ihr Ver-
halten nach der Ausreise aus Syrien in der Schweiz Grund für eine zukünf-
tige Verfolgung durch die syrischen Behörden gesetzt hat und deshalb (in-
folge so genannter subjektiver Nachfluchtgründe) die Flüchtlingseigen-
schaft erfüllt, wie sie dies geltend macht. Dabei kann es sich angesichts
der Entwicklung in Syrien nur um grundsätzliche und abstrakte Erwägun-
gen handeln, ist doch die Zukunft des aktuellen Regimes mit seinem Si-
cherheitsapparat, auf den vorliegend Bezug genommen wird, ebenso völlig
offen wie der Zeitpunkt einer allfälligen Rückkehr der Beschwerdeführerin.
6.3.1 Subjektive Nachfluchtgründe begründen zwar die Flüchtlingseigen-
schaft nach Art. 3 AsylG, führen jedoch gemäss Art. 54 AsylG zum Aus-
schluss vom Asyl. Personen, die subjektive Nachfluchtgründe nachweisen
oder glaubhaft machen können, werden als Flüchtlinge vorläufig aufge-
nommen. Die am 1. Februar 2014 in Kraft getretene Bestimmung von Art. 3
Abs. 4 AsylG regelt zwar, dass Personen, welche Gründe geltend machen,
die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und weder
Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat
bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind, nicht Flüchtlinge seien,
neutralisiert indes diese einschränkende Formulierung durch den aus-
drücklichen Vorbehalt der Geltung der FK (vgl. Art. 3 Abs. 4 in fine AsylG).
E-3763/2014
Seite 15
Eine Person, die subjektive Nachfluchtgründe geltend macht, hat begrün-
deten Anlass zur Furcht vor künftiger Verfolgung, wenn der Heimat- oder
Herkunftsstaat mit erheblicher Wahrscheinlichkeit von ihren Aktivitäten im
Ausland erfahren hat und die Person deshalb bei einer Rückkehr in flücht-
lingsrechtlich relevanter Weise im Sinne von Art. 3 AsylG verfolgt würde
(vgl. BVGE 2009/29 E. 5.1 und 2009/28 E. 7.1, m.w.H.). Die Anforderungen
an den Nachweis einer begründeten Furcht bleiben dabei massgeblich
(Art. 3 und Art. 7 AsylG). Wesentlich ist, ob die heimatlichen Behörden die
Exilaktivität als staatsfeindlich einstufen und deswegen bei einer Rückkehr
eine Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG zu befürchten ist.
6.3.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Referenzurteil D-3839/2013
vom 28. Oktober 2015 (vgl. > Rechtsprechung) in Bezug auf
die Frage der flüchtlingsrechtlich relevanten Gefährdung von exilpolitisch
aktiven syrischen Staatsangehörigen anerkannt, dass die Geheimdienste
des syrischen Regimes von Bashar al-Assad in verschiedenen europäi-
schen Staaten nachrichtendienstlich tätig sind, mit dem Ziel, regimekriti-
sche Personen zu identifizieren und oppositionelle Gruppierungen zu be-
spitzeln und zu unterwandern. Syrische Staatsangehörige oder staaten-
lose Kurden syrischer Herkunft würden nach längerem Auslandaufenthalt
bei der Wiedereinreise regelmässig durch syrische Sicherheitskräfte ver-
hört und bei Verdacht auf oppositionelle Exilaktivitäten an einen der Ge-
heimdienste überstellt. Das Bundesverwaltungsgericht könne vor diesem
Hintergrund nicht ausschliessen, dass syrische Geheimdienste von der
Einreichung eines Asylgesuchs in der Schweiz durch syrische Staatsange-
hörige oder staatenlose Kurden syrischer Herkunft erfahren würden, ins-
besondere wenn sich die betreffende Person im Exilland politisch betätigt
habe oder mit – aus der Sicht des syrischen Regimes – politisch missliebi-
gen, oppositionellen Organisationen, Gruppierungen oder Tätigkeiten in
Verbindung gebracht werde. Allein der Umstand, dass syrische Geheim-
dienste im Ausland aktiv seien und gezielt Informationen sammelten, ver-
möge jedoch nicht die Annahme zu rechtfertigen, aufgrund solcher Infor-
mationen über exilpolitische Tätigkeiten würden regimekritische Personen
im Falle der Rückkehr nach Syrien zwangsläufig in asylrechtlich relevan-
tem Ausmass zur Rechenschaft gezogen. Damit die Furcht vor Verfolgung
als begründet erscheine, müssten vielmehr über die theoretische Möglich-
keit hinausgehende konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die den Schluss zu-
liessen, dass die asylsuchende Person tatsächlich das Interesse der syri-
schen Behörden auf sich gezogen habe und als regimefeindliches Element
namentlich identifiziert und registriert worden sei. Die Rechtsprechung geht
diesbezüglich davon aus, dass sich die syrischen Geheimdienste auf die
E-3763/2014
Seite 16
Erfassung von Personen konzentrieren, die über niedrigprofilierte Erschei-
nungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen
und/oder Aktivitäten entwickelt haben, welche die betreffende Person als
Individuum aus der Masse der mit dem Regime Unzufriedenen heraushe-
ben und als ernsthaften und potenziell gefährlichen Regimegegner er-
scheinen lassen. Für die Annahme begründeter Furcht ist insofern nicht
primär das Hervortreten im Sinne einer optischen Erkennbarkeit und Indi-
vidualisierbarkeit massgebend; ausschlaggebend ist vielmehr eine öffent-
liche Exponiertheit, die aufgrund der Persönlichkeit des Asylsuchenden,
der Form des Auftritts und des Inhalts der in der Öffentlichkeit abgegebe-
nen Erklärungen den Eindruck erweckt, der oder die Asylsuchende werde
vom syrischen Regime als potenzielle Bedrohung wahrgenommen (vgl.
