D-5154/2007 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom 16. ...
Karar Dilini Çevir:
D-5154/2007 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom 16. ...
Abtei lung IV
D-5154/2007
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 9 . F e b r u a r 2 0 1 0
Richter Thomas Wespi (Vorsitz),
Richterin Regula Schenker Senn,
Richter Martin Zoller,
Gerichtsschreiberin Anna Kühler.
A._______, geboren B._______,
Afghanistan,
vertreten durch lic. iur. Urs Ebnöther, Rechtsanwalt,
(...)
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Vollzug der Wegweisung; Verfügung des BFM vom
16. Juli 2007 / N _______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-5154/2007
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer verliess Afghanistan eigenen Angaben zufolge
im Jahr 2005 und begab sich in den C._______, wo er sich eineinhalb
Jahre lang aufhielt und von wo er anschliessend über die D._______
und ihm unbekannte Länder weiterreiste und am 11. Juni 2007 unter
Umgehung der Grenzkontrolle in die Schweiz gelangte. Am 12. Juni
2007 stellte er ein Asylgesuch. Am 25. Juni 2007 wurde er im
E._______ gemäss Art. 26 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
(AsylG, SR 142.31) summarisch befragt und am 11. Juli 2007 im Sinne
von Art. 29 Abs. 1 AsylG zu seinen Asylgründen angehört.
Er brachte im Wesentlichen vor, er sei afghanischer Staats-
angehöriger, gehöre der Ethnie der F._______ an und stamme aus
G._______ in der Provinz H._______. Er sei dort zusammen mit
seinem Bruder und seiner kleinen Schwester aufgewachsen. Er habe
drei Jahre die Schule besucht. Nach seiner Flucht habe er im
C._______ auf einem Schlachthof gearbeitet. In der D._______, wo er
sich ungefähr während zweier Monate aufgehalten habe, habe er auf
einer Deponie gearbeitet. Er habe sein Heimatland verlassen, weil sein
Leben in Gefahr gewesen sei. Die I._______ hätten seinen Bruder ge-
tötet. Bereits sein Onkel väterlicherseits sei von den I._______ verfolgt
worden und habe deshalb fliehen müssen. Als dieser wieder nach
Afghanistan zurückgekehrt sei, sei er von den I._______ entführt be-
ziehungsweise getötet worden. Auch sein Vater habe Probleme mit
den I._______ gehabt und sei von ihnen entführt worden. Er sei nun
der einzige Mann in seiner Familie. Deshalb habe ihm seine Mutter
geraten zu fliehen. Nachdem sein Vater entführt worden sei, habe er
im Haus des Chauffeurs der Familie Zuflucht gefunden. Dieser habe
ihn zur (...) Grenze gebracht.
Der Beschwerdeführer gab ein Identitätspapier (Taskara) zu den Ak-
ten.
B.
Mit Verfügung vom 16. Juli 2007 – eröffnet am 17. Juli 2007 – stellte
das BFM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft
nicht, lehnte sein Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der
Schweiz und ordnete den Vollzug an.
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Zur Begründung der Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft führte das
BFM im Wesentlichen aus, die Vorbringen des Beschwerdeführers
seien unglaubhaft. Seine Ausführungen seien widersprüchlich, zu
wenig konkret, zu wenig detailliert und differenziert, so dass sie den
Eindruck vermitteln würden, der Beschwerdeführer habe das Ge-
schilderte nicht selbst erlebt. Seine Angaben wirkten stereotyp und
konstruiert. Demzufolge erfülle er die Flüchtlingseigenschaft nicht, so
dass das Asylgesuch abzulehnen sei. Der Vollzug der Wegweisung sei
zudem zulässig, zumutbar und möglich.
Selbst unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage in Afghanistan
spreche nichts gegen die Rückführung in den Heimatstaat des Be-
schwerdeführers, zumal in Afghanistan keine Situation allgemeiner
Gewalt herrsche. Zwar habe sich die Sicherheitslage in letzter Zeit ver-
schlechtert. Die Taliban hätten ihre Aktivitäten verstärkt und ihren Ein-
fluss insbesondere auf Gebiete in der südlichen und südöstlichen Lan-
deshälfte sowie auf einzelne Distrikte im Norden ausdehnen können.
Gleichzeitig komme der Aufbau der afghanischen Nationalarmee und
der Polizeikräfte nur schleppend voran und das Entwaffnungs-
programm stagniere. Dennoch könne nicht von einer konkreten Ge-
fährdung der Bevölkerung in Afghanistan ausgegangen werden.
