E-3344/2011 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung nach ...
Karar Dilini Çevir:
E-3344/2011 - Abteilung V - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung nach ...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung V
E-3344/2011
Urteil vom 4. Juli 2011
Besetzung Einzelrichterin Muriel Beck Kadima,
mit Zustimmung von Richter Martin Zoller;
Gerichtsschreiberin Stella Boleki.
Parteien A._______, geboren am (…),
Eritrea,
vertreten durch (…),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung nach Italien
(Dublinverfahren);
Verfügung des BFM vom 7. Juni 2011 / N (…).
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat eigenen Angaben zufolge
am 15.September 2010 verliess und über den Sudan, die Türkei,
Griechenland und Italien in die Schweiz reiste, wo er am 15. April 2011
um Asyl nachsuchte,
dass das BFM den Beschwerdeführer am 5. Mai 2011 im Empfangs- und
Verfahrenszentrum B._______ unter anderem zu den Umständen der
Ausreise aus dem Heimatstaat befragte,
dass dieser im Wesentlichen angab, er sei lediglich im Besitz einer
eritreischen Identitätskarte gewesen und habe das Land illegal verlassen,
dass er mit einem sudanesischen Schlepper in die Türkei und von dort
illegal nach Griechenland eingereist sei,
dass er in Griechenland während seines fünfmonatigen Aufenthalts mit
den Behörden nicht in Kontakt gekommen sei, mithin auch kein
Asylgesuch gestellt habe,
dass er indessen am 27. Oktober 2010 in C._______ von griechischen
Polizisten aufgegriffen worden sei und sich die Fingerabdrücke habe
nehmen lassen müssen,
dass er nicht wisse, an welcher Adresse er gewohnt habe und die ganze
Zeit in einem Zimmer verbracht habe,
dass er sodann in Otranto (Italien) daktyloskopiert worden sei, obwohl er
sich dort nur einige Stunden aufgehalten habe,
dass er auch dort kein Asylgesuch gestellt habe und auch keine
Ausweise von den Behörden erhalten habe,
dass das BFM dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Aussagen und
eines Daktyloskopieeintrages in der zentralen Datenbank (EURODAC)
gleichzeitig das rechtliche Gehör zu einer allfälligen Zuständigkeit von
Italien oder Griechenland und einer damit verbundenen Wegweisung in
diese Länder gewährte,
dass er dabei angab, aufgrund der allgemein bekannten Lage in
Griechenland finde er dort keinen Schutz, und was Italien betreffe, sei
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festzuhalten, dass viele Eritreer dahinvegetieren würden, weshalb er nicht
dorthin zurückkehren wolle,
dass er schliesslich zur Begründung seines Asylgesuchs ausführte, er
habe lange Militärdienst geleistet und Auseinandersetzungen mit seinen
Vorgesetzten gehabt,
dass er zudem selten Urlaub bekommen habe, obwohl dieser ihm
zugestanden habe,
dass er deshalb beschlossen habe, nicht mehr Militärdienst zu leisten,
und geflohen sei,
dass das BFM mit Verfügung vom 6. Mai 2011 den Beschwerdeführer für
den weiteren Verbleib während des Asylverfahrens dem Kanton Schwyz
zuwies,
dass das BFM am 19. Mai 2011 gestützt auf die Eurodac-Meldung,
gemäss welcher der Beschwerdeführer am (…) in Otranto (Italien) in der
Eigenschaft als Asylsuchender erfasst worden sei, Italien um
Rückübernahme ersuchte,
dass die italienischen Behörden das Ersuchen des BFM innert Frist
(3. Juni 2011) unbeantwortet liessen,
dass das BFM mit Verfügung vom 7. Juni 2011 – eröffnet am 9. Juni 2011
– in Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d des Asylgesetzes vom 26. Juni
1998 (AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch nicht eintrat und die
Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug anordnete,
dass das BFM zur Begründung im Wesentlichen anführte, der
Beschwerdeführer sei gemäss Eurodac-Meldung in Italien am 6. April
2011 daktyloskopiert worden und habe dort um Asyl nachgesucht,
dass gestützt auf die einschlägigen staatsvertraglichen Bestimmungen
(Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die
Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die
Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten
Asylantrages [Dublin-Assoziierungsabkommen, SR 0.142.392.68];
Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur
Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des
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Mitgliedstaats ,der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den
ein Staatsangehöriger eines Drittlandes in einem Mitgliedstaat gestellt hat
[Dublin-II-VO]; Verordnung [EG] Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2.
