D-5024/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung (Beschwerden gegen Wiedererwägungsentscheid) - Asyl und Wegweisung (Wiedererwägungsentscheid); Ve...
Karar Dilini Çevir:
D-5024/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung (Beschwerden gegen Wiedererwägungsentscheid) - Asyl und Wegweisung (Wiedererwägungsentscheid); Ve...
Abtei lung IV
D-5024/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 7 . N o v e m b e r 2 0 0 9
Richter Robert Galliker (Vorsitz),
Richter Martin Zoller, Richter Daniel Schmid;
Gerichtsschreiber Matthias Jaggi.
A._______, geboren (...),
alias B._______, geboren (...),
alias C._______, geboren (...),
Russland,
vertreten durch lic. iur. Dominique Wetli,
Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not,
(...),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), vormals
Bundesamt für Flüchtlinge (BFF),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung (Wiedererwägungsentscheid);
Verfügung des BFM vom 23. März 2006 / N (...).
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-5024/2006
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer verliess nach eigenen Angaben ungefähr am
20. Januar 2002 seine Heimatstadt Grosny und reiste am 8. Februar
2002 in die Schweiz ein, wo er am gleichen Tag in der Empfangsstelle
(heute Empfangs- und Verfahrenszentrum [EVZ]) D._______ ein
Asylgesuch einreichte. Anlässlich der Befragungen gab er im
Wesentlichen zu Protokoll, dass er russischer Staatsangehöriger
tschetschenischer Ethnie sei und im Krieg während eines Jahres als
Partisane für die tschetschenische Seite gekämpft habe. Die Russen
hätten ihn daran gehindert, sich frei zu bewegen. Ab dem Jahre 2000
habe er nicht mehr regelmässig zu Hause gewohnt, da russische
Soldaten in den Häusern Säuberungen durchgeführt hätten.
Deswegen habe er Tschetschenien schliesslich verlassen.
B. Mit Verfügung des BFF vom 23. Juli 2004 wurde auf das Asylge-
such nicht eingetreten. Der Beschwerdeführer wurde aus der Schweiz
weggewiesen und der Wegweisungsvollzug angeordnet. Das Bundes-
amt führte zur Begründung im Wesentlichen aus, mit Schreiben vom 3.
Juni 2004 sei der Beschwerdeführer auf den 21. Juni 2004 zu einer
Lingua-Anhörung vorgeladen worden. Der Beschwerdeführer habe die
Vorladung nicht entgegengenommen und ihr somit keine Folge geleis-
tet. Bei dieser Anhörung hätte abgeklärt werden sollen, ob der Be-
schwerdeführer tatsächlich aus Tschetschenien stamme und bis wann
er sich dort aufgehalten habe, da sich während den Anhörungen etli-
che Ungereimtheiten ergeben hätten, die darauf schliessen lassen
würden, der Beschwerdeführer stamme unter Umständen gar nicht
aus der behaupteten Region beziehungsweise habe diese Region be-
reist lange vor seiner Reise in die Schweiz verlassen. Durch sein un-
entschuldigtes Nichterscheinen zur Lingua-Anhörung habe der Be-
schwerdeführer eine vertiefte Abklärung seiner Identität und des be-
haupteten Schutzbedürfnisses mutwillig vereitelt. Dadurch habe er sei-
ne Mitwirkungspflicht schuldhaft in grober Weise verletzt und klar zu
erkennen gegeben, dass er an einer Fortsetzung des Asylverfahrens
nicht interessiert sei, weshalb das Bundesamt auf das Asylgesuch in
Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. c des Asylgesetzes vom
26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) nicht eintrete.
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Die gegen die Verfügung vom 23. Juli 2004 gerichtete Beschwerde
wurde von der damals zuständigen Schweizerischen Asylrekurskom-
mission (ARK) mit Urteil vom 5. August 2004 abgewiesen.
C.
Mit Eingabe vom 7. Juni 2005 liess der Beschwerdeführer durch sei-
nen Rechtsvertreter beim BFM ein Wiedererwägungsgesuch einrei-
chen und unter anderem beantragen, die ursprüngliche Verfügung des
BFF sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass seit Erlass der ur-
sprünglichen Verfügung neue erhebliche Beweismittel vorgebracht
werden könnten. Zudem sei auf sein Asylgesuch einzutreten, er sei als
Flüchtling anzuerkennen und ihm sei Asyl zu gewähren. Eventualiter
sei festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung unzulässig respek-
tive unzumutbar sei und von Amtes wegen die vorläufige Aufnahme
anzuordnen sei.
