E-3719/2011 - Abteilung V - Vollzug der Wegweisung - Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom 21. ...
Bundesve rwa l t ungsge r i ch t
T r i buna l adm in i s t r a t i f f édé ra l
T r i buna l e ammin i s t r a t i vo f ede ra l e
T r i buna l adm in i s t r a t i v f ede ra l
Abteilung V
E3719/2011
U r t e i l v om 1 6 . Augus t 2 0 1 1
Besetzung Einzelrichter Markus König,
mit Zustimmung von Richter Fulvio Haefeli;
Gerichtsschreiberin Karin MaederSteiner.
Parteien A._______,
Mazedonien,
B._______,
C._______,
D._______,
alle Tschechische Republik,
alle vertreten durch Tilla Jacomet,
Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende (…),
Beschwerdeführende,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Vollzug der Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 21. Juni 2011 / N (…).
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Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführenden – eine Familie mit zwei Kindern – reisten am
29. Januar 2011 in die Schweiz ein, wo sie gleichentags im Empfangs
und Verfahrenszentrum Vallorbe um Asyl nachsuchten. Im
Transitzentrum Altstätten wurden sie summarisch befragt und für die
Dauer des Asylverfahrens dem Kanton G._______ zugeteilt. Am 2. Mai
2011 führte das BFM die Anhörungen den Asylgründen durch.
Die Beschwerdeführenden machten im Wesentlichen Folgendes geltend:
Der Beschwerdeführer sei ein Rom aus Mazedonien und habe bis zum
Jahr 1981 zusammen mit seiner Familie in E._______ gelebt. Danach sei
er nach Deutschland ausgewandert, bis er im Jahr 1993 wegen seiner
beruflichen Tätigkeit als (…) nach Tschechien gezogen sei. Seit 1993
habe er in F._______/Tschechien gelebt und über eine permanente
Aufenthaltsbewilligung verfügt. Im Jahr 1997 habe er Mazedonien zum
letzten Mal besucht, weil er sich mit der Beschwerdeführerin dort habe
niederlassen wollen. Seine Familie habe noch immer ein Haus in
E._______. Er habe sich jedoch in Mazedonien nicht sicher gefühlt, und
seine Frau sei von den mazedonischen Männern belästigt worden.
Deshalb seien sie wieder nach Tschechien zurückgekehrt. Dort sei er
jedoch als Roma Behelligungen ausgesetzt gewesen. Er sei ständig
malträtiert, beschimpft und ausgegrenzt worden. Deswegen habe er
mehrmals erfolglos bei der Polizei um Schutz nachgesucht. Die Tochter
habe bereits zweimal die Schule wechseln müssen.
Die Beschwerdeführerin führte aus, sie sei Roma aus Tschechien und
seit (…) mit dem Beschwerdeführer verheiratet. Die Kinder hätten
Probleme in der Schule gehabt, sie hätten keine Rechte und würden
wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert. Zudem sei die
Tochter herzkrank und auf ärztliche Kontrollen angewiesen, was in
Tschechien nicht möglich sei. Als sie während einer Schwangerschaft
Komplikationen gehabt habe, habe man sie im Spital grundlos warten
lassen. Sie sei zurzeit erneut im (…) Monat schwanger, das Kind werde
(…) 2011 erwartet.
Die Beschwerdeführenden reichten ihre Reisepässe und die
Beschwerdeführerin zusätzlich ihre Identitätskarte zu den Akten.
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B.
Mit Schreiben vom 1. April 2011 bat das Migrationsamt des Kantons
G._______ um prioritäre Behandlung des Asylgesuchs der Familie
A._______. Am 29. März 2011 seien der Beschwerdeführer und die
Beschwerdeführerin vom Zentrum für Asylsuchende verwarnt worden,
weil sie wiederholt dissozial und gewalttätig in Erscheinung getreten
seien.
Gemäss Mitteilung der Kantonspolizei G._______ wurde am 28. April
2011 gegen die Beschwerdeführerin Anzeige wegen einfacher
Körperverletzung erhoben. Demgemäss habe sie einen anderen
Asylsuchenden mit einem Glas verletzt und ihm Schnittwunden zugefügt.
C.
Mit Verfügung vom 21. Juni 2011 – eröffnet am 23. Juni 2011 – trat das
BFM gestützt auf Art. 34 Abs. 1 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
(AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch der Beschwerdeführenden nicht
ein, verfügte ihre Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den
Wegweisungsvollzug an.
