D-889/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Karar Dilini Çevir:
D-889/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-889/2011
Urteil vom 11. Februar 2011
Besetzung Einzelrichter Robert Galliker,
mit Zustimmung von Richterin Muriel Beck Kadima;
Gerichtsschreiber Matthias Jaggi.
Parteien A._______, geboren (…), alias B._______, geboren (…),
Liberia,
(…),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 28. Januar 2011 / N (…).
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Sachverhalt:
A.
Am 12. September 2010 reichte der Beschwerdeführer im Empfangs- und
Verfahrenszentrum (EVZ) C._______ ein Asylgesuch ein. Anlässlich der
Kurzbefragung vom 24. September 2010 im Transitzentrum D._______
machte der Beschwerdeführer insbesondere geltend, er sei im Februar
2007 von Liberia mit einem Schiff nach Italien gereist, wo er sich in
E._______ und F._______ aufgehalten und ein Asylgesuch eingereicht
habe. In Italien habe er zuerst eine sechsmonatige und anschliessend
eine einjährige Aufenthaltsbewilligung erhalten. Nachdem seine
Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängert worden sei und die
italienischen Behörden ihm gesagt hätten, er müsse das Land verlassen,
sei er am 12. September 2010 mit dem Zug in die Schweiz gereist.
B.
Am 24. September 2010 gewährte das BFM dem Beschwerdeführer das
rechtliche Gehör zum bevorstehenden Nichteintretensentscheid, zur
Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens
beziehungsweise zu einer allfälligen Wegweisung dorthin und gab ihm
Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang
erklärte der Beschwerdeführer, er könne nicht in sein Heimatland
zurückkehren, da er dort umkomme. In Italien habe er keine Dokumente,
keinen Job und keine Schlafstätte.
C.
Gestützt auf die Aussagen des Beschwerdeführers stellte das BFM am 9.
Dezember 2010 an Italien ein Ersuchen um Wiederaufnahme des
Beschwerdeführers im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Bst. e der Verordnung
[EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin-II-
Verordnung; nachfolgend Dublin-II-VO) zur Festlegung der Kriterien und
Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines
von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten
Asylantrags zuständig ist (vgl. Akten BFM A 9/4). Diesem Ersuchen
wurde von der zuständigen italienischen Behörde am 12. Januar 2011
ausdrücklich entsprochen (vgl. Akten BFM A 14/1).
D.
Mit Verfügung vom 28. Januar 2011 trat das BFM in Anwendung von Art.
34 Abs. 2 Bst. d AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers vom
12. September 2010 nicht ein und ordnete die Wegweisung aus der
Schweiz sowie den Wegweisungsvollzug nach Italien an. Gleichzeitig
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wurde festgestellt, dass einer allfälligen Beschwerde keine aufschiebende
Wirkung zukomme.
E.
Mit Beschwerde vom 4. Februar 2011 (Poststempel) ans
Bundesverwaltungsgericht beantragte der Beschwerdeführer, es sei die
Verfügung des BFM vom 28. Januar 2011 aufzuheben und das
Asylgesuch zur materiellen Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zu gewähren und es sei auf die Erhebung von Verfahrenskosten sowie
eines Kostenvorschusses zu verzichten. Ausserdem seien die
Vollzugsbehörden unverzüglich anzuweisen, von allfälligen
Vollzugsmassnahmen abzusehen. Auf die Beschwerdebegründung wird,
soweit entscheidrelevant, in den Erwägungen eingegangen.
Der Beschwerde lagen ein ärztliches Zeugnis vom 2. Februar 2011 sowie eine Fürsorgebestätigung vom 4.
Februar 2011 bei.
F.
Die vorinstanzlichen Akten trafen am 8. Februar 2011 beim
Bundesverwaltungsgericht ein.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden
gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Das BFM
gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz
des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende
Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das
Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der
vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls
endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
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1.2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6
AsylG).
1.3. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht (Art. 108 Abs. 2
AsylG, Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 VwVG). Der
Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung besonders
berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung, weshalb er zur Einreichung der
Beschwerde legitimiert ist (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art.
48 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise
einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Abs. 1 Bst. e AsylG). Wie
nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche,
weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art.
111a Abs. 2 AsylG).
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die Durchführung des Schriftenwechsels
verzichtet.
4.
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das
BFM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen
(Art. 32 - 35 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwer-
deinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu
Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. die vom
Bundesverwaltungsgericht fortgeführte Rechtsprechung der vormaligen
Schweizerischen Asylrekurskommission [ARK] in Entscheidungen und
Mitteilungen der ARK [EMARK] 2004 Nr. 34 E. 2.1 S. 240 f. sowie Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts D-1244/2010 vom 13. Januar 2011 E.
