E-1927/2017 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des SEM vom 27. Feb...
Karar Dilini Çevir:
E-1927/2017 - Abteilung V - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des SEM vom 27. Feb...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung V
E-1927/2017



Ur t e i l vom 2 6 . Ap r i l 2 0 1 7
Besetzung
Einzelrichter Daniel Willisegger,
mit Zustimmung von Richterin Daniela Brüschweiler;
Gerichtsschreiber Michal Koebel.

Parteien

A._______, geboren am (…),
Sri Lanka,
vertreten durch Cora Dubach,
Freiplatzaktion Basel, Asyl und Integration,
(…),
Beschwerdeführerin,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Vollzug der Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 27. Februar 2017 / N (…).



E-1927/2017
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Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführerin reiste am 31. Januar 2015 mit einem gültigen
Schengen-Visum (31. Januar 2015 bis 30. April 2015) in die Schweiz ein,
wo sie am 6. Mai 2015 um Asyl nachsuchte. Am 7. Mai 2015 fand die Be-
fragung zur Person (nachfolgend Erstbefragung) und am 17. Februar 2017
die Anhörung (nachfolgend Zweitbefragung) statt.
B.
Mit Verfügung vom 27. Februar 2017 stellte das SEM fest, die Beschwer-
deführerin erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht (Dispositiv Ziff. 1), lehnte
das Asylgesuch ab (Dispositiv Ziff. 2), verfügte die Wegweisung aus der
Schweiz (Dispositiv Ziff. 3), setzte hierzu eine Frist bis 24. April 2017 an
(Dispositiv Ziff. 4) und beauftragte die zuständigen kantonalen Behörden
mit dem Vollzug der Wegweisung (Dispositiv Ziff. 5).
C.
Mit Eingabe vom 30. März 2017 reichte die Beschwerdeführerin unter Bei-
lage verschiedener Unterlagen – darunter zwei ärztliche Schreiben (datiert
23. März 2017 und 14. Februar 2017), ein Internetausdruck des Alters-
heims Sivapoomi sowie eine Schnellrecherche der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe (Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 29. März
2017 zu Sri Lanka: Altersheim „Sivapoomi“) – beim Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerde ein und beantragte, es seien die Ziffern 4 und 5 des
vorinstanzlichen Entscheids vom 27. Februar 2017 aufzuheben, die Unzu-
mutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und als Folge davon
die vorläufige Aufnahme in der Schweiz zu gewähren. In prozessualer Hin-
sicht sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, auf die Erhebung
eines Kostenvorschusses zu verzichten, die Rechtsvertreterin als amtliche
Rechtsbeiständin beizuordnen und festzustellen, dass der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zukomme.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung
von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und
entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend
– endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Die
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Beschwerdeführerin ist als Verfügungsadressatin zur Beschwerdeführung
legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Be-
schwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
2.
2.1 Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rü-
gen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des
Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (BVGE 2014/26 E. 5.4). Im Zusam-
menhang mit dem Wegweisungsvollzug kann auch die Unangemessenheit
gerügt werden (Art. 37 VGG i.V.m. Art. 49 VwVG; vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
2.2 Die Beschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die Dispositivziffern
4 und 5 (Vollzug der Wegweisung) der vorinstanzlichen Verfügung. Die Zif-
fer 1 (Verneinung der Flüchtlingseigenschaft), Ziffer 2 (Ablehnung des
Asylgesuchs) und Ziffer 3 (verfügte Wegweisung) bleiben unangefochten,
womit sie in Rechtskraft erwachsen sind.
2.3 Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im
Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung einer zweiten
Richterin oder eines zweiten Richters (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Weite-
rungen und mit summarischer Begründung zu behandeln (Art. 111a Abs. 1
und 2 AsylG).
3.
In der Rechtsmitteleingabe führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen
aus, sie stamme aus dem Vanni-Gebiet und habe vor ihrer Ausreise alleine
in ihrem Haus in Nunavil gelebt. Ihre gesundheitliche Gesamtsituation
lasse es jedoch nicht zu, ein selbstständiges Leben zu führen. In Sri Lanka
habe sie niemanden, der sich um sie kümmern könne; auch ihre Schwester
lebe dort alleine. Daher sei sie in grossem Masse von ihren Kindern ab-
hängig. Finanziell würden diese jedoch in zu knappen Verhältnissen leben,
um ihr Geld aus der Schweiz nach Sri Lanka schicken zu können (Be-
schwerdebeilagen: Lohnblätter, Mietverträge, Krankenkassenprämien).
Ferner komme das von der Vorinstanz in Erwägung gezogene Altersheim
Sivapoomi nicht in Frage, weil dort keine Demenz behandelt werde. Die
Eltern in ein Pflegeheim zu geben, entspreche in Sri Lanka ohnehin nicht
der gelebten Praxis. Auch entspreche das sri-lankische Gesundheitssys-
tem in keiner Weise demjenigen der Schweiz.
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4.
4.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich, so regelt das SEM das Anwesenheitsverhältnis nach den
gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG;
Art. 83 Abs. 1 AuG).
4.2 Nach Art. 83 Abs. 3 AuG ist der Vollzug nicht zulässig, wenn völker-
rechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin
oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder einen Drittstaat ent-
gegenstehen. Da die Beschwerdeführerin die festgestellte fehlende Flücht-
lingseigenschaft nicht anficht, diese mithin in Rechtskraft erwachsen ist, ist
das flüchtlingsrechtliche Rückschiebungsverbot von Art. 33 Abs. 1 des Ab-
kommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK,
SR 0.142.30) und Art. 5 AsylG nicht anwendbar. Die Zulässigkeit des Voll-
zugs beurteilt sich vielmehr nach den allgemeinen verfassungs- und völ-
kerrechtlichen Bestimmungen (Art. 25 Abs. 3 BV; Art. 3 des Übereinkom-
mens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, un-
menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [FoK, SR 0.105];
Art. 3 EMRK).
Die allgemeine Menschenrechtssituation in Sri Lanka lässt den Wegwei-
sungsvollzug nicht als unzulässig erscheinen (BVGE 2011/24 E. 10.4).
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat wie-
derholt festgestellt, dass nicht generell davon auszugehen sei, Rückkeh-
rern drohe in Sri Lanka eine unmenschliche Behandlung. Eine Risikoein-
schätzung müsse im Einzelfall vorgenommen werden (Urteil des EGMR
R.J. gegen Frankreich vom 19. September 2013, 10466/11, Ziff. 37). We-
der aus den Beschwerdeausführungen noch aus den Akten ergeben sich
konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin für den Fall ei-
ner Ausschaffung nach Sri Lanka dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
einer nach EMRK oder FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausge-
setzt wäre. So weist die Beschwerdeführerin kein Profil auf, um zukünftig
staatlichen Verfolgungsmassnahmen ausgesetzt zu sein. Es sind keine An-
haltspunkte ersichtlich, gemäss derer die neunundsechzigjährige Be-
schwerdeführerin, die legal mit Visum ausgereist ist, Massnahmen zu be-
fürchten hätte, die – wenn überhaupt – über einen sogenannten back-
ground check (Befragung und Überprüfung von Tätigkeiten im In- und Aus-
land) hinausgehen oder ihr persönlich im Falle einer Rückkehr eine Ge-
fährdung drohen könnte. Solches lässt sich gemäss oben stehender Aus-
führungen auch nicht annehmen und es wird auch nichts Entsprechendes
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auf Beschwerdeebene vorgebracht. Der Vollzug der Wegweisung ist zuläs-
sig.
4.3 Nach Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Aus-
länder unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat auf
Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und me-
dizinischer Notlage konkret gefährdet sind.
Die Vorinstanz hat die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zutreffend
festgestellt. Ihre Schlussfolgerungen stehen im Einklang mit der auf Be-
schwerdeebene zitierten Rechtsprechung (Beschwerde S. 8) und sind
nicht zu beanstanden. Was auf Beschwerdeebene dagegen vorgebracht
wird, ist nicht geeignet, am Beweisergebnis etwas zu ändern. So herrscht
in Sri Lanka weder Krieg, eine Situation allgemeiner Gewalt oder eine me-
dizinische Notlage. Der bewaffnete Konflikt zwischen der sri-lankischen
Regierung und den LTTE ist im Mai 2009 zu Ende gegangen. Auf eine Be-
urteilung der Situation und der Zumutbarkeit in Bezug auf das Vanni-Gebiet
kann vorliegend verzichtet werden, zumal die Beschwerdeführerin in ihrem
Haus in Nunavil, Chavakacheri, Distrikt Jaffna lebte und ihre Herkunft aus
Jaffna – entgegen der auf Beschwerdeebene behaupteten Herkunft aus
dem Vanni-Gebiet (Beschwerde S. 3) – belegt ist (u. a. Reisepass und Erst-
befragung, SEM-Akten, A3, S. 3; zur Problematik Vanni-Gebiet und Zumut-
barkeit der Wegweisung: BVGE 2011/24 E. 12–13). Es kann davon ausge-
gangen werden, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit hat, sich in
ihrer Heimat erneut niederzulassen. So leben dort ihre Schwester, andere
Verwandte und „Leute, die sie kennt“ (SEM-Akten, A9, S. 3 f., F13, F28 ff.
und A3, S. 5 f.). Ihr Haus hat sie nicht verkauft, sondern „Leute in der Um-
gebung“ beauftragt, sich während ihrer Abwesenheit darum zu kümmern
(SEM-Akten, A9, S. 5, F41). Mithin verfügt sie vor Ort über ein leer stehen-
des Haus und – entgegen den Beschwerdeausführungen – über Zugang
zu Personen, die ihr helfen. Hinzu kommt, dass sie auf regelmässige finan-
zielle Hilfe des Dorfvorstehers zurückgreifen kann, was auf Beschwerde-
ebene bestätigt wird (Beschwerde S. 5, SEM-Akten, A9, S. 3, F16–F18).
Die beiden sehr kurzen ärztlichen Schreiben derselben Ärztin vom 14. Feb-
ruar 2017 (aktenkundig und auf Beschwerdeebene erneut eingereicht) und
vom 23. März 2017 sind nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit des Wegwei-
sungsvollzugs zu begründen (Röntgenbefund, der „sehr gut zu einer Alz-
heimererkrankung passt“ und Hämorrhoiden, ärztliches Schreiben vom
23. März 2017). Die Beschwerdeführerin kann in Sri Lanka hinreichend
medizinisch versorgt und – sofern überhaupt notwendig – ihrem Alter ent-
sprechend untergebracht oder zu Hause betreut werden. Dies zwar nicht
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zu einem mit der Schweiz vergleichbaren Standard, jedoch mindestens im
Rahmen einer elementaren Grundversorgung. So gibt es – trotz einiger
Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem Sri Lankas – auch im Norden
des Landes genügend Gesundheitsstationen, die teilweise auch psychiat-
rische Behandlungen anbieten (zur Behandelbarkeit von „Vergesslichkeit“
insb. in Nord Sri Lanka z. B. Urteil des BVGer E-1479/2015 vom 29. März
2017 E. 9.3.6; vgl. auch GoSL, Ministry of Health, Environment manage-
ment framework for healthcare waste & infrastructure development, Juni
2012, S. 16; zur Altersbetreuung: Abklärungen der Schweizer Botschaft in
Sri Lanka vom 20. Februar 2017, SEM-Akten, A11/1). Dass es in Sri Lanka
Altersheime und entsprechende Einrichtungen gibt, bestätigen die Be-
schwerdebeilagen selbst (SFH-Schnellrecherche sowie Internetauszug
des Sivapoomi Elders‘ Home). Die eingereichten Beweismittel sind nicht
geeignet, am Beweisergebnis etwas zu ändern. Im Übrigen steht es der
Beschwerdeführerin offen, medizinische Rückkehrhilfe zu beantragen. Der
Vollzug der Wegweisung ist zumutbar.
4.4 Nach Art. 83 Abs. 2 AuG ist der Vollzug auch als möglich zu bezeich-
nen, weil es der Beschwerdeführerin obliegt, sich die für eine Rückkehr
notwendigen Reisedokumente bei der zuständigen Vertretung ihres Hei-
matstaats zu beschaffen (Art. 8 Abs. 4 AsylG und dazu BVGE 2008/34
E. 12). Der Vollzug der Wegweisung ist möglich.
4.5 Zusammenfassend hat die Vorinstanz den Vollzug der Wegweisung zu-
treffend als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet, womit die Anord-
nung einer vorläufigen Aufnahme ausser Betracht fällt (Art. 83 Abs. 1 AuG).
5.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt und auch sonst nicht zu beanstanden ist
(Art. 106 AsylG und Art. 49 VwVG). Die Beschwerde ist abzuweisen.
Die aufschiebende Wirkung wurde der Beschwerde nicht entzogen (Art. 55
VwVG); der entsprechende Antrag ist gegenstandslos.
6.
6.1 Die Beschwerdeführerin beantragt die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG. Aufgrund der vorstehenden
Erwägungen ergibt sich, dass ihre Begehren als aussichtslos zu gelten ha-
ben. Damit ist eine der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen nicht ge-
geben, weshalb dem Gesuch nicht stattzugeben ist. Aus demselben Grund
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kann auch dem Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung nicht
stattgegeben werden.
6.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.–
(Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Ent-
schädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE], SR 173.320.2)
der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Mit dem vor-
liegenden Urteil ist der Antrag auf Verzicht der Erhebung eines Kostenvor-
schusses gegenstandslos geworden.
(Dispositiv nächste Seite)

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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden der Beschwerdeführerin aufer-
legt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu Gunsten
der Gerichtskasse zu überweisen.
3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung wird abgewiesen.
4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die zuständige
kantonale Behörde.

Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:

Daniel Willisegger Michal Koebel


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