D-5659/2014 - Abteilung IV - Asyl (ohne Wegweisung) - Asyl (ohne Wegweisung); Verfügung des BFM vom 1. S...
Karar Dilini Çevir:
D-5659/2014 - Abteilung IV - Asyl (ohne Wegweisung) - Asyl (ohne Wegweisung); Verfügung des BFM vom 1. S...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-5659/2014



U r t e i l v o m 1 8 . M ä r z 2 0 1 5
Besetzung

Richter Martin Zoller (Vorsitz),
Richterin Muriel Beck Kadima, Richter Gérard Scherrer,
Gerichtsschreiber Daniel Widmer.
Parteien

1. A._______, geboren (…), Äthiopien,
und deren Sohn
2. B._______, geboren (…), Staatsangehörigkeit unbekannt,
alias C._______, geboren (…),
Äthiopien,
beide vertreten durch Samuel Häberli, Freiplatzaktion Zürich,
(…),
Beschwerdeführende,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM;
zuvor Bundesamt für Migration, BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand

Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);
Verfügung des BFM vom 1. September 2014 / N (…).



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Sachverhalt:
I.
A.
A.a Die Beschwerdeführende 1 suchte am 8. Mai 2011, von D._______
herkommend, in der Schweiz um Asyl nach. Dazu wurde sie am (…) sum-
marisch befragt (BzP). Zudem wurde ihr das rechtliche Gehör zur Zustän-
digkeit D._______ für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsver-
fahrens gewährt.
A.b Mit Verfügung vom 25. August 2011 trat das BFM in Anwendung von
aArt. 34 Abs. 2 Bst. d Asylgesetz (AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch
nicht ein, verfügte die Wegweisung nach D._______, forderte die Be-
schwerdeführende 1 – unter Androhung von Zwangsmitteln im Unterlas-
sungsfall – auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu
verlassen.
B.
B.a Mit an das Bundesverwaltungsgericht adressierter Beschwerde vom
(…) beantragte die Beschwerdeführende 1 durch ihre damalige Rechtsver-
treterin (…), die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und das Amt an-
zuweisen, sein Recht zum Selbsteintritt auszuüben und sich für das Asyl-
gesuch zuständig zu erklären.
B.b Mit Urteil D-4851/2011 vom 13. September 2011 wies das Bundesver-
waltungsgericht die Beschwerde ab.

Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen
aus, D._______ habe der Übernahme der Beschwerdeführenden 1 ge-
stützt auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar
2003 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mit-
gliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein
Staatsangehöriger eines Drittlandes in einem Mitgliedstaat gestellt hat
(Dublin-II-VO), stillschweigend zugestimmt und sei deshalb für die Durch-
führung des Asyl- und Wegweisungsverfahren staatsvertraglich zuständig.
B.c Am (…) Oktober 2011 wurde die Beschwerdeführende 1 nach
D._______ überstellt.

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II.
C.
C.a Am 8. November 2011 suchte die Beschwerdeführende 1 zum zweiten
Mal in der Schweiz um Asyl nach. Am (…) wurde ihr das rechtliche Gehör
zur Zuständigkeit D._______ für die Durchführung des Asyl- und Wegwei-
sungsverfahrens gewährt.
C.b Mit Verfügung vom 6. Februar 2012 trat das BFM in Anwendung von
aArt. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG auf das zweite Asylgesuch nicht ein, verfügte
die Wegweisung nach D._______, forderte die Beschwerdeführende 1 –
unter Androhung von Zwangsmitteln im Unterlassungsfall – auf, die
Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen.
D.
D.a Mit an das Bundesverwaltungsgericht adressierter Beschwerde vom
(…) beantragte die Beschwerdeführende 1 durch die (…), die angefoch-
tene Verfügung sei aufzuheben und das Amt anzuweisen, sein Recht zum
Selbsteintritt auszuüben und sich für das Asylgesuch zuständig zu erklä-
ren.
D.b Mit Urteil D-914/2012 vom 24. Februar 2012 wies das Bundesverwal-
tungsgericht die Beschwerde ab.

Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen
aus, D._______ habe der Übernahme der Beschwerdeführenden 1 ge-
stützt auf die Dublin-II-VO stillschweigend zugestimmt und sei deshalb für
die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahren staatsvertraglich
zuständig.
D.c Gemäss Mitteilung des Migrationsamts E._______ vom (…) Mai 2012
galt die Beschwerdeführende 1 seit dem (…) April 2012 als verschwunden.

III.
E.
E.a Am 9. August 2012 meldete sich die Beschwerdeführende 1 im Emp-
fangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) F._______.
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E.b Am 20. August 2012 wurde der Beschwerdeführenden 1, welche er-
klärte, die Schweiz nach Abschluss ihres zweiten Asylverfahrens nicht ver-
lassen zu haben, das rechtliche Gehör zu einer Überstellung nach
D._______ gewährt. Mit Schreiben des BFM vom selben Tag wurde ihr mit-
geteilt, dass die Verfügung des Bundesamts vom 6. Februar 2012 und so-
mit auch die Rückübernahmezusicherung D._______ noch immer gültig
seien und sie zwecks Vollzugs der Wegweisung nach D._______ dem Kan-
ton E._______ zugewiesen würde.
E.c Mit Schreiben vom 21. Januar 2013 ersuchte der von der Beschwer-
deführenden 1 neu mandatierte Rechtsvertreter das BFM um Aktenein-
sicht. Diese wurde ihm am 25. Januar 2013 schriftlich gewährt.
E.d Am (…) wurde in E._______ der Sohn der Beschwerdeführenden 1
geboren, für welchen zunächst der Name C._______ verwendet wurde, bis
er am 5. Februar 2015 vom Zivilstandsamt E._______ unter dem Namen
B._______ registriert wurde. Gemäss Angaben der Beschwerdeführen-
den 1 handelt es sich beim Kindsvater um den äthiopischen Staatsange-
hörigen G._______ (…), welcher eine Aufenthaltsbewilligung für die
Schweiz besitze.
E.e Nach Ablauf der Überstellungsfrist hob das BFM mit Verfügung vom
19. Juli 2013 seine Verfügung vom 6. Februar 2012 auf, nahm das natio-
nale Asylverfahren wieder auf und bezog den Beschwerdeführenden 2 in
dieses ein.
E.f Mit Schreiben vom 23. Oktober 2013 teilte der Rechtsvertreter der Be-
schwerdeführenden dem BFM mit, dass der Beschwerdeführende 2 an (…)
leide, und reichte entsprechende ärztliche Berichte des Universitätsspitals
E._______ vom 29. Mai 2013 und 6. Juni 2013 ein.
E.g Am 28. Februar 2014 wurde die Beschwerdeführende 1 im EVZ
F._______ angehört. Gleichzeitig wurde sie zur Einreichung eines Arztbe-
richts betreffend den Beschwerdeführenden 2 aufgefordert. Dieser Bericht
datiert vom 10. März 2014. Zudem reichte der Rechtsvertreter der Be-
schwerdeführenden mit Schreiben vom 20. März 2014 ein DNA-Gutachten
vom 4. Oktober 2013 betreffend Vaterschaft von G._______ ein. Am 8. Ap-
ril 2014 wurde die Anhörung vom 28. Februar 2014 fortgesetzt und abge-
schlossen.
E.h Die Beschwerdeführende 1 machte zur Begründung ihres Asylgesuchs
anlässlich der BzP, der zweiteiligen Anhörung sowie in ihren schriftlichen
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Eingaben und den eingereichten Beweismitteln im Wesentlichen Folgen-
des geltend:
Sie sei äthiopische Staatsangehörige amharischer Ethnie und habe von
Geburt bis zum (…) 2010 stets in I._______ gelebt. Sie habe dort die
Schule besucht und in der Folge, ohne Berufsausbildung, ihrem als
J._______ tätigen K._______ geholfen. Am (…) 2007 sei sie Mutter (Kind)
geworden, (Kind) sich aktuell in der Obhut (…) in I._______ befinde. Dort
würden – gemäss den Aussagen der Beschwerdeführenden 1 anlässlich
der BzP – auch ihr K._______ und ihre (…) Geschwister (…) wohnen be-
ziehungsweise sie habe – gemäss ihren Aussagen anlässlich der Anhö-
rung – noch während ihres Aufenthalts in H._______ erfahren, dass ihre
gesamte Familie I._______ verlassen hätte und kenne deren Aufenthalts-
ort nicht. Die Beschwerdeführende 1 habe nie einen Reisepass oder eine
Identitätskarte besessen. Im Jahr 1997 (Äthiopischer Kalender [ÄK] bzw.
2004/2005 Gregorianischer Kalender [GK]) habe sie sich in der
M._______-Partei bewegt, ohne jedoch Mitglied gewesen zu sein. Am (…)
1998 (ÄK; (…) 2006 GK) sei sie anlässlich einer Kundgebung geschlagen
worden. Nach den Wahlen im Jahr 1997 (ÄK) bis zum Jahr 2001 (ÄK) habe
sie K._______ bei der Arbeit unterstützt und sei politisch nicht aktiv gewe-
sen. Erst nach der Spaltung der M._______ habe sie gehört, dass sie auch
für die N._______ politisch tätig sein könnte. Sie sei nicht Mitglied der
N._______ gewesen, weil diese Partei in Äthiopien verboten gewesen sei
beziehungsweise im Jahr 2001 (ÄK bzw. 2008/2009 GK) sei sie Mitglied
geworden und habe von einer beziehungsweise verschiedenen Personen
Flugblätter erhalten, welche sie an gut frequentierten Plätzen ausgelegt
habe. Im Monat O._______ 2001 (ÄK bzw. (…) GK) sei sie dabei von ei-
nem beziehungsweise mehreren beziehungsweise (…) Beamten des Si-
cherheitsdienstes erwischt, festgenommen und daraufhin vergewaltigt wor-
den. Dieser Mann beziehungsweise mehrere Sicherheitsbeamte hätten sie
immer wieder treffen wollen. Dies habe sie bis zu ihrer Ausreise zugelas-
sen, da sie sonst von ihm beziehungsweise von ihnen verraten worden
wäre. Da sie die entsprechenden Wünsche erfüllt habe, sei sie nicht ange-
zeigt worden beziehungsweise – gemäss ihren Aussagen anlässlich der
Anhörung – bis zu ihrer Ausreise überall aufgesucht worden, wobei nach
ihrem Leben getrachtet worden sei, indem sie von einer unbekannten Per-
son (…) angefahren worden sei. Bei dieser Anhörung führte die Beschwer-
deführende 1 auch aus, sie sei von einem Sicherheitsbeamten, von dem
sie nach der Festnahme vergewaltigt worden sei, abermals aufgesucht und
geschlagen, jedoch nicht mehr vergewaltigt worden. Am (…) 2010 (GK)
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habe sie I._______ verlassen und sei über P._______ nach H._______ ge-
reist, wo sie sich während (…) als (…) bei einer Privatperson aufgehalten
habe. Am (…) 2011 (GK) sei sie (…) weitergereist und (..) 2011 auf
Q._______ angekommen. Nach Aufenthalten von (…) in R._______ und
(…) in S._______ sei sie am 8. Mai 2011 illegal in die Schweiz gereist. Hier
habe sie um Asyl nachgesucht. Nach Verlassen ihres Heimatstaats habe
sie erfahren, dass sie im Zusammenhang mit den Flugblättern eine Vorla-
dung erhalten habe. Nach ihrer Ankunft in der Schweiz habe sie im Internet
recherchiert und Mitglieder der T._______ getroffen. Dabei handle es sich
um die in der Schweiz aktive N._______. Sie sei der Partei beigetreten und
nehme am Unterricht der T._______ (…) teil. Zudem informiere sie in (…)
und bei anderen Gelegenheiten über die Partei und werbe so für diese
neue Mitglieder. Sie mache Mund-zu-Mund-Propaganda und gebe den
Link der Internetseite weiter. Es sei ihr noch nie möglich gewesen, in der
Schweiz an einer Versammlung der T._______ teilzunehmen beziehungs-
weise sie habe bisher einzig eine Informationsveranstaltung in (…) in
E._______ als Zuhörerin besucht, dabei jedoch keine bestimmte Funktion
innegehabt.
Die Beschwerdeführende 1 reichte keine Identitätsdokumente ein. Zur
Stützung ihrer Vorbringen reichte sie am 30. Juni 2014 einen gültigen Mit-
gliederausweis der T._______ U._______ und ein diesbezügliches Schrei-
ben vom (…) 2014 sowie (…) ein.
F.
Mit Verfügung vom 1. September 2014 – eröffnet am 2. September 2014 –
stellte das BFM fest, die Beschwerdeführenden erfüllten die Flüchtlingsei-
genschaft nicht (Dispositiv-Ziff. 1), und lehnte die Asylgesuche ab (Dispo-
sitiv-Ziff. 2). Gleichzeitig ordnete es die Wegweisung der Beschwerdefüh-
renden aus der Schweiz an (Dispositiv-Ziff. 3), schob indessen den Vollzug
der Wegweisung wegen Unzumutbarkeit zu Gunsten einer vorläufigen Auf-
nahme auf (Dispositiv-Ziffn. 4–7).
Zur Begründung führte das BFM im Wesentlichen aus, die geltend ge-
machten Verfolgungsvorbringen genügten weder den Anforderungen an
die Glaubhaftigkeit noch denjenigen an die Flüchtlingseigenschaft. So sei
die Beschwerdeführende 1 nicht in der Lage gewesen zu erklären, warum
sie nach dem Zerfall der M._______, für welche sie einst aktiv gewesen
sei, während (…) Jahren politisch untätig gewesen und dann kurzerhand
für die N._______ tätig geworden sei. Ebenso unsubstanziiert seien ihre
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Aussagen zu den angeblichen Tätigkeiten für die N._______ und den Um-
ständen, wie sie die Flugblätter erhalten und verteilt habe. Schliesslich
handle es sich um eine Partei, welche sie gemäss ihren Aussagen nie per-
sönlich kennengelernt und von der ihr lediglich ein Bekannter berichtet
habe. Zudem habe sie anlässlich der BzP erklärt, nicht Mitglied gewesen
zu sein, und anlässlich der Anhörung das Gegenteil behauptet. Auf Vorhalt
dieses Widerspruchs habe sie lediglich erklärt, sie hätte in Äthiopien nie
einen Parteivertreter persönlich kennengelernt, sondern erst in der
Schweiz. Auch der von ihr in Kopie eingereichte Mitgliederausweis der
T._______ U._______ vermöge diesen Widerspruch nicht zu klären. An-
lässlich der Anhörung habe sie ihre Festnahme ausweichend und ohne jeg-
liche Realkennzeichen geschildert. Zudem seien ihre Aussagen hinsicht-
lich der Ereignisse nach der Festnahme äusserst unterschiedlich ausgefal-
len. Bei der BzP habe sie erklärt, dass sie in der Folge bis zur Ausreise von
einem einzigen Sicherheitsbeamten immer wieder vergewaltigt worden sei.
Gemäss ihren Aussagen in der Anhörung vom 28. Februar 2014 sei sie
nach ihrer Festnahme von mehreren Personen vergewaltigt und geschla-
gen worden. Anlässlich der Fortsetzung dieser Anhörung am 8. April 2014
habe sie erklärt, von (…) Sicherheitsbeamten vergewaltigt und gefoltert
worden zu sein. Bis zu ihrer Ausreise sei sie weiterhin vom einen verge-
waltigt und vom anderen immer wieder geschlagen worden. Auf Vorhalt
dieses Widerspruchs habe sie erklärt, wegen der Kürze der BzP bezie-
hungsweise weil sie sich dort habe kurz fassen müssen habe sie nur be-
richten können, dass sie von einem Sicherheitsbeamten vergewaltigt wor-
den sei; des Weiteren hätte sie sich geschämt vor der Aussage, wonach
sie statt von nur einem sogar von (…) Sicherheitsbeamten vergewaltigt
worden sei. Das Vorbringen, bis zur Ausreise vom einen Beamten weiterhin
vergewaltigt und vom anderen stets geschlagen worden zu sein, sei indes-
sen – so das BFM – genauso widersprüchlich und unschlüssig. Gemäss
ihren Aussagen bei der BzP habe sich der Sicherheitsmann, von dem sie
später vergewaltigt worden sei, mit seinem Personalausweis ausgewiesen.
Dies sei jedoch in keiner Weise nachvollziehbar, zumal sie auf diese Weise
Kenntnis von der Identität des Täters erhalten hätte. Darauf in der Anhö-
rung angesprochen und unter Hinweis, den Fragen nicht weiter auszuwei-
chen, habe sie erklärt, die Personen vom Sicherheitsdienst hätten ihr nach
der Vergewaltigung gesagt, wer sie seien, und den Widerspruch zu den
Aussagen in der BzP damit erklärt, dass es selbstverständlich sei, dass die
Personen ihre Ausweise gezeigt hätten und die Beschwerdeführende 1
dies daher nicht erwähnt habe. Demnach sei es ihr nicht gelungen glaub-
haft zu machen, dass sie unter den geschilderten Umständen in Äthiopien
für die N._______ politisch tätig gewesen sei und die geltend gemachten
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sexuellen Übergriffe im geschilderten Kontext stattgefunden hätten. Zudem
sei die Schilderung des Reisewegs realitätsfremd und substanzlos ausge-
fallen. Dass sie angeblich in ihrem Leben noch nie Ausweisdokumente be-
sessen und auch keine rechtsgenüglichen Identitätsdokumente eingereicht
habe, liesse darauf schliessen, dass sie auf andere als die von ihr beschrie-
bene Weise in die Schweiz gereist sei. Es sei davon auszugehen, dass sie
mit einem gültigen Reisepapier ausgestattet gewesen sei, welches sie den
Asylbehörden absichtlich vorenthalte, um ihre Identität nicht offenlegen zu
müssen und eine Rückführung in den Heimatstaat zu verhindern oder zu-
mindest zu erschweren. Schliesslich habe sie das Vorbringen, wonach un-
bekannte Personen versucht hätten, sie (…) anzufahren und dadurch zu
töten, bei der BzP mit keinem Wort erwähnt. Auf Vorhalt anlässlich der An-
hörung habe sie erklärt, dass sie bei der BzP noch neu gewesen sei und
das Geschehene habe zusammenfassen müssen.
Das Vorbringen, wonach sie im Jahr 1998 (ÄK) an einer Kundgebung teil-
genommen habe und dabei – wie viele andere Teilnehmer – geschlagen
worden sei, sei asylrechtlich nicht relevant. Zum einen fehle der in zeitlicher
Hinsicht erforderliche genügend enge Kausalzusammenhang zwischen
dem Vorfall und der Ausreise. Zum anderen wirke sich dieser aufgrund sei-
ner Art und Intensität nicht in asylrechtlich relevanter Weise aus.
Der Beschwerdeführenden 1 sei es nicht gelungen, politisch motivierte Ver-
folgung durch die äthiopischen Behörden glaubhaft zu machen. Demnach
sei nicht davon auszugehen, dass sie vor dem Verlassen ihres Heimat-
staats als regimefeindliche Person ins Blickfeld der äthiopischen Behörden
geraten oder dort in irgendeiner Form als Regimegegnerin oder politische
Aktivistin registriert worden sei. Demzufolge sei auch nicht davon auszu-
gehen, dass sie nach ihrer Ankunft in der Schweiz unter spezieller Be-
obachtung seitens der äthiopischen Behörden gestanden sei. Den Akten
könnten keine Hinweise darauf entnommen werden, dass die äthiopischen
Behörden von ihrer Mitgliedschaft bei der T._______ überhaupt Kenntnis
genommen oder gar gestützt darauf irgendwelche Massnahmen zu ihrem
Nachteil eingeleitet hätten. Der in Kopie eingereichte Mitgliederausweis der
T._______ U._______ bestätige ihre Mitgliedschaft bei dieser Partei. Beim
eingereichten T._______-Schreiben vom (…) 2014 handle es sich jedoch
offensichtlich um ein Dokument, das sich jedermann über die Homepage
der T._______ (…) mit den gewünschten Angaben ausfüllen, ausstellen
und zusenden lassen könne. Hinzu komme, dass die Beschwerdefüh-
rende 1 erklärt habe, nie beziehungsweise lediglich ein einziges Mal bei
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einer Versammlung der T._______ in (…) in E._______ anwesend gewe-
sen zu sein, und es ihr aufgrund der Geburt ihres (…) und insbesondere
auch von dessen Krankheit nicht möglich gewesen sei, an T._______-Ver-
sammlungen teilzunehmen. Dieser Schilderung widerspreche indessen
das eingereichte T._______-Schreiben, wonach sie aktive Teilnehmerin
der T._______ sei und Fotos und Videos von ihr in den sozialen Medien
gefunden werden könnten, habe sie dies doch auf die Frage nach ihren
Aktivitäten für die T._______ U._______ mit keinem Wort erwähnt. Somit
sei das T._______-Schreiben als reines Gefälligkeitsschreiben bezie-
hungsweise als eigenmächtig ausgefülltes, allgemein zugängliches Doku-
ment zu qualifizieren. Schliesslich dürfte auch den äthiopischen Behörden
bekannt sein, dass viele äthiopische Emigranten aus vorwiegend wirt-
schaftlichen Gründen versuchten, sich in Europa und speziell auch in der
Schweiz vor oder nach Abschluss ihres Asylverfahrens ein dauerhaftes
Aufenthaltsrecht zu erwirken, indem sie regimekritischen Aktivitäten nach-
gingen. Die äthiopischen Behörden hätten nur dann ein Interesse an der
Identifizierung einer Person, wenn deren Aktivitäten als konkrete Bedro-
hung für das politische System wahrgenommen würden. In casu bestün-
den keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beschwerdeführende 1 in die-
ser besonderen Art und Weise betätigt und exponiert hätte. Demnach ver-
möchten die vorgebrachten subjektiven Nachfluchtgründe den Anforderun-
gen an die Flüchtlingseigenschaft ebenfalls nicht standzuhalten.
Im Übrigen sei der Vollzug der Wegweisung zwar zulässig, doch erweise
er sich in Würdigung sämtlicher Umstände und unter Berücksichtigung der
Aktenlage, namentlich des Umstandes, dass die Beschwerdeführende 1
Mutter eines an (…) leidenden Kindes sei, zum gegenwärtigen Zeitpunkt
als nicht zumutbar.
G.
Mit Eingabe vom 2. Oktober 2014 (Datum des Poststempels) an das Bun-
desverwaltungsgericht liessen die Beschwerdeführenden durch ihren
Rechtsvertreter die Aufhebung der Ziffern 1 bis 3 des Dispositivs der ange-
fochtenen Verfügung, die Rückweisung der Sache zwecks Erhebung des
vollständigen Sachverhalts an die Vorinstanz, die Feststellung der Flücht-
lingseigenschaft und die Gewährung von Asyl, eventualiter die Anordnung
der vorläufigen Aufnahme als Flüchtlinge infolge subjektiver Nachflucht-
gründe im Sinne von Art. 54 AsylG, beantragen. In prozessualer Hinsicht
wurden der Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses sowie die
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Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (Erlass allfälliger Verfah-
renskosten) beantragt. Auf die Begründung wird, soweit für den Entscheid
wesentlich, in den Erwägungen eingegangen.
H.
Mit Zwischenverfügung vom 7. Oktober 2014 teilte das Bundesverwal-
tungsgericht den Beschwerdeführenden mit, dass sie den Ausgang des
Verfahrens in der Schweiz abwarten dürfen, und hiess das Gesuch um Ge-
währung der unentgeltlichen Prozessführung unter der Voraussetzung des
Nachreichens einer Fürsorgebestätigung, wozu eine Frist angesetzt
wurde, gut. Zudem wurde eine identische Frist bis zum 22. Oktober 2014
zur Leistung eines Kostenvorschusses angesetzt, verbunden mit der An-
drohung des Nichteintretens, falls innert Frist weder die Fürsorgebestäti-
gung eingereicht noch der Kostenvorschuss geleistet werde.
I.
Mit Schreiben vom 15. Oktober 2014 reichten die Beschwerdeführenden
eine Bestätigung (…) vom 3. Oktober 2014 ein.
J.
Mit verfahrensleitender Verfügung vom 27. Oktober 2014 hiess das Bun-
desverwaltungsgericht das Gesuch um Gewährung der Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung beziehungsweise um Verzicht auf die Auf-
erlegung allfälliger Verfahrenskosten – unter Vorbehalt veränderter finanzi-
eller Verhältnisse der Beschwerdeführenden – gut und lud die Vorinstanz
zur Einreichung einer Vernehmlassung ein.

K.
K.a Mit Vernehmlassung vom 4. November 2014 beantragte das Bundes-
amt die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung führte es aus, die
Beschwerdeschrift enthalte keine neuen erheblichen Tatsachen oder Be-
weismittel, welche eine Änderung seines Standpunkts rechtfertigten. Auf
die weitere Begründung wird, soweit für den Entscheid wesentlich, in den
Erwägungen eingegangen. Im Übrigen verwies das BFM auf seine Erwä-
gungen, an denen vollumfänglich festgehalten wurde.
K.b Die Vernehmlassung wurde den Beschwerdeführenden am 7. Novem-
ber 2014 zur Kenntnis gebracht und ihnen eine Frist bis zum 24. November
2014 zur Replik gesetzt.
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Seite 11
K.c In ihrer Replik vom 24. November 2014 nahmen die Beschwerdefüh-
renden Stellung zum Inhalt der Vernehmlassung und hielten grundsätzlich
an ihren bisherigen Vorbringen fest. Insbesondere wäre für den Fall, dass
sich die Beschwerdeführende 1 in psychiatrische Behandlung begeben
und ihr eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert
würde, deren ärztlich befundene Ursache im Rahmen der Glaubhaftigkeits-
prüfung angemessen zu würdigen.
L.
L.a Mit Schreiben vom 8. Januar 2015 teilte die Beschwerdeführende 1
mit, dass sie sich für eine psychiatrisch-psychologische Therapie entschie-
den habe und demnächst durch ihre Hausärztin an eine entsprechende
Fachspezialistin überwiesen werde.
L.b In einem weiteren Schreiben vom 21. Januar 2015 teilte sie mit, dass
sie an V._______, überwiesen worden sei und demnächst das Datum der
ersten Sitzung festgelegt werden würde.
L.c Mit Schreiben vom 8. Januar 2015 teilte sie schliesslich mit, dass der
erste Termin mit V._______ am 5. Februar 2015 stattfinden werde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den
Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver-
waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne
von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher
zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entschei-
det auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser – was in casu nicht zutrifft
– bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem
die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83
Bst. d Ziff. 1 BGG).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG,
soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
2.
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Seite 12
Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Die Beschwerdefüh-
renden haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch
die angefochtene Verfügung besonders berührt und haben ein schutzwür-
diges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind
daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 108 Abs. 1 AsylG
sowie Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 und Art. 52
Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
3.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich
Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt
werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
4.
4.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grund-
sätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person anerkannt,
wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt wohnte, wegen
ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten so-
zialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften
Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen
ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Ge-
fährdung von Leib, Leben oder Freiheit sowie Massnahmen, die einen un-
erträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Flucht-
gründen ist Rechnung zu tragen (Art. 3 AsylG).
4.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die
Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für ge-
geben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen
Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsa-
chen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte
Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
5.
5.1 In der Beschwerde wird in formeller Hinsicht eine unvollständige Abklä-
rung des rechterheblichen Sachverhalts gerügt, weshalb das Verfahren an
die Vorinstanz zurückzuweisen sei. Diese verfahrensrechtliche Rüge ist
vorab zu prüfen, da sie allenfalls geeignet wäre, eine Kassation der vo-
rinstanzlichen Verfügung zu bewirken (vgl. BVGE 2008/47; Entscheidun-
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Seite 13
gen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen Asylrekurskom-
mission [EMARK] 2004 Nr. 38; vgl. KÖLZ et al., Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes; 3. Aufl. 2013, S. 403 f., m.w.H.).
Zur Begründung der Rüge wird zum einen unter Zitierung diverser Proto-
kollstellen ausgeführt, bei der Anhörung der Beschwerdeführenden 1 sei
die Anwesenheit ihres (…) Kleinkindes sowohl von der Befragerin als auch
von der Kindsmutter als anstrengend beziehungsweise beeinträchtigend
empfunden worden, weshalb kein faires Verfahren habe garantiert werden
können. Zum andern sei die Beschwerdeführende 1 im freien Redefluss zu
ihren politischen Aktivitäten im ersten Teil der Anhörung auffallend häufig
beziehungsweise in deren zweiten Teil ab und zu unterbrochen worden,
wobei auch dieser Umstand dazu geführt haben dürfte, dass sie in ihrer
Ausdrucksmöglichkeit eingeschränkt worden sei (…).
5.2 Diese Einwände sind nicht stichhaltig. So ergeben sich aus den Akten
keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anwesenheit des Beschwerdeführen-
den 2 Auswirkungen auf den ersten Teil der Anhörung (vom 28. Februar
2014) gehabt hätte. Diese wurde um (…) Uhr abgebrochen und konnte
wegen einer diesbezüglichen Terminkollision der Dolmetscherin am Nach-
mittag nicht fortgesetzt werden (…). Die Anhörung wurde am 8. April 2014
um (…) Uhr fortgesetzt und um (…) Uhr abgeschlossen, wobei die Rück-
übersetzung bis (…) Uhr dauerte. Die Anwesenheit des Beschwerdefüh-
renden 2 wurde erst nach der nach einer Pause ab (…) Uhr fortgesetzten
Anhörung thematisiert, wobei nur noch wenige Fragen zu beantworten wa-
ren und die Beschwerdeführende 1 diesbezüglich erklärte, die erforderliche
Konzentration aufbringen zu können (…). Damit wird auch die Einschät-
zung in der Vernehmlassung des BFM bestätigt, wonach beide Teile der
Anhörung, wie aus den Anhörungsprotokollen hervorgehe, in Anwesenheit
des (…) Beschwerdeführenden 2 korrekt durchgeführt worden seien, die
anwesende Hilfswerkvertretung ebenfalls keinerlei Einwände dagegen ge-
habt habe, die Beschwerdeführende 1 ihre Asylgründe ausführlich darle-
gen konnte und ihr insbesondere beim zweiten Teil der Anhörung deren
Ablauf bekannt gewesen ist und es an ihr gewesen wäre, entsprechende
Vorkehrungen zu treffen, wenn die Anwesenheit ihres Kindes tatsächlich
ein Problem für sie gewesen wäre (vgl. Vernehmlassung des BFM). So-
dann trifft zwar zu, dass die Beschwerdeführende 1 anlässlich der zweitei-
ligen Anhörung bei der Schilderung ihrer politischen Aktivitäten wiederholt
unterbrochen wurde. Indessen erfolgten diese Unterbrechungen stets
dann, wenn die von der Befragerin zur konkreten Beantwortung einer
Frage aufgeforderte Beschwerdeführende 1 auf allgemeine Ausführungen
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auswich (weshalb sie auch ermahnt werden musste). Demnach erweist
sich der Einwand, wonach die Beschwerdeführende 1 diesbezüglich in ih-
rer Ausdrucksmöglichkeit eingeschränkt worden sei, als unbehelflich.
5.3 Nach dem Gesagten ergeben sich aus den Akten keine hinreichenden
Anhaltspunkte, welche den Schluss zulassen würden, das Bundesamt
habe den Sachverhalt unvollständig abgeklärt respektive den Anspruch der
Beschwerdeführenden auf ein faires Verfahren verletzt. Der in diesem Zu-
sammenhang gestellte Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vo-
rinstanz zwecks Erhebung des vollständigen Sachverhalts erweist sich
nach dem Gesagten als nicht stichhaltig und wird deshalb abgelehnt.
5.4 Die Beschwerdeführende 1 hält sodann in der Beschwerde an ihren
bisherigen Vorbringen fest. Namentlich führt sie unter Angabe mehrerer
Protokollstellen aus, dass sie im Rahmen der Anhörung verschiedene Male
emotionale Regungen gezeigt und auf die Folgen erlittener sexueller Ge-
walt hingewiesen habe. Entsprechend könne das Vorliegen einer PTBS
nicht ausgeschlossen werden. Gegebenenfalls dürfte dies erklären, wes-
halb es bei der Anhörung im Vergleich zur BzP zu leicht widersprüchlichen
Angaben bezüglich der erlittenen Vergewaltigungen und deren genauen
Abläufen gekommen sei. Die geltend gemachte Festnahme und die sexu-
elle Gewalt seien mithin glaubhaft. Zudem habe die Beschwerdefüh-
rende 1, wiederum unter Verweis auf entsprechende Protokollstellen, ent-
gegen der Argumentation der Vorinstanz plausibel erklärt, weshalb sie
nach dem Zerfall der M._______ politisch untätig gewesen sei. Schliesslich
sei auch die geltend gemachte Mitgliedschaft bei der N._______ glaubhaft,
zumal dieser Begriff auslegungsbedürftig sei und in casu auf die faktische
politische Tätigkeit der Beschwerdeführenden 1 abzustellen sei. Zusam-
menfassend würden die Asylvorbringen als überwiegend glaubhaft er-
scheinen, wenn sich nachträglich ergeben sollte, dass die Beschwerdefüh-
rende 1 an einer PTBS leide (…).
5.5 Im Zusammenhang mit der geltend gemachten PTBS ist vorweg auf
die Ausführungen in der Vernehmlassung des BFM zu verweisen, dessen
Einschätzung vom Bundesverwaltungsgericht geteilt wird: So könnte eine
allfällige PTBS nicht auf die geltend gemachten Vergewaltigungen zurück-
geführt werden, da diese vom BFM als unglaubhaft qualifiziert worden sind.
Sollte eine PTBS diagnostiziert werden, gilt zu beachten, dass ein Psychi-
ater zwar prüfen kann, ob die von einem Exploranden geschilderten Be-
schwerden und die erhobenen Befunde mit der Diagnose einer PTBS ver-
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einbar seien. Zur Tatsache eines erlittenen Traumas kann er ohne Vorlie-
gen von spezifisch somatisch-rechtsmedizinischen Befunden und Sach-
verhalten jedoch keine Stellung nehmen. Bei der grossen Variabilität
menschlichen Verhaltens und Erlebens sind dem Nachweis einer kausalen
Beziehung enge Grenzen gesetzt, und ohne einen konkreten Sachverhalt
sind aus psychiatrischer Sicht die genauen Ursachen eines Traumas nicht
mit mindestens überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne von Art. 7
Abs. 2 AsylG feststellbar. Daran vermag nichts zu ändern, dass sich die
Beschwerdeführende 1 gemäss ihrem Schreiben vom 2. Februar 2015
durch ihre Hausärztin an V._______ überweisen liess und am 5. Februar
2015 ein erster Termin vorgesehen war. Zwar kann eine sexuelle Miss-
handlung der Beschwerdeführenden 1 in der Tat nicht gänzlich ausge-
schlossen werden, indessen hat das BFM in der angefochtenen Verfügung
ausführlich und – nach Überprüfung der Akten auch aus Sicht des Bundes-
verwaltungsgerichts – zu Recht festgestellt, dass die geltend gemachten
Umstände der Misshandlung beziehungsweise Misshandlungen den An-
forderungen an die Glaubhaftigkeit nicht genügen. Diesbezüglich kann
zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die nicht zu beanstandenden
Erwägungen in der angefochtenen Verfügung verwiesen werden (vgl.
Sachverhalt Bst. F). An dieser Feststellung vermögen auch die Ausführun-
gen in der Beschwerdeschrift und den weiteren Eingaben der Beschwer-
deführenden nichts zu ändern, zumal sie sich in erster Linie auf eine Wie-
derholung der bisherigen Vorbringen beschränken.
5.6 Zusammenfassend vermögen die von der Beschwerdeführenden 1 für
den Zeitraum bis zur Ausreise aus dem Heimatstaat geltend gemachten
Verfolgungsvorbringen weder den Anforderungen an die Glaubhaftigkeit
noch denjenigen an die Flüchtlingseigenschaft zu genügen. Aufgrund der
vorstehenden Erwägungen erübrigt es sich, auf die weiteren Ausführungen
in der Beschwerde und den übrigen Eingaben näher einzugehen, weil sie
am Ergebnis nichts ändern können. Das BFM hat die Asylgesuche der Be-
schwerdeführenden demnach in diesem Punkt zu Recht abgelehnt.
6.
Es bleibt in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die Beschwerdeführenden
im Zusammenhang mit den von der Beschwerdeführenden 1 für den Zeit-
raum ihres Aufenthalts in der Schweiz geltend gemachten Aktivitäten – mit-
hin wegen subjektiver Nachfluchtgründe – bei einer Rückkehr befürchten
müssten, ernsthaften Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG ausgesetzt zu
werden.
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6.1 Für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist nicht nur der Zeit-
punkt der Ausreise aus dem Heimatstaat, sondern insbesondere auch die
Situation zum Zeitpunkt des Asylentscheids massgebend. Wer geltend
macht, dass durch sein Verhalten nach der Ausreise aus dem Heimat- oder
Herkunftsstaat – insbesondere durch politische Exilaktivitäten – eine Ge-
fährdungssituation erst geschaffen worden ist, sich somit auf das Vorliegen
subjektiver Nachfluchtgründe (Art. 54 AsylG) beruft, hat begründeten An-
lass zur Furcht vor künftiger Verfolgung, wenn der Heimat- oder Herkunfts-
staat mit erheblicher Wahrscheinlichkeit von den Aktivitäten im Ausland er-
fahren hat und die Person deshalb bei einer Rückkehr in flüchtlingsrecht-
lich relevanter Weise verfolgt würde (vgl. BVGE 2009/29 E. 5.1 S. 376 f.,
EMARK 2006 Nr. 1 E. 6.1 S. 10; UNHCR, Handbuch über Verfahren und
Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1993). Subjektive
Nachfluchtgründe begründen zwar die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von
Art. 3 AsylG, führen jedoch gemäss Art. 54 AsylG zum Ausschluss des
Asyls, unabhängig davon, ob sie missbräuchlich oder nicht missbräuchlich
gesetzt wurden. Das vom Gesetzgeber vorgesehene Konzept, wonach das
Vorliegen von subjektiven Nachfluchtgründen die Gewährung von Asyl
ausschliesst, verbietet auch ein Addieren solcher Gründe mit Fluchtgrün-
den, welche vor der Ausreise aus dem Heimat- oder Herkunftsstaat ent-
standen sind und die für sich allein nicht zur Bejahung der Flüchtlingsei-
genschaft und zur Asylgewährung ausreichen (vgl. BVGE 2009/28 E. 7.1
S. 352).
6.2 Exilpolitische Aktivitäten führen grundsätzlich nur dann zur Zuerken-
nung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund von subjektiven Nachfluchtgrün-
den, wenn zumindest glaubhaft gemacht wird, dass im Falle einer Rück-
kehr in den Heimatstaat infolge dieser Aktivitäten mit überwiegender Wahr-
scheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen wäre.
6.3 Die diesbezügliche Überprüfung der Akten ergibt, dass die von der Be-
schwerdeführenden 1 geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten in der
angefochtenen Verfügung mit zutreffender Begründung als für die Flücht-
lingseigenschaft nicht relevant qualifiziert wurden (vgl. Sachverhalt Bst. F),
weshalb zwecks Vermeidung von Wiederholungen und in Anbetracht des
Umstands, dass sich die Eingaben der Beschwerdeführenden auf Be-
schwerdeebene dazu nicht äussern, darauf verwiesen kann.
6.4 Die mit Bezug auf die Schweiz geltend gemachten subjektiven Nach-
fluchtgründe sind somit ebenfalls nicht geeignet, eine flüchtlingsrechtlich
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relevante Verfolgungsfurcht zu begründen, weshalb die Beschwerdefüh-
renden nicht als Flüchtlinge anzuerkennen sind.
7.
In Würdigung der gesamten Umstände und Vorbringen der Beschwerde-
führenden ist zusammenfassend festzustellen, dass diese keine Gründe
nach Art. 3 AsylG nachweisen oder glaubhaft machen können, weshalb die
Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht er-
füllt sind. Es erübrigt sich, auf die weiteren Ausführungen in der Be-
schwerde und die eingereichten Beweismittel im Einzelnen einzugehen, da
diese an der vorgenommenen Würdigung des Sachverhalts nichts zu än-
dern vermögen. Die Vorinstanz hat demnach die Asylgesuche der Be-
schwerdeführenden zu Recht abgelehnt.
8.
8.1 Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein,
so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet
den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Fa-
milie (Art. 44 AsylG).
8.2 Die Beschwerdeführenden verfügen weder über eine ausländerrechtli-
che Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer
solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44
AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).
9.
Das BFM hat in der angefochtenen Verfügung den Vollzug der angeordne-
ten Wegweisung wegen Unzumutbarkeit zu Gunsten einer vorläufigen Auf-
nahme aufgeschoben.
Die drei Bedingungen für einen Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung
(Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit, Unmöglichkeit) sind alternativer Natur.
Sobald eine von ihnen erfüllt ist, ist der Vollzug der Wegweisung als un-
durchführbar zu betrachten und die weitere Anwesenheit in der Schweiz
gemäss den Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme zu regeln. Ge-
gen eine allfällige Aufhebung der vorläufigen Aufnahme steht der (ab- und
weggewiesenen) Asyl suchenden Person wiederum die Beschwerde an
das Bundesverwaltungsgericht offen, wobei in jenem Verfahren sämtliche
drei Vollzugshindernisse von Amtes wegen und nach Massgabe der dann-
zumal herrschenden Verhältnisse von Neuem zu prüfen sind (vgl. BVGE
2009/51 E. 5.4).
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10.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig
sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist ab-
zuweisen.
11.
Da den Beschwerdeführenden die unentgeltliche Prozessführung im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 VwVG gewährt wurde, sind ihnen keine Verfahrenskos-
ten aufzuerlegen.

(Dispositiv nächste Seite)

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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
3.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die zustän-
dige kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Martin Zoller Daniel Widmer


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