D.
Mit Eingabe vom 30. Juni 2011 liessen die Beschwerdeführenden durch
ihre Rechtsvertreterin beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde
erheben und beantragen, die Verfügung des BFM sei betreffend die
Ziffern 3 und 4 des Dispositivs aufzuheben und die Vorinstanz
anzuweisen, sie infolge Unzulässigkeit beziehungsweise Unzumutbarkeit
des Wegweisungsvollzugs vorläufig in der Schweiz aufzunehmen.
Ausserdem sei der Vollzug der Wegweisung bis nach der Geburt des
Kindes der Beschwerdeführenden auszusetzen und eine angemessene
Ausreisefrist anzusetzen. In prozessualer Hinsicht beantragten die
Beschwerdeführenden die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968
über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) und den Verzicht
auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.
E.
Mit Instruktionsverfügung vom 5. Juli 2011 hielt der Instruktionsrichter
fest, die Beschwerdeführenden könnten den Ausgang des Verfahrens in
der Schweiz abwarten und setzte Frist zur Nachreichung der in der
Beschwerdeschrift angekündigten Arztberichte.
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F.
Mit Eingabe vom 8. Juli 2011 reichten die Beschwerdeführenden innert
Frist die angekündigten Arztberichte nach. Es handelt sich dabei um eine
Bestätigung der Reiseunfähigkeit der Beschwerdeführerin vom 6. Juli
2011, um einen Bericht der Kinder und Jugendpsychiatrischen Dienste
G._______ vom 7. Juli 2011 betreffend den Sohn sowie um ein ärztliches
Zeugnis vom 3. Juli 2011 betreffend den Beschwerdeführer.
G.
Mit Eingabe vom 2. August 2011 reichten die Beschwerdeführenden
ausserdem einen Austrittsbericht der Klinik H._______ vom 27. Juli 2011
betreffend die Beschwerdeführerin zu den Akten.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden
gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den
Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des
Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme
im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht
ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und
entscheidet darüber, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens
des Staates, vor welchem die Beschwerdeführende Partei Schutz sucht,
endgültig (Art. 105 AsylG, Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die
Beurteilung des Verfahrens richtete sich nach dem VwVG und dem BGG,
soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6
AsylG).
1.2. Die Beschwerde ist frist und formgerecht eingereicht. Die
Beschwerdeführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz
teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt
und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung; sie sind daher zur Einreichung der
Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48
Abs. 1, Art. 50 und 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise
einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie
nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche,
weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist
(Art. 111a Abs. 2 AsylG).
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die
Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.
4.
4.1. Wie bereits in der Zwischenverfügung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 2011 festgestellt, wird mit der
Beschwerde ausschliesslich der angeordnete Vollzug der Wegweisung
angefochten. Die Ziffern 1 (Nichteintreten auf Asylgesuch) und 2
(Anordnung der Wegweisung) des Dispositivs der Verfügung des BFM
vom 21. Juni 2011 sind somit mangels Anfechtung in Rechtskraft
erwachsen.
4.2. Im vorliegenden Verfahren ist somit einzig die Frage zu beurteilen,
ob die Wegweisung zu vollzeihen oder ob anstelle des Vollzugs eine
vorläufige Aufnahme anzuordnen ist (Art. 44 AsylG i.V.m. Art. 83 des
Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und
Ausländer (AuG, SR 142.20).
5.
5.1. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich, regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach
den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von
Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG).
Bezüglich der Geltendmachung von Wegweisungshindernissen gilt
gemäss ständiger Praxis des Bundesverwaltungsgerichts und seiner
Vorgängerorganisation ARK der gleiche Beweisstandard wie bei der
Flüchtlingseigenschaft, das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte
Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl.
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WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi/Yar/Geiser [Hrsg.],
Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 11.148).
5.2. Der Vollzug der Wegweisung ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche
Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des
Ausländers in den Heimat Herkunfts oder in einen Drittstaat
entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG).
So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land
gezwungen werden, in dem ihr Leib oder ihre Freiheit aus einem Grund
nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur
Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG;
vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]).
Gemäss Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101), Art. 3 des
Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 der Konvention vom
4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) darf niemand der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen
werden.
