E-2442/2007 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 9. März...
Karar Dilini Çevir:
E-2442/2007 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 9. März...
Abtei lung V
E-2442/2007/kuc
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 . A p r i l 2 0 1 0
Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz),
Richter Martin Zoller, Richter Markus König,
Gerichtsschreiber Rudolf Raemy.
A._______,
B._______,
und Kinder C._______,
D._______,
E._______,
Kosovo,
alle vertreten durch Dr. Stephane Laederich,
Beschwerdeführende,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom
9. März 2007 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
E-2442/2007
Sachverhalt:
A.
Die aus Prizren/Kosovo stammenden – ethnisch den Roma zugehöri-
gen – Beschwerdeführenden verliessen ihr Heimatland gemäss eige-
nen Angaben am 26. Oktober 2006 und erreichten die Schweiz am
29. Oktober 2006. Tags darauf suchten sie in der Schweiz um Asyl
nach.
B.
Am 2. November 2006 wurden die Beschwerdeführenden im Emp-
fangs- und Verfahrenszentrum (...) zu ihren Ausreise- und Asylgründen
befragt und am 27. November 2006 erfolgte die direkte Anhörung
durch das BFM.
C.
Am (...) wurde der Sohn C._______ geboren.
D.
Das BFM lehnte mit Verfügung vom 9. März 2007 die Asylgesuche der
Beschwerdeführenden ab und verfügte ihre Wegweisung sowie deren
Vollzug aus der Schweiz. Zur Begründung führte es aus, die Schilde-
rungen der Beschwerdeführenden genügten den Anforderungen an die
Flüchtlingseingenschaft nicht, und ein Vollzug der Wegweisung sei
zulässig, zumutbar und möglich.
E.
Die Beschwerdeführenden reichten am 2. April 2007 durch ihren
Rechtsvertreter beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen
die vorinstanzliche Verfügung ein. Sie beantragten deren Aufhebung,
die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und die Gewährung von
Asyl. Wegen Unzulässigkeit und Unzumutbarkeit des Vollzugs der
Wegweisung sei ihnen die vorläufige Aufnahme zu gewähren. Die
Migrationsbehörde sei anzuweisen, auf Vollzugshandlungen während
der Behandlung der Beschwerde zu verzichten. Weiter ersuchten die
Beschwerdeführenden um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. In
verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragten sie die Gewährung der
Akteneinsicht sowie einer Frist zur Ergänzung der Beschwerde.
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Als Beweismittel reichten die Beschwerdeführenden einen Bericht der
Rroma Foundation mit dem Titel "Kosovo 2006: The current situation of
Rroma" sowie einen Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung vom
6. März 2006 ein.
F.
Das Bundesverwaltungsgericht hielt in seiner Verfügung vom
10. April 2007 fest, die Beschwerdeführenden könnten den Ausgang
des Verfahrens in der Schweiz abwarten. Weiter hiess es das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gut und verzichtete
auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Die vorinstanzlichen
Akten wurden zur Prüfung und Erledigung des Gesuches um Akten-
einsicht an die Vorinstanz überwiesen. Das Gesuch um Gewährung
einer Frist zur Einreichung einer ergänzenden Beschwerdebegründung
wurde abgewiesen.
G.
Das BFM gewährte den Beschwerdeführenden am 16. April 2007 die
beantragte Akteneinsicht.
H.
Am 14. Mai 2007 überwies das Bundesverwaltungsgericht die
Beschwerde an die Vorinstanz zur Vernehmlassung. Diese hielt in ihrer
Stellungnahme vom 27. Juni 2007, welche den Beschwerdeführenden
am 8. März 2010 zur Kenntnis gebracht worden ist, an der Verfügung
fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
I.
Das Migrationsamt des Kantons (...) teilte mit Schreiben vom
16. Dezember 2008 mit, dass sich gemäss Auskunft des Beschwerde-
führers dessen beide Kinder aus erster Ehe (D._______ und
E._______) seit dem 15. Dezember 2008 ebenfalls in der Schweiz
aufhalten würden.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
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richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgeset-
zes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021). Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und
ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das
Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt
nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die
Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet im Bereich
des Asyls endgültig (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
[AsylG, SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes
vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und
Art. 6 AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht; die Be-
schwerdeführenden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenom-
men, sind durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und
haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungs-
weise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung der Beschwerde legi-
timiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 sowie
Art. 50 und Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Am 15. Dezember 2008 sind zwei minderjährige Töchter aus erster
Ehe des Beschwerdeführers in die Schweiz eingereist. Nachdem
weder der Beschwerdeführer noch die beiden Kinder eigene
Asylgesuche gestellt haben, werden sie in das Asylverfahren des
Beschwerdeführers einbezogen.
4.
4.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen
grundsätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person aner-
kannt, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt
wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei-
ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen An-
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schauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete
Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte
Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder
Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen
Druck bewirken; den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung
zu tragen (Art. 3 AsylG).
4.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachwei-
sen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht,
wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrschein-
lichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen,
die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich wider-
sprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich
auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7
AsylG).
5.
5.1 Der Beschwerdeführer machte zur Begründung seines Asylgesu-
ches im Wesentlichen geltend, sein Onkel mütterlicherseits habe im
Kosovo-Krieg in Prizren für die Serben gekämpft. Der Beschwerdefüh-
rer selber sei damals mit seiner Familie für einige Wochen nach Bel-
grad geflohen. Unmittelbar nach dem Ende des Krieges seien sie wie-
der nach Prizren zurückgekehrt, wo er als Händler auf dem Markt tätig
gewesen sei. Seit dem Jahre 2004 sei er auf dem Markt in Prizren re-
gelmässig von Leuten der kosovo-albanischen Mafia bedroht, ge-
schlagen und zum Verlassen des Kosovos aufgefordert worden.
Wegen seines Onkels mütterlicherseits und seiner Flucht nach Belgrad
sei er als Verräter beschimpft worden. Im November 2004 hätten Un-
bekannte sein Auto gestohlen und in Brand gesetzt. Diesen Vorfall
habe er bei der Polizei zur Anzeige gebracht, wobei deren Er-
mittlungen indessen ergebnislos geblieben seien. Zwei Monate vor
seiner Ausreise, im Oktober 2006, sei er von Leuten der Mafia zu
Hause vor seiner Familie zusammengeschlagen und zum Verlassen
des Landes aufgefordert worden. Zudem hätten sie Geld von ihm ver-
langt. Aus Angst vor weiteren Übergriffen auf sich und seine
schwangere Partnerin oder die Kinder habe er sich zur Ausreise ent -
schlossen.
Die Beschwerdeführerin machte zur Begründung ihres Asylgesuches
im Wesentlichen geltend, sie habe sich aufgrund der Probleme des
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Beschwerdeführers ebenfalls bedroht gefühlt und sich vor Übergriffen
auf ihre Person gefürchtet. Seit dem Vorfall vom Oktober 2006 bis zu
ihrer Ausreise habe sie deshalb im Haus ihrer Eltern in Prizren ge-
wohnt.
5.2 Das BFM führte zur Begründung der angefochtenen Verfügung im
Wesentlichen aus, dass es in der Provinz Kosovo nach dem Ein-
marsch der KFOR-Truppen zwar teilweise schwerwiegende Übergriffe
auf Angehörige ethnischer Minderheiten gegeben habe. Es könne aber
kein systematisches Vorgehen zur Vertreibung der ethnischen Minder-
heiten aus dem Kosovo festgestellt werden. Die KFOR und die interna-
tionale Polizei der UNMIK – in Zusammenarbeit mit dem "Kosovo Poli-
ce Service" (KPS) – seien in der Lage, die Minderheiten zu schützen.
Die polizeiliche Präsenz sei gut sichtbar und flächendeckend. Die
Sicherheitskräfte intervenierten bei Übergriffen regelmässig. Straftaten
gegen Angehörige von Minderheiten würden geahndet, was von den
Beschwerdeführenden nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werde.
Daran vermöge weder der Einwand, wonach die Ermittlungen zum
Autodiebstahl ergebnislos geblieben seien noch die Erklärung, es sei
ihnen mit weiteren Übergriffen gedroht worden, falls sie die Polizei
verständigen würden, etwas zu ändern. Es sei vom Schutzwillen und
der weitgehenden Schutzfähigkeit der Sicherheitskräfte im Kosovo
auszugehen, sodass die befürchteten Übergriffe asylrechtlich nicht
relevant seien. An diesen Erwägungen vermöge auch der vom
Beschwerdeführer eingereichte Mitgliederausweis der Roma Partei,
Partia e Romane Yekhipesko pe Kosovo (PRYK), nichts zu ändern,
belege dieser doch lediglich, dass der Beschwerdeführer der Ethnie
der Roma angehöre, was nicht in Zweifel gezogen werde. Den Vollzug
der Wegweisung in den Kosovo erachtete die Vorinstanz als zulässig,
zumutbar und möglich.
5.3 Die Beschwerdeführenden rügen in ihrer Beschwerde unter ande-
rem, dass die Lage der Roma im Kosovo entgegen der Ansicht der
Vorinstanz nicht sicher sei, und dass die Roma immer noch eine ge-
fährdete Minderheit seien, die durch keine der im Kosovo oder Süd-
serbien anwesenden internationalen Organisationen vor Angriffen ge-
schützt werden könne. UNMIK und KFOR seien weder willens noch in
der Lage, ethnische Minderheiten zu schützen. Es würden nicht alle
Anzeigen registriert, und es stelle sich die Frage, ob allfällige Täter je
vor Gericht kämen und verurteilt würden. Angehörige von Minderhei -
ten, die eine Anzeige erstatteten, würden oft bedroht und Zeugen er-
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presst. Im Fall von ethnischen Säuberungen gegen Angehörige der
Roma sei bisher – im Gegensatz zu ethnischen Säuberungen gegen
Angehörige der Serben – noch niemand verurteilt worden. Unter
diesen Umständen könne weder von einem Rechtsstaat noch von
einem bestehenden Schutzwillen ausgegangen werden.
Angehörige der Roma würden im Kosovo nur noch an wenigen Orten
geduldet, wobei in Prizren die Lage besser sei als anderswo. Hilfe, Si -
cherheit, Aufenthaltsmöglichkeiten oder Schutz für Rückkehrende
Romas gebe es nicht. Trotz der Anwesenheit der UNMIK, KFOR und
anderer Organisationen könne weder von einem Rechtsstaat ge-
sprochen noch behauptet werden, dass Minderheiten tatsächlich ge-
schützt würden. Die Aussage, wonach im Kosovo keine Verfolgungen
alleine aufgrund der Ethnie stattfinde, widerspreche den Be-
obachtungen international tätiger Organisationen. Weiter müsse der
Vollzug der Wegweisung als unzulässig und unzumutbar bezeichnet
werden. Sogar in Prizren herrschten immer noch schwierige Verhält-
nisse für die Roma. Aufgrund der prekären Lage getrauten sich diese
nicht mehr aus ihren Häusern, wobei die Lage für Jugendliche beson-
ders gefährlich sei. Immer wieder komme es zu Übergrif fen durch
albanische Nationalisten. Eine Rückkehr der Beschwerdeführenden
erscheine aufgrund ihres Alters sowie unter Berücksichtigung ihres
kleinen Kindes höchst problematisch.
Mit der Beschwerde wurden ein Bericht von Dr. Stephane Laederich
der Rroma Foundation, Kosovo 2006: The current situation of Rroma,
Juni 2006, und ein Zeitungsausschnitt vom 6. März 2007 als Beweis-
mittel eingereicht.
6.
Vorab ist festzustellen, dass Kosovo seit der Ausreise der Beschwer-
deführenden unabhängig geworden ist, und die Schweiz die Republik
Kosovo am 27. Februar 2008 als souveränen Staat anerkannt hat.
Gemäss dem Staatsangehörigkeitsgesetz der Republik Kosovo vom
15. Juni 2008 gelten alle Personen, die am 1. Januar 1998 die
jugoslawische Staatsangehörigkeit besassen und am selben Tag ihr
Domizil auf dem Territorium der jetzigen Republik Kosovo hatten
– ohne Rücksicht auf ihre heutige (weitere) Staatsangehörigkeit oder
auf ihren heutigen Aufenthaltsort –, als Staatsangehörige der Republik
Kosovo. Die Beschwerdeführenden lebten gemäss eigenen Angaben
seit ihrer Geburt bis zur Ausreise in Prizren/Kosovo, verzeichneten
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dort Wohnsitz und sind somit als Staatsangehörige der Republik Ko-
sovo zu betrachten.
