E-1426/2013 - Abteilung V - Vollzug der Wegweisung - Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom 15. ...
Karar Dilini Çevir:
E-1426/2013 - Abteilung V - Vollzug der Wegweisung - Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom 15. ...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung V
E-1426/2013


U r t e i l v o m 3 . F e b r u a r 2 0 1 4
Besetzung

Einzelrichterin Gabriela Freihofer,
mit Zustimmung von Richter Bendicht Tellenbach;
Gerichtsschreiberin Chantal Schwizer.
Parteien

A._______, geboren am (…),
Sri Lanka,
vertreten durch lic. iur. Felice Grella, (…),
Beschwerdeführerin,


gegen

Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.


Gegenstand

Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM
vom 15. Februar 2013 / N (…).


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Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführerin – eine sri-lankische Staatsangehörige tamilischer
Ethnie – verliess den Heimatstaat eigenen Angaben zufolge am 5. August
2009 über den Flughafen Colombo und gelangte nach einem Aufenthalt
von 24 oder 25 Tagen in Italien am 31. August 2009 mit einem Auto illegal
in die Schweiz, wo sie gleichentags im Empfangs- und Verfahrenszent-
rum (EVZ) B._______ um Asyl nachsuchte.
Im Rahmen der summarischen Befragung vom 10. September 2009 so-
wie der direkten Anhörung vom 5. Oktober 2009 machte sie zur Begrün-
dung ihres Asylgesuchs im Wesentlichen geltend, sie habe von Geburt
bis Ende Oktober 1995 in C._______ (Distrikt Jaffna) gelebt, wo sie die
Schule besucht habe und später als (…) in einer von den Liberation Ti-
gers of Tamil Eelam (LTTE) unterstützten (…) tätig gewesen sei. Nach-
dem ihr Vater am 30. Oktober 1995 gestorben sei, seien sie und ihre Mut-
ter wegen der beginnenden Kriegshandlungen und aus Angst, von der
Armee festgenommen zu werden, nach D._______ (Distrikt Mannar) ge-
zogen. Dort habe sie für die Organisation Tamil Ella Kalvikalam als Lehre-
rin in einem (…) gearbeitet. Als ihre Mutter Ende September 2008 eben-
falls gestorben sei, sei sie zu einer 'Tante' (Aunty) nach E._______ (Van-
nigebiet) gezogen, wo sie sich bis im April 2009 aufgehalten habe. Als die
Armee auch ins Vanni-Gebiet einmaschiert sei, hätten sie, ihre Tante und
deren Mutter in ein von den LTTE kontrolliertes Gebiet fliehen wollen. Auf
der Flucht habe sie ihre 'Tante' und deren Mutter verloren. Am 18. Mai
2009 sei sie ins Flüchtlingslager F._______ gebracht worden, aus wel-
chem sie mit Hilfe ihres in Jaffna lebenden Onkels und eines Schleppers
nach Vavuniya und von dort nach Colombo habe fliehen können.
B.
Mit Verfügung vom 15. Februar 2013 – eröffnet am 18. Februar 2013 –
stellte das BFM fest, die Beschwerdeführerin erfülle die Flüchtlingseigen-
schaft nicht, lehnte das Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der
Schweiz und ordnete den Vollzug an.
C.
Mit Eingabe vom 15. März 2013 – Datum Poststempel: 18. März 2013 –
an das Bundesverwaltungsgericht liess die Beschwerdeführerin durch ih-
re Rechtsvertretung Beschwerde gegen den Wegweisungsvollzug erhe-
ben und in materieller Hinsicht beantragen, ihr sei die vorläufige Aufnah-
me zu erteilen. In prozessualer Hinsicht ersuchte sie um Gewährung ei-
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ner Nachfrist zur Einreichung von Beweismitteln, um Gewährung der auf-
schiebenden Wirkung sowie um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021).
D.
Mit Zwischenverfügung vom 26. März 2013 stellte die zuständige Instruk-
tionsrichterin fest, die Beschwerdeführerin könne den Ausgang des Ver-
fahrens in der Schweiz abwarten, erkannte, dass Gegenstand des Ver-
fahrens lediglich der Vollzug der Wegweisung bildet, verwies den Ent-
scheid über das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspfle-
ge auf einen späteren Zeitpunkt und verzichtete auf die Erhebung eines
Kostenvorschusses. Gleichzeitig lud sie die Vorinstanz zur Stellungnah-
me ein.
E.
In seiner Stellungnahme vom 27. März 2013 hielt das BFM an seinen Er-
wägungen fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
F.
Mit Zwischenverfügung vom 11. April 2013 wurde der Beschwerdeführerin
antragsgemäss Gelegenheit gegeben, Beweismittel zur Stützung ihrer
Vorbringen einzureichen.
G.
Mit Schreiben vom 30. April 2013 liess die Beschwerdeführerin verschie-
dene Dokumente in Kopie (Todesschein der Mutter, des Vaters, der Tante
väterlicherseits sowie eine Aufenthaltsbewilligung des Onkels mütterli-
cherseits, welcher in Frankreich lebt) ins Recht legen.
H.
Mit Eingaben vom 14. und 15. Mai 2013 liess die Beschwerdeführerin
weitere Dokumente in Kopie und in Deutsch übersetzt (Wohnsitzbestäti-
gung und Lebensmittelkarte der Tante und des Onkels mütterlicherseits
sowie der Todesschein der Mutter und der Tante väterlicherseits, sowie
die Wohnsitzbestätigung des Onkels mütterlicherseits je im Original und
teilweise mit englischer Übersetzung) zu den Akten legen.
I.
In seiner ergänzenden Vernehmlasssung vom 23. Mai 2013 – welche der
Beschwerdeführerin am 24. Mai 2013 zur Kenntnis gebracht wurde – be-
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antragte das BFM unter Verweis auf seine Erwägungen die Abweisung
der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von
Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und ent-
scheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend –
endgültig (vgl. Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]; Art. 105 des Asylgesetzes vom
26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6
AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die
Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen,
ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Ände-
rung; sie ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105
und Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die
Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht und die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
2.2 Die Begründung der Begehren bindet die Beschwerdeinstanz in kei-
nem Fall (Art. 62 Abs. 4 VwVG). Die Beschwerdeinstanz kann die Be-
schwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gut-
heissen oder den angefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer Be-
gründung bestätigen, die von jener der Vorinstanz abweicht (vgl. FRITZ
GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Bern 1983, S. 212).
2.3 Die Beschwerde ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit
Zustimmung eines zweiten Richters oder Richterin zu behandeln, weil sie
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sich im Ergebnis als offensichtlich begründet erweist (Art. 111 Bst. e
AsylG).
3.
3.1 Die Vorinstanz ist in Verfahren, die Staatsangehörige Sri Lankas tami-
lischer Ethnie betreffen, systematisch dazu übergegangen, keine Ausrei-
sefristen mehr zu verhängen und bereits angeordnete Ausreisefristen
aufzuheben. Faktisch zieht sie damit sämtliche Verfahren (auch solche im
Vollzugsstadium) in Wiedererwägung, und zwar unbesehen der konkreten
Umstände im Einzelfall. Das vorinstanzliche Vorgehen geht auf zwei im
August 2013 bekannt gewordene Vorfälle sri-lankischer Rückkehrer zu-
rück, welche in der Schweiz jeweils erfolglos ein Asylverfahren durchlau-
fen haben und weggewiesen wurden (vgl. Medienmitteilung des BFM
vom 4. September 2013: "Bundesamt hat Rückführungen nach Sri Lanka
vorläufig ausgesetzt"). Die sri-lankischen Behörden hatten offenbar tami-
lische Rückkehrer bei der Wiedereinreise in Haft genommen. Daraufhin
hat die Vorinstanz in Aussicht gestellt, nicht nur die beiden Vorfälle, son-
dern auch eine allfällige Veränderung der allgemeinen Situation in Sri
Lanka vertieft abzuklären. Hierfür ersuchte sie das UNO-Hoch-
kommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), die beiden Fälle einer Qualitäts-
prüfung zu unterziehen sowie anschliessend auch die Dossiers jener
Personen zu überprüfen, deren Gesuche rechtskräftig abgelehnt worden
sind und die mit der Rückführung nach Sri Lanka hätten rechnen müssen
(vgl. Medienmitteilung des BFM vom 3. Oktober 2013: "Sri Lanka gibt be-
kannt, warum zwei ehemalige Asylsuchende in Haft sind" sowie: Neue
Zürcher Zeitung [NZZ] vom 4. Oktober 2013: "UNHCR überprüft Asyldos-
siers – zwei zurückgeschickte Tamilen seit Wochen in Haft"). Die Vorin-
stanz geht damit selbst davon aus, dass der Sachverhalt, wie er der Ver-
fügung vom 15. Februar 2013 zugrunde liegt, offensichtlich nicht vollstän-
dig festgestellt ist. Denn es besteht kein Zweifel, dass eine neue Lagebe-
urteilung vor Ort sich auf die konkrete Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts auswirken kann, sei es im Flüchtlings- und Asylpunkt, sei es
im Wegweisungsvollzugspunkt (vgl. zu den Risikogruppen BVGE 2011/24
E. 8).
3.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar die Kompetenz, den festge-
stellten Sachverhalt mit voller Kognition zu überprüfen (Art. 106 Abs. 1
Bst. b AsylG), und es stellt grundsätzlich auf den Sachverhalt ab, wie er
sich im Zeitpunkt des Urteils verwirklicht hat (vgl. BVGE 2012/21 E. 5). Es
kann indessen nicht die Aufgabe der Beschwerdeinstanz sein, grundle-
gende Fragen zum Sachverhalt als erste Instanz zu klären. Das ergibt
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sich aus der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung. Das Gericht beurteilt
Beschwerden gegen Verwaltungsverfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG,
ist mithin zur Überprüfung von Verfügungen zuständig (Art. 31 VGG). Die
Bestimmung zur Sachverhaltsfeststellung in Art. 32 VwVG ist denn auch
primär auf das Verwaltungsverfahren vor den erstinstanzlichen Bundes-
behörden und nicht auf das Beschwerdeverfahren zugeschnitten, was die
gesetzliche Systematik bestätigt. Schliesslich fällt ins Gewicht, dass die
Partei eine Instanz verlöre, wenn das Gericht die Grundlagen des rechts-
erheblichen Sachverhalts nicht nur ergänzen, sondern gleichsam wie eine
erste Instanz erheben würde. Aus diesen Gründen hat das Bundesver-
waltungsgericht von eigenen Sachverhaltsfeststellungen, die über eine
blosse Ergänzung und Erwahrung des rechtserheblichen Sachverhalts
hinausreichen, abzusehen (vgl. BVGE 2012/21 E. 5; ferner Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts E-4157/2012 vom 4. Oktober 2012, E. 4).
3.3 Demnach ist die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache
zur vollständigen Sachverhaltsfeststellung und zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Tatsache allein, dass die Ergebnisse
der vorinstanzlichen Abklärungen abzuwarten sind, rechtfertigt die Aufhe-
bung der Verfügung. Die Beschwerde ist – ungeachtet der Parteivorbrin-
gen – somit gutzuheissen.
4.
4.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 63 VwVG); das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege ist daher gegenstandlos geworden.
Der vertretenen Beschwerdeführerin ist angesichts ihres faktischen Ob-
siegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Regle-
ments vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor
dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädi-
gung für die ihr notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzuspre-
chen. Diese ist aufgrund der Akten auf insgesamt Fr. 1600.– (inkl. aller
Auslagen und Mehrwertsteuer) festzusetzen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2
VGKE). Die Vorinstanz ist in Anwendung von Art. 64 Abs. 2 VwVG anzu-
weisen, der Beschwerdeführerin diesen Betrag als Parteientschädigung
zu entrichten.
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Verfügung des BFM vom 15. Februar 2013 wird aufgehoben und die
Sache im Sinne der Erwägungen zur vollständigen Sachverhaltsfeststel-
lung und zu neuer Entscheidung an das BFM zurückgewiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Das BFM wird angewiesen, der Beschwerdeführerin eine Parteientschä-
digung von Fr. 1600.- (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuer) auszurichten.
5.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das BFM und die zustän-
dige kantonale Behörde.

Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:

Gabriela Freihofer Chantal Schwizer


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