D-8338/2008 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung - Nichteintreten
Karar Dilini Çevir:
D-8338/2008 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung - Nichteintreten
Abtei lung IV
D-8338/2008/cvv
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 . D e z e m b e r 2 0 0 9
Richter Bendicht Tellenbach (Vorsitz),
Richterin Gabriela Freihofer, Richter Thomas Wespi,
Gerichtsschreiber Daniel Merkli.
A._______ alias
B.______ Irak,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 18. Dezember 2008 / N______
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-8338/2008
Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest:
dass der Beschwerdeführer - ein aus C.______ stammender irakischer
Staatsangehöriger kurdischer Ethnie - am 19. November 2008 in der
Schweiz ein Asylgesuch stellte, wobei er vom BFM zur Einreichung
rechtsgenüglicher Identitätsdokumente innert 48 Stunden aufgefordert
wurde,
dass der Beschwerdeführer, im D._______im Rahmen der
Erstbefragung vom 2. Dezember 2008 auf die Notwendigkeit der
Einreichung rechtsgenüglicher Identitätsdokumente hingewiesen,
angab, seine Identitätskarte befinde sich zu Hause und 'er werde
diese kommen lassen' (vgl. BFM-Protokoll A1, S. 5 und S. 6),
dass er im Rahmen der Anhörung nach Art. 29 Abs. 4 des Asylge-
setzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142. 31) vom 9. Dezember 2008
geltend machte, sein Bruder habe ihm in der Zwischenzeit seine Iden-
titätskarte und seinen Nationalitätenausweis geschickt, indessen habe
er diese noch nicht erhalten (vgl. A13, S. 3),
dass er im Weiteren angab, den Irak ohne Identitätspapiere verlassen
zu haben, weil er befürchtet habe, diese möglicherweise unterwegs zu
verlieren (vgl. A13, S. 3),
dass er mit Hilfe eines Schleppers versteckt in einem Auto und in Last-
wagen über Istanbul illegal in die Schweiz gelangt sei,
dass der Beschwerdeführer zur Begründung seines Asylgesuches im
Wesentlichen geltend machte, seit 2006 für die Peshmerga in
E.______ für die Bewachung des Regierungsgebäudes
mitverantwortlich gewesen zu sein,
dass er und zwei seiner Dienstkollegen während ihres Nachtdienstes
am 25. Oktober 2008 ein auffälliges Fahrzeug angehalten hätten und
ihr Vorgesetzter in der Folge den Fahrer verhaftet und vermutlich dem
F._______ übergeben habe,
dass der Beschwerdeführer später erfahren habe, dass das Auto mit
TNT geladen gewesen sei und ein paar Tage später einer seiner
Dienstkollegen, welcher mit ihm am 25. Oktober 2008 Dienst verrichtet
habe, umgebracht worden sei,
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dass er aus Furcht, selbst umgebracht zu werden, in der Folge seinen
Heimatstaat verlassen habe,
dass das BFM mit - gleichentags eröffnetem - Entscheid vom
18. Dezember 2008 in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. a und Abs. 3
AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eintrat, des-
sen Wegweisung aus der Schweiz anordnete und den Vollzug als zu-
lässig, zumutbar und möglich erachtete,
dass der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 23. Dezember 2008 an
das Bundesverwaltungsgericht unter Einreichung einer Identitätskarte
und eines Nationalitätenausweises im Original samt der Shipping-
Papiere der TNT Agentur gegen diesen Entscheid Beschwerde erhob
und dabei in verfahrensrechtlicher Hinsicht unter anderem um Gewäh-
rung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsver-
fahren (VwVG, SR 172.021) und um Verzicht auf das Erheben eines
Kostenvorschusses ersuchte,
dass der zuständige Instruktionsrichter mit Zwischenverfügung vom
6. Januar 2009 auf das Erheben eines Kostenvorschusses verzichtete
mit dem Hinweis, über das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG werde im Endent-
scheid befunden,
dass im Weiteren - unter Beilage der eingereichten Identitätsdokumen-
te - die Vorinstanz zur Vernehmlassung eingeladen wurde,