a.a.O., E. 6.3.1 f., m.w.H.).
Im erwähnten Referenzurteil wird sodann ausgeführt, das Regime von Bas-
har al-Assad sei im Verlauf des Bürgerkriegs militärisch und wirtschaftlich
unter Druck geraten und habe die Kontrolle über weite Landesteile verlo-
ren. Gleichzeitig gehe es aber in dem ihm verbliebenen Einflussgebiet mit
grösster Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen tatsächliche und ver-
meintliche Regimegegner vor. Dementsprechend sei anzunehmen, dass
auch aus dem Ausland zurückkehrende Personen verstärkt unter dem Ge-
sichtspunkt möglicher exilpolitischer Tätigkeiten oder Kenntnisse solcher
verhört würden und von Verhaftung, Folterung und willkürlicher Tötung be-
troffen wären, falls sie für Regimegegner gehalten würden. Allerdings sei
unklar, ob und in welchem Umfang die syrischen Geheimdienste ihre Tä-
tigkeit in den europäischen Ländern nach Ausbruch des Bürgerkriegs in
Syrien weiter betreiben beziehungsweise inwieweit sie dazu aktuell noch
in der Lage seien. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Aktivitäten der
syrischen Geheimdienste in Europa in den letzten Jahren in den Fokus der
Nachrichtendienste der betroffenen Länder gerückt seien und diese ihre
Tätigkeiten aufgrund der ergriffenen Massnahmen nicht mehr ungehindert
ausüben könnten. Angesichts der grossen Anzahl von Personen, welche
seit Ausbruch des Bürgerkriegs aus Syrien geflüchtet seien, sei es zudem
wenig wahrscheinlich, dass die syrischen Geheimdienste über die logisti-
schen Ressourcen und Möglichkeiten verfügten, um sämtliche regimekriti-
schen exilpolitischen Tätigkeiten syrischer Staatsangehöriger oder staa-
tenloser Kurden syrischer Herkunft im Ausland systematisch zu überwa-
chen. Zudem könne davon ausgegangen werden, dass sie sich angesichts
des Überlebenskampfes des Regimes primär auf die Situation in Syrien
konzentrierten. Das Bundesverwaltungsgericht geht deshalb weiterhin da-
E-3763/2014
Seite 17
von aus, dass der Schwerpunkt der Aktivitäten der syrischen Geheim-
dienste im Ausland nicht bei einer grossflächigen, sondern bei einer selek-
tiven und gezielten Überwachung der im Ausland lebenden Opposition liegt.
Die Annahme, die betroffene Person habe die Aufmerksamkeit der syri-
schen Geheimdienste in einer Weise auf sich gezogen, die auf eine be-
gründete Furcht vor Verfolgung wegen exilpolitischer Tätigkeiten schlies-
sen lasse, rechtfertigt sich deshalb nur, wenn diese sich in besonderem
Mass exponiert und aus Sicht des syrischen Regimes als potenzielle Be-
drohung wahrgenommen wird (vgl. a.a.O., E. 6.3.3 ff., m.w.H.).
6.3.3 Die Beschwerdeführerin machte geltend, in der Schweiz an mehre-
ren Demonstrationen teilgenommen und dadurch die Aufmerksamkeit der
syrischen Behörden auf sich gezogen zu haben. Dass ihr Protest von einer
grossen Masse getragen werde, schmälere ihr politisches Profil nicht.
Aus den eingereichten Beweismitteln ist ersichtlich, dass die Beschwerde-
führerin an mehreren Demonstrationen gegen das syrische Regime teilge-
nommen hat. Es ergibt sich aus den eingereichten Dokumenten indessen
keine exponierte exilpolitische Tätigkeit im Sinne der oben dargelegten
Rechtsprechung, welche über die blosse Teilnahme an Kundgebungen und
Veranstaltungen hinausgehen würde. Die Beschwerdeführerin hat sich
nicht aus der Menge der Demonstranten hervorgehoben und sich auch an-
derweitig nicht namentlich exponiert.
