D-5815/2014 - Abteilung IV - Visum aus humanitären Gründen (VrG) - Visum aus humanitären Gründen (Asyl); Verfügung de...
Karar Dilini Çevir:
D-5815/2014 - Abteilung IV - Visum aus humanitären Gründen (VrG) - Visum aus humanitären Gründen (Asyl); Verfügung de...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-5815/2014



Ur t e i l vom 11 . Feb r ua r 2 0 1 5
Besetzung
Richterin Contessina Theis (Vorsitz),
Richterin Regula Schenker Senn,
Richter Robert Galliker,
Gerichtsschreiberin Eva Hostettler.

Parteien

A._______, geboren (…),
(…),
Beschwerdeführer,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM;
zuvor Bundesamt für Migration, BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Visum aus humanitären Gründen (Asyl);
Verfügung des BFM vom 10. September 2014 / (…).



D-5815/2014
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Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer (Gastgeber) lebt in der Schweiz mit einer Aufent-
haltsbewilligung (B).
Der Beschwerdeführer ersuchte bei der schweizerischen Vertretung in
B._______ (nachfolgend: Vertretung) um Erteilung von Schengen-Visa
(Visaantragsformulare vom 10. Juli 2014) zwecks Einreise in die Schweiz
für seine Eltern, seinen Bruder sowie seine Schwester, deren Ehemann
und deren Kind (Gesuchstellende).
B.
Am 15. Juli 2014 lehnte das schweizerische Generalkonsulat in B.______
die Visa-Anträge mittels zwei separater Entscheide ab.
C.
Mit Eingabe an das SEM vom 2. August 2014 erhob der Beschwerde-führer
gegen diese ablehnenden Visa-Entscheide vom 15. Juli 2014 Einsprache.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, er verstehe nicht,
warum der Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthaltes in
der Schweiz nicht glaubhaft sein sollten, zumal die Vertretung dies-
bezüglich auch keine weiteren Dokumente verlangt habe. Die Gesuch-
stellenden würden nach Ablauf der drei Monate zurückkehren; auch sei die
Finanzierung ihres Aufenthaltes sichergestellt.
Der Eingabe waren die beiden ablehnenden Entscheide der Vertretung
über die Visa-Anträge der Gesuchstellenden beigelegt.
D.
Mit Verfügung vom 10. September 2014 – eröffnet am 12. September 2014
– wies das SEM die Einsprache des Beschwerdeführers ab und auferlegte
die Verfahrenskosten von Fr. 300.– dem Einsprecher.
Zur Begründung führte das SEM im Wesentlichen aus, angesichts der
sozio-ökonomischen Verhältnisse im Heimatstaat müssten die Gesuch-
stellenden über aussergewöhnliche familiäre Bindungen und Verpflichtun-
gen verfügen, damit eine fristgerechte und anstandslose Rückkehr als
wahrscheinlich einzustufen wäre. Dass die Gesuchstellenden trotz der in
Syrien herrschenden Krise nach Ablauf des Besuchervisums in ihr Her-
kunftsland zurückkehren würden, sei nicht hinreichend dargelegt. Daher
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seien die Einreisevoraussetzungen für ein einheitliches Schengen-Visum
nicht erfüllt. Des Weiteren würden keine besonderen namentlich
humanitären Gründe vorliegen, die eine Einreise in die Schweiz trotzdem
als zwingend notwendig erscheinen lassen würden. Ein Visum aus huma-
nitären Gründen könne nur dann ausgestellt werden, wenn die betreffende
Person im Heimat- oder Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret
an Leib und Leben gefährdet sei und sich in einer besonderen Notsituation
befinde, welche ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich mache.
Die Gesuchstellenden befänden sich nunmehr in einem Drittstaat. Es
würden keine Elemente vorliegen, die auf eine besondere individuelle und
konkrete Gefährdung oder eine besondere Notlage schliessen liessen,
weshalb die Einreise in die Schweiz nicht zwingend notwendig erscheine
(Art. 2 Abs. 4 der Verordnung vom 22. Oktober 2008 über die Einreise und
die Visumerteilung [VEV, SR 142.204]). Schliesslich komme auch die
Weisung Syrien nicht zur Anwendung, weil die Visaanträge nach deren
Aufhebung am 29. November 2013 eingereicht worden seien.