dass das BFM in seiner Vernehmlassung vom 22. Januar 2009 ohne
Bezugnahme auf die nachträglich eingereichten Identitätsdokumente
die Abweisung der Beschwerde beantragte,
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und zieht in Erwägung:
dass das Bundesverwaltungsgericht endgültig über Beschwerden ge-
gen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des BFM entscheidet (Art. 105 AsylG
i.V.m. Art. 31 - 33 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[VGG,SR 173.32]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes
vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung be-
sonders berührt ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung hat und daher zur Einreichung der Be-
schwerde legitimiert ist (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48
Abs. 1 VwVG),
dass somit auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ein-
zutreten ist (Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG
und Art. 52 VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1
AsylG),
dass das BFM mit Verfügung vom 18. Dezember 2008 in Anwendung
von Art. 32 Abs. 2 Bst. a und Abs. 3 AsylG auf das Asylgesuch des Be-
schwerdeführers nicht eintrat und dessen Wegweisung aus der
Schweiz anordnete, wobei es unter anderem festhielt, der Beschwer-
deführer habe ohne entschuldbare Gründe keine Identitätspapiere ein-
gereicht,
dass nämlich zum einen davon auszugehen sei, dass sich der Be-
schwerdeführer der Notwendigkeit, sich im Asylland rechtsgenüglich
ausweisen zu müssen, bewusst gewesen sei,
dass zum anderen die Aussage des Beschwerdeführers, auf seiner
Reise nie kontrolliert worden zu sein, als realitätsfremd einzustufen
sei,
dass sich schliesslich die Angabe des Beschwerdeführers anlässlich
der Anhörung vom 9. Dezember 2008, er habe seinen Bruder kontak-
tiert, und dieser werde ihm seine Identitätskarte und seinen Nationali-
tätenausweis zustellen, als blosse Schutzbehauptung erwiesen habe,
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seien doch die in Aussicht gestellten Identitätsdokumente bis zum jet-
zigen Zeitpunkt beim BFM nicht eingetroffen,
dass das BFM somit die Angabe des Beschwerdeführers, seine Identi-
tätsdokumente im Heimatstaat zurückgelassen zu haben und ohne
Identitätspapiere gereist zu sein, in Zweifel zog hat und in Berücksich-
tigung der weiteren Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Rahmen
des vorinstanzlichen Verfahrens keine Identitätsdokumente einreichte,
im Ergebnis davon ausging, der Beschwerdeführer habe den Asylbe-
hörden, obwohl dazu in der Lage, bewusst keine Identitätsdokumente
eingereicht, um durch die unterlassene Offenlegung seiner Identität
eine allfällige Rückführung zu erschweren,
dass entgegen der Auffassung der Vorinstanz die vom Beschwerdefüh-
rer beschriebene Reiseroute, welche er mit Hilfe von Schleppern auf
dem Landweg über die Türkei in einem Laderaum eines LKW und
ohne Grenzkontrolle hinter sich gebracht habe (vgl. A13, S. 3), durch-
aus plausibel erscheint,
dass im Weiteren keine Anhaltspunkte dafür bestehen, der Beschwer-
deführer habe zum Zeitpunkt der Einreichung des Asylgesuches (an-
dere) Identitätspapiere auf sich getragen, die er innerhalb von 48 Stun-
den seit Einreichung des Asylgesuches hätte abgeben können,
dass ausserdem durch die Shipping-Papiere belegt ist, dass dem Be-
schwerdeführer die auf Beschwerdeebene eingereichten Identitätsdo-
kumente aus dem Irak zugestellt worden sind,
dass somit entgegen der Auffassung der Vorinstanz als glaubhaft zu
erachten ist, dass der Beschwerdeführer – wie angegeben – seine
Identitätskarte im Irak zurückgelassen hat und er im Zeitpunkt der Ein-
reichung des Asylgesuches beziehungsweise innerhalb der nachfol-
genden 48 Stunden faktisch nicht in der Lage war, seine Identitäts-
karte abzugeben,
dass der Beschwerdeführer im Weiteren - nachdem er am 2. Dezem-
ber 2008 im Empfangszentrum vom BFM implizit dazu aufgefordert
worden war - seine Identitätskarte aus dem Irak beschafft und diese
am 23. Dezember 2008 auf Beschwerdeebene beim Bundesver-
waltungsgericht eingereicht hat,
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dass in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen ist, dass nach den
eingereichten Shipping Papieren die Identitätsdokumente am
5. Dezember 2008 vom Bruder des Beschwerdeführers im Irak dem
Beschwerdeführer zugestellt worden sind, weshalb sich die Angabe
des Beschwerdeführers anlässlich der Anhörung vom 9. Dezember
2008, sein Bruder habe ihm in der Zwischenzeit seine Identitätskarte
und seinen Nationalitätenausweis geschickt, indessen habe er diese
noch nicht erhalten (vgl. A13, S. 3), als zutreffend und damit nicht als
blosse Schutzbehauptung erweist, wie dies vom BFM in der angefoch-
tenen Verfügung angenommen wurde,
dass daher der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung, die im Irak zu-
rückgelassene Identitätskarte innert angemessener Frist zu beschaf-
fen und damit seine Identität offenzulegen (Art. 8 Abs. 1 Bst. a und d
AsylG) umgehend nachgekommen ist,
dass somit die Annahme des BFM, der Beschwerdeführer versuche
durch die unterlassene Offenlegung seiner Identität eine allfällige
Rückführung zu erschweren, nicht zutrifft, vermochte der Beschwerde-
führer doch glaubhaft zu machen, dass dem Umstand, innert 48 Stun-
den keine Reise- oder Identitätspapiere eingereicht zu haben, nicht die
Absicht zugrunde lag, den Aufenthalt in der Schweiz unrechtmässig zu
verlängern,
dass der Beschwerdeführer daher nicht zur Kategorie jener asyl-
suchenden Person gehört, deren Verhalten der Gesetzgeber durch
einen Nichteintretensentscheid nach Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG
sanktionieren wollte,
dass sich zusammenfassend ergibt, dass es dem Beschwerdeführer
aufgrund seiner glaubhaften Angaben zum Reiseweg und zum Verbleib
seiner Identitätskarte sowie des Umstandes, dass er seine Identitäts-
karte umgehend nachgereicht hat, gelingt, entschuldbare Gründe im
Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. a AsylG glaubhaft zu machen,
dass bei dieser Sachlage offen bleiben kann, ob der Beschwerdeführer
die Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht erfüllt,
dass das BFM demnach zu Unrecht gestützt auf Art. 32 Abs. 2 Bst. a
i.V.m. Art. 32 Abs. 3 AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers
nicht eingetreten ist, weshalb die Beschwerde gutzuheissen, die ange-
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fochtene Verfügung vom 18. Dezember 2008 aufzuheben und die
Sache an das BFM zur Neubeurteilung zurückzuweisen ist,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens keine Kosten zu erheben
sind (vgl. Art. 63 Abs. 1 VwVG), weshalb das Gesuch um unentgelt-
liche Rechtspflege gegenstandslos wird,
dass obsiegende Parteien Anspruch auf eine Parteientschädigung für
ihnen erwachsenen notwendigen Kosten haben (Art. 64 VwVG und
Art. 7 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Ent-
schädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE,
SR 173.320.2]),
dass vorliegend nicht davon auszugehen ist, dem nicht vertretenen
Beschwerdeführer seien notwendige Kosten entstanden, weshalb
keine Parteientschädigung auszurichten ist.
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die angefochtene Verfügung wird aufgehoben und das Verfahren wird
im Sinne der Erwägungen zum neuen Entscheid an das BFM zurück-
gewiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil geht an:
- den Beschwerdeführer (Einschreiben)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt, mit den Akten Ref-Nr. N______
- (...)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Bendicht Tellenbach Daniel Merkli
Versand:
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