D-7612/2015 - Abteilung IV - Asyl (ohne Wegweisungsvollzug) - Asyl (ohne Wegweisung); Verfügung des SEM vom 4. N...
Karar Dilini Çevir:
D-7612/2015 - Abteilung IV - Asyl (ohne Wegweisungsvollzug) - Asyl (ohne Wegweisung); Verfügung des SEM vom 4. N...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-7612/2015
mel



Ur t e i l vom 3 . M ä r z 2 0 1 7
Besetzung
Richter Hans Schürch (Vorsitz),
Richter Walter Lang, Richterin Nina Spälti Giannakitsas,
Gerichtsschreiberin Martina Kunert.

Parteien

A._______, geboren am (…),
Eritrea,
vertreten durch MLaw Gian Ege,
HEKS Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende SG/AI/AR,
Tellstrasse 4, Postfach 1727, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführer,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);
Verfügung des SEM vom 4. November 2015 / N (…).



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Sachverhalt:
A.
A.a Der Beschwerdeführer, eritreischer Staatsbürger tigrinischer Ethnie,
aus B._______ stammend und zuletzt in C._______ wohnhaft, verliess
seine Heimat eigenen Angaben zufolge Ende Juni 2014 und reiste am 21.
September 2014 in die Schweiz ein, wo er gleichentags um Asyl nach-
suchte. Er wurde im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) Kreuzligen
am 29. September 2014 summarisch befragt und am 27. Oktober 2015 ein-
gehend zu seinen Asylgründen angehört (vgl. act. A4 und A17). Für die
Dauer des Asylverfahrens wurde er dem Kanton St. Gallen zugewiesen.
A.b Nach seinen Gesuchsgründen befragt, führte der Beschwerdeführer
anlässlich der Befragung zur Person (BzP) aus, es hätte deren drei gege-
ben; zunächst die allgemeine politische Situation in seinem Heimatland,
wobei zu betonen sei, dass das Regime Gewehre an die Zivilbevölkerung
abgebe, wodurch ein Bürgerkrieg entstehen könne. Sodann sei er vom Re-
gime unterdrückt worden, nachdem sein Vater – ein Freiheitskämpfer – das
Land illegal verlassen habe, indem er und seine Familie zu einer Bezah-
lung von 50'000 Nakfa gezwungen worden seien. Ausserdem sei er einge-
schüchtert worden, da er öfters seine Meinung kundgetan habe. Ferner sei
anlässlich einer Forschungsfahrt auf dem Meer, welche er in seiner Funk-
tion als Meeresforscher und Fahrer des Schiffes im Januar 2014 angetre-
ten habe, letzteres sei gesunken, wofür er von seinen Vorgesetzten verant-
wortlich gemacht und mündlich zur Bezahlung von ungefähr 250'000 Nakfa
aufgefordert worden sei. In seiner Heimat sei er insofern politisch tätig ge-
wesen, als er mit seinen Vorgesetzten diskutiert und politische Bücher ge-
lesen habe. Abgesehen vom oben Ausgeführten habe er keine Probleme
mit den heimatlichen Behörden gehabt und sei bisher lediglich im Zusam-
menhang mit einer Erbstreitigkeit vor Gericht gewesen, bei welcher ihm
und seinen Geschwistern Land zugesprochen worden sei.
A.c Ergänzend zu den im Rahmen der BzP dargelegten Gesuchsgründen
machte der Beschwerdeführer anlässlich der Anhörung geltend, gegen sei-
nen Willen von den heimatlichen Behörden als Soldat rekrutiert worden zu
sein. Er habe bereits als Schüler in D._______ parallel zum Schulunterricht
Militärdienst leisten müssen, ebenso während seinem Studium und auch
als Angestellter des (…) (jeweils nach der Arbeit), wobei evident sei, dass
er nicht zwei Berufe – Soldat und (…) – parallel ausüben könne. Er habe
diverse mehrmonatige Kurse besucht und sei im Rahmen des Militärdiens-
tes Opfer von Demütigungen und öffentlichen Bestrafungen in Form von
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Schlägen, beispielsweise fürs Zuspätkommen, geworden (vgl. act. A17, F7
und F105 ff.).
Bezüglich seines Vaters führte er aus, seit seiner Flucht nach Äthiopien im
Jahr 2005 hätten er und seine Familie gelitten. Beispielsweise seien ihm
von den heimatlichen Behörden Ausbildungsreisen nach China und Indien,
der Erwerb einer SIM-Karte für sein Mobiltelefon und Land verweigert wor-
den, was auf die Flucht seines Vaters zurückzuführen sei (vgl. act. A17,
F102 ff.).
Im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall führte er im Wesentlichen aus,
dieser habe sich ungefähr 100–200 Meter vor der Küste von E._______ (in
der Nähe von F._______) zugetragen. Am fraglichen Tag hätten er und
seine zwei Arbeitskollegen einen Tauchgang unternommen und nach
schätzungsweise eineinhalb Stunden sei das Boot nicht mehr an der Mee-
resoberfläche sichtbar gewesen, weshalb sie angenommen hätten, es sei
gesunken. Diese Befürchtung habe sich nach wenigen Tagen bestätigt, als
sie mit einem grösseren Schiff zur Unfallstelle gefahren und das Boot vom
Meeresgrund geholt hätten. Bei der Reparatur habe sich herausgestellt,
dass der Supporter gebrochen sei, wodurch Wasser ins Boot gesickert sei
und dieses schliesslich zum Sinken gebracht habe. Ihm sei in diesem Zu-
sammenhang von seinen Vorgesetzten fehlende Vorsicht vorgeworfen und
mitgeteilt worden, dass ihn die Schadensbehebung ungefähr 150'000
Nakfa kosten werde. Seiner Einschätzung zufolge hätten ihm im Widerset-
zungsfall Gefängnis oder das Eingehen einer Bürgschaft gedroht. Nach-
dem das Boot in Reparatur gegeben worden sei, sei er bis zu seiner Aus-
reise einer anderen Tätigkeit im (…) nachgegangen (vgl. act. A17, F9ff.).