In der Eingabe wurde vom Beschwerdeführer im Wesentlichen vorge-
bracht, es würden neue Beweismittel vorliegen, die seine Vorbringen
im Asylverfahren belegen würden. Zum einen handle es sich um zwei
Bestätigungen von Mitgliedern des Versorgungszuges des "Teschet-
schen-aul's Bataillon" mit den entsprechenden Übersetzungen. Ein
Mitglied sei der Kommandeur des besagten Bataillons gewesen, das
andere Mitglied der Truppenarzt. Beide würden heute als anerkannte
Flüchtlinge in Deutschland leben. Zum anderen handle es sich um ein
Schreiben der Organisation "Echo des Krieges". Diese Beweismittel
würden nicht nur belegen, dass er bis Januar 2002 in Tschetschenien
gelebt habe, sondern auch, dass er sich in Tschetschenien als Wider-
standskämpfer betätigt habe. Da er sich aktiv an den Kämpfen gegen
die russischen Streitkräfte beteiligt habe und diese gezielt nach ihm
fahnden würden, befürchte er, dass er im Falle einer Rückkehr in asyl-
relevanter Weise verfolgt würde.
Der Eingabe lagen die folgenden Beweismittel bei: Zwei in russischer
Sprache verfasste Bestätigungsschreiben vom 29. April 2005 (je mit
deutscher Übersetzung), auszugsweise Kopien von zwei Reiseauswei-
sen sowie ein in russischer Sprache verfasstes Schreiben der Organi-
sation "Echo des Krieges" vom 11. Mai 2005 (Faxkopie, mit deutscher
Übersetzung).
D.
Eine vom BFM (Fachstelle "Lingua") beauftragte Expertenperson führ-
te am 29. August 2005 in Form eines Telefongesprächs mit dem Be-
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schwerdeführer eine landeskundlich-kulturelle und linguistische Analy-
se zur Verifizierung seines Sozialisierungsortes ("area of sociali-
sation") durch. Im Bericht vom 26. September 2005 bestätigte der Ex-
perte im Ergebnis, dass die Hauptsozialisation des Beschwerdeführers
eindeutig in Tschetschenien stattgefunden habe.
E.
Mit Eingabe vom 7. November 2005 reichte der Beschwerdeführer -
handelnd durch seinen Rechtsvertreter - ein ärztliches Zeugnis vom
17. Oktober 2005 dem BFM ein.
F.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2006 liess der Beschwerdeführer durch
seinen Rechtsvertreter die folgenden Beweismittel dem BFM einrei-
chen: Ein Schreiben der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 5. Janu-
ar 2006 (in englischer Sprache) sowie ein undatierter, in russischer
Sprache verfasster Bericht von der Nordkaukasischen Gesellschaft für
russisch- und tschetschenische Freundschaft (in Kopie, inklusive deut-
scher Übersetzung).
G.
Mit Verfügung vom 23. März 2006 - eröffnet am 27. März 2006 - wies
das BFM das Wiedererwägungsgesuch im Asylpunkt ab. Bezüglich des
Vollzugs der Wegweisung hies es das Wiedererwägungsgesuch dem-
gegenüber gut, hob die Ziffern 3 und 4 der Verfügung vom 23. Juli
2004 auf und schob den Vollzug der Wegweisung wegen Unzumutbar-
keit zu Gunsten einer vorläufigen Aufnahme auf. Zur Begründung wur-
de ausgeführt, dass die asylwesentlichen Vorbringen des Beschwerde-
führers nicht geglaubt werden könnten. Es habe sich auch herausge-
stellt, dass der Beschwerdeführer in Deutschland unter einer anderen
Identität erfasst sei. Obwohl er anlässlich der Gewährung des rechtli-
chen Gehörs behauptet habe, die in der Schweiz angegebene Identität
sei die richtige, habe er dennoch kein rechtsgenügliches Identitätspa-
pier eingereicht, das seine Identität belegen würde, weshalb seine per-
sönliche Glaubwürdigkeit nicht gegeben sei. Zudem könnten die einge-
reichten Schreiben seine Vorbringen nicht in einem glaubhafteren Licht
erscheinen lassen, zumal es sich allesamt nicht um amtliche Dokum-
ente handle, deren Inhalt auf den Wahrheitsgehalt untersucht werden
könne. Daher könnten sämtliche Schreiben betreffend die
Verfolgungsgründe reine Gefälligkeitsberichte sein, deren Beweiswert
als gering einzustufen sei. Somit seien die vorgebrachten Tatsachen
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und Beweismittel nicht erheblich im Sinne von Art. 66 Abs. 2 Bst. a des
Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das
Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), weshalb keine Gründe
vorliegen würden, welche die Rechtskraft der Verfügung vom 23. Juli
2004 im Asylpunkt beseitigen könnten. Hingegen sei in Würdigung der
besonderen Umstände vom Vollzug der Wegweisung abzusehen, weil
eine solche im heutigen Zeitpunkt nicht zumutbar sei.
H.
Mit Eingabe vom 26. April 2006 (Poststempel) erhob der Beschwerde-
führer - handelnd durch seinen Rechtsvertreter - bei der damals zu-
ständigen ARK Beschwerde gegen die Verfügung des BFM vom 23.
März 2006, mit welcher er beantragte, in Aufhebung der angefochte-
nen Verfügung sei er als Flüchtling anzuerkennen. Ausserdem sei die
Vorinstanz anzuweisen, ihm Asyl zu gewähren. In prozessualer Hin-
sicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege so-
wie um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.
Zur Begründung wurde vom Beschwerdeführer im Wesentlichen ange-
führt, die Vorinstanz verstosse im vorliegenden Fall gegen den An-
spruch auf rechtliches Gehör sowie gegen den Untersuchungsgrunds-
atz, indem sie die vorgelegten Beweismittel als nicht überprüfbare Ge-
fälligkeitsschreiben einstufe. Der Wahrheitsgehalt dieser eingereichten
Beweismittel wäre sehr wohl überprüfbar gewesen. Keinesfalls genüge
es, glaubwürdige Zeugen als Lügner hinzustellen, ohne dafür einen
Grund vorweisen zu können. Nicht nachvollziehbar sei, wie man den
Beschwerdeführer als persönlich nicht glaubwürdig und seine Beweis-
mittel als Gefälligkeitsschreiben beurteilen könne, um ihn dann doch
aufgrund der besonderen Umstände vorläufig aufzunehmen.
I.
Mit Zwischenverfügung vom 16. Mai 2006 teilte der zuständige Instruk-
tionsrichter der ARK dem Beschwerdeführer mit, dass über das Ge-
such um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65
Abs. 1 VwVG zu einem späteren Zeitpunkt entschieden und auf die Er-
hebung eines Kostenvorschusses verzichtet werde.
J.
Mit Vernehmlassung vom 31. Mai 2006 beantragte das BFM die Abwei-
sung der Beschwerde.
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K.
Mit Verfügung vom 1. Juni 2006 des zuständigen Instruktionsrichters
der ARK erhielt der Beschwerdeführer die Möglichkeit, sich bis zum
16. Juni 2006 zur Vernehmlassung des BFM vom 31. Mai 2006 zu äu-
ssern.
L.
Mit Eingabe vom 16. Juni 2006 nahm der Beschwerdeführer zur Ver-
nehmlassung der Vorinstanz Stellung.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM
gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorins-
tanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende
Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesver-
waltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegen-
den Beschwerde und entscheidet in diesem Bereich endgültig
(Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurtei-
lung der bei der ARK hängigen Rechtsmittel übernommen. Das neue
Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Be-
schwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung berührt und hat
ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise
Änderung. Der Beschwerdeführer ist daher zur Einreichung der Be-
schwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG sowie Art. 48
Abs. 1, Art. 50 und Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist somit einzu-
treten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
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3.