7.
7.1 Nach eingehender Prüfung der Akten schliesst sich das Bundes-
verwaltungsgericht den Erwägungen der Vorinstanz im Wesentlichen
an: Das schweizerische wie das internationale Flüchtlingsrecht sind
grundsätzlich subsidiär ausgestaltet. Der Schutz eines Drittstaates
kann erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Heimatstaat
des Betroffenen keinen Schutz bieten will oder kann (vgl. Ent-
scheidungen und Mitteilungen der ehemaligen Schweizerischen Asyl-
rekurskommission [EMARK] 2006 Nr. 18 E. 10.1 S. 201). Die Vor-
instanz hat in der angefochtenen Verfügung zutreffend festgestellt,
dass vom Schutzwille und der Schutzfähigkeit der Sicherheitskräfte im
Heimatland der Beschwerdeführenden auszugehen ist. Auch heute,
unter den veränderten Verhältnissen in Kosovo, können der Schutz-
wille und die Schutzfähigkeit der Behörden bejaht werden: Die Be-
hörden und Sicherheitskräfte sind grundsätzlich willens und in der
Lage, schwere Straftaten zu verfolgen. Was die Beschimpfungen (der
Minderheiten als Verräter und Kollaborateure mit den Serben) an-
belangt, handelt es sich um relativ geringe Nachteile, welche für sich
alleine mangels Intensität nicht zur Flüchtlingsanerkennung führen
(vgl. zum Zusammenhang zwischen Intensität der Verfolgung und
Flüchtlingsanerkennung WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/
Hugi/Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009,
Rz. 11.14 f.; hierzu auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
E-5705/2006 vom 23. November 2009).
7.2 Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung demnach über-
zeugend dargelegt, dass der von den Beschwerdeführenden geltend
gemachte Sachverhalt im länderspezifischen Kontext die Vorausset-
zungen zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt. Fest-
zustellen ist sodann, dass die Beschwerdeführenden gemäss eigenen
Angaben mit den heimatlichen Behörden keine konkreten Probleme zu
beklagen hatten, und es ihnen somit möglich gewesen wäre, bei
diesen um Schutz vor Nachstellungen privater Dritter zu ersuchen.
Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Er-
mittlungen der Polizei im Zusammenhang mit dem vom Be-
schwerdeführer geltend gemachten Autodiebstahl im Jahre 2004 er-
gebnislos geblieben seien. Die Beschwerdeführenden bestreiten im
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Wesentlichen diese Einschätzung und machen geltend, die inter-
nationalen Sicherheitskräfte seien nicht in der Lage und nicht willig, in
Kosovo ethnische Minderheiten zu schützen. Diese pauschale Ver-
neinung sicherheitsbegünstigender Aspekte und der mehrfache Ver-
weis auf die "Ereignisse im Kosovo in 2004" in der Rechtsmittelein-
gabe vermögen nicht durchzudringen. Den Beschwerdeführenden ist
es zuzumuten, den Schutz der heimatlichen Behörden in Anspruch zu
nehmen, was sie eigenen Angaben zufolge – mit Ausnahme beim
Autodiebstahl – bisher unterlassen haben. Die Entgegnungen der Be-
schwerdeführenden in ihrer Rechtsmitteleingabe lassen diese Ein-
schätzung nicht in einem anderen Licht erscheinen. Die aus
subjektiver Sicht sinngemäss geäusserte latente Angst, jederzeit
wiederum ungeschützt bedroht werden zu können, vermögen die Be-
schwerdeführenden nicht mit in objektiver Hinsicht stichhaltigen Be-
gründungselementen zu verdichten. Zudem weisen die Beschwerde-
führenden kein Profil auf, das sie als besonders exponiert erscheinen
lassen würde. Der Verweis in der Rechtsmitteleingabe auf ver-
schiedene Lageberichte vermag keinen konkreten persönlichen Bezug
zu den Beschwerdeführenden herzustellen. Ein flüchtlingsrechtlich
relevanter Sachverhalt ist nach dem Gesagten vorliegend nicht ge-
geben.
7.3 In der Beschwerde wird darüber hinaus geltend gemacht, die Be-
schwerdeführenden seien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur ethnischen
Minderheit der Roma an Leib und Leben bedroht. Diese Einschätzung
teilt das Bundesverwaltungsgericht nicht. Zutreffend ist allerdings,
dass Angehörige der Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter in
Kosovo beim Zugang zu staatlichen Leistungen oft diskriminiert und
auf der Strasse Opfer von Beschimpfungen oder Beleidigungen
werden. Insgesamt ist die Sicherheitslage in Kosovo seit der Un-
abhängigkeitserklärung jedoch stabil. Die am 15. Juni 2008 in Kraft
getretene Verfassung sowie die gleichzeitig erlassene Gesetzgebung
gewährleisten die Rechte und den Schutz der Minderheiten, und ein
Netz verschiedener unabhängiger Ombudspersonen bietet unentgelt-
liche Hilfe an in Fällen unrechtmässiger Behandlung von
Minderheitenangehörigen durch öffentliche Institutionen. Mit Bundes-
ratsbeschluss vom 1. April 2009 wurde Kosovo zudem als „safe
country“ bezeichnet. Schwere Angriffe auf Leib und Leben der er-
wähnten Minderheitenangehörigen alleine aufgrund ihrer ethnischen
Zugehörigkeit sind dem Gericht nicht bekannt, können in Einzelfällen
aber auch nicht ausgeschlossen werden (vgl. etwa den Bericht des
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UN-Generalsekretärs vom 30. September 2009 über die UNMIK zu-
handen des Sicherheitsrates, Kap. VI, S. 5 f.; UN-Doc S/2009/497).
Eine Kollektivverfolgung der Roma in Kosovo besteht derzeit aber
nicht, setzt diese doch schwere und häufige Angriffe auf ein Kol lektiv
voraus, so dass jedes Gruppenmitglied mit gutem Grund befürchten
muss, von Verfolgung betroffen zu werden (WALTER STÖCKLI, a.a.O.,
Rz. 11.16 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Kasuistik; vgl.
wiederum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-5705/2006 vom 23.
November 2009).
7.4 Zusammenfassend kommt das Bundesverwaltungsgericht daher
zum Schluss, dass das BFM die Flüchtlingseigenschaft der
Beschwerdeführenden zu Recht verneint und ihre Asylgesuche
abgelehnt hat.
8.
8.1 Nach Ablehnung eines Asylgesuches verfügt das BFM in der Re-
gel die Wegweisung aus der Schweiz sowie deren Vollzug (vgl. Art. 44
Abs. 1 AsylG). Die Beschwerdeführenden verfügen weder über eine
ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch
auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu
Recht angeordnet und ist zu bestätigen (Art. 44 Abs. 1 AsylG; Art. 32
Bst. a der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999; vgl. EMARK 2001
Nr. 21).
8.2 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar
oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsver-
hältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Auf-
nahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bun-
desgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und
Ausländer [AuG, SR 142.20]).
8.3 Das BFM begründete die Anordnung des Wegweisungsvollzuges
damit, dass weder die im Heimatstaat herrschende politische Situation
noch andere Gründe gegen die Zumutbarkeit der Rückführung spre-
chen würden. Nach dem Einmarsch der KFOR am 12. Juni 1999 sei es
zu keinen kriegerischen Auseinandersetzungen mehr gekommen. Die
Sicherheitssituation habe sich dank des KFOR-Einsatzes verbessert
oder zumindest stabilisiert. Die Wahrscheinlichkeit einer konkreten
Gefährdung könne für albanischsprachige Roma, Ashkali und Ägypter
– mit Ausnahme einiger Gemeinden – alleine aufgrund der Ethnie
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ausgeschlossen werden. Zudem sei für diese Ethnien die Bewegungs-
freiheit grundsätzlich im ganzen Kosovo gegeben und der Zugang zu
den medizinischen und sozialen Strukturen in aller Regel gewähr-
leistet. Schliesslich gebe es keine individuellen Gründe, die gegen die
Zumutbarkeit eines Wegweisungsvollzugs sprechen würden. Bei den
Beschwerdeführenden handle es sich um ein junges, gesundes Paar,
das in Prizren über ein stabiles, tragfähiges Beziehungsnetz verfüge
und dank den unternehmerischen Fähigkeiten des Beschwerdeführers
in guten wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt habe. Folglich würden
weder die im Heimatstaat herrschende politische Situation noch
andere Gründe gegen die Zumutbarkeit einer Rückführung sprechen.
8.4 Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Praxis davon aus,
dass der Vollzug der Wegweisung von albanischsprachigen Roma,
Ashkali und Ägyptern nach Kosovo in der Regel zumutbar ist, sofern
auf Grund einer Einzelfallabklärung (insbesondere durch Untersuchun-
gen vor Ort; heute über die schweizerische Botschaft, früher via das
sogenannte Verbindungsbüro) feststeht, dass bestimmte Reinte-
grationskriterien – wie berufliche Ausbildung, Gesundheitszustand, Al-
ter, ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage und Beziehungs-
netz im Kosovo – erfüllt sind (vgl. BVGE 2007/10). Damit wird die
Rechtsprechung der ehemaligen Asylrekurskommission fortgeführt
(vgl. EMARK 2006 Nr. 10 und 11).
Das Bundesverwaltungsgericht hält auch nach der Unabhängigkeitser-
klärung des Kosovo, dessen Anerkennung durch die Schweiz sowie
der Qualifikation durch den Bundesrat als „safe country“ an dieser
Rechtsprechung grundsätzlich fest. Die Situation der Minderheiten hat
sich bezüglich Arbeitsmarkt und diskriminierungsfreiem Zugang zu
öffentlichen Leistungen wie Ausbildung, Justiz oder medizinischer
Versorgung seit der Unabhängigkeit nicht grundlegend verbessert. Wie
vorstehend näher ausgeführt, werden die ethnischen Minderheiten
zwar nicht kollektiv verfolgt und nur in Einzelfällen Opfer von schweren
Gewaltakten, und von einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben
allein aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit ist nicht zu sprechen.
Allerdings sind die Minderheitenangehörigen im Alltag oft Opfer
mannigfaltiger Formen von Diskriminierungen. Es besteht eine Dis-
krepanz zwischen der Rechtslage, welche Diskriminierungen verbietet,
und der Realität. Die Angehörigen der Minderheiten sind von der
höchsten Armuts-, Arbeitslosen-, Schulabbruch- und Sterblichkeitsrate
in Kosovo betroffen.
Seite 11
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8.5 Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung die Zumutbar-
keit des Wegweisungsvollzuges bejaht, ohne eine Einzel-
fallabklärungen vor Ort vorzunehmen. Auch im Rahmen der Ver-
nehmlassung wurden seitens der Vorinstanz – ohne Begründung –
keine weitergehende Abklärungen vorgenommen. Das Urteil
BVGE 2007/10 verlangt zwar nicht in jedem Fall zwingend – etwa als
formelle und materielle Bedingung einer hinreichenden Erstellung des
rechtserheblichen Sachverhaltes – eine Einzelfallabklärung vor Ort. Es
kann selbstredend auch ohne Einzelfallabklärung vor Ort der we-
sentliche Sachverhalt, der zur Beurteilung der Zumutbarkeit eines
Wegweisungsvollzuges relevant ist, als hinreichend erstellt erachtet
werden, wenn alle von der Rechtsprechung verlangten Integrati -
onskriterien hinreichend substanziiert eruiert sind.
Von einem – bereits aufgrund der Angaben der Beschwerde-
führenden – vollständig erstellten Sachverhalt kann vorliegend nicht
ausgegangen werden: Zu jenen Themen, welche für die Frage der
Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges zentral sind, wie etwa
familiäre Verhältnisse, berufliche Vergangenheit und Perspektiven oder
finanzielle Unterstützung durch Drittpersonen bei einer Reintegration
wurden die Beschwerdeführenden entweder gar nicht oder in eher
summarischer Weise befragt.
Von einem hinreichend erstellten Sachverhalt bezüglich der verlangten
Integrationskriterien kann aktuell insbesondere auch deshalb nicht
ausgegangen werden, weil die Beschwerdeführenden Eltern eines
zwischenzeitlich in der Schweiz geborenen (...) Kindes sind und zwei
Kinder aus erster Ehe des Beschwerdeführers in die Schweiz nachge-
reist und in das Asylverfahren der Beschwerdeführenden ein-
geschlossen worden sind. Weiter ist unklar, was mit dem Haus des
Beschwerdeführers geschehen ist, nachdem seine beiden Töchter und
offenbar auch ihre Grossmutter dieses verlassen haben. Die an-
gefochtene Verfügung beruht somit hinsichtlich des Wegweisungsvoll-
zugs auf einem unvollständig abgeklärten Sachverhalt.
8.6 Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in der Regel reforma-
torisch. Nur ausnahmsweise wird eine angefochtene Verfügung kas-
siert und an die Vorinstanz zurückgewiesen. Vorliegend liegt der Man-
gel der angefochtenen Verfügung in einer unvollständigen Abklärung
des Sachverhalts, und die unterbliebenen, notwendigen Abklärungen
vor Ort stellen eine relativ aufwändige Beweiserhebung dar. In einem
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solchen Fall rechtfertigt sich eine Kassation der angefochtenen Ver-
fügung. Zudem bleibt den Beschwerdeführenden auf diese Weise der
Instanzenzug erhalten, was umso wichtiger ist, als im Asylverfahren
das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich entscheidet.
Mit Bezug auf die Anordnung des Wegweisungsvollzuges durch die
Vorinstanz ist somit festzuhalten, dass die Ziffern 4 und 5 der Ver-
fügung vom 9. März 2007 aufzuheben sind. Das BFM ist anzuweisen,
die erforderlichen Abklärungen vor Ort vorzunehmen beziehungsweise
vornehmen zu lassen und aufgrund des vollständig erstellten und
aktualisierten Sachverhalts betreffend den Vollzug der Wegweisung
neu zu entscheiden. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die
diesbezüglichen Beschwerdevorbringen detaillierter einzugehen.
9.
9.1 Mit Verfügung vom 10. April 2007 wurde das Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gutgeheissen, so dass
auf die Auferlegung von Verfahrenskosten zu verzichten ist.
9.2 Angesichts des teilweisen Obsiegens (betreffend den Wegwei-
sungsvollzug) ist die Vorinstanz anzuweisen, den Beschwerdeführen-
den eine hälftige Parteientschädigung auszurichten (Art. 64 Abs. 1
und 2 VwVG; Art. 7 Abs. 1 und 2 des Reglements vom 21. Februar
2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwal-
tungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Der Rechtsvertreter der Be-
schwerdeführenden hat keine Kostennote eingereicht. Der entstande-
ne Aufwand ist aufgrund der Akten abschätzbar (Art. 14 Abs. 2
VGKE), weshalb von der Einforderung einer Kostennote abzusehen
und die Entschädigung zu Lasten des BFM auf Fr. 600.– (inkl. Aus-
lagen) festzusetzen ist.
(Dispositiv nächste Seite)
Seite 13
E-2442/2007
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird bezüglich der Zuerkennung der Flüchtlings-
eigenschaft, des Asyls und der Wegweisung als solche (Ziffern 1, 2
und 3 der angefochtenen Verfügung) abgewiesen.
2.
Die Beschwerde wird betreffend die vorinstanzliche Anordnung des
Wegweisungsvollzuges gutgeheissen, und die Ziffern 4 und 5 der
angefochtenen Verfügung werden aufgehoben. Die Vorinstanz hat das
Verfahren im Sinne der Erwägungen wieder aufzunehmen.
3.
Den Beschwerdeführenden werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
4.
Das BFM hat den Beschwerdeführenden eine Parteientschädigung in
der Höhe von Fr. 600.– (inkl. Auslagen) auszurichten.
5.
Dieses Urteil geht an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführenden,
das BFM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Regula Schenker Senn Rudolf Raemy
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