D-683/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
Karar Dilini Çevir:
D-683/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-683/2011/wif
Urteil vom 28. Januar 2011
Besetzung Einzelrichterin Nina Spälti Giannakitsas
mit Zustimmung von Richter Markus König;
Gerichtsschreiber Patrick Weber.
Parteien A._______, geboren am […], Äthiopien,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
(Dublin-Verfahren);
Verfügung des BFM vom 17. Dezember 2010 / N […].
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest und erwägt,
dass der Beschwerdeführer Äthiopien eigenen Angaben zufolge am
22. September 2010 auf dem Luftweg verliess und gleichentags mit
einem von Deutschland ausgestellten Schengen-Visum legal in die
Schweiz gelangte, wo er am 4. Oktober 2010 ein Asylgesuch stellte,
dass er dazu am 19. Oktober 2010 summarisch befragt wurde,
dass ihm das BFM gleichentags das rechtliche Gehör zur möglichen
Zuständigkeit Deutschlands für das vorliegende Asylverfahren und zu
einer allfälligen Wegweisung dorthin gewährte,
dass das BFM mit Verfügung vom 17. Dezember 2010 – eröffnet am
19. Januar 2011 – in Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d des
Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch
nicht eintrat und den Beschwerdeführer nach Deutschland wegwies,
dass es den Beschwerdeführer gleichzeitig aufforderte, die Schweiz
spätestens am Tag nach Ablauf der Rechtsmittelfrist zu verlassen, und
festhielt, einer Beschwerde gegen diese Verfügung komme keine
aufschiebende Wirkung zu,
dass das BFM zur Begründung seiner Verfügung anführte, der
Beschwerdeführer sei mit einem von der deutschen Botschaft in
Z._______ ausgestellten Schengen-Visum in die Schweiz gelangt,
dass Deutschland gestützt auf das Abkommen vom 26. Oktober 2004
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen
Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des
zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in
der Schweiz gestellten Asylantrags (Dublin-Assoziierungsabkommen
[DAA, SR 0.142.392.68]), auf das Übereinkommen vom 17. Dezember
2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik
Island und dem Königreich Norwegen über die Umsetzung, Anwendung
und Entwicklung des Schengen-Besitzstands und über die Kriterien und
Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines
in der Schweiz, in Island oder in Norwegen gestellten Asylantrags
(Übereinkommen vom 17. Dezember 2004, SR 0.362.32) sowie in
Berücksichtigung weiterer Normen für die Durchführung des
Asylverfahrens zuständig sei und einer Übernahme des
Beschwerdeführers am 10. Dezember 2010 zugestimmt habe,
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dass der Beschwerdeführer im Rahmen des rechtlichen Gehörs keine
relevanten Gründe, welche die Durchführung des Dublin-Verfahrens in
Frage stellen würden, glaubhaft habe vorbringen können,
dass bei der geltend gemachten Beziehung zu seiner in der Schweiz
aufenthaltsberechtigten Schwester kein Abhängigkeitsverhältnis
ersichtlich sei, welches im Sinne der zu beachtenden Rechtsprechung die
Durchführung des Asylverfahrens in der Schweiz wegen seiner
Beziehung zu einer Person ausserhalb der Kernfamilie rechtfertigen
würde,
dass er in Deutschland Schutz vor Rückschiebung im Sinne von Art. 5
Abs. 1 AsylG finden würde und es keine Hinweise einer Verletzung von
Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) gebe,
dass auf sein Asylgesuch daher nicht einzutreten sei,
dass die Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit des Vollzugs zu
bejahen seien,
dass der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 24. Januar 2011 beim
Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhob,
dass er die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung, die Rückweisung
der Sache an das BFM verbunden mit der Anweisung zum Selbsteintritt,
die Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, den Erlass
vorsorglicher Massnahmen sowie die unentgeltliche Prozessführung samt
Entbindung von der Vorschusspflicht (Art. 65 Abs. 1 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 [VwVG,
SR 172.021]) beantragte,
dass der Beschwerdeführer zur Begründung geltend machte, er habe auf
illegalem Weg ein (deutsches) Schengen-Visum erhalten,
dass er sich nie in Deutschland aufgehalten und dort auch kein
Asylgesuch gestellt habe,
dass er von Anfang an vorgehabt habe, zu seiner Schwester in die
Schweiz zu reisen,
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dass Deutschland mithin gar nicht zuständig für die Durchführung seines
Asylverfahrens sei,
dass er überdies zu seiner Schwester in der Schweiz eine sehr enge
Beziehung habe, weshalb – in Berücksichtigung der diesbezüglichen
Rechtsprechung – die Zuständigkeit der Schweiz für die Durchführung
des Asylverfahrens auch in diesem Lichte besehen zu bejahen sei,
dass auf weitere Beschwerdevorbringen – soweit erforderlich – in den
nachfolgenden Erwägungen einzugehen ist,
dass die vorinstanzlichen Akten am 27. Januar 2011 beim
Bundesverwaltungsgericht eintrafen (Art. 109 Abs. 2 AsylG),
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig
über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des BFM
entscheidet (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 31-33 des
Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [VGG, SR 173.32];
Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[BGG, SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung
besonders berührt ist,
dass er ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung hat und daher zur Einreichung der
Beschwerde legitimiert ist (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48
Abs. 1 VwVG),
dass auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten
ist (Art. 108 Abs. 2 AsylG, Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52
VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass über offensichtlich unbegründete Beschwerden in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters respektive einer
zweiten Richterin entschieden wird (Art. 111 Bst. e AsylG), und es sich,
wie nachfolgend aufgezeigt, um eine solche handelt, weshalb der
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Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2
AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG auf einen Schriftenwechsel
verzichtet wurde,
dass mit dem vorliegenden Entscheid in der Hauptsache die Anträge auf
Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde im Sinne von
Art. 107a AsylG und auf Kostenvorschussverzicht gegenstandslos
werden,
dass bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es
das BFM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu
überprüfen (Art. 32-35 AsylG), die Beurteilungskompetenz der
Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt ist, ob die
Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist,
dass sich die Beschwerdeinstanz – sofern sie den
Nichteintretensentscheid als unrechtmässig erachtet – einer
selbständigen materiellen Prüfung enthält, die angefochtene Verfügung
aufhebt und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückweist,
dass auf Asylgesuche in der Regel nicht eingetreten wird, wenn
Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die
Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich
zuständig ist (Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG),
dass der Beschwerdeführer mit einem von Deutschland ausgestellten
Schengen-Visum in die Schweiz einreiste und diese
Sachverhaltselemente nicht bestreitet,
dass das BFM die deutschen Behörden am 7. Dezember 2010 gestützt
auf Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar
2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des
Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem
Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags
zuständig ist (Dublin-II-VO), um Übernahme des Beschwerdeführers
ersuchte,
dass die deutschen Behörden dieses Gesuch am 10. Dezember 2010
gestützt auf Art. 9 Abs. 2 Dublin-II-VO guthiessen,
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dass der Beschwerdeführer somit ohne weiteres in einen Drittstaat
(Deutschland) ausreisen kann,
dass die Ausführungen des Beschwerdeführers, er habe das Visum
gegen Bestechung erhalten und gar nie beabsichtigt, in Deutschland
asylrechtlichen Schutz zu beantragen, in Anbetracht der klaren
verordnungsmässigen Regelung sowie der ergangenen Zustimmung
Deutschlands offensichtlich zu keinem anderen Ergebnis zu führen
vermögen,
dass er auch aus dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
(E-6322/2010) nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag, da kein
vergleichbarer Sachverhalt vorliegt und die Übernahmefrist noch nicht
abgelaufen ist (vgl. A 13/2 S. 2),
dass der Beschwerdeführer bei der Summarbefragung in keiner Weise
ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu seiner in der Schweiz
lebenden Schwester geltend machte (vgl. A 1/15 S. 5: "ich hatte nie viel
Kontakt mit meiner Schwester"),
dass das in der Beschwerde demgegenüber behauptete enge Verhältnis
zur besagten Schwester mithin nicht glaubhaft wirkt und auf die
zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid
zu dieser Sachlage und der zu beachtenden Rechtsprechung betreffend
Familienbegriff verwiesen werden kann,
dass somit Deutschland für die Prüfung seines am 4. Oktober 2010 in der
Schweiz eingereichten Asylantrags zuständig ist (vgl. S. 3 DAA, Dublin-II-
VO und die Verordnung [EG] Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2.
September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin-II-VO des
Rates [DVO Dublin]),
dass Deutschland unter anderem Signatarstaat des Abkommens vom
28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30),
der EMRK und des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) ist und im vorliegenden Fall
keine konkreten Hinweise dafür bestehen, Deutschland würde sich nicht
an die daraus resultierenden Verpflichtungen halten,
dass aufgrund der Aktenlage insbesondere nicht davon auszugehen ist,
Deutschland werde den Beschwerdeführer in Verletzung der
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vorgenannten völkerrechtlichen Abkommen nach Äthiopien
zurückschaffen,
dass die schweizerischen Asylbehörden entsprechend nicht gehalten
waren respektive sind, in Abweichung von der festgestellten
Zuständigkeitsordnung das Selbsteintrittsrecht gemäss Art. 3 Abs. 2
Dublin-II-VO auszuüben,
dass das BFM in Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG zu Recht
auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten ist,
dass das Nichteintreten auf ein Asylgesuch in der Regel die Wegweisung
aus der Schweiz zur Folge hat (Art. 44 Abs. 1 AsylG), vorliegend der
Kanton keine Aufenthaltsbewilligung erteilt hat und zudem kein Anspruch
auf Erteilung einer solchen besteht, weshalb die verfügte Wegweisung im
Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen steht und vom BFM zu
Recht angeordnet wurde,
dass im Rahmen des Dublin-Verfahrens, bei dem es sich um ein
Überstellungsverfahren in den für die Prüfung des Asylgesuches
zuständigen Staat handelt, systembedingt kein Raum bleibt für
Ersatzmassnahmen im Sinne von Art. 44 Abs. 2 AsylG i.v.m. Art. 83 Abs.
1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen
und Ausländer [AuG, SR 142.20]),
dass eine entsprechende Prüfung – soweit notwendig – vielmehr bereits
im Rahmen des Nichteintretensentscheides stattfinden muss (vgl.
vorgehende Erwägungen),
dass in diesem Sinne die Vorinstanz den Vollzug der Wegweisung nach
Deutschland zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnete,
dass es sich erübrigt, auf die weiteren Vorbringen in der Beschwerde
einzugehen, da diese an der Würdigung des vorliegenden Sachverhalts
nichts zu ändern vermögen,
dass der Beschwerdeführer demnach nicht darzutun vermag, inwiefern
die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den rechtserheblichen
Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt oder unangemessen ist
(Art. 106 AsylG),
dass die Beschwerde deshalb abzuweisen ist,
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dass aufgrund der Aussichtslosigkeit der Beschwerde das Gesuch im
Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG abzuweisen ist,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten (Art. 1-3 des
Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen sind (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Patrick Weber
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