Die Wiedererwägung im Verwaltungsverfahren ist ein gesetzlich nicht
geregelter Rechtsbehelf, auf dessen Behandlung durch die verfügende
Behörde grundsätzlich kein Anspruch besteht. Gemäss herrschender
Lehre und ständiger Praxis des Bundesgerichts wird jedoch aus
Art. 29 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossen-
schaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) unter bestimmten Vorausset-
zungen ein verfassungsmässiger Anspruch auf Wiedererwägung abge-
leitet (vgl. BGE 127 I 133 E. 6 mit weiteren Hinweisen). Danach ist auf
ein Wiedererwägungsgesuch einzutreten, wenn sich der rechtserhebli-
che Sachverhalt seit dem ursprünglichen Entscheid beziehungsweise
seit dem Urteil der mit Beschwerde angerufenen Rechtsmittelinstanz
in wesentlicher Weise verändert hat und mithin die ursprüngliche (feh-
lerfreie) Verfügung an nachträglich eingetretene Veränderungen der
Sachlage anzupassen ist. Sodann können auch Revisionsgründe ei-
nen Anspruch auf Wiedererwägung begründen, sofern sie sich auf
eine in materielle Rechtskraft erwachsene Verfügung beziehen, die
entweder unangefochten geblieben oder deren Beschwerdeverfahren
mit einem formellen Prozessurteil abgeschlosssen worden ist. Ein sol-
chermassen als qualifiziertes Wiedererwägungsgesuch zu bezeich-
nendes Rechtsmittel ist grundsätzlich nach den Regeln des Revisions-
verfahrens zu behandeln (vgl. Art. 66 ff. VwVG; Entscheidungen und
Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK]
2005 Nr. 25 E. 4.2 S. 227 f., 2003 Nr. 17 E. 2a S. 103 f. mit weiteren
Hinweisen, 2001 Nr. 20 E. 3c.dd S. 156). Auch wenn an die Begrün-
dung ausserordentlicher Rechtsmittel erhöhte Anforderungen gestellt
werden (Art. 66 Abs. 3 und 67 Abs. 3 VwVG; vgl. FRITZ GYGI, Bundes-
verwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 198 f.), ist demgegen-
über nicht erforderlich, dass die angerufenen Revisionsgründe wirklich
bestehen, sondern es genügt, wenn der Gesuchsteller deren Vorliegen
behauptet (BGE 96 I 279; URSINA BEERLI-BONORAND, die ausserordentli-
chen Rechtsmittel in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes und der
Kantone, Zürich 1985, S. 148 f.).
Eine Wiedererwägung fällt nicht in Betracht, wenn lediglich eine neue
Würdigung der beim früheren Entscheid bereits bekannten Tatsachen
herbeigeführt werden soll oder Gründe angeführt werden, die bereits
in einem ordentlichen Beschwerdeverfahren gegen die frühere Verfü-
gung hätten geltend gemacht werden können (vgl. EMARK 2003 Nr. 17
E. 2b S. 104).
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4.
4.1 Eine Prüfung der Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt Fol-
gendes: Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, es würden
neue Beweismittel vorliegen, die seine Asylgründe belegen würden. Er
macht somit sinngemäss den Revisionsgrund von Art. 66 Abs. 2 Bst. a
AsylG geltend. Wie bereits dargelegt (vgl. vorstehend E. 3), begründen
jedoch Revisionsgründe nur dann einen Anspruch auf Wiedererwäg-
ung, sofern sie sich auf eine in materielle Rechtskraft erwachsene
Verfügung beziehen, die entweder unangefochten geblieben ist oder
deren Beschwerdeverfahren mit einem formellen Prozessurteil abge-
schlossen worden ist. Die Verfügung vom 23. Juli 2004 ist zwar in ma-
terielle Rechtskraft erwachsen, jedoch wurde das gegen diese Verfüg-
ung angehobene Beschwerdeverfahren nicht durch ein Prozessurteil,
sondern durch ein Sachurteil abgeschlossen, hat sich die ARK doch
im Urteil vom 5. August 2004 zur Begründetheit der ins Recht gestellt-
en Begehren geäussert. Da mit Verfügung vom 23. Juli 2004 in Anwen-
dung von Art. 32 Abs. 2 Bst. c AsylG auf das Asylgesuch des Be-
schwerdeführers nicht eingetreten wurde, hat die Vorinstanz in dieser
Verfügung nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer die Flüchtlingseig-
enschaft erfüllt oder nicht. Folglich war auch im Urteil der ARK vom 5.
August 2004 die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht
Prüfungsgegenstand. Da somit eine vergleichbare Situation vorliegt,
wie wenn die Verfügung vom 23. Juli 2004 unangefochten geblieben
beziehungsweise das Beschwerdeverfahren mit einem formellen Pro-
zessurteil abgeschlossen worden wäre, rechtfertigt es sich vorliegend,
einen Anspruch auf Wiedererwägung zu bejahen. Die Vorinstanz hat
die Eingabe vom 7. Juni 2005 demnach zu Recht als qualifiziertes
Wiedererwägungsgesuch an die Hand genommen. Da das BFM mit
Verfügung vom 23. März 2006 das Wiedererwägungsgesuch bezüglich
des Vollzugs der Wegweisung gutgeheissen und den Beschwerdeführ-
er in der Schweiz vorläufig aufgenommen hat, ist im Folgenden ledig-
lich zu prüfen, ob die Vorinstanz das Wiedererwägungsgesuch im Asyl-
punkt zu Recht abgewiesen hat.
4.2 Im Sinne von Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG sind Beweismittel nur
dann als neu und erheblich zu qualifizieren, wenn sie entweder neue
erhebliche Tatsachen erhärten oder sich eignen, dem Beweis von Tat-
sachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt waren und
vorgebracht wurden, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Partei
unbewiesen geblieben sind beziehungsweise nicht glaubhaft gemacht
werden konnten. Im Gegensatz zu geltend gemachten neuen Tatsa-
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chen ist es nicht notwendig, dass die Beweismittel selber aus der Zeit
vor dem Beschwerdeentscheid respektive der Verfügung der Vor-
instanz stammen (vgl. zum Ganzen EMARK 2002 Nr. 13 E. 5a
S. 113 f., mit Hinweisen auf Doktrin und Praxis).
Sowohl neue erhebliche Tatsachen als auch neue erhebliche Beweis-
mittel bilden im Übrigen nur dann einen Revisionsgrund, wenn sie dem
Beschwerdeführer damals trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt
sein konnten oder ihm die Geltendmachung oder Beibringung aus ent-
schuldbaren Gründen nicht möglich war (vgl. Art. 66 Abs. 3 VwVG).
4.3 Der Beschwerdeführer hat im Laufe des Wiedererwägungsverfah-
rens die folgenden Beweismittel eingereicht: Zwei in russischer Spra-
che verfasste Bestätigungsschreiben vom 29. April 2005 (je mit deut-
scher Übersetzung), auszugsweise Kopien von zwei Reiseausweisen,
ein in russischer Sprache verfasstes Schreiben der Organisation
"Echo des Krieges" vom 11. Mai 2005 (Faxkopie, mit deutscher Über-
setzung), ein ärztliches Zeugnis vom 17. Oktober 2005, ein Schreiben
der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 5. Januar 2006 (in englischer
Sprache) sowie ein undatierter, in russischer Sprache verfasster Be-
richt der Nordkaukasischen Gesellschaft für russisch- und tschetsche-
nische Freundschaft (in Kopie, inklusive deutscher Übersetzung).
4.4 Vorliegend kann die Frage, ob die eingereichten Beweismittel - ab-
gesehen vom ärztlichen Zeugnis vom 17. Oktober 2005 - nicht schon
im ordentlichen Verfahren, welches mit Urteil vom 5. August 2004 ab-
geschlossen worden war, hätten beigebracht werden können, offen ge-
lassen werden, zumal den eingereichten Dokumenten, wie nachfol-
gend darzulegen sein wird, keine hinreichend klaren Anzeichen für das
Erfüllen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG und Art.
1A des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) zu entnehmen sind. Es kann daher hin-
länglich ausgeschlossen werden, dass bei einer Rückkehr in den Hei-
matstaat das in Art. 5 AsylG und Art. 33 FK verankerte Refoulement-
Verbot verletzt würde. Es gibt im gleichen Zusammenhang auch keine
Hinweise auf eine drohende Verletzung von Art. 3 der Konvention vom
4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
heiten (EMRK, SR 0.101).
Bezüglich der eingereichten Beweismittel (Eingaben vom 7. Juni 2005
und 23. Januar 2006) ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer kei-
ne für die Feststellung seiner Personalien tauglichen Reise- oder Iden-
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titätspapiere eingereicht hat. Folglich steht die Identität des Be-
schwerdeführers nicht fest, was aber für die Überprüfung der Aussa-
gen beziehungsweise der Beweismittel und die Asylgewährung grund-
sätzlich Voraussetzung ist. Aufgrund der Nichtabgabe eines die Identi-
fizierung erlaubenden Dokuments ist schliesslich auch nicht erwiesen,
dass der Beschwerdeführer überhaupt die Person ist, auf die sich die
eingereichten Dokumente beziehen. Zweifel an der persönlichen
Glaubwürdigkeit sind auch deshalb angebracht, weil der Beschwerde-
führer unter anderem in Deutschland unter einer anderen Identität ein
Asylgesuch eingereicht hat. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, wei-
ter auf die eingereichten Beweismittel beziehungsweise die diesbezüg-
lichen Beschwerdevorbringen einzugehen.