September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung [EG]
Nr. 343/2003 des Rates [DVO Dublin]) Italien für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständig sei,
dass das BFM ausführte, aufgrund des Umstands, dass Italien innert Frist
nicht geantwortet habe, sei von dessen Zustimmung auszugehen, wobei
eine Rückführung – vorbehältlich einer allfälligen Unterbrechung oder
Verlängerung – bis spätestens am 3. Dezember 2011 zu erfolgen habe,
dass der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid mit Eingabe vom
14. Juni 2011 beim Bundesverwaltungsgericht durch seinen in der
Schweiz lebenden Bruder Beschwerde erhob,
dass das Bundesverwaltungsgericht mit Telefax vom 15. Juni 2011
vorsorglich den Vollzug der Wegweisung per sofort aussetzte,
dass die zuständige Instruktionsrichterin mit Verfügung vom 16. Juni
2011 den Beschwerdeführer aufforderte, innert dreier Tage ab Erhalt der
Verfügung entweder eine Vollmacht oder eine eigene handschriftlich
unterzeichnete Beschwerde einzureichen, andernfalls auf die
Beschwerde nicht eingetreten werde,
dass die vorinstanzlichen Akten gleichentags beim
Bundesverwaltungsgericht eintrafen,
dass das BFM eine nachträglich eingegangene Zustimmung der
italienischen Asylbehörden betreffend Rückübernahme des
Beschwerdeführers vom 16. Juni 2011 an das Bundesverwaltungsgericht
weiterleitete,
dass der Beschwerdeführer durch seinen neu mandatierten
Rechtsvertreter mit Eingabe vom 15. Juni 2011 (Poststempel: 16. Juni
2011) Beschwerde erheben und beantragen liess, es sei die
vorinstanzliche Verfügung aufzuheben und das BFM anzuweisen die
Behandlung des Asylgesuchs fortzusetzen,
dass auf die Begründung der Beschwerde, soweit wesentlich für den
Entscheid, in den Erwägungen näher einzugehen ist,
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dass in verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt wurde, es sei der
Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und die
Vollzugsbehörden anzuweisen, den Vollzug auszusetzen; ferner sei ihm
die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und es sei auf die
Erhebung eines Verfahrenskostenvorschusses zu verzichten,
dass mit Eingabe vom 17. Juni 2011 beim Bundesverwaltungsgericht
überdies eine unterzeichnete Vollmachtserteilung des Beschwerdeführers
an seinen Bruder zu den Akten gegeben wurde,
und erwägt,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig
über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG,
SR 172.021]) des BFM entscheidet, ausser bei Vorliegen eines
Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die
beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG i. V. m.
Art. 31 – 33 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [VGG,
SR 173.32]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer am Verfahren vor der Vorinstanz
teilgenommen hat, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt
ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung hat und daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert ist
(Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 VwVG),
dass der Bruder des Beschwerdeführers fristgerecht eine Beschwerde
einreichte, indessen eine Vollmachtserteilung des Beschwerdeführers
fehlte,
dass der Beschwerdeführer diese am 17. Juni 2011 fristgerecht
nachreichte,
dass somit der Bruder des Beschwerdeführers mit der Wahrung der
Interessen bevollmächtigt wurde,
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dass innert der dreitägigen Nachfrist beim Bundesverwaltungsgericht eine
weitere Rechtsmitteleingabe vom 15. Juni 2011 eines in der Zwischenzeit
mandatierten Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eingegangen ist,
dass die seinen Bruder betreffende Vollmacht bisher nicht widerrufen
(vgl. Art. 11 Abs. 3 VwVG) wurde und die Behörde ihre Mitteilungen
gemäss Art. 12 Abs. 2 AsylG der von der asylsuchenden Person zuerst
bezeichneten bevollmächtigten Person zustellt, wenn die asylsuchende
Person durch mehrere Bevollmächtigte vertreten wird und diese keine
gemeinsame Zustelladresse bezeichnen,
dass aus prozessökonomischen Gründen darauf verzichtet wird, den
Beschwerdeführer anzufragen, ob er eine der beiden Vollmachten
widerrufen möchte,
dass bei dieser Sachlage das vorliegende Urteil an den Bruder des
Beschwerdeführers gerichtet wird,
dass das Gericht die Eingabe vom 15. Juni 2011 als
Beschwerdeergänzung zu den Akten nimmt,
dass demzufolge auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde
einzutreten ist (Art. 108 Abs. 2 i.V.m. Art. 110 Abs. 1 AsylG und Art. 52
VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass über offensichtlich unbegründete Beschwerden in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise
einer zweiten Richterin entschieden wird (Art. 111 Bst. e AsylG) und es
