D-6687/2015 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dubl...
Karar Dilini Çevir:
D-6687/2015 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dubl...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-6687/2015



Ur t e i l vom 2 7 . Ok to be r 2 0 1 5
Besetzung
Einzelrichter Martin Zoller,
mit Zustimmung von Richterin Contessina Theis;
Gerichtsschreiberin Susanne Burgherr.

Parteien

A._______, geboren am (…),
und dessen Ehefrau
B._______, geboren am (…),
Eritrea,
Beschwerdeführende,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Nichteintreten auf Asylgesuche und Wegweisung
(Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 2. Oktober 2015 / N (…).



D-6687/2015
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass die Beschwerdeführenden am 6. Juli 2015 in der Schweiz um Asyl
nachsuchten,
dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Befragung im Empfangs- und
Verfahrenszentrum (EVZ) C._______ vom 14. Juli 2015 im Wesentlichen
geltend machte, er sei im Jahr 2009 aus dem eritreischen Militärdienst ge-
flohen, nachdem sein Entlassungsantrag abgelehnt worden sei,
dass er seither immer wieder gesucht, aber nie erwischt worden sei,
dass er Eritrea im Februar 2014 in Richtung Äthiopien verlassen habe, da
er keinen weiteren Militärdienst habe leisten wollen,
dass er im Mai 2014 nach Sudan weitergereist sei, wohin ihm seine Ehe-
frau im August 2014 gefolgt sei,
dass sie im Mai 2015 gemeinsam nach Libyen weitergereist seien, wo sie
nach einem zweimonatigen Aufenthalt ein Boot in Richtung Italien bestie-
gen hätten, das auf dem Meer aufgegriffen worden sei,
dass sie am 1. Juli 2015 nach Italien gelangt und dort mit Bussen direkt
nach D._______ gebracht worden seien, von wo aus sie am 4. Juli 2015
mit dem Zug in die Schweiz weitergereist seien,
dass er von den italienischen Behörden nicht registriert worden und es
auch nicht seine Absicht gewesen sei, in Italien zu verweilen, sondern viel-
mehr die Schweiz sein Ziel gewesen sei,
dass er gesund sei,
dass die Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Befragung im EVZ
C._______ vom 14. Juli 2015 im Wesentlichen vorbrachte, sie sei im Jahr
1993 offiziell aus dem Militärdienst entlassen worden und habe einen eige-
nen (…) gegründet, den sie jedoch im Januar 2014 habe aufgeben müs-
sen, da ihr die Lizenzverlängerung aufgrund der Flucht ihres Ehemannes
aus dem Militärdienst verweigert worden sei,
dass sie nach der im Februar 2014 erfolgten Ausreise ihres Ehemannes
mehrmals von den Behörden nach dessen Aufenthaltsort befragt worden
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sei, und sich deshalb ebenfalls zur Flucht genötigt gesehen habe, zumal
sie ihrer Arbeit nicht mehr habe nachgehen können,
dass sie im August 2014 zu ihrem Ehemann nach Sudan gereist sei, von
wo aus sie im Mai 2015 nach Libyen gelangt seien, wo sie ein Boot in Rich-
tung Italien bestiegen hätten, das von einem grösseren Schiff aufgegriffen
worden sei,
dass sie am 1. Juli 2015 in Italien angelangt seien, wo sie vom Roten Kreuz
in Empfang genommen und mit Bussen nach D._______ gebracht worden
seien, von wo aus sie am 5. Juli 2015 in die Schweiz weitergereist seien,
dass sie in Italien nicht registriert worden sei und dort auch nicht habe blei-
ben wollen, sondern vielmehr die Schweiz ihr Ziel gewesen sei, wo sich ihr
Bruder E._______ seit dem Jahr 2008 aufhalte,
dass sie gesund sei,
dass bezüglich der weiteren Aussagen beziehungsweise Einzelheiten des
rechtserheblichen Sachverhalts auf die Protokolle bei den Akten verwiesen
wird (vgl. vorinstanzliche Akten A5 und A6),
dass das SEM mit Verfügung vom 2. Oktober 2015 – eröffnet am 13. Ok-
tober 2015 – in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31)
auf die Asylgesuche nicht eintrat, die Wegweisung aus der Schweiz nach
Italien anordnete und die Beschwerdeführenden aufforderte, die Schweiz
spätestens am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen,
dass es gleichzeitig feststellte, einer allfälligen Beschwerde gegen den Ent-
scheid komme keine aufschiebende Wirkung zu, und die Aushändigung
der editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis an die Beschwerde-
führenden verfügte,
dass die Beschwerdeführenden mit Eingabe vom 19. Oktober 2015 gegen
diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben,
worin um Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und um Anweisung
an das SEM, sein Recht zum Selbsteintritt auszuüben und sich für die Asyl-
gesuche zuständig zu erachten, ersucht wurde,
dass in verfahrensrechtlicher Hinsicht um Gewährung der aufschiebenden
Wirkung der Beschwerde und um vorsorgliche Anweisung der zuständigen
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Behörden, von einer Überstellung abzusehen, bis über den Suspensivef-
fekt der Beschwerde entschieden sei, sowie um Gewährung der unentgelt-
lichen Prozessführung und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvor-
schusses ersucht wurde,
dass die Beschwerdeführenden zur Beschwerdebegründung im Wesentli-
chen geltend machten, sie seien in Italien weggeschickt worden, als sie ein
Asylgesuch hätten stellen wollen, und hätten dort im Wald übernachten
müssen,
dass die Beschwerdeführerin entgegen der bei der Befragung vom 14. Juli
2015 protokollierten Aussage, gesund zu sein, krank sei,
dass die Beschwerdeführerin seit zehn Jahren wegen eines Problems mit
(…) erfolglos versuche, (…), in Sudan deswegen operiert worden sei, und
am (…) November 2015 ein diesbezüglicher Konsultationstermin im Kan-
tonsspital F._______ bevorstehe,
dass die Beschwerdeführerin voraussichtlich eine weitere Operation benö-
tige und die Hoffnung habe, dass sich danach (…),
dass sie nicht bereit seien, nach Italien zurückzukehren, da das Risiko be-
stehe, dass die Beschwerdeführerin dort keinen Zugang zu medizinischer
Versorgung respektive keine Operation erhalten werde,
dass das SEM es unterlassen habe, abzuklären, ob der Beschwerdeführe-
rin in Italien Obdach, Essen und Medikamente tatsächlich zur Verfügung
gestellt würden,
dass bekannt sei, dass Flüchtlinge in Italien in Abbruchhäusern oder auf
der Strasse leben müssten und keinerlei materielle Unterstützung vom ita-
lienischen Staat erhalten würden, sondern auf Essensausgaben durch die
Caritas angewiesen seien,
dass die Schweizerische Flüchtlingshilfe wiederholt auf die prekären Be-
dingungen hingewiesen habe und mehrere deutsche Verwaltungsgerichte
Abschiebungen nach Italien gestoppt hätten,
dass auf die weitere Beschwerdebegründung, soweit entscheidwesentlich,
in den nachfolgenden Erwägungen einzugehen ist,
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dass mit Eingabe vom 21. Oktober 2015 eine Fürsorgeabhängigkeitsbe-
stätigung vom 20. Oktober 2015 nachgereicht wurde,
dass die vorinstanzlichen Akten am 21. Oktober 2015 beim Bundesverwal-
tungsgericht eintrafen (Art. 109 Abs. 1 AsylG),

und zieht in Erwägung,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls – in der Re-
gel und auch vorliegend – endgültig über Beschwerden gegen Verfügun-
gen (Art. 5 VwVG) des SEM entscheidet (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 31‒33
VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG),
dass die Beschwerdeführenden am Verfahren vor der Vorinstanz teilge-
nommen haben, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt
sind, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung haben und daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert
sind (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG),
dass somit auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde einzu-
treten ist (Art. 108 Abs. 2 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG),
dass über offensichtlich unbegründete Beschwerden in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise ei-
ner zweiten Richterin entschieden wird (Art. 111 Bst. e AsylG) und es sich,
wie nachfolgend aufgezeigt wird, um eine solche handelt, weshalb der Be-
schwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2
AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG vorliegend auf einen Schriften-
wechsel verzichtet wurde,
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich
Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt
werden können (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das
SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen
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(Art. 31a Abs. 1‒3 AsylG), die Beurteilungskompetenz der Beschwer-
deinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt ist, ob die Vorinstanz zu
Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2
m.w.H.),
dass auf Asylgesuche in der Regel nicht eingetreten wird, wenn Asylsu-
chende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des
Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a
Abs. 1 Bst. b AsylG),
dass diesbezüglich die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien
und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung ei-
nes von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mit-
gliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist,
(nachfolgend: Dublin-III-VO) zur Anwendung kommt,
dass gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO jeder Asylantrag von einem einzi-
gen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III als
zuständiger Staat bestimmt wird,
dass das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ein-
geleitet wird, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt
wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO),
dass im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (engl.: take charge)
die in Kapitel III (Art. 8–15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort
aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien;
vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden sind, und dabei von der Situ-
ation in demjenigen Zeitpunkt auszugehen ist, in dem der Asylsuchende
erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat (Art. 7 Abs. 2 Dub-
lin-III-VO; vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2; CHRISTIAN FILZWIESER/ANDREA
SPRUNG, Dublin-III-VO, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand
1.2.2014, Wien 2014, K4 zu Art. 7),
dass im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (engl.: take back)
demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach
Kapitel III stattfindet (vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.),
dass gemäss Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin-III-VO der die Zuständig-
keit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zu-
ständig wird, falls es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller in den
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eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche
Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahme-
bedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische
Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder
entwürdigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grund-
rechte der Europäischen Union (ABl. C 364/1 vom 18.12.2000, nachfol-
gend: EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, und nach den Regeln der
Dublin-III-VO kein anderer zuständiger Mitgliedstaat bestimmt werden
kann,
dass der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat verpflichtet ist,
einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag ge-
stellt hat, nach Massgabe der Art. 21, 22 und 29 Dublin-III-VO aufzuneh-
men (Art. 18 Abs. 1 Bst. a Dublin-III-VO),
dass jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschliessen kann,
einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestell-
ten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in
dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist
(Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht),
dass entweder der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen
Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zu-
ständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat vor
der Erstentscheidung in der Sache jederzeit einen anderen Mitgliedstaat
ersuchen kann, den Antragsteller aus humanitären Gründen oder zum
Zweck der Zusammenführung verwandter Personen aufzunehmen, wobei
die betroffenen Personen dem schriftlich zustimmen müssen (Art. 17 Abs. 2
Satz 1 Dublin-III-VO; sog. humanitäre Klausel),
dass das SEM angesichts der übereinstimmenden Aussagen der Be-
schwerdeführenden, anfangs Juli 2015 von Libyen per Boot nach Italien
gelangt und dort illegal in das Hoheitsgebiet der Dublin-Staaten eingereist
zu sein, die italienischen Behörden am 27. Juli 2015 um Aufnahme der
Beschwerdeführenden im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO ersuchte,
dass die italienischen Behörden das Übernahmeersuchen innert der in
Art. 22 Abs. 1 [und 6] Dublin-III-VO vorgesehenen Frist unbeantwortet lies-
sen, womit sie die Zuständigkeit Italiens implizit anerkannten (Art. 22 Abs. 7
Dublin-III-VO),
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dass die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung der Asyl- und Wegwei-
sungsverfahren der Beschwerdeführenden somit gegeben ist, und der
Wunsch der Beschwerdeführenden um Verbleib in der Schweiz daran
nichts zu ändern vermag, zumal die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden
kein Recht einräumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen
(vgl. auch BVGE 2010/40 E. 8.3),
dass die Beschwerdeführenden die sich aus der Dublin-III-VO ergebende
Zuständigkeit Italiens auch mit den Ausführungen in der Rechtsmittelein-
gabe nicht zu negieren vermögen,
dass es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfah-
ren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien würden sys-
temische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschli-
chen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–
Grundrechtecharta mit sich bringen,
dass Italien Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom 10. De-
zember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder er-
niedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens
vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK,
SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967
(SR 0.142.301) ist und seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflich-
tungen nachkommt,
dass insbesondere nicht erstellt ist, dass Italien systematisch gegen die
Bestimmungen der Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zu-
erkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfah-
rensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von
Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz bean-
tragen (sog. Aufnahmerichtlinie), verstösst,
dass diese Ansicht durch den europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte (EGMR) bestätigt wird, indem dieser in seiner bisherigen Rechtspre-
chung festhält, dass in Italien kein systematischer Mangel an Unterstüt-
zung und Einrichtungen für Asylsuchende bestehe, obwohl die allgemeine
Situation und insbesondere die Lebensumstände von Asylsuchenden, an-
erkannten Flüchtlingen und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus
in Italien gewisse Mängel aufweisen würden (vgl. EGMR: Entscheidung M.
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H. und andere vs. Niederlande und Italien [Beschwerde Nr. 27725/10] vom
2. April 2013, § 78),
dass auch das jüngst ergangene Urteil des EGMR (vgl. EGMR: Entschei-
dung T. vs. Schweiz [Beschwerde Nr. 29217/12] vom 4. November 2014),
das sich auf eine Familie mit minderjährigen Kindern bezieht, nicht zu einer
wesentlich anderen Einschätzung führt, zumal darin erneut festgestellt
wurde, dass Überstellungen nach Italien allein aufgrund der dortigen Struk-
turen und allgemeinen Lebensbedingungen in den Unterkünften nicht aus-
geschlossen seien,
dass die Schweizer Behörden im Falle der kinderlosen Beschwerdeführen-
den, die sich bei den Befragungen am 14. Juli 2015 beide ausdrücklich als
gesund bezeichneten (vgl. A5 S. 9 und A6 S. 10) und diese Aussagen nach
erfolgter Rückübersetzung durch Dolmetscher, die sie gut verstanden hät-
ten (vgl. A5 S. 9 und A6 S. 10), unterschriftlich bestätigten (vgl. A5 S. 10
und A6 S. 10), aufgrund der Aktenlage nicht gehalten waren, vorgängig be-
sondere Garantien von den italienischen Behörden bezüglich der Unter-
bringung, Betreuung und medizinischen Versorgung einzuholen,
dass unter diesen Umständen die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Satz 2
Dublin-III-VO nicht gerechtfertigt ist,
dass die Beschwerdeführenden mit ihren Vorbringen in der Rechtsmitte-
leingabe vom 19. Oktober 2015, wonach sie in Italien weggeschickt worden
seien, als sie Asylgesuche hätten stellen wollen, im Wald hätten schlafen
müssen und sich bei einer Überstellung davor fürchten würden, auf der
Strasse zu enden und keine medizinische Unterstützung für die Beschwer-
deführerin, die krank sei, zu erhalten, implizit die Anwendung der Ermes-
sensklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO respektive der – das Selbst-
eintrittsrecht im Landesrecht konkretisierenden – Bestimmung von Art. 29a
Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311)
fordern, gemäss welcher das SEM die Asylgesuche "aus humanitären
Gründen" auch dann behandeln kann, wenn dafür gemäss Dublin-III-VO
ein anderer Staat zuständig wäre,
dass die schweizerischen Behörden zwar prüfen müssen, ob die Be-
schwerdeführenden im Falle ihrer Überstellung nach Italien Gefahr laufen
würden, eine Verletzung ihrer Grundrechte zu erleiden,
dass es diesbezüglich aber den Beschwerdeführenden obliegt, darzule-
gen, gestützt auf welche ernsthaften und konkreten Hinweise anzunehmen
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sei, Italien würde in ihren konkreten Fällen die staatsvertraglichen Ver-
pflichtungen nicht respektieren, das Völkerrecht verletzen und ihnen den
notwendigen Schutz verweigern oder sie menschenunwürdigen Lebens-
umstände aussetzen (vgl. EGMR: Entscheidung M.S.S. gegen Belgien und
Griechenland [Beschwerde Nr. 30696/09] vom 21. Januar 2011),
dass die Beschwerdeführenden, deren Beschwerdevorbringen, wonach
sie in Italien weggeschickt worden seien, als sie Asylgesuche hätten stellen
wollen, und im Wald hätten schlafen müssen, im Widerspruch zu den Aus-
sagen bei den Befragungen vom 14. Juli 2015, nicht die Absicht gehabt zu
haben, in Italien zu verweilen und Asylgesuche zu stellen, und mit Bussen
direkt nach D._______ gebracht und das Land nach wenigen Tagen wieder
verlassen zu haben, keine solchen Anhaltspunkte darzulegen vermögen,
dass kein Grund zur Annahme besteht, dass die italienischen Behörden
den Beschwerdeführenden die Aufnahme und den Zugang zum Asylver-
fahren verweigern respektive in ihrem Fall den Grundsatz des Non-Refou-
lement missachten und sie zur Ausreise in ein Land zwingen würden, in
dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3
Abs. 1 AsylG gefährdet wäre oder in dem sie Gefahr laufen würden, zur
Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden,
dass die Beschwerdeführenden mit den allgemeinen Ausführungen zur Si-
tuation von Flüchtlingen in Italien, die von verschiedenster Seite her kriti-
siert werde, keine konkreten Anhaltspunkte darzulegen vermögen, die da-
rauf hindeuten würden, Italien würde ihnen dauerhaft die Rechte, die ihnen
aus den Verfahrens- und Aufnahmerichtlinien zustehen, vorenthalten,
dass sich die Beschwerdeführenden im Übrigen bei einer allfälligen vor-
übergehenden Einschränkung nötigenfalls an die italienischen Behörden
wenden und die ihnen zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem
Rechtsweg einfordern können (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie),
dass Dublin-Rückkehrende zudem nach Kenntnis des Bundesverwaltungs-
gerichts bezüglich Unterbringung von den italienischen Behörden bevor-
zugt behandelt werden, und sich darüber hinaus – neben den staatlichen
Strukturen – auch zahlreiche private Hilfsorganisationen der Betreuung
von Asylsuchenden und Flüchtlingen annehmen,
dass damit kein Grund zur Annahme besteht, die Beschwerdeführenden
würden in Italien wegen fehlenden Zugangs zum Asylverfahren oder unge-
nügender Aufenthaltsbedingungen in eine existenzielle Not geraten,
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dass auch die erst auf Beschwerdeebene vorgebrachten gesundheitlichen
Probleme der Beschwerdeführerin (Probleme mit […] [Operation erfolgt in
Sudan; ärztlicher Konsultationstermin in der Schweiz vorgesehen für den
(…) November 2015]), nicht gegen eine Überstellung sprechen,
dass eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen
Problemen nur dann einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen kann,
wenn die betroffene Person sich in einem fortgeschrittenen oder terminalen
Krankheitsstadium und bereits in Todesnähe befindet (vgl. BVGE 2011/9
E. 7 mit Hinweisen auf die Praxis des EGMR),
dass es sich dabei um seltene Ausnahmefälle handelt, in denen sich die
betroffene Person in einem dermassen schlechten Zustand befindet, dass
sie nach einer Überstellung mit dem sicheren Tod rechnen müsste, und sie
dabei keinerlei soziale Unterstützung erwarten kann,
dass eine solche Ausnahmesituation vorliegend aufgrund der Aktenlage
nicht anzunehmen ist, und eine neuerliche Befragung der Beschwerdefüh-
rerin zu den gesundheitlichen Problemen respektive die Ansetzung einer
Frist zur Nachreichung von Arztberichten nicht angezeigt ist, zumal Italien
über eine ausreichende medizinische Infrastruktur verfügt und davon aus-
gegangen werden darf, dass die Beschwerdeführerin dort adäquate medi-
zinische Behandlung und Betreuung finden wird,
dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, den Antragstellern die erforderli-
che medizinische Versorgung, die zumindest die Notversorgung und die
unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psy-
chischen Störungen umfasst, zugänglich zu machen (Art. 19 Abs. 1 Auf-
nahmerichtlinie), und den Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen die
erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (einschliesslich erforderli-
chenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung) zu gewähren
(Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie),
dass keine Hinweise vorliegen, wonach Italien der Beschwerdeführerin
eine adäquate medizinische Behandlung verweigern würde, und es ihr ob-
liegt, sich diesbezüglich an die zuständigen Behörden vor Ort zu wenden,
dass die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochte-
nen Verfügung beauftragt sind, den medizinischen Umständen bei der Be-
stimmung der konkreten Modalitäten der Überstellung der Beschwerdefüh-
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Seite 12
renden Rechnung tragen und die italienischen Behörden vorgängig in ge-
eigneter Weise über die spezifischen medizinischen Umstände informieren
werden (vgl. Art. 31 f. Dublin-III-VO),
dass die Beschwerdeführerin zudem mit dem Hinweis auf einen in der
Schweiz lebenden Bruder keine Rechtsansprüche abzuleiten vermag, zu-
mal Geschwister nicht zur Kernfamilie gemäss Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO
zu zählen sind,
dass dem SEM bei der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 Ermessen
zukommt (vgl. zum Ganzen das Grundsatzurteil E-641/2014 vom 13. März
2015, zur Publikation vorgesehen) und den Akten keine Hinweise auf eine
gesetzeswidrige Ermessensausübung (vgl. Art. 106 Abs. 1 Bst. a AsylG)
durch die Vorinstanz zu entnehmen sind,
dass das Bundesverwaltungsgericht sich unter diesen Umständen weiterer
Ausführungen zur Frage eines Selbsteintritts enthält,
dass es nach dem Gesagten keinen Grund für eine Anwendung der Ermes-
sensklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO gibt und an dieser Stelle nochmals
festzuhalten bleibt, dass die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden kein
Recht einräumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen
(vgl. auch BVGE 2010/45 E. 8.3),
dass das SEM demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b
AsylG auf die Asylgesuche der Beschwerdeführenden nicht eingetreten ist
und – weil die Beschwerdeführenden nicht im Besitz einer gültigen Aufent-
halts- oder Niederlassungsbewilligung sind – in Anwendung von Art. 44
AsylG die Überstellung nach Italien angeordnet hat (Art. 32 Bst. a AsylV 1),
dass unter diesen Umständen allfällige Vollzugshindernisse gemäss Art. 83
Abs. 3 und 4 AuG (SR 142.20) nicht mehr zu prüfen sind, da das Fehlen
von Überstellungshindernissen bereits Voraussetzung des Nichteintreten-
sentscheides gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist (vgl. BVGE 2010/45
E. 10),
dass die Beschwerde aus diesen Gründen abzuweisen und die Verfügung
des SEM zu bestätigen ist,
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Seite 13
dass das Beschwerdeverfahren mit vorliegendem Urteil abgeschlossen ist,
weshalb sich die Anträge auf Erlass vorsorglicher Massnahmen, Gewäh-
rung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde und auf Verzicht auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses als gegenstandslos erweisen,
dass das mit der Beschwerde gestellte Gesuch um Gewährung der unent-
geltlichen Prozessführung abzuweisen ist, da die Begehren – wie sich aus
den vorstehenden Erwägungen ergibt – als aussichtlos zu bezeichnen wa-
ren, weshalb die Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG nicht erfüllt
sind,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten von Fr. 600.– (Art. 1‒
3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädi-
gungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) den
Beschwerdeführenden aufzuerlegen sind (Art. 63 Abs. 1 VwVG).

(Dispositiv nächste Seite)
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Seite 14
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 VwVG wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.– werden den Beschwerdeführenden
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zuguns-
ten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kanto-
nale Migrationsbehörde.

Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:

Martin Zoller Susanne Burgherr


Versand: