E-3269/2011 - Abteilung V - Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung - Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung...
Bundesve rwa l t ungsge r i ch t
T r i buna l adm in i s t r a t i f f édé ra l
T r i buna l e ammin i s t r a t i vo f ede ra l e
T r i buna l adm in i s t r a t i v f ede ra l
Abteilung V
E3269/2011
U r t e i l v om 2 2 . S ep t embe r 2 0 1 1
Besetzung Einzelrichter Markus König,
mit Zustimmung von Richter Robert Galliker;
Gerichtsschreiber Rudolf Bindschedler.
Parteien A._______,
Sri Lanka,
p.A. Schweizer Botschaft in Colombo, Sri Lanka,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung;
Verfügung des BFM vom 21. März 2011 / N (…).
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass der Beschwerdeführer, ein Tamile aus Jaffna, mit Schreiben vom
28. Juli 2010 bei der Schweizer Botschaft in Colombo um Asyl
nachsuchte,
dass er auf Aufforderung der Botschaft hin mit Eingabe vom 23. August
2010 weitere Ausführungen zu seinen Asylgründen machte,
dass er auf eine zweite Aufforderung hin seine bisherigen Schreiben mit
einer Eingabe vom 4. September 2010 ergänzte,
dass er am 8. November 2010 auf der Botschaft in Colombo zu seinen
Fluchtgründen angehört wurde und mehrere Beweismittel zu den Akten
reichte,
dass er zur Begründung seines Gesuchs im Wesentlichen vorbrachte, er
sei 2002 als (…)Jähriger von den Liberation Tigers of Tamil Eelam
(LTTE) zwangsrekrutiert und noch während des Grundtrainings durch
einen Minenunfall so schwer verletzt worden, dass (…),
dass er nach seiner Entlassung aus dem LTTESpital der administrativen
Sektion der berüchtigten B._______Brigade zugeteilt worden sei, wo er
Nachrichten der LTTEFührung entschlüsselt und weitergeleitet habe,
dass er im Jahr 2006 aus den LTTE geflüchtet sei und sich bei einem
Onkel versteckt habe, bis ihn die Tigers im April 2009 aufgegriffen und an
die Front geschickt hätten, wo er in der Schlussphase des Kriegs an
Kampfhandlungen habe teilnehmen müssen,
dass er sich am (…) 2009 der srilankischen Armee ergeben habe und
bis (…) 2010 in einem Rehabilitationszentrum festgehalten worden sei,
dass er seit seiner Entlassung in regelmässigen Abständen von Beamten
des Criminal Investigation Departments (CID) insbesondere wegen des
Verdachts, geheimer Waffenverstecke der LTTE zu kennen, vorgeladen
und verhört werde,
dass er bei diesen Verhören immer wieder misshandelt werde und zwei
betrunkene Soldaten im (…) 2010 (…) und ihm auf diese Weise
absichtlich (…),
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dass entfernte Verwandte der Familie in der Schweiz leben würden,
dass der Beschwerdeführer am 10. November 2010 bei der Schweizer
Botschaft einen medizinischen Bericht einreichte,
dass er in einem Schreiben an die Botschaft vom 4. Januar 2011
darlegte, die Intensität der behördlichen Behelligungen habe in letzter Zeit
zugenommen, weshalb er zu Verwandten nach C._______ gezogen sei,
dass Angehörige der Sicherheitskräfte und einer paramilitärischen
Gruppe daraufhin seine Eltern so lange unter Druck gesetzt hätten, bis er
nach Hause zurückgekehrt sei, worauf er einen Tag lang in einem
Militärlager festgehalten, behelligt und verhört worden sei,
dass der Beschwerdeführer mit Schreiben an die Botschaft vom 15. März
2011 (am 28. März 2011 an das BFM weitergeleitet) geltend machte, er
sei am (…) 2011 von unbekannten Männern glaubhaft mit dem Tod
bedroht worden und benötige nun umgehenden Schutz durch die
Schweiz,
dass das BFM mit Verfügung vom 21. März 2011 – am 30. April 2011
eröffnet – die Einreise des Beschwerdeführers in die Schweiz und sein
Asylgesuch ablehnte,
dass der Beschwerdeführer mit Eingabe an die Schweizer Botschaft vom
5. Mai 2011 (Eingang: 30. Mai 2011, gleichentags weitergeleitet an das
Bundesverwaltungsgericht) gegen diesen Entscheid Beschwerde erhob
und sinngemäss beantragte, der Entscheid des BFM sei aufzuheben und
es sei ihm die Einreise in die Schweiz im Hinblick auf die Gewährung des
Asyls oder zur weiteren Abklärung des Sachverhalts zu bewilligen,
dass die vormals zuständige Instruktionsrichterin mit Verfügung vom
15. Juni 2011 den Eingang der Beschwerde bestätigte,
und erwägt,