Allein die Tatsache, dass sie Syrien vor Ausbruch des Bürgerkrieges ver-
lassen und in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt hat, führt nicht zur An-
nahme, sie hätte bei einer (hypothetischen) Rückkehr in ihr Heimatland mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung
zu befürchten. Zwar ist aufgrund ihrer längeren Landesabwesenheit davon
auszugehen, dass sie bei einer Wiedereinreise nach Syrien im gegenwär-
tigen Zeitpunkt einer Befragung durch die heimatlichen Behörden unterzo-
gen würde. Da sie jedoch eine Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte
und sie nicht geltend machte, vor dem Verlassen Syriens als regimefeind-
liche Person ins Blickfeld der Behörden geraten zu sein, ist nicht anzuneh-
men, dass die syrischen Behörden sie als staatsgefährdend einstufen wür-
den. Die in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, wonach angesichts
der heutigen Situation in Syrien jeder Staatsangehörige, der eine längere
Zeit landesabwesend sei, als Staatsfeind betrachtet werde und deshalb bei
der Wiedereinreise mit asylerheblichen Massnahmen zu rechnen habe,
vermag nicht zu überzeugen. Vielmehr ist, wie dargelegt (vgl. E. 6.3.1 vor-
E-3763/2014
Seite 18
stehend), davon auszugehen, dass die im Ausland tätigen syrischen Ge-
heimdienste ihr Augenmerk auf Personen richten, die in exponierter Weise
den syrischen Behörden als politisch missliebig und in staatsgefährdender
Weise aufgefallen sind, was bei der Beschwerdeführerin nicht zutrifft.
6.3.4 Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände folgt, dass die Be-
schwerdeführerin die Voraussetzungen für die Anerkennung von subjekti-
ven Nachfluchtgründen im Sinne von Art. 54 AsylG nicht erfüllt.
6.4 Die pauschalen Vorwürfe des Rechtsvertreters gegenüber der Vorin-
stanz, sie behandle die Asylgesuche von syrischen Staatsangehörigen be-
wusst restriktiv, konstruiere Widersprüche, produziere kleinliche und un-
faire Wortauslegungen und enthalte ihnen den rechtmässigen Anspruch
auf Asyl vor, sind – weil unzutreffend – unter Hinweis auf die in bundesver-
waltungsrechtlichen Verfahren gebotene Pflicht der Rechtsvertreter zum
Anstand (vgl. Art. 60 Abs. 1 VwVG) ebenso pauschal zurückzuweisen.
6.5 Das Bundesverwaltungsgericht stellt zusammenfassend fest, dass
keine asylrechtlich relevanten Verfolgungsgründe ersichtlich sind, weshalb
die Vorinstanz zu Recht das Asylgesuch der Beschwerdeführenden und
Verneinung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt hat.
7.
Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, verfügt es
in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an;
es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44
AsylG).
7.1 Die Beschwerdeführenden verfügen weder über eine ausländerrechtli-
che Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer
solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44
AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E 4.4 und 2009/50 E. 9, je m.w.H.).
7.2 Aus den vorangegangenen Erwägungen kann nicht geschlossen wer-
den kann, die Beschwerdeführenden seien angesichts der aktuellen Lage
in ihrem Heimatland Syrien dort nicht gefährdet. Eine solche Gefährdung
ist indes nur unter dem Aspekt von Art. 83 Abs. 3 oder 4 AuG (SR 142.20)
einzuordnen, wonach der Wegweisungsvollzug für ausländische Personen
nicht zulässig ist, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer
Weiterreise in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegen-
stehen, beziehungsweise unzumutbar sein kann, wenn sie im Heimat- oder
E-3763/2014
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Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemei-
ner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Der gene-
rellen Gefährdung aufgrund der aktuellen Situation in Syrien wurde durch
die Vorinstanz mit der Anordnung der vorläufigen Aufnahme der Beschwer-
deführenden wegen unzumutbaren Wegweisungsvollzugs Rechnung ge-
tragen. Die Frage der Zulässigkeit des Vollzugs war, wie erwähnt, nicht
mehr zu prüfen.
8.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig so-
wie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und – soweit diesbezüglich
überprüfbar – angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.
9.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten den Beschwerdeführen-
den aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf Fr. 600.– festzusetzen
(Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Ent-
schädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
Sie sind mit dem in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

(Dispositiv nächste Seite)

E-3763/2014
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.– werden den Beschwerdeführenden
auferlegt. Der geleistete Kostenvorschuss wird zur Bezahlung der Verfah-
renskosten verwendet.
3.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kanto-
nale Migrationsbehörde.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Walter Stöckli Sarah Straub