3.1). Die Beschwerdeinstanz enthält sich einer selbständigen materiellen
Prüfung und weist die Sache - sofern sie den Nichteintretensentscheid als
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unrechtmässig erachtet - zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurück.
5.
5.1. Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn
Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die
Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich
zuständig ist (Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG).
5.2. Das BFM hielt zur Begründung seines Nichteintretensentscheids im
Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer habe ausgesagt, sich seit
Februar 2007 die ganze Zeit in Italien aufgehalten und dort ein
Asylgesuch gestellt zu haben sowie von Italien direkt in die Schweiz
eingereist zu sein. Italien sei gestützt auf das "Abkommen vom 26.
Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur
Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem
Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (Dublin-
Assoziierungsabkommen [DAA, SR 0.142.392.68])" sowie das
"Übereinkommen vom 17. Dezember 2004 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Island und dem
Königreich Norwegen über die Umsetzung, Anwendung und Entwicklung
des Schengen-Besitzstands und über die Kriterien und Verfahren zur
Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in der
Schweiz, in Island oder in Norwegen gestellten Asylantrags
(Übereinkommen vom 17. Dezember 2004, SR 0.362.32)" für die
Durchführung des Asylverfahrens zuständig und habe am 12. Januar
2011 einer Übernahme des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 16 Abs.
1 Bst. e Dublin-II-VO zugestimmt. Die Rückführung habe - vorbehältlich
einer allfälligen Unterbrechung oder Verlängerung (Art. 19 f. Dublin-II-VO)
- bis spätestens am 12. Juli 2011 zu erfolgen. Anlässlich des dem
Beschwerdeführer am 24. September 2010 gewährten rechtlichen
Gehörs zur Zuständigkeit Italiens beziehungsweise einer Rückkehr
dorthin, habe er ausgeführt, er habe dort weder Dokumente noch eine
Schlafstätte noch einen Job gehabt. Diese Aussagen des
Beschwerdeführers seien nicht geeignet, die Frage der Zuständigkeit
Italiens zu verneinen und eine Rückführung dorthin zu verhindern.
Bezüglich der dargelegten Schwierigkeiten könne sich der
Beschwerdeführer an die zuständigen italienischen Behörden wenden.
Aus den Akten ergäben sich ferner keine konkreten Hinweise, wonach
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Italien sich nicht an die massgebenden völkerrechtlichen Bestimmungen
oder die einschlägigen Normen der Konvention vom 4. November 1950
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR
0.101) halte.
Die Folge eines Nichteintretensentscheids sei gemäss Art. 44 Abs. 1 AsylG in der Regel die Wegweisung
aus der Schweiz. Da der Beschwerdeführer in einen Drittstaat reisen könne, in dem er Schutz vor
Rückschiebung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 AsylG finde, sei das Non-Refoulement-Gebot bezüglich des
Heimat- oder Herkunftsstaates nicht zu prüfen. Ferner bestünden keine Hinweise auf eine Verletzung von
Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Italien. Weder die in Italien herrschende
Situation noch andere Gründe sprächen gegen die Zumutbarkeit der Wegweisung in diesen Staat.
Ausserdem sei der Vollzug der Wegweisung technisch möglich und praktisch durchführbar. Eine
entsprechende Zustimmung Italiens liege vor. Schliesslich hätten Beschwerden gegen
Nichteintretensentscheide gemäss Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG gestützt auf Art. 107a AsylG keine
aufschiebende Wirkung.
5.3. In der Rechtsmitteleingabe machte der Beschwerdeführer
insbesondere geltend, die Verfügung des BFM enthalte keinerlei
individuell motivierte Begründung bezüglich seiner Wegweisung nach
Italien, womit die Vorinstanz in dieser Hinsicht ihre Begründungspflicht
verletzt habe. Zudem sei bei ihm anlässlich der Eintrittskontrolle am 11.
Oktober 2010 ein HIV-Test durchgeführt worden, der positiv ausgefallen
sei. Es sei sehr wahrscheinlich, dass er bald eine antivirale Therapie
benötige. Er habe seine Erkrankung dem BFM bisher nicht mitgeteilt, da
er kaum lesen und schreiben könne und sich rechtlich nicht auskenne.
Die Aufnahmebedingungen in Italien seien sehr schlecht und
zurückgeschickte Asylsuchende riskierten mit grosser Wahrscheinlichkeit,
auf der Strasse zu landen. Bei verletzlichen Personen falle dies
besonders ins Gewicht. Gerade bei diesen verletze eine Wegweisung
nach Italien auch Art. 3 EMRK; zumindest sei sie aber unzumutbar.
Aufgrund seiner HIV-Erkrankung gehöre er zur Kategorie der besonders
verletzlichen Personen. Bereits vor seiner Einreise in die Schweiz sei er
obdachlos und aufs Betteln angewiesen gewesen. Theoretisch habe er in
Italien zwar Zugang zu medizinischer Behandlung, in der Praxis sei
dieser Zugang jedoch nicht gewährleistet, wenn er nicht in geordneten
Strukturen leben könne. Bei einer antiviralen Therapie sei es ganz
besonders wichtig, dass die Therapie zuverlässig fortgesetzt werden
könne, da ansonsten die Gefahr der Resistenzbildung bestehe. Die
Wegweisung nach Italien sei deshalb für ihn lebensbedrohend und
keineswegs zumutbar.
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In seinem Heimatland Liberia werde er zudem aus politischen Gründen verfolgt. Italien habe ihm jedoch
mitgeteilt, dass er das Land zu verlassen habe, weswegen eine Wegweisung nach Italien eine
Kettenabschiebung nach Liberia nach sich ziehen würde, was gegen Art. 3 EMRK beziehungsweise das
Refoulement-Verbot verstossen würde.
5.4.
5.4.1. Aus den Akten ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer im
Februar 2007 nach Italien begab, wo er ein Asylgesuch einreichte und
sich bis zum 12. September 2010 aufhielt. Da das BFM die italienischen
Behörden am 9. Dezember 2010 um Wiederaufnahme des
Beschwerdeführers gemäss Art. 16 Abs. 1 Bst. e Dublin-II-VO ersuchte
und diese am 12. Januar 2011 einer Rückübernahme des
Beschwerdeführers zustimmten, kann der Beschwerdeführer ohne
Weiteres in den Dublin-Staat Italien ausreisen, welcher staatsvertraglich
zuständig ist. An dieser Einschätzung ändern weder die vom
Beschwerdeführer in der Beschwerde geäusserten Bedenken hinsichtlich
einer Rückschiebung in sein Heimatland im Falle einer Rückkehr nach
Italien noch die von ihm geltend gemachten Vorbehalte bezüglich der
Lebensbedingungen in Italien (keine Unterkunft, keine
Arbeitsmöglichkeiten, keine medizinische Versorgung) etwas, ist doch
Italien unter anderem Signatarstaat der EMRK, des Abkommens vom 28.
Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) und
des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(FoK, SR 0.105). Zudem kann auch auf die spezifischen völkerrechtlichen
Verpflichtungen Italiens bezüglich der Betreuung von Asylsuchenden
verwiesen werden, namentlich die EU-Richtlinie 2003/9/EG vom 27.
Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von
Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, zu deren Durchsetzung die EU-
Länder auch entsprechende Rechtsmittel vorzusehen haben (vgl. Art. 21
der sogenannten Aufnahmerichtlinie). Es bestehen vorliegend keine
glaubhaften Hinweise darauf, Italien würde sich im Falle des
Beschwerdeführers nicht an die aus diesen Übereinkommen
resultierenden Verpflichtungen, insbesondere das Rückschiebungsverbot
oder die einschlägigen Normen der EMRK, halten. Nach dem Gesagten
ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - insbesondere
auch im Hinblick auf dessen nachgewiesene HIV-Infektion - bei Bedarf in
Italien eine adäquate medizinische Betreuung in Anspruch nehmen kann.
Gemäss Kenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts nehmen überdies
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neben staatlichen Behörden auch private Hilfsorganisationen sich Dublin-
Rückkehrenden an.
Bezüglich der durch das eingereichte ärztliche Zeugnis vom 2. Februar 2011 belegten HIV-Infektion des
Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass gemäss der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte (EGMR) der Vollzug der Wegweisung eines abgewiesenen Asylsuchenden mit
gesundheitlichen Problemen im Einzelfall einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen kann, wobei hierfür
jedoch ganz aussergewöhnliche Umstände vorausgesetzt sind (vgl. EMARK 2005 Nr. 23 E. 5.1 S. 211 f.,
mit einer Zusammenfassung der Rechtsprechung des EGMR). Vorliegend können solche ganz
aussergewöhnlichen Umstände ("very exceptional circumstances"), wie sie der EGMR in seinem Urteil vom
2. Mai 1997 i.S. D. gegen Grossbritannien feststellte, wo neben einer kurzen Lebenserwartung aufseiten
des an AIDS erkrankten Auszuweisenden erschwerend die Gefahr eines Todes unter extremen physischen
und psychischen Leiden hinzukam, bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Italien
ausgeschlossen werden, zumal es sich beim Beschwerdeführer gemäss dem eingereichten ärztlichen
Zeugnis vom 2. Februar 2011 lediglich um eine HIV-infizierte Person handelt, die (noch) nicht an AIDS
erkrankt ist (vgl. Entscheide des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts [BVGE] 2009/2 E. 9.1.3).
