D-7563/2007 - Abteilung IV - Aufhebung vorläufige Aufnahme (Asyl) - Aufhebung der vorläufigen Aufnahme; Verfügung des ...
Karar Dilini Çevir:
D-7563/2007 - Abteilung IV - Aufhebung vorläufige Aufnahme (Asyl) - Aufhebung der vorläufigen Aufnahme; Verfügung des ...
Abtei lung IV
D-7563/2007
law/bah
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 6 . S e p t e m b e r 2 0 0 8
Richter Walter Lang (Vorsitz),
Richter Martin Zoller, Richter Robert Galliker,
Gerichtsschreiber Christoph Basler.
A._______, geboren (...),
Irak,
vertreten durch lic. iur. Daniel J. Senn,
Rechtsanwaltsbüro Senn, Somm & Stark, (...),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Aufhebung der vorläufigen Aufnahme; Verfügung des
BFM vom 8. Oktober 2007 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-7563/2007
Sachverhalt:
A.
A.a Der Beschwerdeführer, ein ethnischer Kurde mit letztem Wohnsitz
in Z._______ (Provinz Dohuk), suchte am 17. Juli 2001 in der Schweiz
um Asyl nach. Anlässlich der summarischen Befragung vom 23. Juli
2001 bzw. der Anhörung zu den Asylgründen vom 13. Dezember 2001
machte er zur Begründung seines Gesuchs im Wesentlichen geltend,
er habe sich während eines besuchsweisen Aufenthalts bei Verwand-
ten mit einem Mädchen verabredet. Bei einem Treffen habe er mit ihr
Geschlechtsverkehr gehabt; sein Cousin habe ihm am folgenden Tag
gesagt, die Familie des Mädchens habe davon Kenntnis erhalten und
bei seiner Tante nach ihm gefragt. Aus diesem Grund habe ihn sein
Vater in den Iran gebracht. Dort habe er erfahren, dass das Mädchen
getötet worden sei.
A.b Das Bundesamt stellte mit Verfügung vom 7. Oktober 2002 fest,
der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, und
lehnte das Asylgesuch ab. Gleichzeitig verfügte es die Wegweisung
aus der Schweiz und ordnete deren Vollzug an, wobei es den Vollzug
in den zentralstaatlich kontrollierten Teil des Iraks ausschloss.
B.
Mit Eingabe an die damals zuständige Schweizerische Asylrekurskom-
mission (ARK) vom 5. November 2002 beantragte der Beschwerdefüh-
rer die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Asylgewäh-
rung. Die ARK wies die Beschwerde mit Urteil vom 18. November
2002 vollumfänglich ab.
C.
C.a Das Bundesamt teilte dem Beschwerdeführer am 17. März 2005
mit, es beabsichtige, den mit Verfügung vom 7. Oktober 2002 ange-
brachten Vorbehalt hinsichtlich des Vollzugs in den zentralstaatlich
kontrollierten Teil des Iraks aufzuheben und ihm eine neue Ausreise-
frist anzusetzen. Gleichzeitig gewährte es ihm das rechtliche Gehör
zur beabsichtigten Aufhebung der vorläufigen Aufnahme.
C.b Der Beschwerdeführer reichte am 24. März 2005 eine Stellung-
nahme ein, worin er darlegte, weshalb er nicht in der Irak zurückkeh-
ren könne.
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C.c Mit Verfügung vom 17. Mai 2005 stellte das Bundesamt fest, der
Beschwerdeführer sei mit Verfügung vom 7. Oktober 2002 rechtskräftig
aus der Schweiz weggewiesen worden. Gleichzeitig hob es die Ziffer 4
des Dispositivs jener Verfügung auf, stellte fest, die Wegweisung sei
auch zum heutigen Zeitpunkt zulässig, zumutbar und möglich, und
setzte dem Beschwerdeführer - unter Androhung von Zwangsmitteln
im Unterlassungsfall - eine neue Frist zum Verlassen der Schweiz an.
C.d Mit Eingabe vom 17. Juni 2005 liess der Beschwerdeführer durch
seinen Rechtsvertreter gegen diesen Entscheid bei der ARK Be-
schwerde erheben und beantragen, es sei die Verfügung der Vorins-
tanz aufzuheben und es sei dem Beschwerdeführer die vorläufige Auf-
nahme in der Schweiz zu gewähren.
C.e Mit Verfügung vom 7. Oktober 2005 hob das BFM die Verfügung
vom 17. Mai 2005 sowie die Ziffern 4 bis 6 des Dispositivs der Verfü-
gung vom 7. Oktober 2002 auf und ordnete wiedererwägungsweise die
vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers an.
C.f Die ARK schrieb die Beschwerde vom 17. Juni 2005 mit Beschluss
vom 10. Oktober 2005 als gegenstandslos geworden ab.
D.
D.a Mit Schreiben vom 28. Juni 2007 teilte das Bundesamt dem Be-
schwerdeführer mit, es beabsichtige, die vorläufige Aufnahme in An-
wendung von Art. 14b Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (aANAG, BS 1 121)
aufzuheben. Aufgrund der Lage im Gebiet der kurdischen Autonomie-
verwaltung bestehe keine Rechtfertigung mehr für die vorläufige Auf-
nahme. Zudem befinde er sich seit dem 20. Dezember 2006 im vorzei-
tigen Strafvollzug. Es werde ihm qualifizierte Widerhandlung gegen
das Betäubungsmittelgesetz vom 3. Oktober 1951 (BetmG,
SR 812.121) zur Last gelegt. Gleichzeitig gewährte es ihm das rechtli-
che Gehör zur beabsichtigten Aufhebung der vorläufigen Aufnahme.
D.b In seiner Stellungnahme vom 13. August 2007 liess der Be-
schwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter beantragen, es sei auf
die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme zu verzichten. Eventuell sei
der Entscheid betreffend eine allfällige Aufhebung der vorläufigen Auf-
nahme bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Strafurteils bzw., für
den Fall seiner Verurteilung, für so lange aufzuschieben, als wegen
des Freiheitsentzugs rechtlich ohnehin kein Vollzug möglich wäre.
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E.
Das (...) sprach den Beschwerdeführer mit Urteil vom 1. Oktober 2007
wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG schuldig und
verurteilte ihn - unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 232
Tagen - zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.
F.
Das BFM hob mit Verfügung vom 8. Oktober 2007 die mit Verfügung
vom 7. Oktober 2005 angeordnete vorläufige Aufnahme auf, forderte
den Beschwerdeführer - unter Androhung von Zwangsmitteln im Unter-
lassungsfall - auf, die Schweiz nach der Entlassung aus dem Strafvoll-
zug zu verlassen, und beauftragte den Kanton (...) mit dem Vollzug der
Wegweisung. Gleichzeitig entzog es einer allfälligen Beschwerde die
aufschiebende Wirkung.
G.
Mit Eingabe vom 8. November 2007 liess der Beschwerdeführer durch
seinen Rechtsvertreter gegen diesen Entscheid beim Bundesverwal-
tungsgericht Beschwerde erheben und beantragen, die angefochtene
Verfügung sei vollumfänglich aufzuheben, die aufschiebende Wirkung
wiederherzustellen und es sei ihm die vollumfängliche unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.
H.
Mit Verfügung vom 13. November 2007 hiess der Instruktionsrichter
des Bundesverwaltungsgerichts das Gesuch um Gewährung der un-
entgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes
vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021) gut. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen un-
entgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 2 VwVG wies er ab.
Gleichzeitig hielt er fest, über das Gesuch um Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung werde allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt
befunden. Schliesslich räumte er dem BFM die Gelegenheit ein, eine
Vernehmlassung einzureichen.
I.
Das Bundesamt beantragte in seiner Vernehmlassung vom 30. Novem-
ber 2007 die Abweisung der Beschwerde.
J.
Der Beschwerdeführer liess dem Bundesverwaltungsgericht am
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20. Dezember 2007 mitteilen, er verzichte auf die Einreichung einer
Stellungnahme zur Vernehmlassung.
K.
Das (...) teilte dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 16.
Januar 2008 mit, das am 14. Januar 2008 vorsorglich angehobene
Berufungsverfahren sei formlos abzuschreiben, nachdem er am
15. Januar 2008 mitgeteilt habe, dass an der Berufung nicht
festgehalten werde.
L.
Gemäss einer Mitteilung des Amts für Justizvollzug des Kantons (...)
vom 23. Januar 2008 hat der Beschwerdeführer seine Strafe am 20.
Dezember 2006 (vorzeitig) angetreten. Der Vollzug ende am 1. Mai
2010; eine bedingte Entlassung sei ab 1. Januar 2009 möglich.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM
gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorins-
tanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende
Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesver-
waltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegen-
den Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich endgültig
(Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31];
Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[BGG, SR 173.110]).
1.2 Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht. Der Be-
schwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung berührt und hat
ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert
(Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1, Art. 50 und Art. 52 VwVG). Auf die
Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
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oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
3.1 Das Bundesamt führte zur Begründung seiner Verfügung aus, der
Beschwerdeführer sei zwar noch nicht rechtskräftig wegen qualifizier-
ter Widerhandlung gegen das BetmG verurteilt worden, aus der Ankla-
geschrift gehe jedoch hervor, dass er grundsätzlich zugebe, Bestim-
mungen des BetmG verletzt zu haben. Der vorzeitige Strafantritt setze
das Einverständnis des Angeklagten mit dieser Massnahme voraus.
Damit stehe fest, dass er grundsätzlich seine Schuld anerkenne. Der
vorzeitige Strafantritt setze voraus, dass eine unbedingte Freiheitsstra-
fe zu erwarten sei, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne,
er habe nur ein geringfügiges Delikt begangen. Unter diesen Umstän-
den stehe fest, dass der Beschwerdeführer die öffentliche Sicherheit
und Ordnung verletzt habe, womit die Anforderungen an die Anwen-
dung von Art. 14a Abs. 6 aANAG erfüllt seien. Dessen Anwendung
schliesse die Prüfung des Weiterbestehens von Vollzugshindernissen
im Sinne von Art. 14a Abs. 4 aANAG aus. Der Vollständigkeit halber
sei anzufügen, dass der Vollzug angesichts der derzeitigen Lage im
Nordirak zumutbar sei.
Ein Betäubungsmitteldelikt, das mit einer unbedingten Freiheitsstrafe
sanktioniert werde, wiege schwer. Entsprechend gross sei das Interes-
se der Öffentlichkeit, dass jemand, der sich ein solches Delikt habe
zuschulden kommen lassen, die Schweiz verlasse. Der Beschwerde-
führer habe sich weder beruflich noch sozial erfolgreich in die Schweiz
integriert. Durch die strafbaren Handlungen habe er die Gesundheit
von Einwohnern der Schweiz gefährdet, weshalb das Interesse der
Schweiz am Vollzug der Wegweisung dasjenige des Beschwerdefüh-
rers am Verbleib in der Schweiz überwiege. Nach den gesamten Um-
ständen seien die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme und damit der
Vollzug der Wegweisung angemessen, sofern sich dieser als zulässig
und möglich erweise.
Aus den Akten ergäben sich keine Hinweise dafür, dass dem Be-
schwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat mit be-
achtlicher Wahrscheinlichkeit eine durch Art. 3 der Konvention vom
4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
heiten (EMRK, SR 0.101) verbotene Strafe oder Behandlung drohe.
Der Vollzug sei deshalb zulässig. Ausserdem sei er technisch möglich
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und praktisch durchführbar.
Wegen der Delinquenz des Beschwerdeführers überwiege das
öffentliche Interesse der Schweiz am sofortigen Vollzug der
Wegweisung dasjenige des Beschwerdeführers am Verbleib in der
Schweiz, weshalb einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zu entziehen sei.
3.2 In der Beschwerde wird geltend gemacht, die vom Bundesamt vor-
gebrachte Begründung für den Entzug der aufschiebenden Wirkung
sei nicht stichhaltig. Ein sofortiger Vollzug der Wegweisung falle nicht
in Betracht, da der Beschwerdeführer voraussichtlich ohnehin bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Schweiz bleiben müs-
se. Eine sofortige Vollstreckung der angefochtenen Verfügung sei nicht
möglich. Das angerufene öffentliche Interesse der Schweiz an einem
allfälligen Vollzug der Wegweisung werde in keiner Weise gefährdet,
wenn er das vorliegende Verfahren im Strafvollzug abwarte.
Der Beschwerdeführer anerkenne grundsätzlich seine Schuld, habe
aber den Antrag gestellt, er sei zu nicht mehr als einer dreijährigen
Freiheitsstrafe zu verurteilen, wobei ihm der teilbedingte Vollzug zu ge-
währen sei. Vom (...) sei er wegen zweier gewichtiger Sachverhalte
verurteilt worden, bei welchen er die Täterschaft bestreite, weshalb er
eine Berufung in Betracht ziehe. Würden in diesen Punkten
zweitinstanzlich Freisprüche erfolgen, läge eine Freiheitsstrafe von
nicht mehr als drei Jahren in Reichweite. Vor dem Hintergrund der
Gerichtspraxis sei er sich allerdings bewusst, dass die Anwendung
von Art. 14a Abs. 6 aANAG zu erwarten gewesen sei.
Der Einschätzung der Sicherheitslage im Nordirak durch die Vorins-
tanz sei zu widersprechen. Die autonomen Kurdenregionen könnten
angesichts zahlreicher sicherheitsrelevanter Vorkommnisse keinesfalls
als „stabil“ oder „weitgehend ruhig“ bezeichnet werden. Aktuell beste-
he eine gravierende Gefährdung durch die Einmarschdrohungen der
Türkei. Die Sicherheitslage sei als sehr kritisch zu beurteilen. Ein neu-
er Krieg im Nordirak sei jederzeit möglich. Angesichts der allgemeinen
Lage im Nordirak halte der Beschwerdeführer den Vollzug der Wegwei-
sung als unzulässig und technisch unmöglich.
Die Vorinstanz mache geltend, es bestünden mehrere direkte Flugver-
bindungen aus dem Ausland in den Nordirak, unterlasse es aber zu
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präzisieren, welche Fluggesellschaften von wo aus im Moment noch
Flüge dorthin anböten. Er bestreite, dass es tatsächlich direkte
Verbindungen in den Nordirak gebe. Die Vorinstanz wäre anzuhalten,
ihre Behauptung bezüglich der angeblich existierenden
Flugverbindungen zu belegen. Es wäre dem Beschwerdeführer
aufgrund nicht vorhandener Direktflugverbindungen nicht möglich, sich
rechtmässig in seinen Heimatstaat zu begeben. Die Situation sei von
der Vorinstanz in jenem Zeitpunkt neu zu beurteilen, in welchem die
(eventuell bedingte) Entlassung aus dem Strafvollzug bevorstehe.
3.3 Das Bundesamt führt in seiner Vernehmlassung aus, wenn der Be-
schwerdeführer eine Haftstrafe von drei Jahren als angemessen er-
achte, stehe ausser Frage, dass er die öffentliche Sicherheit und Ord-
nung verletzt habe. Folglich sei die Aufhebung der vorläufigen Aufnah-
me gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer bestätige, dass die Anwen-
dung von Art. 14a Abs. 6 aANAG zu erwarten gewesen sei.
In der Beschwerde werde nicht zwischen dem geographischen Begriff
„Nordirak“ und dem kurdischen Autonomiegebiet unterschieden. Die
Anschläge, die sich im Herbst 2007 im Nordirak ereignet hätten, hätten
sich fast ausschliesslich ausserhalb des Autonomiegebiets zugetra-
gen. Es würden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer tat-
sächlichen Gefährdung des Beschwerdeführers nachgewiesen, weil
die blosse Schilderung einer allgemeinen Lage und die blosse Mög-
lichkeit einer Gefährdung durch Anschläge oder allfällige bewaffnete
Zusammenstösse dazu nicht ausreichten. Was die Möglichkeit des
Vollzugs betreffe, so bestehe gegenwärtig eine Flugverbindung Zürich
- Frankfurt a.M. - Amman - Arbil. Es sei nicht einzusehen, warum der
Beschwerdeführer keine Möglichkeit haben sollte, sich rechtmässig in
den Heimatstaat zu begeben.
4.
4.1 Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005
über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR 142.20) in Kraft ge-
treten; gleichzeitig ist das aANAG aufgehoben worden (vgl. Art. 125
i.V.m. Anhang Ziff I AuG). Gemäss Art. 126a Abs. 4 AuG gilt unter Vor-
behalt der Absätze 5-7 für Personen, die im Zeitpunkt des Inkrafttre-
tens der Änderung vom 16. Dezember 2005 des AsylG sowie des AuG
vorläufig aufgenommen sind, neues Recht.
Der Beschwerdeführer wurde mit Verfügung vom 7. Oktober 2005 ge-
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stützt auf Art. 44 Abs. 2 AsylG in der Fassung vom 26. Juni 1998
(AS 1999 2273) i.V.m. Art. 14a Abs. 4 aANAG vorläufig aufgenommen.
Aufgrund der übergangsrechtlichen Regelung gemäss Art. 126a Abs. 4
AuG ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren betreffend Aufhebung
der vorläufigen Aufnahme jedoch zu prüfen, ob die Voraussetzungen
für die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme nach neuem Recht, mit-
hin nach Art. 84 Abs. 2 AuG vorliegen.
4.2 Das BFM hebt die vorläufige Aufnahme auf und ordnet den Vollzug
der Weg- oder Ausweisung an, wenn die Voraussetzungen nicht mehr
gegeben sind (Art. 84 Abs. 2 AuG). Die Voraussetzungen für die vor-
läufige Aufnahme sind nicht mehr gegeben, wenn der Vollzug der
rechtskräftig angeordneten Wegweisung zulässig (Art. 83 Abs. 3 AuG)
und es der ausländischen Person möglich (Art. 83 Abs. 2 AuG) und zu-
mutbar (Art. 83 Abs. 4 AuG) ist, sich rechtmässig in ihren Heimat-, in
den Herkunftsstaat oder in einen Drittstaat zu begeben. Darüber hin-
aus kann es auf Antrag der kantonalen Behörden oder des Bundesam-
tes für Polizei eine wegen Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit des
Vollzuges (Art. 83 Abs. 2 und 4 AuG) angeordnete vorläufige Aufnah-
me aufheben und den Vollzug der Wegweisung anordnen, wenn Grün-
de nach Art. 83 Abs. 7 AuG gegeben sind. Gemäss letztgenannter Be-
stimmung wird die vorläufige Aufnahme nach Art. 83 Abs. 2 und 4 nicht
verfügt, wenn die weg- oder ausgewiesene Person zu einer längerfris-
tigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland verurteilt oder gegen sie eine
strafrechtliche Massnahme im Sinne von Artikel 64 oder 61 des Straf-
gesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0) angeordnet
wurde (Bst. a), wenn sie erheblich oder wiederholt gegen die öffentli-
che Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland versto-
ssen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Si-
cherheit gefährdet (Bst. b), oder wenn sie die Unmöglichkeit des Voll-
zugs der Weg- oder Ausweisung durch ihr eigenes Verhalten verur-
sacht hat (Bst. c).
4.3 Dem Entscheid über die Aufhebung der vorläufigen Aufnahme und
damit das Vorliegen von Vollzugshindernissen ist der aktuell bestehen-
de Sachverhalt zugrunde zu legen (vgl. EMARK 1997 Nr. 27 E. 4f
S. 211).
Der Beschwerdeführer ist mit Entscheid des (...) vom 1. Oktober 2007
wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG schuldig
gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt
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worden. Damit ist im Falle des Beschwerdeführers unzweifelhaft eine
Verurteilung zu einer längerfristigen (vgl. hierzu MARC SPESCHA und
PETER BOLZLI in MARC SPESCHA/HANSPETER THÜR/ANDREAS ZÜND/PETER BOLZLI,
Kommentar Migrationsrecht, Zürich 2008, Nr. 6 zu Art. 62 AuG, Nr. 22
zu Art. 83 AuG und N. 5 zu Art. 84 AuG) Freiheitsstrafe gegeben, wie
sie in Art. 83 Abs. 7 Bst. a AuG als Tatbestandsvariante für den
Ausschluss von einer vorläufigen Aufnahme wegen Unzumutbarkeit
oder Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs und - über den Verweis
in Art. 84 Abs. 3 AuG – auch für die Aufhebung der aus denselben
Gründen angeordneten vorläufigen Aufnahme festgeschrieben ist. Es
braucht deshalb nicht erörtert zu werden, ob der Beschwerdeführer
gleichzeitig auch den Ausschluss- beziehungsweise Aufhebungsgrund
von Art. 83 Abs. 7 Bst. b AuG erfüllt.
4.4 Klar präsentiert sich die Aktenlage hinsichtlich der vorzunehmen-
den Interessenabwägung (vgl. EMARK 2006 Nr. 23 E. 8.3. S. 247 ff.;
BVGE 2007/32 E. 3.7 S. 390 ff.; PETER BOLZLI, a.a.O. Nr. 6 zu Art. 84
und Nr. 23 zu Art. 83). Der Entscheid des (...) vom 1. Oktober 2007 ist
aufgrund der Erklärung des Rechtsvertreters vom 15. Januar 2008,
wonach an der Berufung nicht festgehalten werde, in Rechtskraft
erwachsen. Dem Entscheid ist zu entnehmen, dass der
Beschwerdeführer einen regen Handel mit Heroin und Kokain führte.
Für den Zeitraum von Februar 2005 bis 2. Mai 2006 lag unbestritte-
nermassen eine qualifizierte Widerhandlung gegen das BetmG vor
(Handel von rund 2,5 kg Heroin und von rund 100 g Kokain, Anstalten-
treffen für den Erwerb von Betäubungsmitteln im Gegenwert von
Fr. 40'000). Der Beschwerdeführer war nichtsüchtiger Händler und leg-
te eine bedeutende kriminelle Energie an den Tag. Sein Handel ging
weit über die Deckung des eigenen Lebensunterhalts hinaus.
Damit ist - ohne die Frage nach dem Risiko zukünftiger Straftaten zu
beleuchten (vgl. BVGE 2007/32 E. 3.7.3 S. 391) - ein erhöhtes öffentli-
ches Interesse am Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers zu
bejahen. Im Vergleich dazu wiegt das Interesse des Beschwerdefüh-
rers an einer Fortsetzung seines Aufenthalts in der Schweiz nur leicht.
Der Beschwerdeführer suchte im Jahre 2001 unter Angabe von Grün-
den, die sich im Rahmen einer Prüfung durch das Bundesamt als un-
glaubhaft herausgestellt haben (vgl. die Verfügung des Bundesamtes
vom 2. Oktober 2002) in der Schweiz um Asyl nach. Aufgrund der Ak-
ten ist nicht zu schliessen, dass sich der Beschwerdeführer in der
Schweiz in besonderem Mass integriert hätte. Ebenso kann eine mit
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dem Wegweisungsvollzug verbundene persönliche oder familiäre
Härte ausgeschlossen werden, da keine Hinweise auf besonders enge
und gefestigte Beziehungen zu Personen in der Schweiz vorliegen.
Der Beschwerdeführer verfügt in seinem Heimatland gemäss eigenen
Angaben zudem über ein verwandtschaftliches Beziehungsnetz, dem
es wirtschaftlich gut gehen soll (vgl. Entscheid des (...) S. 14). Die
Aufhebung der vorläufigen Aufnahme erweist sich unter diesen
Umständen nicht als unverhältnismässig.
5.
Nachdem der Beschwerdeführer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe
verurteilt wurde, mithin der Ausschlussgrund von Art. 83 Abs. 7 Bst. a
AuG vorliegt, braucht nicht geprüft zu werden, ob der Vollzug der Weg-
weisung unmöglich im Sinne von Art. 83 Abs. 2 AuG bzw. unzumutbar
im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG ist. Folglich erübrigt sich auch eine
Auseinandersetzung mit den in diesem Zusammenhang erhobenen
Einwänden in der Beschwerde. Zu prüfen bleibt hingegen, ob der Voll-
zug der Wegweisung zulässig ist (vgl. Art. 83 Abs. 3 AuG; EMARK
2006 Nr. 6 E. 4.2. S. 55).
5.1 Der Vollzug der Wegweisung ist nicht zulässig, wenn völkerrechtli-
che Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin
oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunfts- oder in einen Dritt-
staat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG).
So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land ge-
zwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus ei-
nem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Ge-
fahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden
(Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom
28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK,
SR 0.142.30]).
Gemäss Art. 25 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen
Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101), Art. 3 des Über-
einkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grau-
same, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Fol-
ter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
unterworfen werden.
Seite 11
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5.2 Der Grundsatz der Nichtrückschiebung gemäss Art. 5 Abs. 1
AsylG und Art. 33 Abs. 1 FK schützt nur Personen, welche die in Art. 3
AsylG beziehungsweise in Art. 1 A FK definierte Flüchtlingseigen-
schaft erfüllen.
Das Bundesamt hat mit Verfügung vom 7. Oktober 2002 festgestellt,
der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, weil der
von ihm zur Begründung des Asylgesuches geltend gemachte Sach-
verhalt, wonach er in seinem Heimatland aufgrund einer sittenwidrigen
Verbindung mit einem Mädchen gefährdet sei, widersprüchlich, unlo-
gisch und somit unglaubhaft dargelegt worden sei. Die ARK bestätigte
diese Würdigung im Urteil vom 18. November 2002. Aus diesem Grund
kommt das Prinzip des flüchtlingsrechtlichen Non-Refoulements im
vorliegenden Verfahren nicht zum Tragen. Eine Rückkehr des Be-
schwerdeführers in den Herkunftsstaat erweist sich demnach unter
dem Aspekt von Art. 5 AsylG und Art. 33 FK als rechtmässig.
Sodann ergeben sich weder aus seinen Vorbringen im abgeschlosse-
nen Asylverfahren noch aus den Akten des vorliegenden Aufhebungs-
verfahrens Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer für den
Fall einer Rückschiebung in den Heimatstaat mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen
Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre. Gemäss konstanter Praxis
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie
jener des UN-Anti-Folterausschusses müsste der Beschwerdeführer
eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen,
dass ihm im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Be-
handlung drohen würde (vgl. EMARK 2001 Nr. 16 E. 6a S. 122, mit
weiteren Hinweisen; statt vieler: Urteil des EGMR vom 27. Mai 2008
i.S. N. gegen Grossbritannien [Beschwerde-Nr. 26565/05], § 30). Sol-
ches vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, wobei diesbezüg-
lich auf die Ausführungen zur Flüchtlingseigenschaft im vorstehenden
Absatz bzw. in der rechtskräftigen Verfügung des Bundesamtes vom 7.
Oktober 2002 verwiesen werden kann (vgl. EMARK 2006 Nr. 4 E. 5.1.
S. 45 3. Absatz). Auch wenn es zu einem vorübergehenden Einmarsch
der türkischen Truppen in den Nordirak gekommen ist und auch künftig
weitere Schläge der türkischen Luftwaffe gegen die vom Nordirak aus
operierende PKK nicht ausgeschlossen werden können, ist das Bun-
desverwaltungsgericht der Auffassung, dass die allgemeine Men-
schenrechtssituation im Nordirak den Wegweisungsvollzug aus heuti-
ger Sicht nicht als unzulässig erscheinen lässt (vgl. BVGE 2008/4
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E. 6.2 - 6.6 S. 42 ff.). Der Vollzug der Wegweisung erweist sich mithin
sowohl im Sinne der asyl- als auch der völkerrechtlichen Bestimmun-
gen als zulässig.
6.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig
und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Be-
schwerde ist demnach abzuweisen.
7.
7.1 Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde sei wie-
derherzustellen, ist mit dem Entscheid in der Hauptsache gegen-
standslos geworden.
7.2 Der Vollständigkeit halber ist indessen festzuhalten, dass der Ent-
zug der aufschiebenden Wirkung kaum Sinn macht, wenn feststeht,
dass die von der Aufhebung der vorläufigen Aufnahme betroffene Per-
son noch längere Zeit in Haft bleibt. Die vom Bundesamt in der ange-
fochtenen Verfügung vertretene Auffassung, angesichts der Delin-
quenz des Beschwerdeführers überwiege das öffentliche Interesse der
Schweiz am sofortigen Vollzug der Wegweisung das private Interesse
des Beschwerdeführers, sich bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Verfahrens in der Schweiz aufhalten zu dürfen, ist insofern nicht nach-
vollziehbar, als es das öffentliche Interesse angesichts der Delinquenz
des Beschwerdeführers geradezu gebietet, dass sich dieser bis zum
Ende seiner Strafverbüssung in der Schweiz aufhalten muss.
8.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Beschwer-
deführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG). Da ihm mit Verfü-
gung vom 13. November 2007 die unentgeltliche Rechtspflege gemäss
Art. 65 Abs. 1 VwVG gewährt wurde, sind ihm jedoch keine Verfahren-
skosten aufzuerlegen.
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
3.
Dieses Urteil geht an:
- den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (Einschreiben)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit den Ak-
ten Ref.-Nr. N (...) (per Kurier; in Kopie)
- (...)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Walter Lang Christoph Basler
Versand:
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