5.2.1. Die Vorinstanz wies in ihrer angefochtenen Verfügung zutreffend
darauf hin, dass der Grundsatz der Nichtrückschiebung nur Personen
schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen (vgl. MARIO GATTIKER, Das
Asyl und Wegweisungsverfahren, 3. Aufl., Bern 1999, S. 89). Angesichts
des rechtskräftigen Nichteintretensentscheids gemäss Art. 34 Abs. 1
AsylG kann das in Art. 5 AsylG verankerte Prinzip des
flüchtlingsrechtlichen NonRefoulements im vorliegenden Verfahren
praxisgemäss keine Anwendung finden. Eine Rückkehr der
Beschwerdeführenden in den Heimat bzw. Herkunftsstaat ist demnach
unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
5.2.2. Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen der
Beschwerdeführenden noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass sie
für den Fall einer Ausschaffung in den Heimatstaat dort mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen
Strafe oder Behandlung ausgesetzt wären. Gemäss Praxis des
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Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie jener
des UNAntiFolterausschusses müssten die Beschwerdeführenden eine
konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen, dass
ihnen im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche
Behandlung drohen würde (vgl. EGMR, [Grosse Kammer], Saadi gegen
Italien, Urteil vom 28. Februar 2008, Beschwerde Nr. 37201/06, §§ 124
127, mit weiteren Hinweisen). Auch die allgemeine
Menschenrechtssituation im Heimat beziehungsweise Herkunftsland
lässt den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als
unzulässig erscheinen.
5.2.3. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im
Sinn der asyl als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.
5.3. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und
Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat oder Herkunftsstaat
aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und
medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete
Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG –
die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz
über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002, BBl 2002
3818).
5.3.1. Im vorliegenden Fall ist der Vollzug der Wegweisung der
Beschwerdeführenden in die Tschechische Republik als zumutbar im
Sinn von Art. 83 Abs. 4 AuG zu bezeichnen, da sie nicht glaubhaft
darzutun vermochten, dass sie bei einer Rückkehr ins Heimat
beziehungsweise Herkunftsland einer konkreten Gefährdungssituation im
Sinn der zu beachtenden Bestimmung ausgesetzt wären. In der
Tschechischen Republik herrscht zurzeit keine Situation allgemeiner
Gewalt, weshalb in konstanter Praxis von der grundsätzlichen
Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs ausgegangen wird.
5.3.2. Das BFM hält in der angefochtenen Verfügung fest, weder die im
Heimatstaat herrschende politische Situation noch andere Gründe
würden gegen die Zumutbarkeit der Rückführung der
Beschwerdeführenden sprechen. Zudem sei der Beschwerdeführer
mazedonischer Staatsangehöriger. Somit hätten die
Beschwerdeführenden grundsätzlich auch die Möglichkeit in das
Heimatland des Beschwerdeführers zurückzukehren. Vorliegend seien
auch keine Gründe ersichtlich, welche gegen die Rückkehr nach
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Mazedonien sprechen würden. Betreffend der geltend gemachten
gesundheitlichen Probleme der Kinder sei festzuhalten, dass keine
Angaben über angebliche gesundheitliche Probleme der Kinder
aktenkundig seien. Zudem sei die medizinische Versorgungslage sowohl
in der Tschechischen Republik wie auch in Mazedonien als relativ gut zu
bezeichnen, so dass die Probleme der Kinder behandelbar wären.
5.3.3. Auf Beschwerdeebene machen die Beschwerdeführenden
demgegenüber geltend, die Beschwerdeführerin, der Beschwerdeführer
und auch der Sohn hätten gesundheitliche Probleme. Die
Beschwerdeführerin sei schwanger, der errechnete voraussichtliche
Geburtstermin sei am (…) 2011. Sie habe vorzeitige Wehen und sei
deshalb nicht reisefähig, weil die Gefahr einer Frühgeburt bestehe. Im
angefochtenen Entscheid des BFM sei die Situation der
Beschwerdeführerin unerwähnt geblieben. Der Beschwerdeführer sei
wegen Nierensteinen vom 23. Juni 2011 bis zum 26. Juni 2011 im
Kantonsspital G._______ hospitalisiert gewesen. Ausserdem habe er
einen zweifachen Nasenbruch erlitten. Er sei weiterhin
behandlungsbedürftig. Auch auf die gesundheitliche Situation des
Beschwerdeführers sei das BFM in der angefochtenen Verfügung nicht
eingegangen. Der (…)jährige Sohn sei mehrfach zu Untersuchungen im
Kinder und Jugendpsychiatrischen Dienst G._______ gewesen. Er leide
unter einem allgemeinen Entwicklungsrückstand aufgrund mangelnder
Förderung, welcher auf seine Vergangenheit als Roma in Tschechien
zurückzuführen sei. Gemäss der zuständigen Psychologin sollte dringend
mit einer heilpädagogischen Therapie begonnen werden. Diesbezüglich
sei darauf hinzuweisen, dass bereits in Tschechien eine neurologische
Untersuchung stattgefunden habe und die Notwendigkeit einer Therapie
festgestellt worden sei, welche aber dem Jungen aufgrund seiner Ethnie
vorenthalten worden sei. Deshalb könne nicht davon ausgegangen
werden, dass der Sohn im Fall einer Rückkehr in die Tschechische
Republik die notwendige Therapie erhalten würde. Der Vollzug der
Wegweisung entspreche nicht dem Kindswohl und würde der gesunden
Entwicklung des Kindes schaden. Auch die diskriminierende Behandlung,
welche die Beschwerdeführenden in Tschechien erlebt hätten und im
Fall einer Rückkehr erneut erleben würden, würde sich negativ auf die
Entwicklung der Kinder auswirken.
5.3.4. In den Akten befinden sich keine ausreichend begründeten
Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführenden bei einer Rückkehr
in die Heimat aus individuellen Gründen wirtschaftlicher, sozialer oder
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gesundheitlicher Natur in eine existenzbedrohende Situation geraten
würden.
5.3.4.1 Der Beschwerdeführer hat zwar keinen Beruf erlernt, hat indessen
ein paar Jahre die Schule besucht und in verschiedenen Bereichen
Berufserfahrung gesammelt. So hat er eigenen Angaben zufolge in
Tschechien Handel betrieben, in (…) und (…) gearbeitet. Auch wenn der
Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr bei der Wiedereingliederung in
den Arbeitsmarkt mit Schwierigkeiten konfrontiert sein dürfte, ist
vorliegend dennoch davon auszugehen, dass es ihm gelingen wird ein
Auskommen für sich und seine Familie zu finden und somit nicht in eine
existenzielle Notlage zu geraten. Ausserdem leben ein Bruder und eine
Schwester des Beschwerdeführers in I._______, eine Schwester lebt seit
acht Jahren in (…) und eine weitere ist (…) Staatsangehörige. Somit ist
auch mit der Unterstützung der Familienangehörigen zu rechnen. Die
gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers sind nicht derart
gravierend, dass ihm daraus Nachteile bei der Wiedereingliederung in
den Arbeitsmarkt erwachsen werden. Gemäss Arztberichten musste der
Beschwerdeführer im Juni 2011 zweimal zur Entfernung von
Nierensteinen für kurze Zeit hospitalisiert werden. Gemäss Arztbericht
vom 3. Juli 2011 könnten immer noch Reststeine vorhanden sein, was zu
wiederholten Nierenkoliken führen könnte. Diesbezüglich ist festzuhalten,
dass Nierensteine auch in der Tschechischen Republik behandelt werden
können und somit keinen Grund für die Unzumutbarkeit des
Wegweisungsvollzugs darstellen. Der – im Rahmen einer Schlägerei
zugezogene – Nasenbeinbruch des Beschwerdeführers ist bei der
Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs offensichtlich
ebenfalls nicht relevant.
5.3.4.2 Die Beschwerdeführerin hat eine dreijährige Lehre als (…)
abgeschlossen aber danach keine Arbeit gefunden. Sie wurde von ihren
Eltern unterstützt und hat nach der Heirat die Ware, mit welcher ihr Mann
gehandelt hat, verkauft. Ausserdem wurde sie finanziell vom Staat
unterstützt, so dass das Existenzminimum sichergestellt war. Die
Beschwerdeführerin ist zurzeit schwanger, der Geburtstermin ist (…)
2011. Im Arztbericht vom 6. Juni 2011 wird ihr Reiseunfähigkeit attestiert,
zumal es sich um eine Risikoschwangerschaft handelt und die
Beschwerdeführerin bis zur Geburt unter ärztlicher Aufsicht sein muss.
Die Beschwerdeführerin war ausserdem wegen vorzeitiger
Wehentätigkeit drei Tage in der Klinik J._______ hospitalisiert. Gemäss
Austrittsbericht des Spitals H._______ vom 27. Juli 2011 musste die
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Beschwerdeführerin wegen akuten stechenden Brustschmerzen und
Panikattacke vom 29. Juni 2011 bis zum 30. Juni 2011 stationär
behandelt werden. Was die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin
betrifft, ist festzuhalten, dass dieser Umstand – auch wenn es sich wie
offenbar vorliegend um eine Risikoschwangerschaft handelt – nicht in
erster Linie die Zumutbarkeit sondern vielmehr die Möglichkeit des
Wegweisungsvollzugs beschlägt, nachdem die damit verbundenen
medizinischen Aspekte naturgemäss vorübergehender Natur sind (und im
Übrigen zweifellos auch im Heimatland der Beschwerdeführerin
behandelbar wären). Damit die Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs
aber zur Anordnung einer vorläufigen Aufnahme führt, muss diese
mindestens ein Jahr dauern (vgl. EMARK 1995 Nr. 14 E. 8, 2002 Nr. 17
E. 6), wovon vorliegend nicht auszugehen ist.
Hingegen ist das BFM anzuweisen, die Geburt abzuwarten und eine den
vorliegenden Umständen angemessene Ausreisefrist anzusetzen, welche
dem Wohl der Mutter und des neugeborenen Kinds Rechnung trägt.
5.3.4.3 Was die gesundheitlichen Probleme des Sohns betrifft, hält der
Bericht der Kinder und Jugendpsychiatrischen Dienste G._______ vom
7. Juli 2011 fest, der Junge sei körperlich altersentsprechend entwickelt,
gepflegt und interessiert. Im motorischen und sprachlichen Bereich sei
sein Entwicklungsrückstand deutlich. Er zeige grosse Probleme im
motorischen Bereich, im Orientierungsbereich und im sprachlichen
Bereich. Sein Satzaufbau bleibe auf ein Wort beschränkt. Es sei zu
vermuten, dass keine entsprechende Anregung in der Entwicklung
stattgefunden habe. Eine heilpädagogische Massnahme bei allgemeinem
Entwicklungsrückstand wird dringend empfohlen. Nach Kenntnissen des
Bundesverwaltungsgerichts ist ein solches Entwicklungsdefizit auch in
der Tschechischen Republik behandelbar. Davon, dass Roma aufgrund
ihrer Ethnie durch Nichtgewährung der notwendigen medizinischen
Leistungen diskriminiert würden, ist nicht auszugehen. Abgesehen davon
könnte gegen solche Umstände im EUStaat Tschechien auch auf dem
Rechtsweg vorgegangen werden. Auch die gesundheitlichen Probleme
des Sohnes sind für die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nicht
relevant.
5.3.5. Abschliessend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer
mazedonischer Staatangehöriger ist und die Beschwerdeführenden auch
die Möglichkeit hätten, nach Mazedonien zu gehen, zumal keine Gründe
ersichtlich sind, die gegen eine Rückkehr nach Mazedonien sprechen
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würden und die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme der
Beschwerdeführenden auch dort behandelbar wären.
5.3.6. Nach diesen Ausführungen erweist sich der Vollzug der
Wegweisung auch als zumutbar.
5.4. Schliesslich obliegt es den Beschwerdeführenden, sich bei der
zuständigen Vertretung des Heimatstaates die für eine Rückkehr
allenfalls noch notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (Art. 8 Abs. 4
AsylG), weshalb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu
bezeichnen ist (Art. 83 Abs. 2 AuG).
6.
Insgesamt ist die durch die Vorinstanz verfügte Wegweisung zu
bestätigen. Die Vorinstanz hat deren Vollzug zu Recht als zulässig,
zumutbar und möglich bezeichnet. Nach dem Gesagten fällt eine
Anordnung der vorläufigen Aufnahme ausser Betracht (Art. 83 Abs. 14
AuG).
7.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und
vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die
Beschwerde ist damit abzuweisen.
8.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten den
Beschwerdeführenden aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 13 des
Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist abzuweisen, weil die
Beschwerdebegehren als aussichtslos gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG
bezeichnet werden mussten.
(Dispositiv nächste Seite)
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Seite 12
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das BFM wird angewiesen, nach der Niederkunft der Beschwerdeführerin
eine den Umständen angemessene Ausreisefrist anzusetzen.
3.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird
abgewiesen. Die Verfahrenskosten von Fr. 600.‒ werden den
Beschwerdeführenden auferlegt.
4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das BFM und kantonale
Migrationsbehörde.
Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:
Markus König Karin MaederSteiner
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