sich vorliegend, wie nachfolgend aufgezeigt, um eine solche handelt,
weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist
(Art. 111a Abs. 2 AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG vorliegend auf einen
Schriftenwechsel verzichtet wurde,
dass bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es
das BFM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu
überprüfen (Art. 32 – 35 AsylG), die Beurteilungskompetenz der
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Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt ist, ob die
Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist,
dass sich demnach die Beschwerdeinstanz – sofern sie den
Nichteintretensentscheid als unrechtmässig erachtet – einer
selbstständigen materiellen Prüfung enthält, die angefochtene Verfügung
aufhebt und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückweist (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen
Asylrekurskommission [EMARK] 2004 Nr. 34 E. 2.1. S. 240 f.),
dass der in der Rechtsmitteleingabe gestellte verfahrensrechtliche
Antrag, es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen,
mit vorliegendem Endentscheid gegenstandslos geworden ist,
dass auf Asylgesuche in der Regel nicht eingetreten wird, wenn
Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die
Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich
zuständig ist (Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG),
dass sich aus den Akten ergibt, dass der Beschwerdeführer in Italien
daktyloskopisch erfasst wurde und er – entgegen seinen Angaben – am
6. April 2011 in Italien um Asyl nachgesucht hat,
dass aufgrund der nachträglich eingegangen Zustimmungserklärung der
italienischen Asylbehörden eine explizite Zustimmung für eine
Rückübernahme des Beschwerdeführers vorliegt,
dass die italienischen Behörden die Zuständigkeit zur Prüfung des
Asylantrages des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-
VO bejahten und der Rückübernahme gestützt auf dieselbe Norm
zustimmten,
dass die vom Beschwerdeführer bei der Gewährung des rechtlichen
Gehörs geäusserten Bedenken allfällige Wegweisungshindernisse
betreffen, nicht aber die Zuständigkeit Italiens,
dass auf Beschwerdeebene hingegen die Zuständigkeit Italiens bestritten
wird mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe sich vor dem
Aufenthalt in Italien während zirka fünf Monaten in Griechenland
aufgehalten, weshalb Griechenland nach den Kriterien der Dublin-II-VO
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei,
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dass das BFM unter diesen Umständen das Rückübernahmegesuch –
wenn überhaupt – an die griechischen Behörden hätte richten müssen,
dass es vorab festzuhalten gilt, dass es keine aus der Dublin-II-VO
hervorgehende Verpflichtung gibt, wonach der Transitstaat (vorliegend:
Schweiz) zu prüfen habe, ob der Erstasylstaat (Dublin-Staat in welchem
der Asylsuchende erstmals einen Asylantrag stellt; vorliegend Italien) die
Zuständigkeitsprüfung nach den Kriterien der Dublin-II-VO korrekt
vorgenommen hat,
dass es überdies dem Beschwerdeführer einerseits nicht gelungen ist,
seinen Aufenthalt in Griechenland glaubhaft darzulegen, da er weder
genaue Angaben zu seiner Wohnadresse in Griechenland noch
anderweitige substanziierte Aussagen zum dortigen Aufenthalt hat
machen können (vgl. BFM-Akte A6 S. 6), und andererseits die zentrale
Datenbank EURODAC keinen Daktyloskopie-Eintrag des
Beschwerdeführers bezüglich eines Griechenland-Aufenthaltes enthält,
dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund dieser Ausgangslage
davon ausgeht, der Beschwerdeführer sei über Italien in den Dublin-
Raum eingereist, und demzufolge sei Italien als erster Dublin-
Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig (vgl. Art. 16 Abs.
1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO),
dass infolgedessen die gesetzliche Grundlage für einen
Nichteintretensentscheid nach Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG erfüllt ist,
dass die Ablehnung eines Asylgesuchs oder das Nichteintreten auf ein
Asylgesuch in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz zur Folge hat
(Art. 44 Abs. 1 AsylG),
dass vorliegend der Kanton keine Aufenthaltsbewilligung erteilt hat und
auch kein Anspruch auf Erteilung einer solchen besteht (vgl. EMARK
2001 Nr. 21),
dass in Verfahren nach Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG die Frage nach
Hindernissen des Wegweisungsvollzugs regelmässig bereits
Voraussetzung (und nicht erst Regelfolge) des
Nichteintretensentscheides ist (vgl. BVGE E-5644/2009 vom 31. August
2010 E. 10.2) und allfällige völkerrechtliche und humanitäre
Vollzugshindernisse im Rahmen der eventuellen Anwendung der
sogenannten Souveränitätsklausel (Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i.V.m. Art.
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29a Abs. 3 AsylV 1) zu prüfen sind, weshalb kein Raum für
Ersatzmassnahmen im Sinne von Art. 44 Abs. 2 i.V.m. Art. 83 Abs. 1-4
des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen
und Ausländer (AuG, SR 142.20) besteht,
dass auf Beschwerdeebene vorab unter Hinweis auf ein Urteil des
österreichischen Verfassungsgerichtshofes geltend gemacht wird, das
BFM hätte aufgrund der hinreichend bestimmten Rechtsvorschrift
begründen müssen, weshalb es nicht Gebrauch von der
Souveränitätsklausel (Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO) gemacht habe,
dass der Hinweis auf ein derartiges österreichisches Urteil keine
Bindungswirkung für die Schweiz entfaltet und sich das
Bundesverwaltungsgericht zu dieser Frage bereits in einem
Grundsatzentscheid (BVGE 2010/45 E.5) geäussert hat,
dass diesem Entscheid zufolge Art. 3 Abs. 2 erster Satz Dublin-II-VO
(Souveränitätsklausel) nicht direkt anwendbar ist, sich allerdings ein
Asylgesuchsteller in einem Beschwerdeverfahren auf die Verletzung einer
direkt anwendbaren Bestimmung des internationalen öffentlichen Rechts
oder einer Norm des Landesrechts – insbesondere Art. 29a Abs. 3 AsylV
1 –, welche einer Überstellung entgegenstehe, berufen kann (vgl. BVGE
2010/45 E. 5),
dass deshalb eine grundsätzliche Begründungspflicht, weshalb vom
Selbsteintrittsrecht gemäss Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht Gebrauch
gemacht worden ist, zu verneinen ist,
dass auf Beschwerdeebene geltend gemacht wird, die Schweiz verletze
das völkerrechtliche Non-Refoulment-Gebot (Art. 33 des Abkommens
vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR
0.142.30], weil mit einem Wegweisungsvollzug des Beschwerdeführers
nach Italien eine Kettenabschiebung nach Griechenland und weiter in
sein Heimatland drohe,
dass der Beschwerdeführer mit dieser Rüge eine direkt anwendbare
Bestimmung des öffentlichen Rechts anruft, weshalb Art. 3 Abs. 2 Dublin-
II-VO zur Anwendung kommen könnte,
dass indes keine Begründungspflichtsverletzung des BFM festzustellen
ist, weil es den pauschal vorgebrachten Einwand, Eritreer würden in
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Italien dahinvegetieren, in seinem Entscheid angemessen
berücksichtigte,
dass überdies festzuhalten ist, dass die italienischen Behörden – selbst
wenn deren Prüfung ergeben würde, dass nach den Kriterien der Dublin-
II-VO Griechenland für die Durchführung des Asylantrages zuständig
wäre – an die aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze
der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) und der FK
hervorgehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen gebunden ist, und
entsprechend zu überprüfen hat, ob ein Wegweisungsvollzug des
Beschwerdeführers nach Griechenland auch zulässig sei,
dass auf Beschwerdeebene am bei der Vorinstanz vorgebrachten
Einwand, Eritreer würden in Italien dahinvegetieren, festgehalten und
unter Hinweis des Berichts des Sonderberichterstatters, Thomas
Hammarberg, vom 16. April 2009 und weiteren Berichten geltend
gemacht wurde, es gäbe in Lampedusa keine angemessenen
Unterbringungsmöglichkeiten und im Asylzentrum Cassabile würden
Asylsuchende bis zu fünf Wochen warten müssen, bis ein Asylgesuch
gestellt werden könne; in Turin sei sogar eine Person wegen
unzureichender medizinischer Versorgung gestorben,
dass der Beschwerdeführer deshalb begründete Furcht habe, in Italien
unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen zu
sein,
dass er mit dieser Rüge implizit einen Selbsteintritt der schweizerischen
Asylbehörden beantragt, weil Italien die Mindeststandards für
Asylverfahren nicht einhalte,
dass das Bundesverwaltungsgericht zwar die teilweise prekären
Verhältnisse für Asylsuchende in Italien nicht verkennt (vgl. BVGE
6038/2010 vom 3. September 2010; Bericht von Maria Bethka & Dominik
Bender zur Situation von Flüchtlingen in Italien vom 28. Februar 2011,
Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Asylum procedure and
reception condition, with focus on Dublin returnees" Berne and Oslo vom