Bezüglich seiner Flucht gab er an, durch die landwirtschaftliche Gegend
von C._______ nach G._______, H._______ und von da während einer
ungefähr dreitätigen Autofahrt mit vier weiteren Personen durch waldiges
Gelände nach Sudan gereist zu sein. Die ungefähr (…) Kilometer lange
Fahrt habe sich aufgrund der Strassenverhältnisse schwierig und ohne be-
sondere Vorkommnisse gestaltet. Sie hätten täglich eine Pause eingelegt,
Süssigkeiten zu sich genommen und in I._______ sei ihnen schliesslich
mitgeteilt worden, im Sudan angekommen zu sein. Wie der Grenzübertritt
konkret abgelaufen sei, könne er nicht sagen, da er diesen nicht bemerkt
habe. Besondere Vorsichtsmassnahmen seien wohl nicht getroffen worden
(vgl. act. A17, F82 ff.).
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Für seine Ausreise ausschlaggebend seien die dargelegten Gründe im sel-
ben Ausmass gewesen (vgl. act. A17, F8).
A.d Im vorinstanzlichen Verfahren reichte der Beschwerdeführer eine Be-
willigung zum Gebrauch des Bootes des (…), ein Foto des gesunkenen
Bootes, eine Militärbescheinigung des eritreischen Verteidigungsministeri-
ums, einen "Text über Leistung des militärischen Eides" sowie ein proviso-
risches Abschlusszeugnis der Hochschule für (…) ("Provisional Certificate
of Graduation") jeweils im Original und teilweise zusätzlich in Kopie ins
Recht (vgl. act. A18). Eine Auseinandersetzung mit den Beweismitteln er-
folgt, soweit entscheidwesentlich, in den nachfolgenden Erwägungen.
B.
B.a Mit Verfügung vom 4. November 2015 – eröffnet am Folgetag – ver-
neinte die Vorinstanz die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers,
lehnte sein Asylgesuch ab, ordnete die Wegweisung desselben aus der
Schweiz an und schob den Vollzug derselben wegen Unzumutbarkeit zu-
gunsten einer vorläufigen Aufnahme auf (vgl. act. A19).
B.b Zur Begründung hielt sie zusammengefasst fest, dass die Vorbringen
des Beschwerdeführers weder den Anforderungen an die Glaubhaftigkeit
noch an die Asylrelevanz genügten und führte im Einzelnen aus was folgt.
Im Zusammenhang mit dem im Januar 2014 gesunkenen Boot verneinte
sie eine Verfolgungsabsicht des Arbeitgebers, da dieser eine solche ver-
mutungsweise kurze Zeit nach dem Vorfall realisiert hätte, was nicht ge-
schehen sei. Vielmehr spreche der Umstand, dass er (der Beschwerdefüh-
rer) vor seiner Ausreise monatelang habe weiterarbeiten können und keine
konkreten Massnahmen gegen ihn ergriffen worden seien, gegen eine Ver-
folgungsabsicht. Ohnehin sei zu bezweifeln, dass er für den unterstellten
Schaden hätte aufkommen müssen beziehungsweise ihm eine Verfolgung
deswegen erwachsen wäre, da er unterschiedliche Angaben zur Scha-
denssumme gemacht habe. Zusätzlich spreche der Umstand, dass er die
Kosten für seine Flucht unter anderem aus Eigenmitteln im Umfang von
150'000 Nakfa mitfinanziert habe, dafür, dass diese aus anderen Motiven
erfolgt sei. Da sich die eingereichten Unterlagen auf seine Arbeit bezögen,
seien sie nicht geeignet, die behauptete Verfolgung zu beweisen. Somit
könne nicht geglaubt werden, dass der Untergang des Arbeitsbootes zu
einer Verfolgung geführt hätte.
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Bezüglich der geltend gemachten Reflexverfolgung wegen der Ausreise
seines Vaters sei festzuhalten, dass die angeführten Massnahmen bezie-
hungsweise Unterlassungen keinen unerträglichen psychischen Druck im
Sinne von Art. 3 Abs. 2 AsylG bewirkt hätten und dadurch ein menschen-
unwürdiges Leben im Verfolgerstaat weder verunmöglicht noch in unzu-
mutbarer Weise erschwert hätten. Es stehe vielmehr fest, dass er in Eritrea
eine vergleichsweise hochstehende Ausbildung und in der Folge eine qua-
lifizierte Arbeit als (…) habe ausüben können.
Als unglaubhaft zu qualifizieren sei schliesslich auch die geltend gemachte
illegale Ausreise, da seine diesbezüglichen Schilderungen frei von Reali-
tätskennzeichen wie Detailreichtum, freies anschauliches Erzählen, Inter-
aktionsschilderung sowie inhaltliche Besonderheiten ausgefallen seien.
C.
C.a Mit Beschwerde vom 25. November 2015 focht der Beschwerdeführer
durch seinen Rechtsvertreter die vorinstanzliche Verfügung an und bean-
tragte, diese sei aufzuheben, es sei dem Beschwerdeführer Asyl zu ge-
währen, eventuell sei er als Flüchtling vorläufig aufzunehmen, subeventuell
sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In
prozessualer Hinsicht wurde um Gewährung der vollumfänglichen unent-
geltlichen Rechtspflege unter Beiordnung des mandatierten Rechtsvertre-
ters als amtlicher Rechtsbeistand und Verzicht auf Erhebung eines Kosten-
vorschusses ersucht.

Zur Begründung wurde einleitend gerügt, die Vorinstanz habe die Asylrele-
vanz der Vorbringen des Beschwerdeführers lediglich im Zusammenhang
mit dem Arbeitsunfall und der Reflexverfolgung, nicht jedoch hinsichtlich
seiner Desertion geprüft. Der Beschwerdeführer habe seine Militärausbil-
dung zwar abgeschlossen, allerdings hätte er – wie in der Vergangenheit –
auch zukünftig als Reservist militärische Kurse zu absolvieren gehabt, "weil
auch Zivilpersonen während ihrer Berufsausübung immer wieder militäri-
sche Kurse absolvieren müssen". Er habe während seiner Berufsausübung
immer wieder militärische Kurse leisten müssen und überzeugend darge-
legt, dass dem auch zukünftig so gewesen wäre. Folglich sei seine Dienst-
pflicht noch nicht erfüllt gewesen und er habe sich dieser durch Flucht ent-
zogen. Nach ständiger Rechtsprechung sei bei dienstpflichtigen Personen
in Eritrea von einer Wehrdienstverweigerung auszugehen, wenn die mit der
Durchsetzung der Dienstpflicht betrauten Organe des eritreischen Staates
mit der dienstpflichtigen Person in konkreten Kontakt getreten seien und
aus diesem Kontakt eine Rekrutierungsabsicht ersichtlich werde. Sei ein
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solcher Kontakt erfolgt, müsse davon ausgegangen werden, dass dieses
Verhalten als Verletzung der Dienstpflicht verstanden werde. Dabei müsse
der Begriff des direkten Kontaktes relativ offen gehandhabt werden, um der
in Eritrea vorherrschenden krassen Willkür Rechnung zu tragen, zumal die
Rekrutierung auch nicht im Rahmen eines einheitlichen und nachvollzieh-
baren Verfahrens erfolge, anhand dessen präzise festgestellt werden
könne, unter welchen Bedingungen die Behörden von einer Verletzung der
Dienstpflicht ausgingen. Ein konkreter Kontakt mit den Militärbehörden,
welcher Anlass zu begründeter Flucht gebe, sei jedenfalls dann anzuneh-
men, wenn die betroffene Person aus dem Dienst desertiert sei oder einen
Marschbefehl erhalten habe (vgl. EMARK, 2006/3, E.4.10 und Urteil des
BVGer D-399/2010 vom 5. Juni 2012, E.7.2). Nach gefestigter Rechtspre-
chung und nunmehr auch in Art. 3 Abs. 3 AsylG festgehaltener Rechtsauf-
fassung sei die Wehrdienstverweigerung jedenfalls dann asylrelevant,
wenn der Betroffene wegen seines Verhaltens mit einer Strafe zu rechnen
habe, welche entweder aus Gründen nach Art. 3 AsylG diskriminierend hö-
her ausfalle oder an sich unverhältnismässig hoch sei (vgl. EMARK 2006/3,
E.4.2 ff. und Urteil des BVGer D-5553/2013 vom 18. Februar 2015). Indem
sich der Beschwerdeführer durch Flucht aus Eritrea seiner Wehrdienst-
pflicht aktiv entzogen habe, werde er von der eritreischen Regierung als
potentiell oppositionelle und staatsfeindliche Person betrachtet. Er habe
demnach zum Zeitpunkt seiner Flucht aus Eritrea begründete Furcht vor
einer Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG gehabt.
Selbst wenn die begründete Verfolgungsfurcht aufgrund der Wehrdienst-
verweigerung als nicht glaubhaft erachtet werde, sei dem Beschwerdefüh-
rer aufgrund seiner illegalen Ausreise aus Eritrea dennoch die Flüchtlings-
eigenschaft zuzusprechen. Nach gefestigter bundesverwaltungsgerichtli-
cher Rechtsprechung gelte, dass das legale Verlassen des Landes ledig-
lich mit gültigen Papieren und einem speziellen Ausreisevisum möglich sei
und Widerhandlungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder
Busse sanktioniert würden. Dieser Umstand führe zwar nicht zu einer ei-
gentlichen Beweislastumkehr und die flüchtende Person müsse die illegale
Ausreise weiterhin glaubhaft machen. Dennoch sei zu beachten, dass
diese notorische Schwierigkeit der legalen Ausreise zumindest als Glaub-
haftigkeitsmerkmal zu beachten sei und sich in den Akten keine Hinweise
auf eine legale Ausreise finden liessen. Gemäss Art. 11 der "Proclamation
No. 24/1992" – welche die Ein- und Ausreise nach und von Eritrea regelt –
sei ein legales Verlassen des Landes lediglich mit einem gültigen Reise-
pass und einem zusätzlichen Ausreisevisum möglich. Die Ausreise ohne
die erforderlichen Dokumente werde gemäss Art. 29 dieses Erlasses mit
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einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Busse bis zu
10'000 Birr – der in Eritrea bis zur Einführung der eigenen Landeswährung
Nakfa gültigen äthiopischen Währung – sanktioniert. In der Praxis würden
Ausreisevisa bereits seit mehreren Jahren nur noch unter sehr restriktiven
Bedingungen und gegen Bezahlung hoher Geldbeträge (im Gegenwert von
rund $ 10'000) an wenige, als loyal beurteilte Personen ausgestellt, wobei
Kinder ab elf Jahren, Männer bis zum Alter von 54 Jahren und Frauen bis
47 Jahre grundsätzlich von der Visumserteilung ausgeschlossen seien.
Das eritreische Regime erachte das illegale Verlassen des Landes als Zei-
chen politischer Opposition gegen den Staat und versuche mit drakoni-
schen Massnahmen der sinkenden Wehrbereitschaft und der Massen-
fluchtbewegung in der Bevölkerung – jährlich kehrten mehrere Tausend
Staatsangehörige dem Land wegen der starken Militarisierung, der teil-
weise unbegrenzten Dienstdauer und der schlechten Menschenrechtslage
den Rücken – Herr zu werden (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
D-3892/2008 vom 6. April 2010, m.w.H.).
Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung wiesen die Schilderungen des
Beschwerdeführers durchaus Realkennzeichen auf und seien mit verschie-
denen (teilweise überprüfbaren) Details versehen, beispielsweise habe er
die Namen seiner Mitreisenden, die Uhrzeit, als er die Wohnung verlassen
habe, die Stammeszugehörigkeit des Fahrers, landschaftliche Gegeben-
heiten und Fahrdistanzen angeben können. Die Übereinstimmung mit ge-
sicherten Erkenntnissen gelte dabei ebenfalls als Realkennzeichen (vgl.
CARONI/MEYER/OTT, Migrationsrecht, 3. Aufl. 2014, S. 319, SPESCHA/KER-
LAND/BOLZLI, Handbuch zum Migrationsrecht, 3. Aufl. 2015, S. 387). Dass
er keine weiteren Vorkommnisse schildern könne, dürfe ihm nicht vorge-
worfen werden, weil keine solche vorgefallen seien. Gänzlich unhaltbar sei
der Vorwurf der fehlenden Kenntnisnahme des Grenzübertritts, zumal die
illegale Flucht den Übertritt an einem unkontrollierten Grenzabschnitt vor-
liegend erforderlich gemacht habe und ihnen erst in I._______ mitgeteilt
worden sei, dass sie sich nun im Sudan befänden. Dass sich eine Person
in der Situation des Beschwerdeführers auf die Aussagen ihres Schleppers
verlasse, entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung und sei nicht zu
beanstanden.
Zu bemerken sei auch, dass der Beschwerdeführer anlässlich der Anhö-
rung bei seinen Ausführungen zur Flucht unterbrochen worden sei und in
der Folge nur noch auf die Fragen des Befragers geantwortet habe (vgl.
act. A17, F82). Die knappe Erzählweise sei also auch der Befragungstech-
nik geschuldet.
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Zusammengefasst verkenne die Vorinstanz, dass der Beschwerdeführer
aufgrund seiner Dienstpflichtverweigerung eine Verfolgung im Sinne von
Art. 3 AsylG befürchten müsse. Dementsprechend sei er als Flüchtling an-
zuerkennen und ihm sei Asyl zu gewähren. Eventualiter erfülle er die
Flüchtlingseigenschaft aufgrund seiner illegalen Flucht aus Eritrea, da er
im Falle einer Rückkehr erheblichen Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG
ausgesetzt wäre und sei wegen dem Vorliegen subjektiver Nachflucht-
gründe als Flüchtling vorläufig aufzunehmen (Art. 54 AsylG und
Art. 83 AuG).

D.
D.a Mit Verfügungen vom 30. November 2015 und 7. Dezember 2015
hiess der Instruktionsrichter das Gesuch um Gewährung der vollumfängli-
chen unentgeltlichen Rechtspflege gut und lud die Vorinstanz zur Ver-
nehmlassung ein.

D.b In der Vernehmlassung vom 14. Dezember 2015 bestreitet das SEM,
dass ein Anlass bestanden habe, sich mit der geltend gemachten unfrei-
willigen Rekrutierung auseinanderzusetzen, da der Beschwerdeführer zum
Zeitpunkt der Ausreise weder Dienst geleistet noch einen militärischen
Kurs besucht habe. Im Übrigen wurde auf die Erwägungen in der ange-
fochtenen Verfügung verwiesen, an denen vollumfänglich festgehalten
wurde.

D.c In der Replik vom 11. März 2016 vertritt der Beschwerdeführer die Auf-
fassung, die Vorinstanz verkenne die Struktur der eritreischen Wehr- bzw.
Dienstpflicht (Hagerawi Agelglot), welche eine Mischung aus Militär- und
Zivildienst darstelle. Sie bestehe aus aktivem Nationaldienst (Militärdienst)
und zivilem Nationaldienst. Die allgemeine Wehrpflicht dauere grundsätz-
lich vom 18. bis zum 50. Lebensjahr, wobei deren Ableistung eigentlich auf
18 Monate beschränkt sei, allerdings könne diese seit dem 1998 ausgeru-
fenen Ausnahmezustand unbeschränkt bis ca. zum 50. Lebensjahr verlän-
gert werden, womit die Wehrpflicht auch nach Absolvierung des aktiven
Dienstes fortbestehe. Da er auch nach der Absolvierung der aktiven Dienst-
pflicht immer wieder unfreiwillig verschiedene Ausbildungen und Kurse
habe absolvieren müssen und dargelegt habe, dass dem auch in Zukunft
so gewesen wäre, sei davon auszugehen, dass seine Flucht während der
andauernden Dienstpflicht vom eritreischen Regime als Wehrdienstverwei-
gerung beziehungsweise Desertion betrachtet werde.


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Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung
von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und
entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend
– endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Der
Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung le-
gitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Be-
schwerde (Art. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG) ist einzutreten.
2.
2.1 Das Bundesverwaltungsgericht überprüft die angefochtene Verfügung
auf Verletzung von Bundesrecht sowie unrichtige und unvollständige Fest-
stellung des rechtserheblichen Sachverhalts hin (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
2.2 Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bilden einzig die
Fragen Flüchtlingseigenschaft, Asyl und Wegweisung. Der Wegweisungs-
vollzug ist nicht zu prüfen, nachdem die Vorinstanz die vorläufige Auf-
nahme zugunsten des Beschwerdeführers angeordnet hat.
3.
3.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grund-
sätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im
Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationali-
tät, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer
politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder be-
gründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als
ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Le-
bens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psy-
chischen Druck bewirken. Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen
Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausge-
setzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt
zu sein (Art. 3 AsylG).
3.2 Asylrelevante Nachteile im Sinne von Art. 3 AsylG können auch aus
einer Reflexverfolgung (sog. Sippenhaft) entstehen, bei welcher sich Ver-
folgungsmassnahmen abgesehen von der primär betroffenen Person auch
auf Familienangehörige und Verwandte erstrecken (zum Begriff der Re-
flexverfolgung BVGE 2007/19 E. 3.3 S. 225, unter Hinweis auf EMARK
1994 Nr. 5 E. 3h, 1994 Nr. 17).
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3.3 Beruft sich eine Person darauf, dass durch ihre illegale Ausreise (sog.
Republikflucht) oder durch ihr Verhalten nach der Ausreise aus dem Hei-
mat- oder Herkunftsstaat (insbesondere durch politische Exilaktivitäten)
eine Gefährdungssituation erst geschaffen worden ist, hat sie begründeten
Anlass zur Furcht vor künftiger Verfolgung, wenn der Heimat- oder Her-
kunftsstaat mit erheblicher Wahrscheinlichkeit vom fraglichen Umstand er-
fahren hat und die Person deshalb bei einer Rückkehr in flüchtlingsrecht-
lich relevanter Weise verfolgt würde (vgl. Urteil des BVGer E-5232/2015
vom 3. Februar 2015, E. 5.3). Durch Republikflucht zum Flüchtling wird
demzufolge, wer sich aufgrund der unerlaubten Ausreise mit Sanktionen
seines Heimatstaates konfrontiert sieht, die bezüglich ihrer Art, ihres Aus-
masses und der politischen Motivation des Staates ernsthafte Nachteile
gemäss Art. 3 Abs. 2 AsylG darstellen (vgl. CARONI/GRASDORF-
MEYER/OTT/SCHEIBER, Migrationsrecht, 3. Aufl. 2014, S. 239, 241). Solch
subjektive Nachfluchtgründe begründen zwar die Flüchtlingseigenschaft im
Sinne von Art. 3 AsylG, führen jedoch gemäss Art. 54 AsylG zum Aus-
schluss des Asyls, unabhängig davon, ob sie missbräuchlich oder nicht
missbräuchlich gesetzt wurden. Stattdessen werden Personen, welche
subjektive Nachfluchtgründe nachweisen oder glaubhaft machen können,
als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen (vgl. BVGE 2009/28 E. 7.1 m.w.H.).
3.4 Das Bundesverwaltungsgericht ging in seiner bisherigen Rechtspre-
chung davon aus, dass eine illegale Ausreise aus Eritrea als subjektiver
Nachfluchtgrund anzusehen war, weil illegal Ausgereiste bei einer Rück-
kehr nach Eritrea mit erheblichen Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG
rechnen mussten (vgl. Urteil des BVGer D-3892/2008 vom 6. Ap-
ril 2010, E. 5.3.3). Diese Rechtsprechung wurde jüngst aufgegeben. Das
Bundesverwaltungsgericht kam im Urteil D-7898/2015 vom 30. Januar
2017 (als Referenzurteil publiziert) nach einer eingehenden quellenge-
stützten Lageanalyse (E. 4.6-4.11) zum Schluss, dass die bisherige Praxis,
wonach eine illegale Ausreise per se zur Flüchtlingseigenschaft führte,
nicht mehr aufrechterhalten werden könne (E. 5.1). Es sei nicht mit über-
wiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass einer Person ein-
zig aufgrund ihrer illegalen Ausreise aus Eritrea eine asylrelevante Verfol-
gung drohe (a.a.O.). Nicht asylrelevant sei auch die Möglichkeit, dass je-
mand nach der Rückkehr in den Nationaldienst eingezogen werde; ob eine
drohende Einziehung in den Nationaldienst unter dem Blickwinkel von
Art. 3 EMRK und Art. 4 EMRK relevant sein könnte, betreffe die Frage der
Zulässigkeit bzw. Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs (a.a.O.). Für die
Begründung der Flüchtlingseigenschaft im eritreischen Kontext bedürfe es
neben der illegalen Ausreise zusätzlicher Anknüpfungspunkte, welche zu
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einer Verschärfung des Profils und dadurch zu einer flüchtlingsrechtlich re-
levanten Verfolgungsgefahr führen könnten (E. 5.2).
3.5 Wer um Asyl nachsucht, muss gemäss Art. 7 AsylG die Flüchtlingsei-
genschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen (Abs. 1). Grund-
sätzlich sind Vorbringen dann glaubhaft, wenn sie genügend substanziiert,
in sich schlüssig und plausibel sind; sie dürfen sich nicht in vagen Schilde-
rungen erschöpfen, in wesentlichen Punkten widersprüchlich sein oder der
inneren Logik entbehren und auch nicht den Tatsachen oder der allgemei-
nen Erfahrung widersprechen. Darüber hinaus muss die asylsuchende
Person persönlich glaubwürdig erscheinen, was insbesondere dann nicht
der Fall ist, wenn sie ihre Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Be-
weismittel abstützt (vgl. Art. 7 Abs. 3 AsylG), aber auch dann, wenn sie
wichtige Tatsachen unterdrückt oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des
Verfahrens Vorbringen auswechselt, steigert oder unbegründet nach-
schiebt, mangelndes Interesse am Verfahren zeigt oder die nötige Mitwir-
kung verweigert. Glaubhaftmachung bedeutet ferner im Gegensatz zum
strikten Beweis ein reduziertes Beweismass und lässt durchaus Raum für
gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen des Gesuchstellers.
Eine Behauptung gilt bereits als glaubhaft gemacht, wenn das Gericht von
ihrer Wahrheit nicht völlig überzeugt ist, sie aber überwiegend für wahr hält,
obwohl nicht alle Zweifel beseitigt sind. Für die Glaubhaftmachung reicht
es demgegenüber nicht aus, wenn der Inhalt der Vorbringen zwar möglich
ist, aber in Würdigung der gesamten Aspekte wesentliche und überwie-
gende Umstände gegen die vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung spre-
chen. Entscheidend ist im Sinne einer Gesamtwürdigung, ob die Gründe,
die für eine Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen
oder nicht; dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen (vgl.
BVGE 2012/5 E. 2.2; 2010/57 E. 2.3. Beim Geltendmachen von Wegwei-
sungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsge-
richts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingsei-
genschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis mög-
lich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE
2011/24 E. 10.2 m.w.H.).

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Seite 12
4.
Nachfolgend ist zu prüfen, ob das SEM die Flüchtlingseigenschaft des Be-
schwerdeführers gestützt auf die dargelegten Vorbringen zu Recht verneint
und sein Asylgesuch abgelehnt hat.
4.1
4.1.1 Hinsichtlich der geltend gemachten Furcht vor Konsequenzen wegen
des Arbeitsunfalls teilt das Bundesverwaltungsgericht die in der Beschwer-
deeingabe vom 25. November 2015 unbestritten gebliebene Auffassung
der Vorinstanz, wonach diese unbegründet und damit unbenommen von
deren Urheber nicht asylrelevant ist. Aus den Aussagen des Beschwerde-
führers geht hervor, dass er noch während Monaten nach dem fraglichen
Vorfall unbehelligt seiner Arbeit nachgehen konnte und sich mit keinen Un-
annehmlichkeiten durch seinen Arbeitgeber konfrontiert sah, weshalb der
mündlich ausgesprochenen und sich durch keine Massnahmen konkreti-
sierenden Drohung durch seinen direkten Vorgesetzten keine asylrele-
vante Bedeutung beizumessen ist.
4.1.2 Im Zusammenhang mit der behaupteten Reflexverfolgung wegen der
Flucht des Vaters des Beschwerdeführers nach Äthiopien steht fest, dass
der Beschwerdeführer beziehungsweise seine Familie den heimatlichen
Behörden eine Busse in der Höhe von 50'000 Nakfa bezahlen mussten.
Ausserdem soll der Beschwerdeführer weiteren Benachteiligungen – die
Verweigerung von Studienreisen ins Ausland, von Landerwerb und vom
Erwerb einer SIM-Karte fürs Natel – ausgesetzt gewesen sein. Wie die
Vorinstanz zutreffend festhält, bewirken die angeführten staatlichen Mass-
nahmen beziehungsweise Unterlassungen keinen unerträglichen psychi-
schen Druck und damit keinen ernsthaften Nachteil im Sinne von
Art. 3 Abs. 2 AsylG, weshalb die Gewährung von Asyl aufgrund der geltend
gemachten Reflexverfolgung ausser Betracht fällt.
4.1.3 Die allgemeinen Ausführungen in der Beschwerde- und Replikein-
gabe zum eritreischen Nationaldienst, der in der Regel im 18. Lebensjahr
angetreten und in militärischen und / oder zivilen Strukturen geleistet wird
und grundsätzlich auf 18 Monate beschränkt ist (wobei die Dienstpflicht bis
zum 50. Lebensjahr verlängert werden kann), stimmen mit den Kenntnis-
sen des Bundesverwaltungsgerichts und seiner darauf basierenden Recht-
sprechung überein (vgl. vorstehend Sachverhalt Bst. C.a und D.c). Ergän-
zend ist festzuhalten, dass der eritreische Nationaldienst verschiedenen
Schätzungen zufolge zwischen 200'000 und 600'000 Angehörige zählt,
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was bei einer Bevölkerungsanzahl im wehrdienstpflichtigen Alter von un-
gefähr 2 Millionen Einwohnern einem Prozentsatz zwischen 10 und 30 %
entsprechen dürfte (vgl.
factbook/geos/er.html und
nationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-d.pdf, mit weiteren
Verweisen, zuletzt besucht am 27. Februar 2017). Die restlichen Eritreerin-
nen und Eritreer im wehrdienstpflichtigen Alter dürfen (von vorliegend nicht
interessierenden Ausnahmen abgesehen) ihrem Leben als Zivilpersonen
nachgehen, haben sich jedoch als Reservisten zur Verfügung zu halten.
Nach eigenen Angaben trifft das auch auf den Beschwerdeführer zu, der
sich in der Beschwerdeeingabe als "Zivilperson während ihrer Berufsaus-
übung" und "Reservist" bezeichnet (vgl. Beschwerdeeingabe, S. 3). Unbe-
stritten ist somit, dass der Beschwerdeführer den ordentlichen Militärdienst
von 18 Monaten durchlaufen hat und anschliessend der Reserve zugeteilt
wurde. Aus seinen Ausführungen geht ferner nicht hervor, dass er im Zeit-
punkt der Ausreise ein Aufgebot zur Leistung eines militärischen Kurses
oder dergleichen erhalten hat, sondern lediglich, dass er sich "auch in Zu-
kunft" hierzu hätte zur Verfügung halten müssen (vgl. act. A17, F109). Der
Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Ausreise zwar im wehrdienstpflich-
tigen Alter, hatte als Reservist jedoch keinen Wehrdienst zu leisten. Folg-
lich konnte er sich diesem auch nicht durch Desertion entziehen.
4.1.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es dem Beschwerdeführer
nicht gelungen ist, eine im Zeitpunkt der Ausreise aus Eritrea bestehende
oder drohende, asylrechtlich relevante Gefährdung nachzuweisen oder
glaubhaft zu machen.
4.2 Es bleibt somit zu prüfen, ob der Beschwerdeführer wegen seiner Aus-
reise aus Eritrea bei einer Rückkehr dorthin – mithin wegen subjektiver
Nachfluchtgründe – befürchten müsste, ernsthaften Nachteilen im Sinne
von Art. 3 AsylG ausgesetzt zu werden.
4.2.1 Im Gegensatz zur Vorinstanz gelangt das Gericht zur Überzeugung,
dass es dem Beschwerdeführer gelungen ist, die illegale Ausreise glaub-
haft zu machen. Zwar trifft es zu, dass seine Ausführungen ein gewisses
Mass an Detailreichtum und verifizierbaren Fakten vermissen lassen. Al-
lerdings gibt es hierfür – zumindest überwiegend – nachvollziehbare
Gründe, welche der Beschwerdeführer bereits anlässlich des vorinstanzli-
chen Verfahrens dargelegt hat. Beispielsweise moniert die Vorinstanz,
dass er „von der Grenze“ keine Angaben gemacht habe. Dem ist entge-
genzuhalten, dass eine Person ohne einschlägige geolokale Kenntnisse
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den Grenzübertritt an einer nicht als solche ausgewiesenen Grenze kaum
bemerken kann. Wäre der Beschwerdeführer mit den erforderlichen Gege-
benheiten vertraut gewesen, hätte er die kostspielige Hilfe eines Schlep-
pers vermutlich nicht in Anspruch genommen. Sodann trifft es auch nicht
zu, dass er keine individualisierten Aussagen gemacht hat. Er gab an, sich
an die Namen von drei von vier Mitflüchtenden erinnern zu können, korri-
gierte anlässlich der Anhörung entstandene Missverständnisse (mit den
Mitflüchtenden habe er nicht gearbeitet, sondern sie hätten in J._______
[phon] oder C._______ gewohnt, wo sich auch sein Arbeitsort befunden
habe, weshalb man die Flucht gemeinsam angetreten habe) und schilderte
die wechselnden Landschaften (landwirtschaftliche, waldige und sandige
Gegenden, nicht asphaltierte Strassen, keine bewohnten Ortschaften) in
groben Zügen (vgl. act. 17, F83 ff.). Dass diese Reiseschilderung „so von
jeder Person abgegeben werden“ kann, erweist sich zwar als zutreffend,
muss jedoch im Kontext der tatsächlichen landschaftlichen Verhältnisse,
der anlässlich der Befragungen gestellten Fragen und des Aussageverhal-
tens des Beschwerdeführers gewürdigt werden. Hierzu ist festzuhalten,
dass zur illegalen Ausreise hauptsächlich faktenbasierte Fragen gestellt
wurden und sich damit zusammenhängende Antworten, selbst wenn sie
korrekt und vollständig beantwortet werden, in wenigen Worten erschöpfen
können. Die Antwort nach besonderen Vorkommnissen kann (wie vorlie-
gend) in Ermangelung von solchen kurz ausfallen und erlaubt noch keine
negativen Rückschlüsse (vgl. act. A17, F96). Auf die Antwort „das war das,
was ich gesehen habe, ich möchte nicht erzählen, was ich nicht gesehen
habe“, wäre eine gezielte Frage, welche seine subjektive Wahrnehmung
oder sein Innenleben zum Inhalt gehabt hätte, möglicherweise zielführend
gewesen (vgl. act. A17, F94). Bei der Durchsicht der Befragungsprotokolle
fällt auf, dass der Beschwerdeführer die gestellten Fragen überwiegend
sehr knapp, sachlich, wertungs- bzw. deutungsfrei und unter Ausklamme-
rung seiner jeweiligen Gefühlslage – sollte er sich dieser überhaupt gewahr
gewesen sein – beantwortet hat. Beispielsweise hat er die Frage, ob er die
Person auf einem bestimmten Foto sei, lediglich mit „Ja“ beantwortet (vgl.
act. A17, F62). Eine Person, welche sich das freie Erzählen gewohnt ist,
hätte vermutungsweise noch eine Präzisierung oder Ergänzung ange-
bracht, naheliegenderweise wann, wo und allenfalls unter welchen nähe-
ren Umständen die Aufnahme entstanden ist. Vorliegend lässt sich somit
kein Unterschied in der Erzählstruktur oder im Aussageverhalten bezüglich
der zumindest teilweise als glaubhaft, aber nicht asylrelevant eingestuften
Asylvorbringen und der als nicht glaubhaft beurteilten subjektiven Nach-
fluchtgründe ausmachen. Die karge Erzählweise lässt eher auf sein allge-
meines Unvermögen, Erlebtes reflektiert wiederzugeben, schliessen, als
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darauf, dass er das Vorgebrachte frei erfunden hat. Ferner erweisen sich
seine einschlägigen Darlegungen unbenommen von der bereits festgestell-
ten Detailarmut als in sich schlüssig, plausibel und widerspruchsfrei, zu-
dem wusste er die gestellten Fragen präzise zu beantworten, was ihm bei
der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der geltend gemachten illegalen Aus-
reise ebenfalls zugute zu halten ist. Sodann befinden sich in den Akten
keine Hinweise, welche auf eine legale Ausreise hindeuten würden. Im
Sinne einer Gesamtwürdigung und unter Anwendung des reduzierten Be-
weismassstabes sieht es das Gericht trotz gewisser Restzweifel als über-
wiegend erstellt an, dass der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat illegal,
das heisst ohne behördliches Ausreisevisum, verlassen hat. Indes ge-
langte das Bundesverwaltungsgericht im zur Publikation vorgesehenen Ur-
teil D-7898/2015 vom 30. Januar 2017 zum Schluss, dass die bisherige
Praxis, wonach eine illegale Ausreise aus Eritrea per se zur Flüchtlingsei-
genschaft führt, nicht mehr aufrechterhalten werden kann (vgl. vorstehend
E. 3.4).
4.2.2 Vorliegend konnte der Beschwerdeführer keinen Behördenkontakt
betreffend eine bereits versuchte illegale Ausreise aus Eritrea oder einen
allfälligen Einzug in den Nationaldienst glaubhaft machen, so dass er nicht
als Deserteur oder Refraktär gelten kann. Andere Anknüpfungspunkte,
welche ihn in den Augen des eritreischen Regimes als missliebige Person
erscheinen lassen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich (vgl. vorstehend
E. 4.1 f.). Das SEM hat demnach in der angefochtenen Verfügung berech-
tigterweise festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigen-
schaft nicht erfüllt. Es erübrigt sich, auf die weiteren Ausführungen in den
auf Beschwerdeebene gemachten Eingaben einzugehen, da sie an der
Würdigung des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts nichts zu ändern
vermögen.
5.
5.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis
nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme
(Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG [SR 142.20]).
5.2 Das SEM hat zufolge derzeitiger Unzumutbarkeit des Wegweisungs-
vollzugs die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers angeordnet. Da
die Wegweisungsvollzugshindernisse alternativer Natur sind (BVGE
2009/51 E. 5.4), erübrigen sich weitere Ausführungen zur Frage der Durch-
führbarkeit des Vollzugs.
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6.
6.1 Mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Be-
schwerdesache aufgrund der bestehenden Aktenlage spruchreif ist. Der
rechtserhebliche Sachverhalt ist ausreichend erstellt, und weitergehende
Abklärungen erweisen sich als nicht nötig. Damit besteht auch keine Ver-
anlassung, die Sache wie im Subeventualantrag beantragt zur Feststellung
des Sachverhalts und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuwei-
sen.
6.2 Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig so-
wie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und – soweit diesbezüglich
überprüfbar – angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.
7.
7.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Beschwer-
deführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da ihm mit Zwischenverfü-
gung vom 30. November 2015 die unentgeltliche Rechtspflege gemäss
Art. 65 Abs. 1 VwVG gewährt wurde, sind ihm indessen keine Verfahrens-
kosten aufzuerlegen.
7.2 Nachdem dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtsverbeistän-
dung gewährt und Herr MLaw Gian Ege als amtlicher Vertreter eingesetzt
wurde, ist ihm zu Lasten des Gerichts eine Entschädigung zu einem allen-
falls reduzierten Stundenansatz zuzusprechen (vgl. Art. 12 i.V.m. Art. 10
Abs. 2 VGKE). Der Rechtsvertreter reichte am 11. März 2016 eine Kosten-
note betreffend den Aufwand für das Beschwerdeverfahren ein. Der darin
ausgewiesene Gesamtaufwand beläuft sich auf Fr. 1665. (8 Stunden à
Fr. 200. zzgl. Auslagen im Umfang von Fr. 65., inkl. Mehrwertsteuer) und
erscheint in zeitlicher Hinsicht angemessen, allerdings ist der Stundenan-
satz auf Fr. 150. zu kürzen. Das amtliche Honorar ist auf insgesamt
Fr. 1265. (8 Stunden à Fr. 150. zzgl. Auslagen, inkl. Mehrwertsteuerzu-
schlag) festzusetzen und dem Rechtsvertreter MLaw Gian Ege vom Bun-
desverwaltungsgericht zu entrichten.
(Dispositiv nächste Seite)

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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
3.
Das Bundesverwaltungsgericht entrichtet dem Rechtsvertreter MLaw Gian
Ege ein amtliches Honorar in der Höhe von Fr. 1265..
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale
Migrationsbehörde.


Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Hans Schürch Martina Kunert


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