Im Übrigen sei festzuhalten, dass gemäss dem Koordinationsurteil der
Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK) vom 24. Januar 2006
die Wegweisung in jene Regionen Afghanistans grundsätzlich als zu-
mutbar zu erachten sei, in denen seit 2004 keine bedeutenden militäri-
schen Aktivitäten mehr bekannt geworden und die nicht einer perma-
nent instabilen Lage ausgesetzt seien. Die von Hazara besiedelten
Gebiete der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers würden nach
aktueller Einschätzung im innerafghanischen Vergleich zu den siche-
ren Regionen des Landes gehören. Seit dem Sturz der Taliban seien in
dieser Region keine nennenswerten terroristischen oder militärischen
Aktivitäten registriert worden. Dementsprechend könne in diesen Ge-
bieten der Provinz H._______ nicht von einer permanent instabilen
Lage gesprochen werden, welche die Zumutbarkeit des Weg-
weisungsvollzuges grundsätzlich beeinträchtige. Im Lichte der Un-
glaubhaftigkeit der Asylvorbringen und insbesondere der höchst un-
substanziierten Angaben des Beschwerdeführers zur politischen
Situation in seiner Herkunftsregion sei ohnehin davon auszugehen,
dass er sich in Wirklichkeit länger als behauptet an einem anderen,
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sicheren Ort aufgehalten habe, an welchen er sich auch nach seiner
Rückkehr wieder begeben könne.
Hinsichtlich individueller Wegweisungsvollzugshindernisse sei unter
dem Aspekt der Zumutbarkeit überdies anzunehmen, dass der Be-
schwerdeführer angesichts der Unglaubhaftigkeit der angeblichen Ver-
folgung seiner Familie entgegen seinen Vorbringen in seiner Heimat
über familiäre Beziehungen sowie eine gesicherte Existenzgrundlage
verfüge. Er selbst habe angegeben, die finanzielle Situation seiner Fa-
milie sei aufgrund des eigenen Transportbetriebes zufriedenstellend
gewesen. Im Übrigen verfüge der Beschwerdeführer angesichts seiner
Aufenthalte im C._______ und in der D._______ über eigene Berufs-
erfahrung. Schliesslich sei festzuhalten, dass es nach ständiger Praxis
der ARK beziehungsweise des Bundesverwaltungsgerichts nicht Auf-
gabe der Asylbehörden sei, bei fehlenden Hinweisen nach allfälligen
Wegweisungshindernissen zu forschen, falls der Beschwerdeführer
wie vorliegend seiner Mitwirkungs- und Wahrheitspflicht im Rahmen
der Sachverhaltsermittlung nicht nachkomme und die Asylbehörden zu
täuschen versuche. Es sei deshalb aufgrund der Aktenlage davon
auszugehen, dass der Vollzug der Wegweisung grundsätzlich zumut-
bar sei und keine individuellen Gründe vorliegen würden, welche
gegen die Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sprechen würden.
C.
Mit Eingabe vom 30. Juli 2007 (Poststempel) erhob der Beschwerde-
führer Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte,
die Verfügung des BFM vom 16. Juli 2007 sei betreffend die Ziffern 3,
4 und 5 des Dispositivs aufzuheben, es sei die Unzulässigkeit, allen-
falls die Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung festzustellen
und die vorläufige Aufnahme anzuordnen. In prozessualer Hinsicht be-
antragte er, es sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu ver-
zichten und die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Zur Begründung führte er an, der Vollzug der Wegweisung sei un-
zumutbar, da die Situation in Afghanistan nicht genügend stabil sei.
Die Medien hätten Ende Mai 2006 von den schwersten Unruhen seit
dem Sturz der Taliban berichtet. In Kabul sei es zu Demonstrationen
vor dem Präsidentenpalast gegen die USA gekommen. Die Sicher-
heitslage werde sogar bereits mit derjenigen im Irak verglichen. Im Sü-
den und Osten zeichne sich eine Verfestigung von Taliban-Strukturen
ab. Im Norden würden sich in der Umgebung von Mazar-i-Sharif die
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Anschläge häufen wie nie zuvor. Bislang seien 2006 bereits so viele
Attentate in Afghanistan verübt worden wie im gesamten Jahr davor.
Die Entwicklung der Sicherheitslage sei besorgniserregend. Unter
Berücksichtigung der allerneusten Ereignisse in Afghanistan und der
entsprechenden Sicherheitslage, die sich zweifelsohne seit Erlass der
Verfügung stark verschärft habe, sei die erzwungene Rückkehr von
Flüchtlingen nach Afghanistan im heutigen Zeitpunkt verfrüht. Er sei
aufgrund der Unzumutbarkeit der Rückkehr vorläufig aufzunehmen.
Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, da er grosse Angst vor
den I._______ habe, welche seinen Vater und seinen Onkel ver-
schleppt hätten. Danach sei sein Bruder durch die I._______ getötet
worden. Bei einer Rückkehr würde er mit Sicherheit auch ein Opfer der
I._______ werden. Die Situation in seinem Heimatland sei schlecht.
Am 10. Juli 2007 seien bei einem Selbstmordanschlag 17 Menschen
getötet worden. In diesem Gebiet herrsche eine generelle Unsicher-
heit. Seine Provinz sei sehr arm, die sozioökonomische Situation sei
sehr schlecht. Er könne dort sein Überleben nicht sichern. Eine Rück-
kehr sei für ihn deshalb unzumutbar. Zusammenfassend könne fest-
gestellt werden, dass der Entscheid des BFM der prekären Situation in
Afghanistan und seinen persönlichen Verhältnissen nicht gerecht
werde. Die Einschätzungen des BFM seien viel zu optimistisch und
wohl eher einer Hoffnung als einer objektiven Analyse entsprungen.
Die Schilderungen der UNO und anderer Organisationen vor Ort
würden verdeutlichen, dass sich die politische und humanitäre
Situation nicht nachhaltig stabilisiert habe, dass mithin eine er-
zwungene Rückkehr von Flüchtlingen aus Europa im heutigen Zeit-
punkt verfrüht wäre und den Aufbauprozess gefährden würde.
D.
Mit Zwischenverfügung vom 15. August 2007 teilte der Instruktions-
richter des Bundesverwaltungsgerichts dem Beschwerdeführer mit, er
könne den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten, und
stellte fest, die Beschwerde richte sich nur gegen die von der Vor-
instanz verfügte Wegweisung beziehungsweise deren Vollzug. Die
Verfügung des BFM vom 16. Juli 2007 sei, soweit sie die Frage der
Flüchtlingseigenschaft und des Asyls betreffe (Ziffern 1 und 2 des Dis-
positivs der angefochtenen Verfügung), in Rechtskraft erwachsen. Das
Rechtsbegehren sei aufgrund der Beschwerdebegründung als auf den
Vollzugspunkt beschränkt zu betrachten, und es sei einzig die Frage
der Anordnung einer vorläufigen Aufnahme zu prüfen, da die Weg-
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weisung als solche (Ziffer 3 des Dispositivs) praxisgemäss nur auf-
gehoben werden könne, wenn eine Aufenthaltsbewilligung vorliege
oder ein Anspruch auf Erteilung einer solchen bestehe, was vorliegend
nicht der Fall sei. Der Entscheid über das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG wurde
auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und auf die Erhebung eines
Kostenvorschusses wurde verzichtet. Gleichzeitig wurde die Vorinstanz
zur Vernehmlassung aufgefordert.
E.
Das BFM beantragte in seiner Vernehmlassung vom 29. August 2007
die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung führte es an, die
Beschwerdeschrift enthalte keine neuen erheblichen Tatsachen oder
Beweismittel, welche eine Änderung seines Standpunktes recht-
fertigen könnten. Deshalb halte das BFM sowohl im Asyl- als auch im
Wegweisungspunkt an seinen früheren Erwägungen fest.
Die Vernehmlassung des BFM vom 29. August 2007 wurde dem Be-
schwerdeführer mit Verfügung vom 4. September 2007 übermittelt.
F.
Mit Schreiben und Vollmacht vom 10. April 2009 zeigte die frühere
Rechtsvertreterin ihre Mandatsübernahme an. Sie ersuchte gleich-
zeitig um Gewährung der vollumfänglichen Akteneinsicht und be-
antragte, das BFM sei zur Vernehmlassung aufzufordern. Im Weiteren
hielt sie fest, aus der Verfügung des BFM vom 16. Juli 2007 erhelle,
dass das BFM nicht in Abrede stelle, dass der Beschwerdeführer tat-
sächlich aus G._______, Provinz H._______, stamme. Zudem handle
es sich beim Beschwerdeführer ethnisch um einen F._______. In
Bezug auf seinen Herkunftsort und das komplett fehlende familiäre
Netz sei im Lichte der Rechtsprechung gemäss Entscheidungen und
Mitteilungen der ARK (EMARK) 2006 Nr. 9 keinesfalls davon auszu-
gehen, dass dem Beschwerdeführer in anderen, sogenannt sicheren
Provinzen des Landes eine Zufluchtsmöglichkeit offen stehe. In völliger
Verkennung dieses Umstandes sei dem Beschwerdeführer zu Unrecht
die vorläufige Aufnahme verweigert worden.
G.
Mit Verfügung vom 15. April 2009 stellte der Instruktionsrichter fest,
dass dem Beschwerdeführer, wie der Zwischenverfügung des BFM
vom 20. Juli 2007 entnommen werden könne, bereits Akteneinsicht
gewährt worden sei, weshalb nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund
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erneut um Akteneinsicht ersucht werde. Aus diesem Grund wurden
dem Beschwerdeführer lediglich eine Kopie des Schreibens des BFM
vom 20. Juli 2007 sowie je eine Kopie der Aktenverzeichnisse des
BFM und des Bundesverwaltungsgerichts zugestellt und dieser wurde
aufgefordert, diejenigen Akten zu bezeichnen, auf welche sich sein
Gesuch um Akteneinsicht beziehe, andernfalls werde davon aus-
gegangen, der Beschwerdeführer sei im Besitz der entscheidwesent-
lichen Akten, und das Gesuch um Gewährung der Akteneinsicht würde
als gegenstandslos erachtet. Der Antrag, das BFM sei zur Vernehm-
lassung aufzufordern, erweise sich als gegenstandslos, da sich das
BFM bereits habe vernehmen lassen.
H.
Mit Schreiben vom 30. April 2009 teilte die Rechtsvertreterin des Be-
schwerdeführers mit, dass nach Einsichtnahme in das Aktenverzeich-
nis keine Zustellung weiterer Akten beantragt werde.
I.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 wurde die Übernahme des
Mandats durch den rubrizierten Rechtsvertreter angezeigt.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Ju-
ni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht
Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes
vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG,
SR 172.021). Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und
ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das
Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt
nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die
Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem
Gebiet des Asyls endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und
Art. 6 AsylG).
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1.3 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die un-
richtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sach-
verhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
1.4 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht (Art. 108
Abs. 1 AsylG, Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 VwVG).
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung be-
sonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Auf-
hebung beziehungsweise Änderung; er ist daher zur Einreichung der
Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48
Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Das BFM verneinte die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers,
lehnte sein Asylgesuch ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Der
Beschwerdeführer beantragte in seiner Beschwerde die Aufhebung der
Verfügung betreffend die Wegweisung und den Wegweisungsvollzug
(Ziffern 3, 4 und 5 des Dispositivs). Die Verneinung der Flüchtlings-
eigenschaft und die Ablehnung des Asylgesuchs blieben vorliegend
somit unangefochten und sind mit Ablauf der Beschwerdefrist in
Rechtskraft erwachsen. Insoweit sich die Beschwerde gegen die Weg-
weisung als solche (Ziffer 3 des Dispositivs der angefochtenen Ver-
fügung) richtet, ist festzuhalten, dass die Wegweisung als solche
praxisgemäss nur dann aufgehoben werden kann, wenn eine Aufent-
haltsbewilligung vorliegt oder ein Anspruch auf Erteilung einer solchen
besteht (vgl. EMARK 2001 Nr. 21), was vorliegend, wie bereits mit
Zwischenverfügung vom 15. August 2007 festgestellt wurde, jedoch
nicht der Fall ist. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens
bildet somit einzig die Frage, ob die Wegweisung zu vollziehen ist oder
ob anstelle des Vollzugs eine vorläufige Aufnahme anzuordnen ist
(Art. 44 AsylG i.V.m. Art. 83 AuG).
3.
3.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar
oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsver-
hältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Auf-
nahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG).
3.2 Die erwähnten drei Bedingungen für einen Verzicht auf den Voll-
zug der Wegweisung (Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit und Unmöglich-
keit) sind alternativer Natur: Sobald eine von ihnen erfüllt ist, ist der
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Vollzug der Wegweisung als undurchführbar zu betrachten und die
weitere Anwesenheit in der Schweiz gemäss den Bestimmungen über
die vorläufige Aufnahme zu regeln (vgl. EMARK 2006 Nr. 6).
3.3 Weil sich vorliegend der Vollzug der Wegweisung – aus den nach-
folgend aufgezeigten Gründen – als unzumutbar erweist, ist auf eine
Erörterung der beiden andern Voraussetzungen eines rechtmässigen
Wegweisungsvollzugs zu verzichten.
4.
4.1 Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen
und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunfts-
staat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner
Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine
konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83
Abs. 7 AuG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren (vgl. Botschaft
zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom
8. März 2002, BBl 2002 3818).
4.1.1 In ihrer vorliegend zu berücksichtigenden Rechtsprechung hatte
sich die ARK in EMARK 2003 Nr. 10 eingehend zur Lage in Afghanis-
tan geäussert und die Unterschiede zwischen der Stadt Kabul und an-
deren Regionen Afghanistans dargestellt. Infolge der vergleichsweise
günstigeren Situation hatte sie den Wegweisungsvollzug nach Kabul
unter bestimmten strengen Voraussetzungen, insbesondere einem
tragfähigen Beziehungsnetz, der Möglichkeit der Sicherung des Exis-
tenzminimums und einer gesicherten Wohnsituation, als zumutbar er-
achtet. In EMARK 2006 Nr. 9 bestätigte und ergänzte die ARK ihre
Rechtsprechung aus dem Jahr 2003. Zusätzlich zu Kabul erachtete sie
den Wegweisungsvollzug in jene Regionen Afghanistans als grund-
sätzlich zumutbar, in welchen seit 2004 keine signifikanten militäri-
schen Aktionen stattgefunden haben oder die keiner dauernden Un-
sicherheit ausgesetzt sind. Der Wegweisungsvollzug ist demgemäss
zusätzlich zu Kabul in weitere, abschliessend aufgezählte Provinzen
(Parwan, Baghlan, Takhar, Badakhshan, Kunduz, Balkh, Sari Pul, He-
rat und die Gegend von Samangan, die nicht zum Hazarajat zu zählen
ist) unter den in EMARK 2003 Nr. 10 aufgeführten strengen Be-
dingungen zumutbar. In den übrigen östlichen, südlichen und süd-
östlichen Provinzen besteht hingegen weiterhin eine allgemeine Ge-
waltsituation, weshalb der Wegweisungsvollzug dorthin nach wie vor
als unzumutbar zu betrachten sei (vgl. EMARK 2006 Nr. 9 E. 7.5.3 und
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7.8). Eine Rückkehr in die Provinz H._______ erachtete die ARK, un-
abhängig von individuellen Umständen wie beispielsweise gesundheit-
lichen Beschwerden oder einem fehlenden Beziehungsnetz, als
existenzbedrohend und damit als unzumutbar. Das Bundesver-
waltungsgericht sieht in Berücksichtigung der jüngsten Entwicklung in
Afghanistan (vgl. hierzu etwa die Urteile des Bundesverwaltungs-
gerichts E-5519/2006 vom 25. November 2009, D-4664/2006 vom
17. Juli 2009 und D-4270/2006 vom 25. Juni 2009) keine Ver-
anlassung, von dieser Lageeinschätzung in Bezug auf die erwähnten
übrigen Provinzen abzuweichen.
4.1.2 Von der Vorinstanz wurde nicht in Zweifel gezogen, dass der Be-
schwerdeführer der Ethnie der F._______ angehört und sein
Herkunftsort in der Provinz H._______ liegt. Im Weiteren kann die
Lageanalyse und Praxis der ARK in EMARK 2003 Nr. 10 und 2006
Nr. 9 insbesondere bezüglich der als unzumutbar bezeichneten Ge-
biete heute nach wie vor als gültig angesehen werden (vgl. hierzu
auch die in E. 4.1.1 erwähnten Urteile des Bundesverwaltungs-
gerichts). Der Herkunftsort des Beschwerdeführers befindet sich nach
dem Gesagten nicht in einer der in EMARK 2006 Nr. 9 abschliessend
aufgeführten Provinzen, in welche – neben Kabul – der Weg-
weisungsvollzug unter strengen Bedingungen als zumutbar erachtet
wird. Der Wegweisungsvollzug des Beschwerdeführers in sein Her-
kunftsgebiet muss demnach als unzumutbar qualifiziert werden. An
dieser Einschätzung vermag auch der Einwand der Vorinstanz nichts
zu ändern, in Afghanistan könne nicht von einer landesweiten
Situation allgemeiner Gewalt gesprochen werden. Hierzu ist festzu-
halten, dass das BFM weder in der angefochtenen Verfügung noch in
der Vernehmlassung offen legt, gestützt auf welche Quellen oder
Experten es zu seiner Schlussfolgerung gelangte, der Wegweisungs-
vollzug sei vorliegend zumutbar. Demgegenüber stützte sich die ARK
bei ihrer Beurteilung der Lage in Afghanistan auf zahlreiche, öffentlich
zugängliche Quellen (vgl. EMARK 2006 Nr. 9 E. 7.3 S. 98).
4.1.3 Es stellt sich die Frage, ob dem Beschwerdeführer allenfalls eine
Aufenthaltsalternative in einem anderen Landesteil Afghanistans zur
Verfügung steht. Die Bejahung einer zumutbaren innerstaatlichen Auf-
enthaltsalternative eines aus der Provinz H._______ stammenden
Asylsuchenden in Kabul oder in einer anderen Provinz, in der die all-
gemeine Situation eine Rückkehr unter bestimmten Umständen als zu-
mutbar erscheinen liesse (vgl. EMARK 2006 Nr. 9), setzt insbesondere
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die dortige Existenz eines tragfähigen Beziehungsnetzes sowie eine
gesicherte Wohnsituation in dieser Region voraus. Bei der Beurteilung
der individuellen Zumutbarkeitskriterien ist eine differenzierte Beurtei-
lung angezeigt (vgl. EMARK 2003 Nr. 30 E. 7.b S. 193 f.).
Der Beschwerdeführer ist jung und – soweit aktenkundig – bei guter
Gesundheit. Er verfügt über eine gewisse Schulbildung und einige Be-
rufserfahrung. Aufgrund der Aktenlage ist jedoch nicht davon auszu-
gehen, dass er in Kabul oder in einer der in EMARK 2006 Nr. 9 ab-
schliessend aufgelisteten Provinzen über eine gesicherte Wohn-
situation und ein tragfähiges Beziehungsnetz verfügt. Das BFM hält
dem Beschwerdeführer in der angefochtenen Verfügung vor, es sei
angesichts seiner höchst unsubstanziierten Angaben zur politischen
Situation in seiner Herkunftsregion ohnehin davon auszugehen, dass
er sich in Wirklichkeit länger als behauptet an einem anderen, sicheren
Ort aufgehalten habe, an welchen er sich auch nach seiner Rückkehr
wieder begeben könne. Dies ist indessen nicht erstellt. Es sind keiner-
lei Bezugspunkte des Beschwerdeführers zum Grossraum Kabul oder
einer der genannten Provinzen ersichtlich. Aufgrund der Aktenlage
kann nicht ernsthaft davon ausgegangen werden, dass mutmasslich
irgendwo im Land lebende weitere Verwandte dem Beschwerdeführer
eine gesicherte Existenzgrundlage bieten könnten. Mithin fehlen die
entscheidenden Zumutbarkeitsfaktoren für die Annahme, der Be-
schwerdeführer könne sich im Grossraum Kabul oder einer der
anderen genannten Provinzen eine Existenzgrundlage aufbauen.
4.2 Angesichts der gesamten Umstände ist der Vollzug der Weg-
weisung – der bisherigen Praxis entsprechend – als unzumutbar zu
bezeichnen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung der vorläufigen Aufnahme
sind demnach erfüllt. Einer vorläufigen Aufnahme stehen im Übrigen
auch keine einschränkenden gesetzlichen Tatbestände (Art. 83 Abs. 7
AuG) entgegen.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 63 Abs. 1 VwVG). Das in der Beschwerdeeingabe gestellte Ge-
such um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist daher ge-
genstandslos.
Seite 11
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6.
Die Beschwerdeinstanz kann der ganz oder teilweise obsiegenden
Partei von Amtes wegen oder auf Begehren eine Entschädigung für ihr
erwachsene notwendige und verhältnismässig hohe Kosten zu-
sprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG; Art. 7 ff. des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem
Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Der Beschwerde-
führer ist zwar vertreten, doch ist zu berücksichtigen, dass er selb-
ständig eine Beschwerde einreichte und sich die Eingabe seiner
Rechtsvertreterin vom 10. April 2009 nicht als notwendig erwies (vgl.
oben Bst. F, G und H), weshalb keine Parteientschädigung zu ent-
richten ist.
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Ziffern 4 und 5 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung vom
16. Juli 2007 werden aufgehoben. Das BFM wird angewiesen, den
Beschwerdeführer vorläufig aufzunehmen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
4.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil geht an:
- den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (Einschreiben)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt, mit den Akten Ref.-Nr. N _______
(per Kurier; in Kopie)
- das Z._______ (in Kopie)
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
Thomas Wespi Anna Kühler
Versand:
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