Unter diesen Umständen sind daher keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, der
Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr nach Italien in eine existenzielle Notlage geraten. Der
Einwand des Beschwerdeführers in der Rechtsmittelschrift, die italienischen Behörden hätten ihn vor seiner
Ankunft in der Schweiz aufgefordert, Italien zu verlassen, stellt ebenso keinen Hinderungsgrund für eine
Überstellung dorthin dar, da Italien zur Rückübernahme gestützt auf die Dublin-II-VO verpflichtet ist und -
wie bereits erwähnt - von der Vermutung auszugehen ist, Italien halte seine völkerrechtlichen Pflichten ein.
Soweit der Beschwerdeführer in der Rechtsmittelschrift rügt, die Verfügung des BFM enthalte keinerlei
individuell motivierte Begründung bezüglich seiner Wegweisung nach Italien, womit die Vorinstanz in dieser
Hinsicht ihre Begründungspflicht verletzt habe, ist festzuhalten, dass sich das BFM bei der Begründung
ihrer Verfügung auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken durfte und nicht
gehalten war, sich ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung auseinander zu setzen. Da der
Beschwerdeführer seine HIV-Infektion der Vorinstanz nicht mitgeteilt hat, kann dieser insbesondere nicht
vorgehalten werden, sie habe sich diesbezüglich in der angefochtenen Verfügung nicht geäussert. Die vom
Beschwerdeführer erhobene Rüge, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht verletzt, ist daher
unbegründet.
Angesichts der gesamten Umstände erweist sich der Vollzug der Wegweisung nach Italien in
Berücksichtigung der entscheidrelevanten Aspekte - insbesondere unter dem Blickwinkel von Art. 3 EMRK
- als zulässig und zumutbar, weshalb vorliegend - entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers in der
Rechtsmittelschrift - kein Anlass zum Selbsteintritt besteht.
5.4.2. Nach dem Gesagten erübrigt es sich, auf die Ausführungen und
Einwände in der Beschwerde beziehungsweise das eingereichte ärztliche
Zeugnis im Einzelnen weiter einzugehen, da sie am Ergebnis nichts
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ändern. Das BFM ist in Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG zu
Recht auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten.
6.
6.1. Das Nichteintreten auf ein Asylgesuch hat in der Regel die
Wegweisung aus der Schweiz zur Folge (Art. 44 Abs. 1 AsylG).
Vorliegend ist keine Ausnahme von diesem Grundsatz ersichtlich (vgl.
BVGE 2008/34 E. 9.2). In Verfahren nach Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG ist
die Frage nach der Zulässigkeit und Möglichkeit des
Wegweisungsvollzugs regelmässig bereits Voraussetzung (und nicht erst
Regelfolge) des Nichteintretensentscheids (vgl. Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts E-5644/2009 vom 31. August 2010 E. 10.2).
Auf die Frage einer drohenden Verletzung des Non-Refoulement-Gebots
muss daher an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
6.2. Weiter stellt sich die Frage nach der Zumutbarkeit des
Wegweisungsvollzugs in Verfahren nach Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG nicht
unter dem Aspekt von Art. 83 Abs. 1 und 4 des Bundesgesetzes vom 16.
Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR
142.20), sondern ebenfalls vor der Prüfung des Nichteintretens im
Rahmen des Selbsteintrittsrechts (vgl. Art. 29a der Asylverordnung 1 vom
11. August 1999 über Verfahrensfragen [AsylV 1, SR 142.311]) oder
gegebenenfalls - sofern sich Familienmitglieder in verschiedenen Dublin-
Staaten befinden und allenfalls zusammengeführt werden sollten - bei der
Ausübung der sogenannten Humanitären Klausel (Art. 15 Dublin-II-VO).
6.3. Nach dem Gesagten sind die vom BFM verfügte Wegweisung und
deren Vollzug nach Italien zu bestätigen.
7.
Dem Beschwerdeführer ist es demnach nicht gelungen darzutun,
inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt oder
unangemessen ist (Art. 106 AsylG), weshalb die Beschwerde abzuweisen
ist.
8.
Mit dem Urteil in der Hauptsache sind die Gesuche um Verzicht auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses, um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung der Beschwerde sowie um unverzügliche Anweisung der
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Vollzugsbehörden, von allfälligen Vollzugsmassnahmen abzusehen,
gegenstandslos geworden.
9.
9.1. Aufgrund vorstehender Erwägungen erweist sich die Beschwerde als
aussichtslos, weshalb das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG, unbesehen der
Bedürftigkeit des Beschwerdeführers, vollumfänglich abzuweisen ist.
9.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG) und auf
insgesamt Fr. 600.-- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21.
Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem
Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss
Art. 65 Abs. 1 VwVG wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:
Robert Galliker Matthias Jaggi
Versand: