D-640/2007 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Revision; Urteil der Schweizerischen Asylrekurskom...
Karar Dilini Çevir:
D-640/2007 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Revision; Urteil der Schweizerischen Asylrekurskom...
Abtei lung IV
D-640/2007
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 8 . A u g u s t 2 0 1 0
Richter Thomas Wespi (Vorsitz),
Richter Fulvio Haefeli,
Richterin Nina Spälti Giannakitsas,
Gerichtsschreiber Stefan Weber.
A._______, geboren X._______, Türkei,
vertreten durch lic. iur. Dieter Roth, Advokat, substituiert
durch lic. iur. Nicole Hohl, Advokatin,
Gesuchsteller,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), vormals Bundesamt
für Flüchtlinge (BFF), Quellenweg 6, 3003 Bern-Wabern,
Revision; Urteil der Schweizerischen Asylrekurskommis-
sion (ARK) vom 16. November 2006 / N_______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Partei
Gegenstand
D-640/2007
Sachverhalt:
A.
Das Asylgesuch des Gesuchstellers vom 5. Februar 2003 wurde mit
Verfügung vom 17. April 2003 durch das Bundesamt für Flüchtlinge
(BFF; neu: Bundesamt für Migration [BFM]) mit der Begründung abge-
lehnt, dass dessen Schilderungen die Anforderungen von Art. 3 und 7
des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) an die
Flüchtlingseigenschaft beziehungsweise die Glaubhaftigkeit nicht er-
füllten. Gleichzeitig ordnete das BFF die Wegweisung des Gesuch-
stellers aus der Schweiz an. Die gegen diese Verfügung gerichtete Be-
schwerde wies die ARK mit Urteil vom 16. November 2006 ab.
Mit Schreiben vom 28. November 2006 setzte das BFM dem Gesuch-
steller eine Ausreisefrist auf den 23. Januar 2007 an.
B.
Mit einer beim BFM eingereichten, als „Wiedererwägungsgesuch“ beti-
telten Eingabe vom 23. Januar 2007 beantragte der Gesuchsteller, es
seien der Asylentscheid des BFM vom 17. April 2003 sowie die Weg-
weisungsverfügung des BFM vom 28. November 2006 wiedererwä-
gungsweise aufzuheben, er sei als Flüchtling anzuerkennen und es sei
ihm Asyl zu gewähren. Eventualiter sei festzustellen, dass der Vollzug
der Wegweisung unzumutbar sei, und es sei die vorläufige Aufnahme
anzuordnen. Subeventualiter sei festzustellen, dass der Wegweisungs-
vollzug zurzeit weder zulässig noch zumutbar sei und es sei der Voll -
zug der Wegweisung für mindestens sechs Monate auszusetzen. Für
den Fall des Unterliegens sei die unentgeltliche Prozessführung und
Verbeiständung mit seiner Rechtsvertreterin zu bewilligen und es sei
insbesondere auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzich-
ten. Zudem sei für die Dauer des Verfahrens der Wegweisungsvollzug
auszusetzen.
Das BFM überwies diese Eingabe am 25. Januar 2007 an das Bundes-
verwaltungsgericht, da der Gesuchsteller keine wesentliche Verände-
rung der Sachlage behaupte, die seit dem ARK-Urteil eingetreten sei,
sondern vielmehr Revisionsgründe geltend mache.
Mit Eingabe vom 24. Januar 2007 wurde beim BFM ein den Gesuch-
steller betreffender ärztlicher Bericht eingereicht, welcher vom BFM
ebenfalls an das Bundesverwaltungsgericht überwiesen wurde.
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Auf die Begründung dieser Eingaben und die mit diesen eingereichten
Beweismittel wird in den Erwägungen eingegangen.
C.
Mit einem an die zuständige Fremdenpolizeibehörde gerichteten Tele-
fax-Schreiben des Instruktionsrichters vom 30. Januar 2007 wurde der
Vollzug der Wegweisung vorsorglich ausgesetzt.
D.
Mit Eingabe vom 6. Juni 2007 wurden verschiedene Beweismittel ein-
gereicht, welche vom Bruder und von der Schwägerin des Gesuchstel-
lers in deren Verfahren Y._______ beim Bundesverwaltungsgericht be-
reits eingereicht worden seien.
E.
Mit Eingabe vom 4. November 2009 wurde ein undatierter, in Bezug
auf den Verlauf eines Erstgesprächs vom 19. März 2009 erstellter Be-
richt der (Nennung Beweismittel) betreffend den Gesuchsteller
eingereicht.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich in
Bezug auf Beschwerdeverfahren im Bereich des Asylrechts aus
Art. 105 Abs. 1 AsylG, wonach es abschliessend über Beschwerden
gegen Verfügungen des Bundesamtes entscheidet. Gemäss Art. 37
des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG,
SR 173.32) richtet sich das dabei anzuwendende Verfahren nach dem
Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren
(VwVG, SR 172.021), soweit das VGG nichts anderes bestimmt. Aus
den Übergangsbestimmungen von Art. 53 Abs. 2 VGG ergibt sich fer-
ner, dass das Bundesverwaltungsgericht zuständigkeitsgemäss die
vormals bei der ARK hängigen Beschwerdeverfahren übernommen
hat. In diesen Fällen erfolgt die Beurteilung nach neuem Verfahrens-
recht.
1.2 Demgegenüber sind in den relevanten gesetzlichen Grundlagen
die Zuständigkeit des Gerichts in Revisionsverfahren sowie die Frage
des in solchen Verfahren anwendbaren Rechts weniger eindeutig gere-
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gelt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung die
sich dabei stellenden drei möglichen Konstellationen wie folgt
entschieden (vgl. BVGE 2007/11 E. 3 f., BVGE 2007/21 E. 5):
1.2.1 Richtet sich ein Revisionsverfahren gegen einen Entscheid des
Bundesverwaltungsgerichts, so gelten gemäss Art. 45 VGG die ent-
sprechenden Art. 121-128 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni
2005 (BGG, SR 173.110) sinngemäss.
1.2.2 Hat das Bundesverwaltungsgericht ein Revisionsverfahren zu
beurteilen, das bereits bei einer seiner Vorgängerorganisationen ein-
geleitet wurde, so richtet sich das Verfahren gemäss Art. 37 i.V.m.
Art. 45 VGG nach den entsprechenden Art. 66 ff. VwVG.
1.2.3 Ist - wie vorliegend - ein Revisionsverfahren zu beurteilen, das
beim Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wurde, aber einen Ent-
scheid einer seiner Vorgängerorganisationen betrifft, so richtet sich
das Verfahren gemäss Art. 37 i.V.m. Art. 45 VGG ebenfalls nach
Art. 66 ff. VwVG.
1.3 Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in der Besetzung mit
drei Richtern oder Richterinnen (Art. 21 Abs. 1 VGG), sofern das Revi-
sionsgesuch nicht in die Zuständigkeit des Einzelrichters beziehungs-
weise der Einzelrichterin fällt (vgl. Art. 23 VGG; Art. 111 AsylG).
1.4 Eine eingehende Rechtsschrift ist als jenes Rechtsmittel entge-
genzunehmen, dessen gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind, und
nicht als jenes, als welches es von der Partei unrichtigerweise be-
zeichnet worden ist (vgl. FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege,
2. Aufl., Bern 1983, S. 50 und 198).
In der ursprünglich an das Bundesamt gerichteten und mit „Wiederer-
wägungsgesuch“ betitelten Eingabe vom 23. Januar 2007 machte der
Gesuchsteller im Kern keine seit dem Erlass des Beschwerdeurteils
vom 16. November 2006 wesentlich veränderte Sach- oder Rechtslage
geltend, sondern führte zur Hauptsache an, es lägen neue Tatsachen
und Beweismittel vor, welche nicht während des ordentlichen Verfah-
rens hätten beigebracht werden können und aufgrund welcher er in
der Schweiz als Flüchtling anzuerkennen sei. Eventualiter sei er we-
gen (...) Beschwerden, welche nach dem ablehnenden Urteil der ARK
vom 16. November 2006 ausgebrochen seien, in der Schweiz vorläufig
aufzunehmen. Die Eingabe vom 23. Januar 2007 ist somit in erster
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Linie zur Prüfung als Revisionsgesuch entgegenzunehmen und –
sollte es in Bezug auf die vorgebrachten gesundheitlichen Gründe an-
gezeigt sein – allenfalls als Wiedererwägungsgesuch an das BFM zu
überweisen.
1.5 Auf Inhalt, Form, Verbesserung und Ergänzung eines Revisionsge-
suches finden die Bestimmungen von Art. 52 und 53 VwVG Anwen-
dung (vgl. Art. 67 Abs. 3 VwVG) und die Begründung eines Revisions-
gesuches hat erhöhten Anforderungen zu genügen, zumal in dieser
insbesondere der Nachweis der Rechtzeitigkeit des Revisionsbegeh-
rens und - zumindest sinngemäss - anzugeben ist, welcher gesetzliche
Revisionsgrund angerufen wird und inwiefern Anlass besteht, gerade
diesen Grund geltend zu machen (vgl. Art. 67 Abs. 3 VwVG; Entschei-
dungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission
[EMARK] 2002 Nr. 13 E. 4b S. 112 f., 1995 Nr. 21 E. 2b S. 206 f.).
Der Gesuchsteller hat ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung
oder Änderung des Beschwerdeurteils und ist daher zur Einreichung
eines Revisionsgesuches legitimiert (Art. 48 Abs. 1 Bst. c VwVG in
analogiam; URSINA BEERLI-BONORAND, Die ausserordentlichen Rechtsmit-
tel in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, Zü-
rich 1985, S. 65 ff.).
Der Gesuchsteller macht in seiner Rechtsschrift das Vorliegen von
neuen Tatsachen und Beweismitteln geltend, wodurch er den Revisi-
onsgrund von Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG anruft. Ausserdem zeigt er
die Verwirklichung des angerufenen Revisionsgrundes sowie – zumin-
dest teilweise – die Rechtzeitigkeit des Revisionsbegehrens auf. Zu-
dem wird aus den Anträgen ersichtlich, dass die Eingabe die Begeh-
ren für den Fall eines neuen Beschwerdeentscheides enthält. Die Ein-
gabe erweist sich damit als hinreichend begründet. Auf das im Übrigen
frist- und formgerecht eingereichte Revisionsgesuch ist deshalb - unter
Vorbehalt der nachfolgenden Erwägung - einzutreten (vgl. Art. 47 VGG
i.V.m. Art. 67 Abs. 3 VwVG i.V.m. Art. 52 VwVG).
1.6 Soweit der Gesuchsteller beantragt, der Vollzug der Wegweisung
sei für mindestens sechs Monate auszusetzen, damit eine Operation
an (...) vorgenommen werden könne, und dadurch sinngemäss um
eine Verlängerung der Ausreisefrist ersucht, ist auf diesen Antrag
wegen Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nicht
einzutreten.
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2.
Mit dem ausserordentlichen Rechtsmittel der Revision wird die Unab-
änderlichkeit und Massgeblichkeit eines rechtskräftigen Beschwerde-
entscheides angefochten, damit in der Sache neu entschieden werden
kann (vgl. PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI, Allgemeines Verwaltungs-
recht, 2. Aufl., Bern 2005, S. 269). Die Revision eines Entscheids der
ARK als ehemalige Beschwerdeinstanz und als Vorgängerorganisation
des Bundesverwaltungsgerichts kann nach dem zuvor Gesagten aus
den in Art. 66 Abs. 1 und 2 VwVG genannten Gründen verlangt wer-
den.
Die Revision kann in der Regel nicht aus einem Grund verlangt wer-
den, der schon im ordentlichen Beschwerdeverfahren hätte geltend ge-
macht werden können (Art. 66 Abs. 3 VwVG).
3.
3.1 Gemäss Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG kann die Revision eines Ent-
scheides verlangt werden, wenn die ersuchende Partei neue erhebli-
che Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel vorbringt, die
sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte.
Nach Lehre und Rechtsprechung gelten revisionsweise vorgebrachte
Tatsachen lediglich dann als neu, wenn sie zur Zeit der Erstbeurteilung
der Sache bereits vorhanden waren, jedoch erst nachträglich in Erfah-
rung gebracht werden konnten. Tatsachen, die sich erst nachträglich
zugetragen haben, können allenfalls den Erlass einer neuen Verfügung
durch die erstinstanzliche Behörde im Rahmen eines Wiedererwä-
gungsverfahrens rechtfertigen, bilden aber keinen Grund zur Revision
eines Beschwerdeentscheides (vgl. BEERLI-BONORAND, a.a.O., S. 99;
ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungs-
rechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 260, Rn 740; GYGI,
a.a.O., S. 362). Ähnliches gilt für revisionsweise eingereichte Beweis-
mittel: sie sind nur dann als neu zu qualifizieren, wenn sie entweder
neue erhebliche Tatsachen erhärten oder dem Beweis von Tatsachen
dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt waren und vorge-
bracht wurden, aber zum Nachteil des Gesuchstellers unbewiesen ge-
blieben sind beziehungsweise nicht glaubhaft gemacht werden konn-
ten. Der im Beschwerdeverfahren misslungene Beweis kann im Revisi-
onsverfahren, welches gemäss Art. 66 ff. VwVG geregelt wird, auch mit
Beweismitteln geführt werden, welche erst nach dem Be-
schwerdeentscheid entstanden sind (vgl. KÖLZ/HÄNER, a.a.O., S. 260,
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Rn 741; EMARK 1994 Nr. 27 E. 5c S. 199). "Neu" im Sinne von Art. 66
Abs. 2 Bst. a VwVG bedeutet somit "neu entdeckt" beziehungsweise
"neu zugänglich", muss sich jedoch auf Tatsachen beziehen, die zur
Zeit der Erstbeurteilung bereits bestanden haben (vgl. GYGI, a.a.O.,
S. 262).
Als "erheblich" im Sinne von Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG gelten Tatsa-
chen, "wenn im Lichte der veränderten tatbeständlichen Grundlage die
rechtliche Würdigung anders ausfallen müsste als im früheren Ent-
scheid" (vgl. GYGI, a.a.O., S. 262 f.). Beweismittel sind erheblich, "wenn
sie geeignet sind, von der Richtigkeit eines erheblichen Tatsachenvor-
bringens zu überzeugen" (vgl. GYGI, a.a.O., S. 263). Sowohl neue er-
hebliche Tatsachen als auch neue erhebliche Beweismittel bilden im
Übrigen nur dann einen Revisionsgrund, wenn sie dem Gesuchsteller
damals trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt sein konnten oder
diesem die Geltendmachung oder Beibringung aus entschuldbaren
Gründen nicht möglich war (vgl. Art. 66 Abs. 3 VwVG und EMARK
1994 Nr. 27 E. 5a und b S. 198 f.).
3.2 Der Gesuchsteller reichte in seinem Revisionsgesuch mehrere als
neu bezeichnete Beweismittel für seine Asylgründe ein, so (Auflistung
Beweismittel). Unter dem Blickwinkel einer bestehenden
Reflexverfolgung reichte der Gesuchsteller diverse Asylakten ver-
schiedener Verwandter zu den Akten, welche in (Auflistung Länder) als
Flüchtlinge anerkannt worden seien.
Aufgrund der nachfolgenden Erwägungen zur revisionsrechtlichen Re-
levanz der eingereichten, unter dem Aspekt der Revision zu beurtei-
lenden Beweismittel erübrigt sich eine Erörterung darüber, ob diese
neu im Sinne der Revisionsbestimmungen sind. Aus den gleichen
Gründen kann verzichtet werden zu prüfen, wann die eingereichten
Dokumente dem Gesuchsteller bekannt wurden und ob es diesem zu-
mutbar und möglich gewesen wäre, sie im ordentlichen Beschwerde-
verfahren einzureichen (vgl. Art. 67 Abs. 3 VwVG).
Sodann reichte der Gesuchsteller diverse Beweismittel (Auflistung
Beweismittel) ein, welche seinen seit Ergehen des Beschwerdeurteils
verschlechterten (...) Gesundheitszustand dokumentieren sowie die
Behandlungsmöglichkeiten in der Türkei darlegen würden. Auf diese
Dokumente wird unter E. 4 einzugehen sein.
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3.3 Vorliegend sind die nach dem Beschwerdeentscheid vom 16. No-
vember 2006 datierenden Beweismittel (Gesuchsbeilagen 2, 4 und 5)
in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht als erheblich zu erachten, da de-
ren Berücksichtigung nicht zu einem anderen, günstigeren Entscheid
für den Gesuchsteller im ordentlichen Beschwerdeverfahren geführt
hätte.
3.3.1 Gemäss Bestätigung von B._______ (Gesuchsbeilage 2) sei der
Gesuchsteller nach der im Jahre (...) erfolgten Tötung des Schwagers
von B._______, C._______, verhaftet und anschliessend gefoltert
worden. Im Revisionsgesuch wird dazu ausgeführt, diese Aussage von
B._______, die bereit sei, ihre Angaben auch mündlich zu
wiederholen, spreche für die Glaubwürdigkeit des Gesuchstellers und
bestätige dessen Folterung. Zudem werde seine Aussage bei der
kantonalen Anhörung, wonach er C._______ mit Lebensmitteln
versorgt habe, indirekt bestätigt. Dies scheine angesichts seiner
Verhaftung nach der Schiesserei, bei welcher C._______ getötet
worden sei, plausibel.
Diese Darstellung im Revisionsgesuch impliziert, dass der Gesuchstel-
ler unmittelbar oder kurz nach der Schiesserei, bei der C._______
getötet worden sei, verhaftet und gefoltert worden sein soll. Der
Gesuchsteller machte indessen geltend, er sei (...) beim Hüten von
Schafen auf der Weide von Soldaten zusammengeschlagen und am
linken Arm und am Kopf verletzt worden. Er erwähnte zwar, er habe
C._______ unterstützt, brachte jedoch nicht vor, im Zusammenhang
mit dessen Tod verhaftet und gefoltert worden zu sein. Vielmehr sagte
er anlässlich der kantonalen Anhörung vom 4. April 2003 aus,
D._______, der ebenfalls als (...) gearbeitet habe, sei dieses Jahr von
den Militärs umgebracht worden (vgl. A5/24, S. 11). Es ist in
Anbetracht dieser Umstände davon auszugehen, dass der
Gesuchsteller seine Verhaftung und Folterung mit dem Tode von
C._______ in Verbindung gebracht hätte, wenn dies tatsächlich der
Fall gewesen wäre. Bei dieser Sachlage ist dem Schreiben von
B._______ keine revisionsrechtliche Relevanz zuzuerkennen, zumal
das Ereignis im Jahre (...) nicht als kausal für die Ausreise des
Gesuchstellers im Jahre 2003 erachtet wurde (vgl. Urteil der ARK vom
16. November 2006, S. 12). Eine Befragung von B._______ erübrigt
sich deshalb.
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3.3.2 Bezüglich des Schreibens des Dorfvorstehers von E._______
(Gesuchsbeilage 4) wird vorgebracht, das Dorf sei nahezu unbewohnt,
weshalb sich dieser gezwungen sehe, Land zu verschenken. Dennoch
sei niemand bereit, nach E._______ zurückzukehren. Der
Dorfvorsteher bestätige, was dem Gesuchsteller im Dorf widerfahren
sei. Er sei bereit, den schweizerischen Behörden auf Nachfrage hin
Auskunft zu geben, weshalb eine telefonische Anfrage beantragt
werde.
Die Schwierigkeiten des Dorfvorstehers von E._______, neue Ein-
wohner zu werben, stellen mangels konkreten Bezuges auf den
Gesuchsteller keinen revisionsrechtlich relevanten Sachverhalt dar.
Dem in diesem Zusammenhang gestellten Antrag auf Befragung des
betreffenden Dorfvorstehers, weil dieser Auskunft über die Ereignisse,
die dem Gesuchsteller und dessen Schwester widerfahren seien,
geben könne, ist keine Folge zu geben, zumal diese Ereignisse bereits
geprüft und gewürdigt wurden (vgl. Urteil der ARK vom 16. November
2006, S. 8 ff.). Ausserdem stellt eine andere Würdigung des
Sachverhaltes als diejenige der zuständigen Behörden keinen
Revisionsgrund dar (vgl. EMARK 1993 Nr. 4 E. 5 S. 23; BEERLI-
BONORAND, a.a.O., S. 131 f.).
3.3.3 Der im Schreiben des (...) (Gesuchsbeilage 5) erwähnte blosse
Hinweis, wonach der Gesuchsteller sowie seine Schwester wegen
ihrer politischen Ideologie gesucht würden, ist mangels konkreter An-
haltspunkte nicht geeignet, diesem Beweismittel revisionsrechtliche
Erheblichkeit beizumessen.
3.4 Das Schreiben der in der Schweiz als (...) tätigen F._______
(Gesuchsbeilage 3) ist undatiert und führt im Wesentlichen in allge-
meiner Weise die Situation im Heimatdorf des Gesuchstellers auf und
enthält eine Liste von aus E._______ stammenden Personen, die in
der Schweiz und im übrigen Europa als Flüchtlinge anerkannt worden
seien. Dieses Beweismittel wie auch die weiteren, im Zusammenhang
mit der angeführten Reflexverfolgung eingereichten Beweismittel (Ge-
suchsbeilagen 6, 7, 8, 9a, 9b, 11a und 11b sowie 12) können ebenfalls
nicht als revisionsrechtlich erheblich gewertet werden. So wurde im
angefochtenen Beschwerdeurteil die Lage im Heimatdorf des Gesuch-
stellers sowie die dort erlebten Geschehnisse sowohl unter dem Blick-
winkel von Art. 3 AsylG als auch unter demjenigen von Art. 7 AsylG
gewürdigt. Dass der Gesuchsteller aus einer politischen Familie
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stammt, wurde im erwähnten Beschwerdeurteil ebenfalls gebührend
berücksichtigt und festgehalten, die Umstände würden gegen eine be-
hördliche Suche respektive gegen behördliche Behelligungen des Ge-
suchstellers oder seiner Kernfamilie sprechen, da mehrere seiner Ge-
schwister in der Türkei wohnhaft seien (vgl. Urteil der ARK vom
16. November 2006, S. 11). Dass der Gesuchsteller wegen der nun im
Revisionsgesuch erwähnten weiteren, nicht zur Kernfamilie gehören-
den Verwandten eine Reflexverfolgung zu befürchten hätte, wurde von
diesem im Übrigen denn auch während des ordentlichen Verfahrens
weder bei der Vorinstanz noch im Beschwerdeverfahren vor der ARK
geltend gemacht. Ein Beizug von Akten der im Revisionsgesuch ge-
nannten Personen erübrigt sich bei dieser Sachlage.
3.5 In Bezug auf die mit Eingabe vom 6. Juni 2007 eingereichten Be-
weismittel ist Folgendes festzuhalten: Diese Beweismittel wurden im
Beschwerdeverfahren Y._______ des Bruders, G._______, und der
Schwägerin des Gesuchstellers, H._______, eingereicht. In der
Begründung der Eingabe vom 6. Juni 2007 wird ausgeführt, der
Gesuchsteller habe mit G._______ und H._______ in seinem
Elternhaus gelebt. Die aus dem Jahre (...) datierenden Unterlagen
würden belegen, dass H._______ die PKK aktiv unterstützt und mit
dieser in den Bergen gelebt habe. Die Familie sei – wie dies der
Gesuchsteller geltend gemacht habe – regelmässig von den
Sicherheitskräften aufgesucht worden. H._______ habe berichtet, der
Gesuchsteller sei einmal derart heftig geschlagen worden, dass sein
(...) massiv verletzt worden sei und er sich in Behandlung habe bege-
ben müssen. Einmal sei er von einem Felsen hinuntergestossen wor-
den. Dies stütze die Aussagen des Gesuchstellers und zeige, dass er
glaubwürdig sei.
Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Y._______ vom (...), mit dem
die Beschwerde von G._______ und H._______ betreffend die Fest-
stellung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung von Asyl und die
Anordnung der Wegweisung abgewiesen wurde, wurde bezüglich der
im vorliegenden Revisionsverfahren mit Eingabe vom 6. Juni 2007 ein-
gereichten und aus dem Jahre (...) datierenden Beweismittel erwogen,
die Echtheit dieser Dokumente sei vom BFM nicht bezweifelt worden.
In Anbetracht des bekannten Vorgehens der türkischen Behörden
gegen PKK-Anhänger würden die Aussagen von H._______ glaubhaft
erscheinen. Indessen wurde den Ereignissen in den Jahren (...) bis
(...) aufgrund der Ausreise von G._______ und H._______ aus der
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Türkei im Jahre (...) mangels zeitlichen und sachlichen
Kausalzusammenhanges die asylrechtliche Relevanz abgesprochen.
Für das vorliegende Revisionsverfahren ergibt sich in Anbetracht die-
ser Erwägungen die Schlussfolgerung, dass – auch wenn die mit Ein-
gabe vom 6. Juni 2007 eingereichten Beweismittel im Beschwerdever-
fahren des Gesuchstellers bekannt gewesen wären – dies nicht zu ei -
ner anderen Würdigung des Sachverhaltes geführt hätte, da der Ge-
suchsteller erst im Februar 2003 aus der Türkei ausreiste und mithin
der zeitliche und sachliche Kausalzusammenhang ebenfalls unterbro-
chen ist. Ebenso führt der Umstand, dass H._______ die vom
Gesuchsteller erlittenen Verletzungen erwähnt haben soll, zu keiner
anderen Betrachtungsweise, da im ARK-Urteil vom 16. November
2006 diesbezüglich der zeitliche Kausalzusammenhang als
unterbrochen erachtet wurde (vgl. E. 6.2 S. 12).
3.6 Auf die lediglich als Hinweis auf die Integration des Gesuchstellers
in der Schweiz eingereichten Beweismittel (Auflistung Beweismittel)
braucht mangels revisionsrechtlicher Relevanz nicht näher eingegan-
gen zu werden.
3.7 Gemäss EMARK 1995 Nr. 9 sind verspätete Vorbringen dann revi-
sionsrechtlich beachtlich, wenn aufgrund dieser Vorbringen offensicht-
lich wird, dass Gesuchstellern in ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat
Verfolgung oder menschenrechtswidrige Behandlung droht, wobei es
nicht genügt, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet
sein können, zu einem anderen Ergebnis als im vorangegangenen or-
dentlichen Asylverfahren zu führen, sondern derart sein müssen, dass
sie bei rechtzeitigem Bekanntwerden zu einem anderen Beschwerde-
entscheid, und zwar zu einer Gutheissung zumindest bezüglich der
Frage des Wegweisungsvollzugs geführt hätten.
Da sich die Vorbringen im Revisionsgesuch ohnehin als nicht erheblich
beziehungsweise die zusammen mit diesem eingereichten Beweismit-
tel als nicht entscheidend im Sinne der revisionsrechtlichen Bestim-
mungen erwiesen haben, sind allfällige völkerrechtliche Vollzugshin-
dernisse zu verneinen.
3.8 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass kein revisionsrechtlich
relevanter Sachverhalt dargetan ist. Das Gesuch um Revision des Ur-
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teils des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. November 2006 ist dem-
zufolge abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
4.
Was die vom Gesuchsteller angeführten Tatsachen und diesbezüglich
eingereichten Beweismittel (Nennung Beweismittel) anbetrifft, welche
seinen seit Ergehen des Beschwerdeurteils verschlechterten (...)
Gesundheitszustand dokumentieren sowie die Behandlungsmöglich-
keiten in der Türkei darlegen würden, ist festzuhalten, dass dadurch
ein Sachverhalt geltend gemacht wird, der unter wiedererwägungs-
rechtlichen Aspekten durch die Vorinstanz zu prüfen wäre. Von einer
Überweisung an das BFM zur entsprechenden Prüfung dieser
Vorbringen kann jedoch in casu abgesehen werden, da angesichts der
bestehenden medizinischen Strukturen in der Heimat des Gesuchstel-
lers sich dieser auch in der Türkei weiterbehandeln lassen kann. Im
nachgereichten Bericht der (...), in dem eine (Nennung Diagnose)
diagnostiziert wird, wird denn auch angeführt, dass das vorliegende
Störungsbild auch in der Türkei behandelt werden könne, was jedoch
nur als praktikabel und sinnvoll erscheine, wenn man die Gründe für
die emotionale Reaktion des Gesuchstellers (die Misshandlungen, Be-
drohung und Repression) als nicht relevant erachte. Im angefochtenen
Beschwerdeurteil wurden die Vorbringen des Beschwerdeführers als
unglaubhaft und als nicht asylrelevant erachtet, weshalb dementspre-
chend an der Möglichkeit einer medizinischen (Weiter-)Behandlung
des Gesuchstellers in der Türkei festzuhalten ist. Aus dem mit Eingabe
vom 4. November 2009 eingereichten (...), wonach beim Gesuchsteller
eine (Nennung Diagnose) bestehe, ergibt sich keine wesentliche
Änderung des Sachverhaltes, weshalb sich auch aufgrund dieses
Dokumentes keine Überweisung an das BFM aufdrängt.
5.
5.1 Eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, wird
auf Antrag hin von der Bezahlung der Verfahrenskosten befreit, sofern
ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint. Wenn es zur Wahrung ihrer
Rechte notwendig ist, wird der Partei ein Anwalt bestellt (vgl. Art. 65
Abs. 1 und 2 VwVG i.V.m. Art. 68 Abs. 2 VwVG).
Eine Person verfügt dann nicht über die erforderlichen Mittel, wenn sie
ohne Beeinträchtigung des notwendigen Lebensunterhaltes die Pro-
zesskosten nicht zu bestreiten vermag. Eine Beschwerde gilt ferner
dann als aussichtslos, wenn die Gewinnaussichten beträchtlich gerin-
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ger sind als die Verlustgefahren und deshalb kaum als ernsthaft be-
zeichnet werden können (vgl. BGE 125 II 265 E. 4b S. 275).
Aus der Tatsache, dass sich ex post zeigt, dass der Gesuchsteller
keine prozessualen Erfolgschancen hatte, ergibt sich zwar noch nicht
zwingend, dass das Revisionsgesuch aussichtslos war. Dennoch
müssen vorliegend die Gewinnaussichten des Gesuchstellers als von
allem Anfang an beträchtlich geringer eingestuft werden als die Ver-
lustgefahren und können gar als kaum ernsthaft bezeichnet werden.
Dies bedeutet nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung, dass der
Streitfall als aussichtslos zu bezeichnen ist. Deshalb ist das gestellte
Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit Art. 68 Abs. 2 VwVG
abzuweisen.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Sinne von
Art. 65 Abs. 2 VwVG in Verbindung mit Art. 68 Abs. 2 VwVG ist man-
gels Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG ebenfalls
abzuweisen. Zudem stellten sich auch keine komplizierten Sach- und
Rechtsfragen, welche besondere Kenntnisse beziehungsweise eine
anwaltliche Vertretung als notwendig erscheinen liessen. Aus diesen
Gründen ist dem Begehren um Beigabe eines Anwaltes ebenfalls nicht
stattzugeben.
5.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Gesuchsteller dem-
nach kostenpflichtig (vgl. Art. 63 VwVG i.V.m. Art. 68 Abs. 2 VwVG).
Die Kosten des Verfahrens sind auf insgesamt Fr. 1'200.-- festzusetzen
(vgl. Art. 1 - 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten
und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR
173.320.2).
5.3 Das Gesuch um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschus-
ses wird mit vorliegendem Urteil gegenstandslos.
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D-640/2007
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
wird.
2.
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung so-
wie um Beigabe eines Anwaltes werden abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten, bestimmt auf Fr. 1'200.--, werden dem Gesuch-
steller auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Ur-
teils zu Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an:
- die Rechtsvertreterin des Gesuchstellers (Einschreiben; Beilage:
Einzahlungsschein)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt, mit den Akten Ref.-Nr. N_______
(per Kurier; in Kopie)
- I._______ (in Kopie)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Thomas Wespi Stefan Weber
Versand:
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