dass das Bundesverwaltungsgericht gemäss Art. 31 des Verwaltungs
gerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) Beschwerden
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gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) beurteilt, das
BFM zu den Behörden nach Art. 33 VGG gehört und daher eine
Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts ist, eine das Sachgebiet
betreffende Ausnahme im Sinn von Art. 32 VGG nicht vorliegt und das
Gericht daher für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig
ist und auf dem Gebiet des Asyls endgültig entscheidet, ausser bei
Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die
beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 des Asylgesetzes
vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31] i.V.m. Art. 3133 VGG, Art. 83
Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG,
SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer am Verfahren vor der Vorinstanz
teilgenommen hat, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt
ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung hat und daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert ist,
weshalb auf die frist und formgerecht eingereichte Beschwerde
einzutreten ist (Art. 108 AsylG sowie Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG
und Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass über offensichtlich begründete Beschwerden in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters entschieden wird
(Art. 111 Bst. e AsylG), und es sich vorliegend, wie nachfolgend
aufgezeigt, um eine solche handelt, weshalb der Beschwerdeentscheid
nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG auf die Durchführung des
Schriftenwechsels verzichtet wurde,
dass die Schweiz gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG Flüchtlingen grundsätzlich
Asyl gewährt und eine ausländische Person als Flüchtling anerkannt wird,
wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnte,
wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen
ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat,
solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden, wobei als ernsthafte Nachteile
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namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit und
Massnahmen gelten, die einen unerträglichen psychischen Druck
bewirken,
dass das BFM ein im Ausland gestelltes Asylgesuch ablehnen kann,
wenn die asylsuchenden Personen keine Verfolgung glaubhaft machen
können oder wenn ihnen die Aufnahme in einem Drittstaat zugemutet
werden kann, wobei Vorbringen glaubhaft gemacht sind, wenn die
Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für
gegeben hält, und unglaubhaft insbesondere Vorbringen sind, die in
wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich
sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte
oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (vgl. Art. 3, Art. 7 und
Art. 52 Abs. 2 AsylG),
dass das Bundesamt gemäss Art. 20 Abs. 2 AsylG Asylsuchenden die
Einreise zur Abklärung des Sachverhaltes bewilligt, wenn ihnen nicht
zugemutet werden kann, im Wohnsitz oder Aufenthaltsstaat zu bleiben
oder in ein anderes Land auszureisen, und gestützt auf Art. 20 Abs. 3
AsylG das Eidgenössische Justiz und Polizeidepartement (EJPD)
schweizerische Vertretungen ermächtigen kann, Asylsuchenden, die
glaubhaft machen, dass eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben
oder für die Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG besteht,
die Einreise zu bewilligen,
dass bei diesem Entscheid für die Erteilung einer Einreisebewilligung
restriktive Voraussetzungen gelten, wobei den Behörden ein weiter
Ermessensspielraum zukommt und neben der erforderlichen Gefährdung
im Sinn von Art. 3 AsylG namentlich die Nähe der Beziehung zur
Schweiz, die Möglichkeit der Schutzgewährung durch einen anderen
Staat, die Qualität allfälliger persönlicher Beziehungen zu anderen
Staaten, die praktische Möglichkeit und objektive Zumutbarkeit einer
anderweitigen Schutzsuche sowie die voraussichtlichen Eingliederungs
und Assimilationsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind (vgl.
Entscheidungen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen
Asylrekurskommission [EMARK] 1997 Nr. 15 E. 2 S. 131 ff.; die dort
beschriebene Praxis hat nach bloss redaktionellen Änderungen bei der
letzten Totalrevision des Asylgesetzes nach wie vor Gültigkeit),
dass das BFM in der angefochtenen Verfügung festgehalten hat, von der
Glaubhaftigkeit der Vorbringen des Beschwerdeführers sei auszugehen
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(vgl. angefochtene Verfügung S. 4), und das Bundesverwaltungsgericht
diese Einschätzung angesichts der von vielen Realitätskennzeichen
geprägten Aussagen sowie der zu den Akten gereichten Beweismittel
teilt,
dass hingegen die von der Vorinstanz vertretene Auffassung, der
Beschwerdeführer sei nicht schutzbedürftig im Sinn von Art. 3 AsylG nicht
zu überzeugen vermag,
dass der Beschwerdeführer nach seiner einjährigen Internierung in
regelmässigen Abständen von Angehörigen der Sicherheitskräfte verhört
worden ist und diese Verhöre regelmässig von Misshandlungen begleitet
sind (Schläge auf den Rücken und die Genitalien),
dass Soldaten einmal auch vorsätzlich (…), was eine längere
medizinische Behandlung zu Folge hatte,
dass diese dem Beschwerdeführer gezielt zugefügten Massnahmen
ernsthafte Nachteile im Sinn von Art. 3 Abs. 2 AsylG sind und angesichts
der verwendeten Mittel auch nicht als rechtsstaatlich legitime
Terrorbekämpfung qualifiziert werden können, sondern offensichtlich
flüchtlingsrechtlich relevant motiviert sind,
dass dem Beschwerdeführer angesichts der Verfolgung durch Vertreter
staatlicher Behörden auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur
Verfügung stehen würde (vgl. hierzu bereits das Grundsatzurteil EMARK
1996 Nr. 1 E. 5.c S. 6) und im Übrigen ein Versuch, den Behelligungen
durch einen Wegzug zu entkommen, bereits durch Angehörige der
Sicherheitskräfte vereitelt worden ist,
dass es keinen Grund zur Annahme gibt, der Beschwerdeführer werde
nicht auch in absehbarer Zukunft mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
solchen oder ähnlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt sein,
dass der Beschwerdeführer jedoch in seiner Heimat als LTTEMitglied in
Kampfhandlungen verwickelt war und er deshalb unter Umständen
asylunwürdig gemäss Art. 53 AsylG sein könnte,
dass asylunwürdigen Personen, die sich im Ausland befinden, nach der
kürzlich präzisierten Praxis des Bundesverwaltungsgerichts die Einreise
nie zu bewilligen ist, weil sie in der Schweiz höchstens (als Flüchtlinge)
vorläufig aufgenommen würden, was eine Wegweisung voraussetzt,
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weshalb die Einreisebewilligung in solchen Fällen der gesetzlichen Logik
widersprechen würde (vgl. Urteil E8127/2008 vom 12. Mai 2011, zur
Publikation vorgesehen),
dass das BFM sich zu der – für das vorliegende Auslandgesuch nach
dem oben Gesagten voraussichtlich entscheidrelevanten – Frage der
Asylunwürdigkeit des Beschwerdeführers bisher nicht geäussert hat,
dass die Frage der Asylunwürdigkeit nach Lehre und Praxis im Rahmen
einer differenzierten Beurteilung des konkreten Tatbeitrags und der
individuellen Verantwortlichkeit der betroffenen Person – unter
Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes – zu prüfen ist
(vgl. etwa EMARK 2002 Nr. 9 E. 7 mit weiteren Hinweisen) und das BFM
nach Kenntnis des Bundesverwaltungsgerichts dabei häufig auch weitere
Abklärungen vornimmt,
dass die angefochtene Verfügung unter den gegebenen Umständen
aufzuheben und zur Prüfung der Asylunwürdigkeit – allenfalls nach
Vornahme weiterer Instuktionsmassnahmen – an das BFM
zurückzuweisen ist,
dass das BFM angesichts der glaubhaft gemachten Verfolgung des
Beschwerdeführers im Heimatland anzuweisen ist, das erstinstanzliche
Verfahren zügig voranzutreiben und umgehend einen neuen Entscheid
über das Gesuch zu treffen,
dass die Beschwerde nach dem Gesagten insoweit gutzuheissen ist, als
die vorinstanzliche Verfügung vom 21. März 2011 aufzuheben ist,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens keine Kosten aufzuerlegen
sind (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG),
dass der Beschwerdeführer sich für das vorliegende Verfahren nicht hat
vertreten lassen, weshalb ihm keine Parteikosten gemäss Art. 64 Abs. 1
VwVG erwachsen sein können und keine Parteientschädigung
zuzusprechen ist.
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit die Aufhebung der
angefochtenen Verfügung beantragt wird.
2.
Die Verfügung des BFM vom 21. März 2011 wird aufgehoben. Die
Vorinstanz wird angewiesen, umgehend die Frage der Asylunwürdigkeit
des Beschwerdeführers zu prüfen und in der Sache unverzüglich neu zu
entscheiden.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die Schweizer
Botschaft in Colombo.
Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:
Markus König Rudolf Bindschedler
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