Hinsichtlich des ärztlichen Zeugnisses vom 17. Oktober 2005 (Eingabe
vom 7. November 2005), in dem festgehalten wird, dass die beim Be-
schwerdeführer diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die geschilderten Erlebnisse
im Krieg zurückzuführen seien, ist Folgendes zu bemerken: Was die
Feststellbarkeit der Ursachen einer Traumatisierung betrifft, so hat die
ehemalige ARK bereits im Jahre 1994 in einem unveröffentlichten Ur-
teil vom 25. Mai 1994 (auszugsweise publiziert in Asyl 1994/4, S. 92)
ausgeführt: "Glaubhaft gemacht ist aufgrund der gutachterlichen Fest-
stellung einer posttraumatischen Belastungsstörung einzig, dass die
Beschwerdeführerin ein traumatisierendes Ereignis erlebt haben muss.
Die genauen Umstände dieses Erlebnisses - was für die Frage der
Asylrelevanz von entscheidender Bedeutung wäre - bleiben indessen
unklar." Dieser Beurteilung der Beweiskraft einer psychiatrischen
Diagnose ist auch im vorliegenden Verfahren zuzustimmen. "Mit
psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln kann nicht sicher er-
schlossen werden, ob tatsächlich in der Vorgeschichte ein Ereignis
vorlag und wie dieses geartet war" (MARTIN LEONHARDT/KLAUS FOERSTER,
Probleme bei der Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstö-
rung, in: Der medizinische Sachverständige 99 {2003}, S. 151). Die
beim Beschwerdeführer diagnostizierte posttraumatische Belastungs-
störung bildet daher keinen Hinweis für asylrechtlich relevante Ereig-
nisse (vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-5266/2006
vom 29. Januar 2008 E. 3.4 S. 11).
4.5 Insgesamt ist deshalb festzustellen, dass sich die eingereichten
Beweismittel als nicht erheblich im Sinne von Art. 66 Abs. 2 Bst. a
VwVG erweisen, weshalb die Vorinstanz das Wiedererwägungsgesuch
Seite 10
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des Beschwerdeführers im Asylpunkt mit Verfügung vom 23. März
2006 zu Recht abgewiesen hat. Entgegen den Vorbringen in der
Rechtsmittelschrift ist damit ohne Weiteres vereinbar, dass die Vorins-
tanz das Wiedererwägungsgesuch bezüglich des Vollzugs der Weg-
weisung gutgeheissen und den Beschwerdeführer in der Schweiz vor-
läufig aufgenommen hat, zumal für die Gewährung der vorläufigen
Aufnahme wegen Unzumutbarkeit des Vollzugs andere Kriterien be-
rücksichtigt werden (wie beispielsweise die allgemeine Lage in einem
Land) als bei der Gewährung von Asyl. Aufgrund des Gesagten erüb-
rigt es sich, auf die weiteren Ausführungen in der Rechtsmittelschrift
einzugehen.
5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bun-
desrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und
vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Be-
schwerde ist daher abzuweisen.
6.
6.1 Der Beschwerdeführer beantragt die unentgeltliche Rechtspflege
nach Art. 65 Abs. 1 VwVG. Gemäss dieser Bestimmung wird von der
Erhebung von Verfahrenskosten abgesehen, wenn der Beschwerde-
führer nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und seine Begehren
nicht aussichtslos erscheinen.
6.2 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen erweist sich die Be-
schwerde als aussichtslos. Mangels Erfüllen der kumulativen Voraus-
setzungen von Art. 65 VwVG (bedürftig/nicht aussichtslos) ist das Ge-
such um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen.
6.3 Der Beschwerdeführer ist im vorliegenden Verfahren vollständig
unterlegen, weshalb er im vollem Umfang kostenpflichtig wird. Die Ver-
fahrenskosten von insgesamt Fr. 1'200.-- sind dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 37 VGG i.V.m. Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG; Art. 16
Abs. 1 Bst. a VGG i.V.m. Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar
2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwal-
tungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
6.4 Bei dieser Sachlage ist keine Parteientschädigung zuzusprechen.
(Dispositiv nächste Seite)
Seite 11
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird ab-
gewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil geht an:
- den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (Einschreiben; Beila-
gen: Einzahlungsschein, angefochtene Verfügung im Original)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt, mit den Akten Ref.-Nr. N (...) (per
Kurier; in Kopie)
- (...)
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Robert Galliker Matthias Jaggi
Versand:
Seite 12