Mai 2011),
dass indes die geltend gemachten Einwände des Beschwerdeführers in
seiner Rechtsmitteleingabe vor allem Missstände in den Asylzentren im
Süden Italiens betreffen und die Vorbringen generell zu wenig
substanziiert und stichhaltig sind, um zur Auffassung zu gelangen, er sei
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in Italien einem individuell realen Risiko ausgesetzt (vgl. u.a. Urteil EGMR
vom 10. Dezember 2005, Shamayev gegen Russland Nr. 36378/02),
dass der Beschwerdeführer ferner nach Milano Malpensa zurückgeführt
wird, wo sogenannte Dublin-Rückkehrer meist einer Unterkunft zugeteilt
werden, weshalb davon auszugehen ist, dass er dort untergebracht wird
und seinen Asylentscheid abwarten kann (vgl. SFH-Bericht vom Mai
2011, Ziffer 3.3.1.2 S. 22 f; vgl. dazu auch BVGE 2010/45 E. 7.6.3 zur
Umsetzung der Aufnahmerichtlinie 2003/9 EG des Rates vom 27. Januar
2003),
dass weiter in der Rechtsmitteleingabe unter Hinweis auf ein
Bundesverwaltungsgerichtsurteil D-2091/2010 vom 9. April 2010
vorgebracht wurde, gemäss Rechtsprechung der Strassburger Organe zu
Art. 8 EMRK würden unter den Schutz der Einheit der Familie auch
Verwandtschaftsverhältnisse wie dasjenige von Geschwistern fallen,
sofern eine nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung zwischen den
Angehörigen bestehe,
dass sich die Vorinstanz angesichts des Umstands, dass sich der
Beschwerdeführer während dreier Tage pro Woche bei seinem Bruder
aufhalte, mit der familiären Situation des Beschwerdeführers hätte
auseinandersetzen müssen,
dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine über die
eigentliche Kernfamilie hinaus gehende schützenswerte
verwandtschaftliche Beziehung voraussetzt, dass zwischen den
Personen ein eigentliches Abhängigkeitsverhältnis besteht ( vgl. BGE 115
Ib 5 E. 2c),
dass sich die Asylbehörden dieser bundesgerichtlichen Umschreibung
des Familienbegriffs angeschlossen haben (vgl. BVGE 2008/47 E. 4.1.1.
mit weiteren Hinweisen),
dass der Beschwerdeführer anlässlich des rechtlichen Gehörs bei der
Vorinstanz das Verwandtschaftsverhältnis zu seinem Bruder nicht speziell
hervorgehoben hat und deshalb eine argumentative Auseinandersetzung
des BFM zur familiären Situation nicht offensichtlich geboten gewesen ist,
dass überdies festzuhalten ist, dass der Beschwerdeführer die letzten
dreissig Jahre nicht mit seinem in Genf wohnhaften Bruder
zusammengelebt hat, und der Aufenthalt bei diesem seit der Einreise in
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die Schweiz (3 Tage die Woche) nicht ausreicht, um daraus einen
Anspruch im Sinne von Art. 8 EMRK ableiten zu können, zumal kein
Abhängigkeitsverhältnis zu erkennen ist,
dass insgesamt zusammenfassend festgehalten werden kann, dass das
Bundesverwaltungsgericht keinen Grund erkennt, weshalb das BFM von
der Souveränitätsklausel (Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO) hätte Gebrauch
machen sollen,
dass somit die Voraussetzungen für ein Nichteintreten auf das
Asylgesuch in Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG offensichtlich
gegeben sind und das BFM demnach zu Recht auf das Asylgesuch des
Beschwerdeführers nicht eingetreten ist und ebenfalls zu Recht die
Überstellung (Wegweisung) nach Italien sowie deren Vollzug angeordnet
hat,
dass es dem Beschwerdeführer folglich nicht gelungen ist darzutun,
inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt oder
unangemessen ist (Art. 106 AsylG), weshalb die Beschwerde abzuweisen
ist,
dass das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung
angesichts der Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen ist,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten von Fr. 600.-
(Art. 1 – 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und
Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE,
SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen sind (Art. 63 Abs. 1
VwVG).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird
abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Muriel Beck Kadima Stella Boleki
Versand: