D-7326/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Verfügung vom 27. September 1999 i.S. Asyl und Weg...
Karar Dilini Çevir:
D-7326/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Verfügung vom 27. September 1999 i.S. Asyl und Weg...
Abtei lung IV
D-7326/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 0 . F e b r u a r 2 0 0 8
Richter Thomas Wespi (Vorsitz),
Richter Robert Galliker, Richterin Madeleine Hirsig-
Vouilloz,
Gerichtsschreiber Stefan Weber.
A._______, geboren X._______, Türkei,
vertreten durch Jürg Walker, Fürsprecher und Notar,
B._______,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), vormals Bundesamt
für Flüchtlinge (BFF), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFF vom 27. Sep-
tember 1999 / N_______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-7326/2006
Sachverhalt:
A.
A.a Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 31. Oktober 1988 ein
Asylgesuch in der Schweiz. Das BFF wies mit Verfügung vom 9. Janu-
ar 1992 sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der
Schweiz an. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies die Schweizeri-
sche Asylrekurskommission (ARK) mit Urteil vom 9. Juni 1994 ab. Ge-
mäss einer Mitteilung der C._______ vom 22. Juli 1994 verschwand
der Beschwerdeführer nach dem zweitinstanzlichen Asylentscheid.
A.b Der Beschwerdeführer verliess gemäss eigenen Aussagen die
Türkei am 13. Juni 1997 und reiste am 17. Juni 1997 unter Umgehung
der Grenzkontrolle von einem unbekannten Drittland her in die
Schweiz ein, wo er durch seinen Rechtsvertreter am 20. Juni 1997 ein
schriftliches Asylgesuch stellte. Am 26. Juni 1997 erfolgte eine Kurzbe-
fragung in D._______. Das BFF befragte den Beschwerdeführer am 2.
Juli 1997 zu seinen Asylgründen. Zur Begründung seines Asylgesuchs
machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er habe sich
nach der Ablehnung seines ersten Asylgesuches nach E._______
begeben und dort im August 1994 ein Asylgesuch gestellt. Dieses sei
im Juli 1996 abgelehnt worden, worauf er sich im August 1996 in die
Türkei zurückbegeben habe. Sein Cousin D. S. (...) habe ihn dort im
September 1996 gewarnt, dass er gesucht werde. Er sei mit der
Identitätskarte seines ihm ähnlich sehenden Bruders in eine
Polizeikontrolle geraten und nach seinem (eigenen) Verbleib gefragt
worden. Dabei habe er festgestellt, dass die Behörden eine
Namensliste gehabt hätten, auf der er aufgeführt gewesen sei. Aus
Angst vor einer Festnahme durch die Behörden sei er im Juni 1997 in
die Schweiz ausgereist. Ausserdem habe er seinen Militärdienst noch
nicht geleistet. Falls er diesen absolviere, würde er gegen andere
Kurden eingesetzt werden. Bei seinem ersten Aufenthalt in der
Schweiz habe er Kontakte mit der Organisation F._______ gehabt und
diese mit Geld unterstützt. Er habe an Demonstrationen
teilgenommen. Insbesondere habe er sich 1993 an der Demonstration
vor der türkischen Botschaft in Bern beteiligt, bei welcher ein
Demonstrant von einem Botschaftsangehörigen erschossen worden
sei. Für die übrigen Aussagen wird auf die Akten verwiesen. Zum
Beleg seiner Vorbringen reichte der Beschwerdeführer in der Folge
verschiedene Dokumente als Beweismittel ein.
Seite 2
D-7326/2006
A.c Am 18. August 1997 forderte das BFF den Beschwerdeführer auf,
seine Teilnahme an der Demonstration vor der türkischen Botschaft in
Bern durch Zeitungsartikel oder Videoaufzeichnungen zu belegen. Mit
Eingabe vom 12. September 1997 teilte sein Rechtsvertreter mit, sein
Mandant sei dazu nicht in der Lage. Deshalb seien die bereits einge-
reichten Bestätigungen von Landsleuten zu berücksichtigen. Im Weite-
ren beantrage er, es sei eine Botschaftsabklärung vorzunehmen.
A.d Auf Anfrage des BFF teilten die G._______ Behörden mit, dass
der Beschwerdeführer am 11. August 1994 in E._______ eingereist
und am 22. Juli 1996 nach Unbekannt weggezogen sei; er habe sich
damit der bereits geplanten Abschiebung entzogen.
A.e Am 24. Februar 1999 beauftrage das BFF die H._______ mit
Abklärungen im vorliegenden Fall. Am 30. Juni 1999 wurde dem
Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu den Ab-
klärungsergebnissen gewährt. Dieser äusserte sich durch seinen Ver-
treter mit Eingaben vom 12. und 26. Juli 1999 und reichte Dokumente
als Beweismittel ein.
A.f Mit Schreiben vom 27. Juli 1999 wurden dem Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers Einsicht in Aktenauszüge aus dem G._______
Asylverfahren gewährt. Dazu äusserte sich der Beschwerdeführer mit
Eingabe vom 2. August 1999.
A.g Am 20. September 1999 stellte das BFF dem Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers antragsgemäss die Akten des ersten und des
zweiten Asylverfahrens zu. Für die Akten des ersten abgeschlossenen
Asylverfahrens erhob es per Nachnahme eine Gebühr von Fr. 35.50
zuzüglich Porto - insgesamt Fr. 48.50 - zu Lasten des Rechtsvertre-
ters.
B.
Mit Verfügung vom 27. September 1999 - eröffnet am 28. September
1999 - stellte das BFF fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flücht-
lingseigenschaft nicht, und lehnte das Asylgesuch ab. Gleichzeitig ord-
nete es die Wegweisung und deren Vollzug aus der Schweiz an. Zur
Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer
habe weder im Rahmen des ersten Asylverfahrens, welches mit Urteil
der ARK vom 9. Juni 1994 abgeschlossen worden sei, noch anlässlich
der in der Empfangsstelle durchgeführten Kurzbefragung des zweiten
Asylverfahrens Aktivitäten für die F._______ und
Seite 3
D-7326/2006
Demonstrationsteilnahmen erwähnt. Auch im G._______ Asylverfahren
habe er solche Aktivitäten nicht erwähnt. Es sei indes nicht
nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer seine Teilnahme an
der Mitte 1993 stattgefundenen Demonstration vor der türkischen
Botschaft in Bern nicht bereits im damals laufenden
Beschwerdeverfahren vorgebracht habe, falls er tatsächlich in den
Medien als Teilnehmer erkennbar gewesen sei. Auch anlässlich von
Kontakten mit dem BFF und der .C._______ im Juli 1994 zur Regelung
seiner Ausreise beziehungsweise der Abrechnung seines
Sicherheitskontos habe der Beschwerdeführer keine diesbezüglichen
Aussagen gemacht. Desgleichen habe er in der Empfangsstelle bei
der Kurzbefragung im Rahmen des zweiten Asylverfahrens keine
entsprechenden Aussagen gemacht. Somit seien die Behauptungen
des Beschwerdeführers, wonach er sich während seines ersten
Aufenthaltes in der Schweiz exilpolitisch betätigt habe und als
Demonstrationsteilnehmer an der Kundgebung vom Juni 1993 vor der
türkischen Botschaft in Bern in den Medien erkennbar gewesen sei,
als unglaubhaft zu bezeichnen. Der Beschwerdeführer habe
behauptet, in der Türkei gesucht zu werden. Gemäss den Abklärungen
der H._______ (...vom 22. Juni 1999) bestünden in der Türkei aber
weder ein gemeinrechtliches noch ein politisches Datenblatt über den
Beschwerdeführer. Hingegen hätten die Abklärungen ergeben, dass er
von der Gendarmerie von I._______ gesucht werde, weil er seinen
Militärdienst noch nicht geleistet habe. Die aktive Bekämpfung der
kurdischen Guerillaeinheiten werde in der Regel durch die
Spezialeinheiten von Armee und Polizei vorgenommen. Diese
Spezialeinheiten seien durchwegs aus nationalistisch eingestellten
türkischen Staatsangehörigen zusammengestellt, weshalb ein
allfälliger militärischer Einsatz des Beschwerdeführers im Osten der
Türkei - wie auch ein militärstrafrechtliches Vorgehen wegen
Dienstversäumnis - keinen asylrechtlich relevanten Nachteil für den
Beschwerdeführer darstelle. Was die behaupteten exilpolitischen
Aktivitäten im Zusammenhang mit der Besetzung des türkischen
(recte: griechischen) Konsulats in Zürich betreffe, so werde im
eingereichten Zeitungsartikel (J._______) vom 17. Februar 1999 der
Name des Beschwerdeführers nicht genannt und das Foto sei nicht
derartig eindeutig, dass eine Identifikation zweifelsfrei möglich sei. Von
einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen politischer Aktivitäten
im Ausland sei aber nur dann auszugehen, wenn diese offenkundig
den türkischen Behörden zur Kenntnis gelangt seien, der Betreffende
in Medienerzeugnissen unverwechselbar als militanter Aktivist
Seite 4
D-7326/2006
namentlich erkennbar sei oder eine Kaderfunktion ausübe. Diese
Voraussetzungen seien beim Beschwerdeführer nicht erfüllt. Diese
Beurteilung werde dadurch bestätigt, dass die Abklärungen der
H._______, welche nach der Teilnahme des Beschwerdeführers an der
Besetzung des griechischen Konsulats in Zürich erfolgt seien, mit
Ausnahme des erwähnten militärrechtlichen Verfahrens nichts
Nachteiliges gegen den Beschwerdeführer ergeben hätten. Vor diesem
Hintergrund entbehrten sämtliche eingereichten Schreiben, mit
welchen der Beschwerdeführer seine angebliche Verfolgung in seinem
Heimatstaat beweisen wolle, jeglicher Beweiskraft. Nach dem
Gesagten erfüllten die Vorbringen des Beschwerdeführers weder die
Anforderungen an die Glaubhaftigkeit noch diejenigen an die
Flüchtlingseigenschaft. Der Wegweisungsvollzug sei durchführbar.
C.
Mit Beschwerde vom 28. Oktober 1999 an die ARK stellte der Be-
schwerdeführer durch seinen Vertreter folgende Rechtsbegehren:
"1. Die Verfügung des BFF vom 27. September 1999 sei aufzuheben.
2. Es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer ein Flüchtling ist.
3. Dem Beschwerdeführer sei in der Schweiz Asyl zu gewähren. 4. Die
Wegweisung sei unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens aufzu-
heben. 5. Bei einer Bestätigung von Asylverweigerung und Wegwei-
sung sei der Beschwerdeführer in der Schweiz vorläufig aufzunehmen.
6. Die Zwischenverfügung des BFF vom 20. September 1999 sei im
Kostenpunkt aufzuheben. Das BFF sei zu verpflichten, dem Unter-
zeichneten die erhobenen Fr. 48.50 inkl. Porto und Nachnahmegebühr
zurückzuerstatten. 7. Dem Beschwerdeführer sei die unentgeltliche
Rechtspflege mit unentgeltlicher Verbeiständung durch den Unter-
zeichneten zu gewähren. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu-
lasten des Bundes."
Auf die Begründung und auf die als Beweismittel eingereichten Doku-
mente, auf die Beweisanträge sowie auf die weiteren Eingaben wird,
soweit für den Entscheid wesentlich, in den Erwägungen eingegangen.
D.
Mit Zwischenverfügung vom 10. November 1999 wies der zuständige
Instruktionsrichter der ARK das Gesuch um Beigabe eines Anwaltes
ab und verwies die Beurteilung des Gesuchs um unentgeltliche
Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR
Seite 5
D-7326/2006
172.021) in den Endentscheid; antragsgemäss verzichtete er auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses.
E.
In ihrer Vernehmlassung vom 1. Dezember 1999 beantragte die Vorins-
tanz die Abweisung der Beschwerde.
F.
F.a Am 23. Dezember 1999 heiratete der Beschwerdeführer in der
Schweiz die türkische Staatsangehörige Z. D., welche am 20. Juni
1996 als Flüchtling anerkannt worden war und Asyl erhalten hatte. Sie
besitzt eine Niederlassungsbewilligung für den Kanton Luzern.
F.b Am 15. September 2003 wurde mit Urteil des K._______ die Ehe
des Beschwerdeführers geschieden.
G.
G.a Mit Zwischenverfügung vom 27. Juli 2005 orientierte der zuständi-
ge Instruktionsrichter der ARK den Rechtsvertreter des Beschwerde-
führers über die Scheidung und gab ihm Gelegenheit, sich dazu sowie
zu allfälligen, in der Zwischenzeit eingetretenen entscheidwesentli-
chen Umständen zu äussern.
G.b Innert erstreckter Frist liess der Beschwerdeführer mit Eingabe
vom 26. August 2005 vorbringen, das L._______ prüfe zurzeit die
allfällige Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Die Frage, ob er im
Besitze der Aufenthaltsbewilligung bleibe beziehungsweise ob diese
verlängert werde, sei eine für das Asylbeschwerdeverfahren wichtige
Vorfrage. Er ersuche deshalb um Sistierung des
Asylbeschwerdeverfahrens bis zum Vorliegen des rechtskräftigen
Entscheids über die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Sollte
eine Sistierung nicht als opportun erscheinen, sei die Frist für eine
Stellungnahme bis nach gewährter Einsicht in die Akten des
L._______ zu erstrecken.
H.
Mit Eingabe vom 31. August 2005 teilte der Rechtsvertreter des Be-
schwerdeführers mit, dass das L._______ seinem Mandanten mit
Schreiben vom 29. August 2005 zur beabsichtigten Verweigerung der
Verlängerung dessen Aufenthaltsbewilligung das rechtliche Gehör
Seite 6
D-7326/2006
gewährt habe. Sollte die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung
tatsächlich verweigert werden, müsste die kumulierte langjährige
Anwesenheit sowohl in der Schweiz als auch in E._______ als eine
schwerwiegende persönliche Notlage angesehen werden, welche
einem Wegweisungsvollzug entgegenstehen würde. Da sich die Frage
der Wegweisung erst dann überhaupt stellen könne, wenn die
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung verweigert werden sollte,
müsse das Asylbeschwerdeverfahren bis zum Vorliegen des
rechtskräftigen Entscheides über die Verlängerung der Aufenthaltsbe-
willigung sistiert werden.
I.
Mit Verfügung des L._______ vom 27. September 2007 wurde die
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung B verweigert. Diese
Verfügung wurde bei den zuständigen Behörden angefochten.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni
2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG, sofern keine Aus-
nahme nach Art. 32 vorliegt. Als Vorinstanzen gelten die in Art. 33 und
34 VGG genannten Behörden. Dazu gehören Verfügungen des BFM
gestützt auf das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31);
das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in diesem Bereich endgül-
tig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes
vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). In materieller Hinsicht gilt für
die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Asylgesetzes - mithin
am 1. Oktober 1999 - hängigen Verfahren das neue Recht (Art. 121
Abs. 1 AsylG).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die bei der
vormaligen ARK hängigen Rechtsmittel übernommen und ist daher zu-
ständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde. Die Beurtei-
lung erfolgt nach neuem Verfahrensrecht (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.3 Gemäss Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 107 AsylG entscheidet das Bun-
desverwaltungsgericht endgültig über Beschwerden gegen selbststän-
dig anfechtbare Zwischenverfügungen des Bundesamtes betreffend
Seite 7
D-7326/2006
Asyl und ist auch für die Behandlung von Beschwerden gegen einen
Entscheid der Vorinstanz über die Akteneinsicht nach abgeschlosse-
nem Verfahren sachlich zuständig.
Das als nicht selbständig anfechtbare "Zwischenverfügung" bezeichne-
te Schreiben des BFF vom 20. September 1999 an den Rechtsvertre-
ter des Beschwerdeführers stellt wegen der darin enthaltenen Kosten-
auflage, die letztendlich den Beschwerdeführer trifft, in materieller Hin-
sicht eine Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Bst. a VwVG dar, wel-
che gemäss Art. 44 VwVG grundsätzlich mittels Verwaltungsbeschwer-
de angefochten werden kann.
1.4 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
halts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
1.5 Aus prozessökonomischen Gründen ergeht über das Beschwerde-
verfahren betreffend Asyl- und Wegweisung sowie über dasjenige be-
züglich Kostenauflage ein gemeinsames Urteil.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Verfügungen
betreffend Asyl und Wegweisung sowie Kostenauflage berührt, wes-
halb seine Legitimation gegeben ist; auf die frist- und formgerecht ein-
gereichte Beschwerde ist einzutreten (vgl. Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48
Abs. 1 und 50 ff. VwVG).
2.2 Da sich die Frage der Wegweisung und deren Vollzuges im vorlie-
genden Beschwerdeverfahren aufgrund der erteilten Aufenthaltsbewilli-
gung nicht stellt (vgl. E. 7.2 nachfolgend), wird das Gesuch um Sistie-
rung des Asylbeschwerdeverfahrens abgewiesen. Das Gesuch um Er-
streckung der Frist zu ergänzenden Äusserungen wird ebenfalls abge-
wiesen, weil in der Eingabe vom 26. August 2005 keine Gründe ge-
nannt werden, inwiefern zur Frage der Anerkennung als Flüchtling und
der Gewährung von Asyl noch Stellung genommen werden will, und es
Sache der zuständigen Ausländerbehörden ist, bei einer allfälligen
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung über die Wegweisung
und deren Vollzug zu befinden.
Seite 8
D-7326/2006
3.
Vorab ist festzustellen, dass im Zeitpunkt des Akteneinsichtsgesuchs
das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers rechtskräftig abge-
schlossen war. Ausschlaggebend ist aber, dass an den Nachweis ei-
nes schutzwürdigen Interesses an der Einsicht in die eigenen Person-
endaten nach abgeschlossenem Verfahren keine hohen Anforderun-
gen zu stellen sind (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schwei-
zerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1997 Nr. 7 E. 2c S. 52). Der
Beschwerdeführer hatte ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht
in die Akten seines ersten Asylverfahrens, zumal auch die Vorinstanz
diese Akten selbst beizog, andernfalls die Feststellung des BFF in der
angefochtenen Verfügung, wonach der Beschwerdeführer in der
Schweiz bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen habe, gar
nicht möglich gewesen wäre. Da die Vorinstanz praxisgemäss keine
Gebühren für die Einsicht in Akten verlangt, die im weitesten Sinn als
Grundlage eines hängigen Verfahrens herangezogen werden, ist die
vom BFF angeordnete Kostenauflage in der Höhe von Fr. 48.50 aufzu-
heben und die Vorinstanz ist anzuweisen, diesen, beim Rechtsvertre-
ter per Nachnahme erhobenen Betrag dem Rechtsvertreter des Be-
schwerdeführers zurückzuerstatten.
4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe das
rechtliche Gehör verletzt, indem ihm zwar Akteneinsicht gewährt, aber
keine Frist zur Stellungnahme gesetzt worden sei und er somit keine
Gelegenheit gehabt habe, vor Erlass der vorinstanzlichen Verfügung
eine Stellungnahme abzugeben.
4.2 Der Anspruch auf vorgängige Anhörung gemäss Art. 30 Abs. 1
VwVG, wonach eine Behörde sich beim Erlass ihrer Verfügung nicht
auf Tatsachen abstützen darf, zu denen der von der Verfügung Betrof-
fene sich nicht vorgängig äussern und diesbezüglich Beweis führen
konnte, bezieht sich gemäss herrschender Lehre und Praxis auf sämt-
liche Fragen der Tatbestandsaufnahme, soweit sie sich für die Ermitt-
lung des rechtserheblichen Sachverhalts als wesentlich und für die zu
treffende Entscheidung als ausschlaggebend darstellen; bezüglich Fra-
gen der rechtlichen Beurteilung und Würdigung ist dem Betroffenen
demgegenüber in der Regel vorgängig keine Stellungnahme einzuräu-
men, es sei denn, die Behörde gedenke, sich in ihrem Entscheid auf
einen durchaus unüblichen, nicht voraussehbaren Rechtsgrund abzu-
Seite 9
D-7326/2006
stützen (ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwal-
tungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 314, S. 115).
Ein Anspruch eines Asylsuchenden, sich vor Erlass einer entsprechen-
den Verfügung durch das BFM zur rechtlichen Würdigung seiner Asyl-
vorbringen, namentlich zu deren Subsumption unter Art. 3 AsylG äu-
ssern zu können, lässt sich mithin aus Art. 30 Abs. 1 VwVG nicht ablei-
ten. Im Weiteren ergibt sich aus Art. 30 Abs. 1 VwVG auch nicht ein
Anspruch eines Asylsuchenden, zu seinen eigenen, im Verlauf des
Asylverfahrens deponierten Aussagen vor Erlass einer entsprechen-
den Verfügung Stellung zu nehmen. Allenfalls kann es im Rahmen des
Untersuchungsgrundsatzes aufgrund der Pflicht zur vollständigen und
richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes geboten er-
scheinen, einen Asylsuchenden - namentlich zur allfälligen Klärung
aufgetretener Ungereimtheiten oder Widersprüche - mit seinen eige-
nen früheren Aussagen zu konfrontieren und ihm diesbezüglich die
Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen (vgl. EMARK 1994
Nr. 13 S. 111 ff.). Der Anspruch auf vorgängige Anhörung, wie Art. 30
Abs. 1 VwVG den in Art. 29 VwVG verankerten Anspruch auf rechtli-
ches Gehör konkretisiert, wird indessen im Rahmen der Anhörung zu
den Asylgründen nach Art. 29 AsylG selber wahrgenommen; indem ein
Asylsuchender im Rahmen der Anhörung seine Asylgründe darlegt,
nimmt er an den entsprechenden Beweiserhebungen unmittelbar teil.
Damit stellt die Anhörung eines Asylsuchenden zu seinen Asylgründen
gemäss Art. 29 AsylG selber einen Teil der Gewährung des rechtlichen
Gehörs dar, und ein weiterer Anspruch, zum Beweisergebnis der
Anhörung Stellung zu nehmen, besteht nicht. Auch wenn das BFF auf
ein frühzeitig gestelltes Akteneinsichtsgesuch hin die Akten ohne
triftigen Grund erst kurz vor dem Entscheidversand zustellt, verletzt
dies den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht, widerspricht jedoch
dem Grundsatz der Verfahrensfairness sowie der Verfahrensökonomie
(vgl. EMARK 2001 Nr. 8 S. 49 ff.). Vorliegend stellte der
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers Akteneinsichtsgesuche am
16. Juli 1997 und 2. August 1999 (vgl. B13/1 und B28/1). Akteneinsicht
wurde ihm am 20. September 1999 gewährt, der Entscheid erging
sieben Tage später. Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass der
Rechtsvertreter bei der direkten Anhörung anwesend war (vgl. B9/5,
S. 1) und ihm mehrere Male das rechtliche Gehör zu Abklärungen
gewährt wurde (vgl. B24/3, B27/2), weshalb er über wesentliche
Verfahrensvorgänge bereits informiert war und somit der Anspruch des
Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht verletzt wurde.
Seite 10
D-7326/2006
5.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grund-
sätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine Person anerkannt, wenn sie in
ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt wohnte, wegen ihrer
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaf-
ten Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat, solchen
Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten na-
mentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder Freiheit sowie Mass-
nahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken; den
frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen (Art. 3
AsylG).
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Glaubhaft gemacht ist die Flücht-
lingseigenschaft, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwie-
gender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbe-
sondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet
oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen
oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abge-
stützt werden (Art. 7 AsylG).
Flüchtlingen wird kein Asyl gewährt, wenn sie erst durch ihre Ausreise
aus dem Heimat- oder Herkunftsstaat oder wegen ihres Verhaltens
nach der Ausreise Flüchtlinge im Sinne von Artikel 3 wurden (Art. 54
AsylG).
6.
6.1 Gemäss EMARK 1993 Nr. 3 S. 11 kommt den Aussagen in der
Empfangsstelle zu den Ausreisegründen angesichts des summari-
schen Charakters dieser Befragung für die Beurteilung der Glaubhaf-
tigkeit der vorgebrachten Asylgründe zwar nur ein beschränkter Be-
weiswert zu. Widersprüche dürfen aber für die Beurteilung der Glaub-
haftigkeit der Vorbringen dann herangezogen werden, wenn klare Aus-
sagen in der Empfangsstelle in wesentlichen Punkten der Asylbegrün-
dung von den späteren Aussagen in der Befragung beim Kanton oder
beim Bundesamt diametral abweichen, oder wenn bestimmte Ereignis-
se oder Befürchtungen, welche später als zentrale Asylgründe genannt
werden, nicht bereits in der Empfangsstelle zumindest ansatzweise er-
wähnt werden.
Seite 11
D-7326/2006
Anlässlich der Kurzbefragung vom 26. Juni 1997 in der Empfangsstelle
erwähnte der Beschwerdeführer mit keinem Wort, 1993 an der De-
monstration vor der türkischen Botschaft in Bern beteiligt gewesen zu
sein. Desgleichen brachte der Beschwerdeführer bei der Kurzeinver-
nahme in der Empfangsstelle nicht vor, für die PKK exilpolitisch tätig
gewesen zu sein, obwohl ihn dies - hätte sich der Beschwerdeführer
während seines ersten Asylverfahrens tatsächlich für diese Organisati-
on engagiert - bei einer Rückkehr in sein Heimatland asylrechtlich re-
levanter Verfolgung hätte aussetzen können. Die Teilnahme an der De-
monstration in Bern vor der türkischen Botschaft sowie exilpolitische
Tätigkeiten während des ersten Asylverfahrens machte er erst bei der
Anhörung durch das BFF geltend. Angesichts der vom Befrager in der
Empfangsstelle gestellten Frage nach anderen Verfolgungsgründen
(vgl. B1/8, S. 4) und des Umstandes, dass die Teilnahme an der De-
monstration in Bern und die exilpolitischen Tätigkeiten einen wesentli-
chen Bestandteil des zweiten Asylgesuches darstellen, ist das vorer-
wähnte Aussageverhalten des Beschwerdeführers nicht nachvollzieh-
bar und lässt auf die Unglaubhaftigkeit seiner diesbezüglichen Vorbrin-
gen schliessen.
6.2
6.2.1 Im Zusammenhang mit den geltend gemachten exilpolitischen
Tätigkeiten ist Folgendes festzuhalten:
Subjektive Nachfluchtgründe sind dann anzunehmen wenn eine asyl-
suchende Person erst durch die Flucht aus dem Heimat- oder Her-
kunftsstaat oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise eine Verfol-
gung im Sinne von Art. 3 AsylG zu befürchten hat. Personen mit sub-
jektiven Nachfluchtgründen erhalten zwar gemäss Art. 54 AsylG kein
Asyl, werden jedoch als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen (vgl.
EMARK 2000 Nr. 16 E. 5a S. 141 f., mit weiteren Hinweisen). Massge-
bend ist, ob die türkischen Behörden das Verhalten des Asylsuchen-
den als staatsfeindlich einstufen und dieser deswegen bei einer Rück-
kehr in den Heimatstaat eine Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG be-
fürchten muss. Es bleiben damit die Anforderungen an den Nachweis
einer begründeten Furcht massgeblich (Art. 3 und 7 AsylG). Der Asyl-
ausschlussgrund von Art. 54 AsylG ist absolut zu verstehen und mithin
unabhängig davon anzuwenden, ob Nachfluchtgründe missbräuchlich
gesetzt worden sind oder nicht (vgl. EMARK 1995 Nr. 7 E. 7 S. 66 ff.;
Seite 12
D-7326/2006
Botschaft zur Totalrevision des Asylgesetzes vom 4. Dezember 1995,
BBl 1996 II 73). Es ist daher nicht entscheidend, welchen mutmassli-
chen Zweck die asylsuchende Person durch ihre exilpolitischen Tätig-
keiten zu erreichen versucht hat.
6.2.2 In genereller Hinsicht ist im Weiteren darauf hinzuweisen, dass
nach konstanter Praxis der Schweizer Asylbehörden bei türkischen
Asylsuchenden das blosse Einreichen eines Asylgesuches keinen sub-
jektiven Nachfluchtgrund im Sinne von Art. 54 AsylG darstellt. Die
blosse Teilnahme an Demonstrationen gelangt in der Regel nicht zur
Kenntnis der heimatlichen Behörden eines Asylgesuchstellers und
führt bei dessen Rückweisung nicht zwingend zu einer konkreten Ge-
fährdung. Ferner reicht auch allein die mögliche Identifizierbarkeit des
Beschwerdeführers nicht aus zur Annahme, er hätte deswegen bei ei-
ner Rückkehr in die Türkei eine Verfolgung zu befürchten, zumal sich
der Beschwerdeschrift weder Hinweise noch den Akten Beweismittel
entnehmen lassen, der Beschwerdeführer hätte sich in der Schweiz
besonders hervorgetan oder exponiert. Angesichts von regimekriti-
schen Aktivitäten von türkischen Staatsangehörigen in ganz Westeuro-
pa erscheint es somit unwahrscheinlich, dass die heimatlichen Behör-
den von den behaupteten Exilaktivitäten des Beschwerdeführers so-
weit Notiz genommen haben, dass sie ihn hier in der Schweiz identifi-
ziert hätten und ihn bei einer Rückkehr in die Türkei deswegen verfol-
gen würden.
6.2.3 Zum Beweis seiner Teilnahme an der Demonstration im Bern im
Jahre 1993 beantragt der Beschwerdeführer die Einvernahme von T.
M., I. Y. und U. A. als Zeugen. Der Beschwerdeführer bringt vor, bei
diesen Personen handle es sich um anerkannte Flüchtlinge, weshalb
von ihrer Glaubwürdigkeit auszugehen sei; diese Personen könnten
seine Teilnahme an besagter Demonstration bezeugen. Bei der Zulas-
sung der Beweismittel ist zu beachten, dass die Wahrung des rechtli-
chen Gehörs grundsätzlich verlangt, die angebotenen Beweise abzu-
nehmen. Davon darf indes im Sinne einer vorweggenommenen (antizi-
pierten) Beweiswürdigung abgesehen werden, wenn einerseits auf-
grund bereits abgenommener Beweise (in casu die Aussagen des Be-
schwerdeführers) der rechtlich erhebliche Sachverhalt für genügend
geklärt erachtet wird und ohne Willkür vorweg die Annahme getroffen
werden kann, die rechtliche Überzeugung würde durch weitere Be-
weiserhebungen nicht geändert (vgl. EMARK 2003 Nr. 13 S. 82 ff.;
KÖLZ/HÄNER, a.a.O., Rz. 111, S. 39 mit Hinweis auf BGE 122 V 162, 119
Seite 13
D-7326/2006
Ib 505 f.). Anderseits müssen die angebotenen Beweise tauglich sein,
den behaupteten Sachverhalt zu beweisen, andernfalls können die
entsprechenden Beweisanträge von vornherein abgewiesen werden.
Aus dem Dossier von I. Y. - der Beschwerdeführer nahm mit Eingabe
vom 22. Dezember 1999 zur vorinstanzlichen Vernehmlassung, in der
die wesentlichen Gründe aufgeführt sind, Stellung - lassen sich keine
Anhaltspunkte entnehmen, dass sich dieser an der besagten De-
monstration beteiligte und dabei von der Polizei verhaftet wurde; die
Asylgewährung steht in keinem Zusammenhang damit. Besteht dem-
nach kein Beweis für die Teilnahme von I. Y. an besagter Kundgebung,
so kann dieser auch nicht die Teilnahme des Beschwerdeführers be-
zeugen. Im Weiteren ergibt sich aus den Asylakten von U. A., dass die
Vorinstanz die Unglaubhaftigkeit der von ihm geltend gemachten
Verfolgungsmassnahmen in der Türkei feststellte. Die Anerkennung als
Flüchtling und die vorläufige Aufnahme erfolgten nur wegen
subjektiver Nachfluchtgründe (Teilnahme an der erwähnten
Kundgebung). U. A. erhob gegen diesen Entscheid keine Beschwerde,
womit rechtskräftig feststeht, dass er im Rahmen seines
Asylverfahrens unglaubhafte Aussagen machte. Die Aussagen von T.
M., der ebenfalls wegen der Teilnahme an der Demonstration vom
24. Juni 1993 zufolge subjektiver Nachfluchtgründe als Flüchtling
vorläufig aufgenommen wurde, wurden im vorinstanzlichen Verfahren
als unglaubhaft erachtet, soweit sie sich auf die Vorfluchtgründe
bezogen. Dies wurde mit Urteil der ARK bestätigt. Zudem sollen U. A.
und T. M. zum politischen Beziehungsnetz des Beschwerdeführers
gehören, weshalb beide als befangen zu bezeichnen sind. Vor diesem
Hintergrund ist eine Zeugeneinvernahme entbehrlich; der
entsprechende Beweisantrag wird abgewiesen. Da nach dem
Gesagten keine Hinweise für eine Beteiligung des Beschwerdeführers
an der fraglichen Kundgebung im Jahre 1993 bestehen, wird auch der
Antrag auf Edition von Fernsehberichten und Zeitungsausschnitten
durch das BFF über die Demonstration vor der türkischen Botschaft in
Bern abgewiesen.
6.2.4 Was die politischen Aktivitäten des Beschwerdeführers nach sei-
ner Ankunft in der Schweiz (Teilnahme an der Besetzung des griechi-
schen Konsulats in Zürich am 16./17. Februar 1999) betrifft, so kann
daraus nicht gefolgert werden, er habe sich bereits in der Türkei in der
von ihm ausgeführten Weise für die PKK betätigt. Es lässt sich daraus
auch keine begründete Furcht bei einer Rückkehr in die Türkei ablei-
Seite 14
D-7326/2006
ten, sondern allenfalls ein Interesse am politischen Geschehen in der
Türkei. Der Beschwerdeführer legt - wie bereits erwähnt - nicht sub-
stanziiert dar, in der Schweiz in einer hohen und in der Öffentlichkeit
exponierten politischen Kaderstelle einer linksextremen türkischen Or-
ganisation oder kurdischen Separatistenorganisation zu arbeiten, wes-
halb es unwahrscheinlich ist, dass die türkischen Behörden von den
Exilaktivitäten des Beschwerdeführers überhaupt Notiz genommen ha-
ben. Unter diesen Umständen ist es nicht nachvollziehbar, auf wel-
chem Weg die türkischen Behörden den Beschwerdeführer bei einer
Rückkehr in sein Heimatland als linksextremen oder separatistischen
Aktivisten identifizieren könnten, zumal dessen Identifizierung auf-
grund der im eingereichten Zeitungsartikel J._______ vom 17. Februar
1999 publizierten Fotografie, auf welcher der Beschwerdeführer nicht
klar erkenntlich ist - und auch im Begleittext nicht namentlich erwähnt
wird - unwahrscheinlich erscheint. Eine Gefährdung ist auch mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit aufgrund des Umstandes
auszuschliessen, dass die Botschaftsabklärung - die entsprechende
Antwort datiert vom 22. Juni 1999 - in der Zeit nach der Publikation
des Zeitungsartikels vom 17. Februar 1999 vorgenommen wurde und
keine Anhaltspunkte für eine Suche nach dem Beschwerdeführer aus
politischen Gründen ergab. Somit liegt auch kein subjektiver Nach-
fluchtgrund im Sinne von Art. 54 AsylG vor.
6.3 Aufgrund des Botschaftsberichts vom 22. Juni 1999 steht fest,
dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland nicht aus politi-
schen, sondern lediglich aus militärrechtlichen Gründen (Refraktion)
gesucht wird. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Beschwerdeführer
nach der Abweisung seines Asylgesuch in E._______ in seinen Hei-
matstaat zurückkehrte. Aus seinen Aussagen geht indes nicht glaub-
haft hervor, dass er nach seiner Rückkehr in die Türkei aus politischen
Motiven gesucht wurde, zumal er bei beiden Befragungen keine detail-
lierten Angaben zu einer allfälligen politischen Tätigkeit nach seiner
Rückkehr machte. Vor diesem Hintergrund kommt sämtlichen einge-
reichten Schreiben, mit denen der Beschwerdeführer eine politische
Tätigkeit im Heimatland und insbesondere im Rahmen der F._______
beweisen will, keine Beweiskraft zu. Die geltend gemachte polizeiliche
Suche nach ihm lässt sich vielmehr auf seine Refraktion zurückführen
und entbehrt somit einer politischen und mithin asylrechtlich relevan-
ten Grundlage.
Seite 15
D-7326/2006
6.4 Gemäss konstanter Praxis stellen allfällige strafrechtliche Konse-
quenzen wegen Refraktion, Dienstverweigerung oder Desertion bei ei-
ner Rückkehr ins Heimatland grundsätzlich keine Verfolgung im Sinne
des Asylgesetzes dar. Es ist ein legitimes Recht jedes Staates, seine
Bürger zum Militärdienst einzuberufen, weshalb strafrechtliche oder
disziplinarische Massnahmen bei Pflichtverletzungen grundsätzlich
nicht als politisch motivierte oder menschenrechtswidrige Verfolgungs-
massnahmen zu betrachten sind. Unter gewissen Umständen kann al-
lerdings eine Einberufung zum Militärdienst oder eine drohende Be-
strafung wegen Refraktion, Dienstverweigerung oder Desertion den-
noch für eine Anerkennung als Flüchtling beachtlich sein, zum Bei-
spiel, wenn der Wehrpflichtige aufgrund der Rasse, Religion, Nationali-
tät, seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder sozialen Gruppie-
rung oder wegen seiner politischen Anschauungen mit einer unverhält-
nismässig schweren Strafe zu rechnen hat oder wenn das Strafmass
für ihn höher ausfällt, als für Deserteure und Refraktäre ohne diesen
spezifischen Hintergrund oder wenn der Wehrpflichtige aus denselben
Gründen während des Dienstes schwersten Übergriffen und Misshand-
lungen durch Kameraden und Vorgesetzte ausgesetzt wäre; ferner
auch dann, wenn der Militärdienst dazu dient, bestimmte Personen
oder Personengruppen aus asylrechtlich relevanten Verfolgungsmoti-
ven im Lauf ihrer Dienstleistung zu disziplinieren, einzuschüchtern, zu
assimilieren oder gezielter menschenrechtswidriger Behandlung aus-
zusetzen (vgl. EMARK 2006 Nr. 3 E. 4.2 S. 31 f., 2004 Nr. 2 E. 6b.aa
S. 16 ff., 2003 Nr. 8 E. 6 S. 52 ff., 2002 Nr. 19 E. 7 S. 159 f.; vgl. dazu
auch: UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur
Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Absätze 167 ff.; SAMUEL
WERENFELS, Der Begriff des Flüchtlings im schweizerischen Asylrecht,
Bern u.a. 1987, S. 255 ff.; WALTER KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens,
Basel/Frankfurt a. M. 1990, S. 115 ff.; ALBERTO ACHERMANN/CHRISTINA
HAUSAMMANN, Handbuch des Asylrechts, 2. Aufl., Bern/Stuttgart 1991,
S. 104.; PETER SCHÜTZ, Die asylrechtliche Behandlung von
Wehrdienstverweigerern, in: ASYL 1988/2, S. 11 ff.; CHRISTA
LUTERBACHER, Die flüchtlingsrechtliche Behandlung von
Dienstverweigerung und Desertion, Basel u.a., 2004, S. 44 ff.).
Wehrpflichtige Männer werden in der Türkei aufgrund der
Staatsangehörigkeit und ihres Jahrgangs für das Militär aufgeboten,
ohne dass dieser Verpflichtung eine asylrechtlich relevante
Verfolgungsabsicht des Staates zugrunde liegen würde. Die
Wahrscheinlichkeit, dass kurdische Soldaten während des
Seite 16
D-7326/2006
obligatorischen Militärdienstes gegen Angehörige ihrer eigenen Ethnie
eingesetzt werden - wie es der Beschwerdeführer in der
handschriftlich verfassten Stellungnahme vom 9. Juni 2004 geltend
macht - ist sehr gering. Auch wenn nicht gänzlich ausgeschlossen
werden kann, dass kurdische Soldaten im Südosten der Türkei zum
Einsatz kommen könnten, kann jedenfalls ausgeschlossen werden,
dass dies auf systematische Weise geschehen würde. Eine allfällige
Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion wäre vor-
liegend als legitime staatliche Massnahme zur Durchsetzung einer
staatsbürgerlichen Pflicht und damit als asylrechtlich ebenfalls nicht
relevant zu charakterisieren. Bisher wurde nicht bekannt, dass kurdi-
sche Refraktäre/Deserteure ihrer Ethnie oder ihres Gewissens wegen
im Sinne eines "Malus" generell strengere Strafen zu gewärtigen hät-
ten als Refraktäre/Deserteure türkischer Ethnie. Nachdem sich die
vom Beschwerdeführer allenfalls zu erwartenden strafrechtlichen
Sanktionen als nicht relevant im Sinne des Asylgesetzes erweisen (vgl.
dazu EMARK 2004 Nr. 2 S. 12 ff.), liegt in dieser Hinsicht keine objek-
tiv begründete Furcht vor Verfolgung vor. Die geltend gemachte Re-
fraktion vermag somit die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdefüh-
rers nicht zu begründen.
6.5 Aus dem antragsgemäss beigezogenen Dossier von A. F. S. (...),
welcher gleichfalls vom Anwalt des Beschwerdeführers vertreten wird,
geht hervor, dass A. F. S. am 5. Juni 2000 als Flüchtling anerkannt
wurde und Asyl erhielt. A. F. S. ist ein Sohn der ehemaligen Ehegattin
des Beschwerdeführers. Bei dieser familiären Konstellation ist die
Frage einer allfälligen Reflexverfolgung des Beschwerdeführers zu
prüfen. In der Türkei existiert keine eigentliche Sippenhaft im Sinne
einer gesetzlich vorgesehenen Haftung einer ganzen Familie für Delik-
te einzelner ihrer Angehöriger. In der türkischen Praxis werden zwar
häufig staatliche Repressalien gegen nahe Verwandte politischer Akti-
visten angewendet, die nach Kenntnis der schweizerischen Asylbehör-
den in Einzelfällen als sogenannte Reflexverfolgung durchaus asyl-
rechtlich relevante Intensität annehmen können (zur Praxis betreffend
Reflexverfolgung siehe EMARK 2005 Nr. 21 S. 184 ff., 1994 Nr. 17
S. 132 ff., 1994 Nr. 5 S. 39 ff., 1993 Nr. 39 S. 283 ff., 1993 Nr. 37 S.
263 ff., 1993 Nr. 6 S. 36 ff.). Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Re-
flexverfolgung zu werden, ist dann gegeben, wenn nach einem flüchti-
gen Familienmitglied gefahndet wird und die Behörden des Verfolger-
staats Anlass zur Vermutung haben, der Betroffene stehe mit dem Ge-
suchten in engem Kontakt (vgl. EMARK 1994 Nr. 5, S. 48). Der Be-
Seite 17
D-7326/2006
schwerdeführer erwähnte aber bei beiden Befragungen weder A. F. S.
noch den Namen seiner damaligen Ehefrau im Zusammenhang mit der
behaupteten Verfolgung, weshalb eine Reflexverfolgung wegen dieser
Personen bei einer Rückkehr in die Türkei als unwahrscheinlich zu be-
zeichnen ist, zumal aufgrund der Scheidung des Beschwerdeführers
von Z. D. ein allenfalls früher bestehendes Interesse der türkischen Si-
cherheitsbehörden am Beschwerdeführer dahingefallen wäre.
6.6 Der Beschwerdeführer verheiratete sich am 23. Dezember 1999
mit einer türkischen Staatsangehörigen, die in der Schweiz als Flücht-
ling anerkannt und der Asyl gewährt wurde. Diese Ehe wurde jedoch
am 15. September 2003 geschieden, weshalb ein Einbezug in das Fa-
milienasyl gestützt auf Art. 51 AsylG nicht in Frage kommt.
6.7 Nach dem Gesagten ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer
weder eine asylrechtlich relevante Verfolgung erlitt noch begründete
Furcht vor einer solchen glaubhaft machen beziehungsweise beweisen
konnte, weshalb die angefochtene Verfügung bezüglich der Verneinung
der Flüchtlingseigenschaft und der Abweisung des Asyls zu bestätigen
ist.
7.
7.1 Lehnt das BFF ein Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so
verfügt es gemäss Art. 44 Abs. 1 AsylG in der Regel die Wegweisung
aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an.
7.2 Dem Beschwerdeführer wurde von der zuständigen kantonalen
Behörde aufgrund der Heirat mit einer in der Schweiz niedergelasse-
nen türkischen Staatsangehörigen eine ausländerrechtliche Aufent-
haltsbewilligung erteilt. Die kantonale Behörde verlängerte diesen Auf-
enthaltstitel zwar nach der am 15. September 2003 erfolgten Ehe-
scheidung mit Verfügung vom 27. September 2007 nicht mehr. Diese
Verfügung ist indessen angesichts des vom Beschwerdeführer dage-
gen eingereichten Rechtsmittels - soweit aktenkundig - noch nicht in
Rechtskraft erwachsen. Unabhängig davon, ob die Verwaltungsbe-
schwerde abgewiesen oder gutgeheissen wird, liegt die Zuständigkeit
zur Beurteilung der Frage der allfälligen Wegweisung und deren Voll-
zugs alleine bei der kantonalen Behörde beziehungsweise fallen die im
asylrechtlichen Verfahren getroffenen Anordnungen betreffend die
Wegweisung und deren Vollzug ohne Weiteres dahin (vgl. EMARK
2001 Nr. 21 E. 8d S. 175 f. und E. 11c S. 178, 2000 Nr. 30 E. 4 S. 251).
Seite 18
D-7326/2006
Eine nähere Prüfung dieser Frage erübrigt sich daher im vorliegenden
Beschwerdeverfahren.
8.
Dem Beschwerdeführer ist es somit bezüglich der Frage der Anerken-
nung als Flüchtling und der Gewährung von Asyl nicht gelungen darzu-
tun, inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt
oder unangemessen ist (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist
deshalb abzuweisen, soweit sie - bezüglich der Frage der Kostenaufla-
ge - nicht gutzuheissen und soweit sie - betreffend die Wegweisung -
nicht gegenstandslos geworden ist.
9.
9.1 Gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG kann die unentgeltliche Rechtspfle-
ge einer Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, gewährt
werden, wenn deren Begehren im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung
nicht aussichtslos erscheinen. Da der Beschwerdeführer erwerbstätig
ist, ist davon auszugehen, er sei nicht bedürftig, weshalb das Gesuch
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen ist.
9.2 Aufgrund des Ausgangs des Verfahrens im Hauptpunkt sind die
Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (vgl. Art. 63
Abs. 1 VwVG). Die Verfahrenskosten von Fr. 600.-- sind jedoch in An-
betracht des Obsiegens im Nebenpunkt der Kostenauflage um
Fr. 150.-- zu reduzieren. Somit sind die reduzierten Kosten von insge-
samt Fr. 450.-- dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.
9.3 In Berücksichtigung des Obsiegens im Nebenpunkt der Kostenauf-
lage steht dem im Beschwerdeverfahren vertretenen Beschwerdefüh-
rer eine Parteientschädigung für die ihm notwendigerweise erwachse-
nen Vertretungskosten zu (Art. 64 Abs. 1 VwVG). Da keine Kostennote
eingereicht wurde, sich die notwendigen Parteikosten aufgrund der Ak-
ten jedoch zuverlässig abschätzen lassen, ist die von der Vorinstanz
zu entrichtende Parteientschädigung unter Berücksichtigung des not-
wendigen Aufwandes und der in Betracht zu ziehenden Bemessungs-
faktoren (vgl. Art. 7 ff. des Reglements vom 11. Dezember 2006 über
die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
[VGKE, SR 173.320.2] auf Fr. 150.-- zu bemessen.
Seite 19
D-7326/2006
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird bezüglich der Frage der Kostenauflage gutge-
heissen und die Verfügung des BFF vom 20. September 1999 wird auf-
gehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit sie
nicht gegenstandslos geworden ist.
2.
Das BFM wird angewiesen, dem Rechtsvertreter des Beschwerdefüh-
rers Fr. 48.50 zurückzuerstatten.
3.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird ab-
gewiesen.
4.
Die reduzierten Kosten des Verfahrens im Betrag von Fr. 450.-- werden
dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab
Versand des Urteils zu Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
5.
Das BFM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer eine Parteient-
schädigung von Fr. 150.-- für das Verfahren betreffend Kostenauflage
auszurichten.
6.
Dieses Urteil geht an:
- den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (eingeschrieben; Beila-
gen: Angefochtene BFF-Verfügung vom 27. September 1999 im Ori-
ginal, Einzahlungsschein; über die Herausgabe der im vorinstanzli-
chen Verfahren eingereichten Beweismittel befindet das BFM auf
Anfrage)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit den Ak-
ten Ref.-Nr. N_______ (in Kopie)
- L._______ (in Kopie)
Seite 20
D-7326/2006
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Thomas Wespi Stefan Weber
Versand:
Seite 21