E.
Mit Eingabe vom 9. Oktober 2014 erhob der Beschwerdeführer dagegen
Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte sinnge-
mäss, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und den Gesuch-
stellenden Visa für die Einreise in die Schweiz zu erteilen. In verfahrens-
rechtlicher Hinsicht wurde um Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG ersucht und auf die Erhebung
eines Kostenvorschusses zu verzichten sei.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Vertretung hätte
den Gesuchstellenden bereits beim Vorsprechen mitteilen müssen, dass
die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Gesuchstellenden hätten
vergebens lange gewartet, wodurch enorme Kosten entstanden seien. Es
sei nicht verständlich, warum überhaupt Termine durch die Vertretung an
syrische Staatsangehörige vergeben würden, sei doch klar, dass niemand
die Voraussetzungen erfülle. Die Gesuchstellenden hätten viel riskiert und
ihren Besitz verkauft, um den Termin auf der Vertretung wahrzunehmen.
Da sie in der Türkei über kein Aufenthaltsrecht verfügten und keinen
Zugang zu der erforderlichen medizinischen Behandlung erhielten, womit
sie insgesamt unter prekären Lebensbedingungen hätten leben müssen,
seien sie mittlerweile nach Syrien zurückgekehrt. Mithilfe von Garantin-
nen und Garanten sei es ihm möglich, für den Lebensunterhalt der
Gesuchstellenden während des Aufenthaltes in der Schweiz aufzukom-
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men. Zudem gelte es zu beachten, dass seine Mutter sehr schwer krank
sei und nicht die notwendige medizinische Behandlung erhalten würde.
Der Eingabe waren syrische Arztberichte vom März 2012 beigelegt, wo-
nach die Mutter des Beschwerdeführers an einer (…)erkrankung leide und
regelmässige halbjährliche Nachkontrollen angezeigt seien.
F.
Am 15. Oktober 2014 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Ein-
gang der Beschwerde.
G.
Mit Verfügung vom 16. Oktober 2014 verzichtete die Instruktionsrichterin
antragsgemäss auf die Erhebung eines Kostenvorschusses und räumte
der Vorinstanz Gelegenheit ein, innert Frist eine Vernehmlassung zu den
Akten zu reichen.
H.
In seiner Vernehmlassung vom 21. Oktober 2014 beantragte das SEM die
Abweisung der Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, die
angebliche Rückreise nach Syrien sei freiwillig erfolgt, weshalb eine
unmittelbare und konkrete Gefährdung ohnehin ausgeschlossen werden
könne. Bezüglich der medizinischen Situation der Mutter gelte es
festzuhalten, dass die beigelegten Arztberichte aus dem Jahr 2012
datierten und unklar sei, ob die ebenda empfohlenen Nachkontrollen
durchgeführt worden seien. Ohnehin wäre die entsprechende Versorgung
problemlos in der Türkei möglich, wobei der Beschwerdeführer bei der
Finanzierung behilflich sein könnte.
I.
Mit Verfügung vom 27. Oktober 2014 wurde dem Beschwerdeführer Gele-
genheit eingeräumt, innert Frist eine Replik einzureichen. Diese Frist ist
ungenutzt verstrichen.


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Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht unter
Vorbehalt der in Art. 32 VGG genannten Ausnahmen Beschwerden gegen
Verfügungen nach Art. 5 VwVG, welche von einer in Art. 33 VGG
aufgeführten Behörde erlassen wurden. Darunter fallen unter anderem
Verfügungen des SEM, mit denen die Erteilung eines Schengen-Visums
verweigert wurde. In dieser Materie entscheidet das Bundesverwaltungs-
gericht endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG).
1.2 Sofern das VGG nichts anderes bestimmt, richtet sich das Verfahren
vor dem Bundesverwaltungsgericht nach dem VwVG (Art. 37 VGG).
1.3 Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 48 Abs. 1 VwVG zur Be-
schwerde berechtigt. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Be-
schwerde ist somit einzutreten (Art. 50 und 52 VwVG).
2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung
von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhaltes und – sofern nicht eine kantonale
Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat – die Unangemessenheit
gerügt werden (Art. 49 VwVG).
3.
3.1 Das schweizerische Ausländerrecht kennt weder ein allgemeines
Recht auf Einreise, noch gewährt es einen besonderen Anspruch auf
Erteilung eines Visums. Die Schweiz ist daher – wie andere Staaten auch
– grundsätzlich nicht verpflichtet, ausländischen Personen die Einreise zu
gestatten. Vorbehältlich völkerrechtlicher Verpflichtungen handelt es sich
dabei um einen autonomen Entscheid (vgl. BVGE 2009/27 E. 3 S. 342
m.w.H.).

Die im AuG und seinen Ausführungsbestimmungen enthaltenen Regel-
ungen über das Visumverfahren und über die Ein- und Ausreise gelangen
nur soweit zur Anwendung, als die Schengen-Assoziierungsabkommen
keine abweichenden Bestimmungen enthalten (vgl. Art. 2 Abs. 2–5 AuG).
3.2 Angehörige von Drittstaaten dürfen über die Aussengrenzen des
Schengen-Raums für einen Aufenthalt von höchstens drei Monaten je
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Sechsmonatszeitraum einreisen, wenn sie im Besitz gültiger Reisedoku-
mente sind, die zum Grenzübertritt berechtigen. Gemäss Art. 4 VEV
unterstehen Staatsangehörige gewisser Länder zudem der Visumspflicht
(vgl. Verordnung [EG] Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur
Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim
Überschreiten der Aussengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen,
sowie der Liste der Drittländer, deren Staats-angehörige von dieser
Visumpflicht befreit sind).
3.3 Im Weiteren müssen Drittstaatsangehörige für den Erhalt eines
einheitlichen Schengen-Visums im Sinne von Art. 2 Abs. 3 Visakodex den
Zweck und die Umstände ihres beabsichtigten Aufenthalts belegen und
hierfür über ausreichende finanzielle Mittel verfügen. Namentlich haben sie
zu belegen, dass sie den Schengen-Raum vor Ablauf der Gültig-keitsdauer
des beantragten Visums wieder verlassen beziehungsweise Gewähr für
ihre fristgerechte Wiederausreise bieten. Ferner dürfen
Drittstaatsangehörige nicht im Schengener Informationssystem (SIS) zur
Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein und keine Gefahr für die
öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder
die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen (vgl. zum
Ganzen: Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 AuG; Art. 2 Abs. 1 VEV und Art. 5 Abs. 1
Schengener Grenzkodex [SGK; Verordnung {EG} Nr. 562/2006 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen
Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen,
ABl. L 105 vom 13. April 2006, zuletzt geändert durch Verordnung {EU} Nr.
610/2013, ABl. L 182 vom 29. Juni 2013], vgl. auch BVGE 2009/27 E. 5
und 6).
3.4 Die Gesuchstellenden unterliegen als syrische Staatsangehörige der
Visumspflicht gemäss Art. 4 VEV bzw. der Verordnung (EG) Nr. 539/2001.
In der Beschwerdeschrift vom 9. Oktober 2014 werden keine stichhaltigen
Argumente dargelegt, welche die Einschätzung des SEM in einem anderen
Licht erscheinen liessen. Aufgrund der Umstände im vorliegenden
Verfahren bestehen auch für das Gericht begründete Zweifel an der
Absicht der Gesuchstellenden, das Hoheitsgebiet der Schengenstaaten
vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen. Namentlich
werden keine stichhaltigen Argumente dargelegt, welche die
Einschätzungen des SEM in einem anderen Licht erscheinen liessen (vgl.
Art. 32 Abs. 1 Bst. b Visakodex; zum Beweismass des begründeten
Zweifels siehe BVGE 2014/1 E.4.4). Währendem es zutrifft, dass in
Anbetracht der Bürgerkriegszustände im Heimatstaat grund-sätzliche
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Zweifel an der Wiederausreise von syrischen Staatsange-hörigen
bestehen und wohl die überwiegende Mehrheit der syrischen
Staatsangehörigen die Voraussetzungen für einheitliche Schengen-Visa
nicht zu erfüllen vermögen, so ist doch nicht ersichtlich, was der
Beschwerdeführer aus der Argumentation – warum syrische Staatsange-
hörige überhaupt Termine auf der Schweizer Vertretung erhielten –
abzuleiten gedenkt. Bei der Erteilung eines Visums handelt es sich um
einen einzelfallspezifischen Entscheid der schweizerischen Behörden,
welcher einer sorgfältigen Prüfung bedarf. Die Vorsprache auf der Vertre-
tung dient der Sachverhaltsfeststellung, womit sichergestellt werden soll,
dass die Behörden über die nötigen Informationen verfügen, um einen
Entscheid zu fällen. Demnach greifen die Argumente des Beschwerde-
führers insofern ins Leere, als dass diese zu einem willkürlichen
Visaverfahren führen würden.
3.5 Die Voraussetzungen für ein einheitliches Schengen-Visum im Sinne
von Art. 2 Abs. 3 Visakodex sind daher nicht erfüllt.
4.
4.1 Sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines einheitlichen
Schengen-Visums nicht erfüllt, kann ein Visum mit räumlich beschränkter
Gültigkeit erteilt werden, wenn der Mitgliedstaat es aus humanitären
Gründen, aus Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund
internationaler Verpflichtungen für erforderlich erhält (Art. 2 Abs.4 i.V.m.
Art. 25 Abs. 1 Bst. a Visakodex). Ein solches Visum ist grundsätzlich nur
für das Hoheitsgebiet des ausstellenden Staates gültig (vgl. Art. 25 Abs. 2
Visakodex). Unter denselben Voraussetzungen kann einer drittstaats-
angehörigen Person die Einreise an den Aussengrenzen gestattet werden
(vgl. Art. 5 Abs. 4 Bst. c SGK).
4.2 Eine Visumserteilung aus humanitären Gründen ist auf nationaler
Ebene in Art. 2 Abs. 4 i.V.m. Art. 12 Abs. 4 VEV normiert. Entsprechend der
genannten Bestimmung können das Eidgenössische Departement für
auswärtige Angelegenheiten (EDA) und das BFM im Rahmen ihrer Zu-
ständigkeiten im Einzelfall eine Einreise für einen Aufenthalt von höchs-
tens 90 Tagen aus humanitären Gründen oder zur Wahrung nationaler
Interessen oder internationaler Verpflichtungen bewilligen. Nach der Auf-
hebung der Möglichkeit, bei einer Schweizer Auslandsvertretung ein
Asylgesuch einzureichen (im Rahmen der dringlichen Änderung des
Asylgesetzes vom 28. September 2012 [AS 2012 5359] zum 29. Septem-
ber 2012), hat die Vorschrift massgeblich an Bedeutung gewonnen. Der
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Bundesrat hat in diesem Zusammenhang in seiner Botschaft vom 26. Mai
2010 zur Änderung des Asylgesetzes unter Hinweis auf die Wahrung der
humanitären Tradition der Schweiz ausdrücklich festgehalten, dass auch
in Zukunft offensichtlich unmittelbar, ernsthaft und konkret gefährdete
Personen den Schutz der Schweiz erhalten sollen; dies unter explizitem
Verweis auf die bestehende Möglichkeit, um ein Visum "aus humanitären
Gründen" zu ersuchen (vgl. BBl 2010 4455, insbes. 4468, 4472, 4490).
Zudem könne angesichts der einfacheren Verfahrensabläufe bei Visage-
suchen der administrative Aufwand gesenkt werden, dies werde ins-
besondere dadurch erreicht, dass keine asylrechtlichen Befragungen mehr
stattfinden würden (BBl 2010 4490).
4.3 Der Begriff "humanitäre Gründe" ist weder in den Normen des SGK,
des Visakodex noch in der VEV näher bestimmt. In der genannten
Botschaft zur Änderung des Asylgesetzes umschreibt der Bundesrat
jedoch in genügend konkretisierender Weise, dass die Einreise in die
Schweiz durch eine Visumserteilung aus humanitären Gründen bewilligt
werden könne, wenn im Einzelfall offensichtlich davon ausgegangen
werden müsse, dass die betroffene Person im Heimat- oder Herkunftsstaat
unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet sei. Die
betroffene Person müsse sich in einer besonderen Notsituation befinden,
welche ein behördliches Eingreifen zwingend erforderlich mache und es
rechtfertige, ihr, im Gegensatz zu anderen Personen, ein Einreisevisum zu
erteilen. Dies könne etwa bei akuten kriegerischen Ereignissen oder bei
einer aufgrund der konkreten Situation individuellen Gefährdung gegeben
sein. Das Visumgesuch sei unter Berücksichtigung der aktuellen
Gefährdung, der persönlichen Umstände der betroffenen Person und der
Lage im Heimat- oder Herkunftsland sorgfältig zu prüfen (vgl. BBl. a.a.O,
S. 4468, 4472 und insbesondere 4490). Diese Ausführungen finden auch
ihren Niederschlag in den entsprechenden Weisung des BFM Nr. 322.126
"Visumsantrag aus humanitären Gründen" vom 25. Februar 2014
(nachfolgend: Weisung humanitäres Visum). Gemäss der Weisung
humanitäres Visum ist, sofern sich die Person bereits in einem Drittstaat
befinde, in der Regel davon auszugehen, dass keine Gefährdung mehr
bestehe.
4.4 Weisungen verfügen nicht über Gesetzeskraft und stellen kein eigen-
tliches Bundesrecht dar. Sie sind an die Vorgaben des internationalen -,
des Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrecht gebunden und tragen
zu einer einheitlichen und rechtsgleichen Praxis bei. Gemäss
bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Verwaltungsweisungen für die
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Justizbehörden nicht verbindlich. Sofern sie eine dem Einzelfall
angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren
gesetzlichen Bestimmungen zulassen, sollte sie das Gericht bei seiner
Entscheidung mitberücksichtigen; andererseits hat ein Gericht von
Weisungen abzuweichen, falls sie mit den anwendbaren gesetzlichen
Bestimmungen nicht vereinbar sind (vgl. BGE 125 V 379 E. 1c; BGE 123
V 72 E. 4a; BGE 122 V 253 E. 3d, 363 E. 3c, je mit Hinweisen). Als blosse
Auslegungshilfe bieten Verwaltungsweisungen keine Grundlage, um
zusätzliche einschränkende materiell-rechtliche Anspruchserfordernis-
se aufzustellen (BGE 109 V 169 E. 3b). Damit übereinstimmend hielt das
Bundesverwaltungsgericht fest, die Hauptfunktion einer Verwaltungs-
weisung bestehe darin, eine einheitliche und rechtsgleiche Handhabung
des Verwaltungsrechts sicherzustellen, indem diese Leitlinien und
Gesichtspunkte zur Konkretisierung des Verwaltungsermessens festlegen
(BVGE 2011/1 E.6.4; vgl. PETER UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit in:
UEBERSAX et al., Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rn. 7.109 f.).
4.5 Die Einreisevoraussetzungen sind beim Visumverfahren aus humani-
tären Gründen restriktiver als bei den (ehemals zulässigen) Auslandge-
suchen, bei denen Einreisebewilligungen nur sehr zurückhaltend erteilt
wurden beziehungsweise (bei den derzeit noch hängigen Verfahren)
werden (vgl. zur entsprechenden Praxis BVGE 2011/10 E. 3.3). Auf diesen
Umstand hatte auch der Bundesrat in der Botschaft vom 26. Mai 2010
hingewiesen (vgl. BBl 2010 S. 4468, 4490). Der unbestimmte Rechtsbegriff
"humanitäre Gründe" ist jedoch sehr offen formuliert und erfasst potentiell
mehr Sachverhalte, als dies bei den Voraussetzungen im
Auslandsverfahren der Fall war. Im Vergleich zu den Auslandsver-fahren
ist die konkrete individuelle Gefährdung an kein Verfolgungsmotiv
geknüpft, weshalb vom Begriff humanitäre Gründe sowohl Gefährdungen
im Sinne von Art. 3 AsylG als auch Gefährdungen, die unter andere
völkerrechtliche Bestimmungen zu subsumieren wären (bspw. Art. 3
EMRK), erfasst werden können. Zentraler Aspekt der Gefährdungs-
beurteilung scheint einzig der unmittelbar, ernsthaft und konkret drohende
Eingriff in die fundamentalen Rechtsgüter Leib und Leben. Darüber
hinausgehend können Personen in den Genuss eines humanitären Visums
kommen, deren Gefährdung auf die allgemeine Situation im Heimat- oder
Herkunftsstaat zurückzuführen ist (bspw. Kriegsflüchtlinge oder
Naturkatastrophen).
Die angestrebte Reduktion der Einreisebewilligungen dürfte sich gröss-
tenteils aus dem – im Sinne einer nicht unumstösslichen Regelvermutung
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– Gefährdungsausschluss bei Aufenthalt der antragstellenden Person in
einem Drittstaat ergeben. Zudem sind lediglich Eingriffe in die Rechts-güter
Leib und Leben relevant, womit Eingriffe in die Freiheit oder Massnahmen,
die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken, nicht erfasst
werden. Auch kommt dem BFM im Rahmen der Visa-erteilung ein grosser
Ermessensspielraum zu (vgl. UEBERSAX, a.a.O., Rn. 7.67 ff.). Schliesslich
lässt sich die Formulierung, dass von einer entsprechenden Gefährdung
offensichtlich ausgegangen werden müsse, den Schluss zu, dass sich die
Beweislast verschiebt und ein abge-schwächter Untersuchungsgrundsatz
gilt.
4.6 In der Beschwerdeschrift vom 9. Oktober 2014 wird im Wesentlichen
vorgebracht, die Gesuchstellenden seien zwecks Vorsprache bei der
Vertretung in die Türkei gereist und hätten all ihren Besitz verkaufen
müssen. In der Türkei sei die Situation äusserst schwierig, wobei die
Gesuchstellenden über keinen gesicherten Aufenthalt und insbesondere
über keinen Zugang zu der erforderlichen medizinischen Behandlung
erhielten. Die Stimmung gegenüber den syrischen Flüchtlingen in der
Türkei sei gekippt und diese seien grundsätzlich nicht mehr willkommen.
Schliesslich hätten die Gesuchstellenden, da sie den Aufenthalt in der
Türkei nicht mehr finanzieren konnten, nach Syrien zurückkehren müssen.
4.7 Die Zahl der syrischen Flüchtlinge in der Türkei ist gemäss jüngeren
Zeitungsberichten auf mittlerweile gut 1.5 Millionen Personen angestiegen
(Sü, Die Türkei vollbringt eine Grosstat – helft ihr!, gefunden
auf:
vollbringt-eine-grosstat-helft-ihr-1.2146092> zuletzt besucht am
5. Dezember 2014; siehe auch UNHCR, Turkey - UNHCR Operational
Update, 14-20 November 2014, 20 November 2014, gefunden auf:
[zuletzt besucht am
5. Dezember 2014]). Währendem die türkische Regierung äusserst er-
folgreich Flüchtlingslager aufgebaut hat, lebt die überwiegende Mehrheit
der syrischen Flüchtlinge – knapp 80 % – ausserhalb der Lager. Der
Zugang zu Arbeit, Ausbildung und Gesundheitsversorgung gestaltet sich
für diese Flüchtlinge sehr viel schwieriger (vgl. Brookings-Bern Project on
Internal Displacement, Syrian Refugees and Turkey's Challenges: Going
Beyond Hospitality, 12. Mai 2014, S. 15, gefunden auf:
/docid/53beb5aa4.html> [zuletzt besucht am 5. Dezember
2014]). Ein Ende des Konfliktes in Syrien ist zurzeit nicht absehbar,
weshalb eine freiwillige Rückkehr der Mehrheit der Flüchtlinge in ihren
Heimatstaat unwahrscheinlich ist.
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Seite 11
4.8 Das Gericht stellt die schwierigen Lebensumstände der Gesuch-
stellenden in der Türkei nicht in Abrede. Dennoch schliesst sich das Gericht
den Ausführungen des SEM an, wonach im vorliegenden Ver-fahren keine
Gründe ersichtlich sind, die darauf hindeuteten, die Gesuch-stellenden
seien unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet
respektive befinden sich in einer besonderen Notlage, welche ein
behördliches Eingreifen zwingend erforderlich erscheinen liesse. Insbe-
sondere ist auch keine drohende Verletzung des non-refoulement Gebotes
ersichtlich. Obwohl durch die eingereichten Arztberichte belegt wird, dass
der Gesundheitszustand der Gesuchstellerin (Mutter) im März 2012 ange-
schlagen war und offenbar halbjährliche Kontrolluntersu-chungen
angezeigt waren, geht aus den Berichten nicht hervor, dass sie auf eine
darüber hinausgehend Therapie oder Medikamente angewiesen wäre.
Ebenso wird in der Beschwerde nicht näher dargelegt, dass sie die
angeblich erforderliche medizinische Behandlung nicht erhalten hätte.
Mangels substantiierter Anhaltspunkte ist das Vorliegen einer medizi-
nischen Notlage daher zu verneinen.
Zur angeblichen Rückkehr nach Syrien ist zu bemerken, dass es sich auch
hierbei lediglich um eine Behauptung handelt, die in Anbetracht dessen,
dass sich die Gesuchstellenden in der Türkei in relativer Sicherheit
befunden haben, kaum nachvollziehbar ist. Die Begründung, sie hätten
alles verloren und könnten sich daher einen Aufenthalt in der Türkei nicht
leisten, während sie in Syrien zumindest etwas zu essen und Zugang zu
traditioneller medizinischer Behandlung hätten, vermag nicht zu
überzeugen. So wird in der Beschwerde einerseits ausführlich auf die
schwierigen Lebensbedingungen in der Türkei eingegangen, um anderer-
seits auszuführen, die Gesuchstellenden würden sich gar nicht mehr in der
Türkei befinden, womit widersprüchliche Angaben gemacht werden.
Andererseits erschöpfen sich die diesbezüglich gemachten Ausführungen
darin, dass die Gesuchstellenden nach Syrien zurückgekehrt seien.
Nähere Angaben zu Ort oder Lebensbedingungen wurden gänzlich unter-
lassen; ebenso wurde kein einziges Beweismittel eingereicht. Hinsichtlich
des nicht näher substantiierten Umstandes, die Gesuchstellenden seien
wieder in Syrien, erübrigen sich weitere Erörterungen. Mangels
irgendwelcher Belege hierfür ist doch vielmehr anzunehmen, dass sie sich
weiterhin in der Türkei und damit in einem Drittstaat aufhalten.
4.9 Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen darzulegen, dass den
Gesuchstellenden gestützt Art. 2 Abs. 4 i.V.m. Art. 12 Abs. 4 VEV Visa aus
humanitären Gründen zu erteilen und die Einreise zu bewilligen wären.
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Seite 12
5.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und
vollständig feststellt und angemessen ist. Die Beschwerde ist daher
abzuweisen.
6.
6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Be-
schwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
6.2 In der Beschwerdeschrift vom 9. Oktober 2014 ersuchte der Be-
schwerdeführer um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 VwVG.
6.3 Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im
Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG ist abzuweisen, da die Begehren – wie sich
aus den vorstehenden Erwägungen ergibt – als aussichtlos zu bezeichnen
waren, weshalb die Voraussetzungen für die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege nicht erfüllt sind.
6.4 Demnach sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und
auf insgesamt Fr. 700.– festzusetzen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 1 – 3 des
Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)

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Seite 13
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1
VwVG wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 700.– werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer und das SEM.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Contessina Theis Eva Hostettler


Versand: