D-4793/2006 - Abteilung IV - Asylwiderruf - Asylwiderruf
Karar Dilini Çevir:
D-4793/2006 - Abteilung IV - Asylwiderruf - Asylwiderruf
Abtei lung IV
D-4793/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 5 . S e p t e m b e r 2 0 0 8
Richterin Nina Spälti Giannakitsas (Vorsitz),
Richter Walter Lang, Richter Blaise Pagan,
Gerichtsschreiber Patrick Weber.
A._______, geboren _______,
B._______, geboren _______,
C._______, geboren _______,
D._______, geboren _______,
alle aus dem Irak,
wohnhaft _______,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylwider-
ruf; Verfügung des BFM vom 6. Dezember 2005 /
N _______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-4793/2006
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführer, aus _______ (Nordirak) stammende Kurden,
stellten am 31. Dezember 1991 in der Schweiz Asylgesuche. Mit Ent-
scheid vom 23. Dezember 1992 anerkannte sie die Vorinstanz als
Flüchtlinge und gewährte ihnen Asyl.
B.
Im Asylverfahren hatte der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt, ihm
drohe im Irak Verfolgung seitens des irakischen Zentralstaates. Er sei
seit 1970 Kämpfer bei den Peshmerga der Demokratischen Partei Kur-
distans (KDP). Anfang 1981 seien zwei Mitkämpfer durch die irakische
Polizei festgenommen worden. Daraufhin sei sein Haus während sei-
ner Abwesenheit durch die Sicherheitskräfte durchsucht worden. Die
Beschwerdeführerin sei nach dem Aufenthaltsort ihres Gatten gefragt
worden. Wegen der geschilderten Situation und wiederholten Angriffen
der irakischen Armee hätten sie versteckt in den Bergen und zeitweise
im benachbarten Ausland unter prekären Umständen in Lagern leben
müssen. Im Frühjahr 1991 seien sie erneut gezwungen gewesen, den
Nordirak zu verlassen. In Anbetracht der drohenden Verfolgung seien
sie schliesslich in den Westen geflohen.
C.
Mit Schreiben vom 14. November 2005 teilte das Bundesamt den Be-
schwerdeführern mit, es beabsichtige, ihnen gestützt auf Art. 63 Abs. 1
Bst. b des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) die
Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen und das Asyl zu widerrufen. Zur
Begründung wurde angeführt, die Beschwerdeführer seien wiederholt
in ihr Heimatland gereist. Damit hätten sie sich freiwillig wieder unter
den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besässen,
gestellt. Im Reiseausweis des Beschwerdeführers befänden sich diver-
se Stempelungen, welche den Schluss rechtfertigten, dass er im
Zeitraum von 1994 bis August 2005 wiederholt in sein Heimatland ge-
reist sei. Es stehe unter anderem fest, dass er sich vom 14. September
2004 bis zum 26. Oktober 2004 sowie vom 29. Juni 2005 bis zum 9.
August 2005 im Irak aufgehalten habe. Die beiden Kinder hätten sich
vom 29. Juni 2005 bis zum 9. August 2005 ebenfalls dort aufgehalten.
Auch die Beschwerdeführerin habe sich nachweislich im Jahre 1994
und mutmasslich im Sommer 2000 in ihrem Heimatland aufgehalten.
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D-4793/2006
D.
Im Rahmen der eingeräumten Frist zur Stellungnahme machte der Be-
schwerdeführer am 24. November 2005 geltend, aus verschiedenen
Gründen bis zum Jahr 2000 via Nordgrenze in den Irak gereist zu sein.
Er habe sich aber nicht unter den Schutz dieses Staates gestellt. Viel-
mehr seien die Reisen lebensgefährlich gewesen. Beim Nordirak, in
welchen er von 1994 bis 2000 wiederholt gereist sei, habe es sich im
Übrigen um eine UNO-Schutzzone gehandelt. Nach 2000 hätten er
und seine Gattin sich lediglich in der Grenzzone zum Irak aufgehalten.
In seinem Pass befänden sich nur türkische beziehungsweise syrische
Stempelungen.
E.
Mit Verfügung vom 6. Dezember 2005 widerrief die Vorinstanz das den
Beschwerdeführern am 23. Dezember 1992 gewährte Asyl und er-
kannte ihnen die Flüchtlingseigenschaft ab. Sie stützte sich dabei auf
Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG i.V.m. Art. 1 C Ziff. 1 des internationalen
Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(FK, SR 0.142.30). Zur Begründung wurde im Sinne des obenstehend
erwähnten Schreibens vom 14. November 2005 auf die Reisen der Be-
schwerdeführer ins Heimatland verwiesen. Aufgrund der Akten stehe
fest, dass der Beschwerdeführer entgegen seinen Angaben auch in
den Jahren 2004 sowie 2005 in den Irak gereist sei. Die beiden Söhne
seien im Sommer 2005 nachweislich im Heimatland gewesen. Die Be-
schwerdeführer hätten diese Reisen ohne äusseren Zwang in der Ab-
sicht, sich in den Schutzbereich des Heimatstaates zu begeben, unter-
nommen. Die Schutzgewährung sei sodann tatsächlich erfolgt, und
zwar entgegen den Beschwerdevorbringen im damaligen Zeitpunkt
nicht durch die UNO, da diese in der vormaligen Schutzzone keine ef-
fektive Staatsmacht innegehabt habe. Die Freiwilligkeit der im Jahre
2004 sowie 2005 erfolgten Reisen des Beschwerdeführers gehe na-
mentlich auch aus dem Umstand, wonach sie von ihm aktenwidrig
nicht eingeräumt worden seien, hervor, zumal er allfällige, aus seiner
Sicht zwingende Gründe für die Reisen zweifelsohne genannt hätte.
F.
Mit an die Vorinstanz adressierter und am 6. Januar 2006 der Schwei-
zerischen Asylrekurskommission (ARK) zuständigkeitshalber übermit-
telten Beschwerde vom 30. Dezember 2005 (Poststempel) beantragten
die Beschwerdeführer die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung.
Von der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und vom Asylwiderruf
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sei abzusehen. Zur Begründung wurde insbesondere auf den
Sonderstatus des Nordiraks im relevanten Zeitraum (UNO-
Schutzzone) hingewiesen. Die Beschwerdeführer hätten sich nie in
den Machtbereich des Regimes von Saddam Hussein begeben.
G.
Mit Zwischenverfügung vom 25. April 2006 forderte die ARK die Be-
schwerdeführer auf, innert Frist einen Kostenvorschuss zu leisten.
H.
Am 1. Mai 2006 leisteten die Beschwerdeführer den Kostenvorschuss
in der Höhe von Fr. 600.--.
I.
Mit Vernehmlassung vom 19. Juni 2006 hielt das Bundesamt an seiner
Verfügung vollumfänglich fest und beantragte die Abweisung der Be-
schwerde. Die Beschwerdeführer hätten sich wiederholt und freiwillig
auf dasjenige Gebiet begeben, welches sie seinerzeit aus Angst vor
Verfolgung verlassen hätten.
J.
Ein im Rahmen des eingeräumten Replikrechts gestelltes Fristerstre-
ckungsbegehren bis Ende August 2006 lehnte die ARK mit Zwischen-
verfügung vom 11. Juli 2006 unter Hinweis auf Art. 32 Abs. 2 des Bun-
desgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren
(VwVG, SR 172.021) ab. In der Folge ging bei der Rekursinstanz keine
Stellungnahme der Beschwerdeführer ein.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsge-
richt Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das Bun-
desamt für Migration (BFM) gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG
und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine
das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt
nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die
Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet in diesem
Bereich endgültig (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
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[AsylG, SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes
vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurtei-
lung der bei der ARK hängigen Rechtsmittel übernommen. Das neue
Verfahrensrecht ist anwendbar (vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.3 Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht. Die Be-
schwerdeführer sind durch die angefochtene Verfügung berührt und
haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungs-
weise Änderung. Die Beschwerdeführer sind daher zur Einreichung
der Beschwerde legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 und 50 ff.
VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
3.1 Die Beschwerdeführer rügen, das Bundesamt gehe zu Unrecht da-
von aus, die Voraussetzungen der Aberkennung der Flüchtlingseigen-
schaft und des Asylwiderrufs seien vorliegend erfüllt, und verkenne die
Sondersituation des (damaligen) Nordiraks.
4.
4.1 Gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG wird die Flüchtlingseigen-
schaft aberkannt und das Asyl widerrufen, wenn Gründe nach Art. 1 C
Ziff. 1 - 6 FK vorliegen. Art. 1 C FK beinhaltet die Beendigungsklauseln
betreffend den Flüchtlingsstatus. Namentlich fällt eine Person unter
anderem nicht mehr unter die Bestimmungen der FK und ihr Flücht-
lingsstatus endet, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des
Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, gestellt hat (Art. 1 C
Ziff. 1 FK).
4.2 Die Beschwerdeführer räumen ein, sich von 1994 bis 2000 wieder-
holt im Nordirak aufgehalten zu haben. Vorab ist festzuhalten, dass für
die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde nicht die heute im Irak
bestehenden Verhältnisse massgeblich sind, sondern vielmehr jene im
genannten Zeitraum; eine Einschätzung aus flüchtlingsrechtlicher
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Sicht der politischen Lage, wie sie heute im Irak besteht, kann
demnach hinsichtlich dieser Reisen unterbleiben, zumal die Vorinstanz
die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft angesichts der auch
aktuell noch instabilen Lage im Irak zurecht nicht gestützt auf Art. 1 C
Ziff. 5 FK begründete.
5.
5.1 Zu prüfen ist mithin, ob die genannten Reisen eine Unterschutz-
stellung im Sinne von Art. 1 C Ziff. 1 FK bedeuten. Ausschlaggebend
ist in diesem Zusammenhang, dass sich die politische Lage im Nordi-
rak (so auch in Dohuk) im damaligen Zeitraum insofern als
Sondersituation darstellte, als dieses Gebiet unter einer autonomen
kurdischen Verwaltung (teils durch die PUK, teils durch die KDP) stand
und die zentralstaatlichen irakischen Behörden dort keinen regulären
Einfluss ausübten (zur Lagebeurteilung betreffend die damalige politi-
sche Situation im Nordirak vgl. ausführlich Entscheide und Mitteilun-
gen der Schweizerischen Asylrekurskommission/EMARK 2000 Nr. 15
S. 107 ff.). Die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführer ist indes-
sen im ordentlichen Asylverfahren aufgrund drohender Verfolgung sei-
tens der zentralstaatlichen Machthaber (vgl. Bst. B obenstehend) aner-
kannt worden. Bereits in einem Entscheid vom 26. Oktober 1995 ging
die ARK im Falle eines irakischen Kurden, der im Jahr 1994 eine Reise
in seine Heimatregion unternommen hatte, davon aus, mit diesem Ver-
halten sei angesichts der konkret im Nordirak bestehenden politischen
Verhältnisse nicht der Schutz der irakischen Behörden in jenem Sinn,
wie es Art. 1 C Ziff. 1 FK ins Auge fasst, in Anspruch genommen wor-
den, zumal im Nordirak die Macht (bereits zum damaligen Zeitpunkt
1994/1995) nicht mehr von der irakischen Zentralgewalt ausgeübt wer-
de. Die ARK hielt fest, in dieser im Nordirak herrschenden
Sondersituation stelle eine Kontaktnahme mit den vom Zentralstaat
losgelösten, unter Schutz der UNO operierenden lokalen Behörden
nicht einen Kontakt mit jenen heimatlichen Behörden dar, die seiner-
zeit für die asylrelevante Verfolgung verantwortlich gewesen seien;
dies wiederum wäre aber für eine Anwendung von Art. 1 C Ziff. 1 FK
vorauszusetzen (vgl. ausführlich EMARK 1996 Nr. 9 S. 69 ff.). Diese
Praxis der ARK, welche im Folgenden denn auch nicht aufgegeben
oder geändert worden ist, hat auch im aktuell durch das Bundesver-
waltungsgericht geführten Verfahren bezüglich der genannten Reisen
bis zum Jahr 2000 grundsätzlich ihre Gültigkeit. So wurde in dem aus-
führlich auf die Lage im Nordirak Bezug nehmenden Urteil der ARK
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vom 12. Juli 2000 (EMARK 2000 Nr. 15) einzig die bisherige
Einschätzung relativiert, es handle sich in den nordirakischen
Gebieten um "Schutzzonen" beziehungsweise um "von der UNO
protegiertes Gebiet" (vgl. EMARK 2000 Nr. 15 S. 123 f.); diese
Präzisierungen erfolgten jedoch im Hinblick auf Fragen der Schutz-
gewährung im Sinne einer innerstaatlichen Fluchtalternative, deren
Bestehen für durch die Zentralregierung verfolgte Personen
ausdrücklich verneint wurde, nachdem die autonome Stellung der
kurdischen Parteien zwar faktisch bestand, rechtlich oder international
aber nicht abgesichert war und Beziehungen zwischen dem
Zentralstaat und den autonomen Gebieten weiterhin gepflegt wurden
beziehungsweise Vereinbarungen zur Zusammenarbeit bestanden (vgl.
EMARK 2000 Nr. 15 S. 116 ff.).
5.2 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz hinsichtlich der
Reisen der beziehungsweise des Beschwerdeführers in den Nordirak
im Zeitraum von 1994 bis 2000 zu Unrecht die Voraussetzungen für
eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 1 C Ziff. 1
FK und für einen Asylwiderruf gemäss Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG als
erfüllt betrachtet hat. Da das BFM der Beschwerdeführerin für den
Zeitraum danach keine weiteren Reisen ins Heimatland anlastet, ist
ihre Beschwerde entsprechend gutzuheissen und die angefochtene
Verfügung sie betreffend aufzuheben. Die Beschwerdeführerin bleibt
weiterhin Flüchtling und in der Schweiz asylberechtigt.
6.
Im folgenden ist zu prüfen, ob sich der Beschwerdeführer und seine
beiden im Rubrum aufgeführten Kinder im Rahmen der in den Jahren
2004 und 2005 erfolgten Reisen ins Heimatland freiwillig unter den
Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, gestellt
haben. Dies erfordert - wie von der Vorinstanz zutreffend ausgeführt -
das kumulative Vorliegen dreier Voraussetzungen: Die Beschwerdefüh-
rer müssen freiwillig in Kontakt mit ihrem Heimatland getreten sein, in
der Absicht, von ihrem Heimatland Schutz in Anspruch zu nehmen,
und dieser muss ihnen tatsächlich gewährt worden sein (vgl. die immer
noch Gültigkeit entfaltende Rechtsprechung in EMARK 2002 Nr. 8 E. 8
S. 65 mit weiteren Hinweisen). Die Situation nach dem Sturz des
Regimes von Saddam Hussein stellt sich insofern verändert dar, als im
Rahmen der Bildung einer neuen irakischen Regierung den
kurdischen Nordprovinzen zwar weitgehende Autonomie zugestanden
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wurde, jedoch unter dem Dach des irakischen Gesamtstaates (vgl.
EMARK 2006 Nr. 9).
6.1 Gemäss dem soeben Ausgeführten müssen die Beschwerdeführer
- als Grundvoraussetzung für die Aberkennung der Flüchtlingseigen-
schaft und den Widerruf des Asyls - mit ihrem Heimatland in Kontakt
getreten sein. Im vorliegenden Fall kommen als Form der
Kontaktaufnahme die vom Bundesamt aufgelisteten Heimatreisen der
Beschwerdeführer in Betracht.
6.2 Das BFM geht davon aus, dass sich der Beschwerdeführer im er-
wähnten Zeitraum zweimal und die Kinder einmal im Irak aufgehalten
haben. Dies wird vom Beschwerdeführer bestritten. Die Reiseausweise
der Beschwerdeführer sind indes mit irakischen Einreise- und Ausrei-
sestempel versehen. Dass sie von den Besitzern gar nicht benutzt
worden wären, kann den Akten nicht entnommen werden. Demzufolge
reiste der Beschwerdeführer am 14. September 2004 ein und am 26.
Oktober 2004 wieder aus. Vom 29. Juni 2005 bis zum 9. August 2005
hielt er sich - diesmal zusammen mit den beiden (damals noch minder-
jährigen) Kindern, die in ihren Reisedokumenten dieselben Stempe-
lungen aufweisen - erneut vor Ort auf. Die Darlegungen des Be-
schwerdeführers, sich lediglich im Grenzgebiet aufgehalten zu haben,
können mithin insofern nicht geglaubt werden, als seine Behauptung in
der Eingabe vom 24. November 2005, in seinem Pass befänden sich
nur türkische beziehungsweise syrische Stempelungen, mit dem vor-
liegenden Reisedokument nicht zu vereinbaren sind. Vielmehr ist im
Sinne der vorinstanzlichen Ausführungen davon auszugehen, dass die
erwähnten Einreisen und die damit verbundenen Aufenthalte der Be-
schwerdeführer im Heimatland tatsächlich stattgefunden haben. Auf-
grund des soeben Ausgeführten bestehen deshalb - entgegen den
Vorbringen der Beschwerdeführer - keine Zweifel an der Einreise der-
selben in den Irak, weshalb die von der Vorinstanz im besagten Zeit-
raum aufgelisteten Heimataufenthalte mangels stichhaltiger Beschwer-
devorbringen als bewiesen anzusehen sind.
6.3 Grundsätzlich stellt der Umstand, dass jemand sich zurück in den
Verfolgerstaat begibt, ein starkes Indiz dafür dar, dass die frühere
Verfolgungssituation oder die Furcht vor Verfolgung nicht mehr
bestehen. Trotz dieser starken Indizwirkung einer Heimatreise dürfen
auch bei dieser Form der Kontaktaufnahme mit dem Heimatland eine
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und ein Widerruf des Asyls
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erst dann ausgesprochen werden, wenn die in Erwägung 6. erwähnten
drei Voraussetzungen in ihrer Gesamtheit erfüllt sind.
6.4 Das Kriterium der Freiwilligkeit bedingt, dass der Akt des Flücht-
lings (welcher auf eine Unterschutzstellung hinweist) ohne äusseren
Zwang weder durch die Umstände im Asylland noch durch die
Behörden des Heimatstaates geschieht. Es fehlt daher beispielsweise
an der Freiwilligkeit des Kontaktes mit den Behörden des
Heimatstaates, wenn der Flüchtling auf Geheiss der Behörden des
Asyllandes bei der Vertretung seines Heimatstaates die Ausstellung
oder Erneuerung seines Reisepasses beantragt (vgl. EMARK 1996 Nr.
12 E. 8a S. 103). Der Beschwerdeführer bestreitet vorliegend in
aktenwidriger Weise die beiden erfolgten Heimatreisen. Gründe,
welche auf einen Zwang im hier relevanten Sinne hindeuten würden,
macht er mithin weder geltend noch sind den verfügbaren Akten
diesbezügliche Anhaltspunkte zu entnehmen. Vielmehr weist auch die
lange Dauer des Aufenthaltes die Freiwilligkeit der Reise hin. Es ist
deshalb davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer freiwillig in
Kontakt mit ihrem Heimatland getreten sind.
6.5 Für die Erfüllung des Kriteriums der beabsichtigten Unterschutz-
stellung genügt in der Regel die Inkaufnahme von Schutzgewährung
durch den Heimatstaat. Bei der Beurteilung, ob dieses Kriterium gege-
ben ist, kommt es auch auf die Motivation für die Heimatreise an. Ein-
fache Urlaubs- und Vergnügungsreisen werden eher auf eine Inkauf-
nahme einer Unterschutzstellung schliessen lassen, als Reisen aus
Gründen, welche, ohne gleich die Freiwilligkeit auszuschliessen, im-
merhin ein gewisses Mass an psychischem Druck zur Heimatreise
ausüben (vgl. EMARK 1996 Nr. 12 E. 8b S. 103). Wie bereits oben aus-
geführt, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nicht unter
psychischem Druck im Irak weilten. Die Vermutung der Vorinstanz, in
Anbetracht der Stempelungen in den Reisedokumenten hätten die Kin-
der ihre Ferien zusammen mit dem Vater im Sommer 2005 im Hei-
matland verbracht, ist durch die Beschwerdeführer jedenfalls nicht wi-
derlegt worden. Es handelte sich somit um einen Aufenthalt, welcher
nicht auf Grund moralischen oder seelischen Drucks zustande kam.
Die Beschwerdeführer haben somit durch ihre Reisen und das damit
verbundene Verhalten (regulär erfolgte und mit entsprechenden Grenz-
kontrollen verbundene Grenzüberschreitungen im Einverständnis iraki-
scher Behörden) klar zum Ausdruck gebracht, dass sie sich freiwillig
unter den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besit-
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zen, gestellt haben. Dies nachdem wie erwähnt die Sondersituation im
Nordirak sich schon damals insofern verändert darstellte, als der
Zentralstaat wieder über einen umfassenden Machtbereich verfügte.
6.6 Als drittes Kriterium muss den Beschwerdeführern durch den Hei-
matstaat effektiv Schutz gewährt worden sein. Dieses Kriterium ist er-
füllt, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betreffen-
de Person tatsächlich nicht mehr gefährdet ist. Diese Anhaltspunkte
können vorwiegend in entsprechenden Handlungen des Heimatstaates
gesehen werden (vgl. EMARK 1996 Nr. 12 E. 8c S. 104). In diesem
Zusammenhang kann zunächst auf den Entscheid des
Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts (BVGE) E-6982/2006
vom 22. Januar 2008 hingewiesen werden. Darin wurde festgehalten,
dass die Behörden der drei nordirakischen Provinzen grundsätzlich in
der Lage und willens sind, den Einwohnern Schutz vor Verfolgung zu
gewähren. Diese Einschätzung dürfte sich auch bereits im Sommer
2005 als berechtigt erwiesen haben. Jedenfalls bestehen dadurch,
dass die Beschwerdeführer offenbar problemlos und - was den Vater
anbelangt - wiederholt in den Irak einreisen, sich dort für mehrere Wo-
chen aufhalten und in der Folge wieder ungehindert aus dem Land
ausreisen konnten, objektive Anhaltspunkte dafür, dass sie im Irak
bereits damals nicht mehr gefährdet beziehungsweise effektiv
geschützt waren. Den Beschwerdeführern wurde somit durch den Irak
effektiver Schutz gewährt, und zwar nicht nur im Rahmen der
nordirakischen Behörden, sondern im Ergebnis durch den
Zentralstaat, da sich dessen Machtbereich - wie erwähnt - bereits im
damaligen Zeitpunkt grundsätzlich auch auf die nordirakischen
Provinzen erstreckte und die nordirakischen Behörden insoweit nicht
mehr in einer Sondersituation im Sinne der Lage vor dem Macht-
wechsel, sondern als handelnde Organe des Gesamtstaates anzuse-
hen waren.
6.7 Somit sind alle in Art. 1 C Ziff. 1 FK respektive Art. 63 Abs. 1 Bst. b
AsylG statuierten Voraussetzungen für eine Aberkennung der Flücht-
lingseigenschaft und den damit verbundenen Widerruf des Asyls in Be-
zug auf den Beschwerdeführer und die beiden Kinder erfüllt. Die vom
BFM gestützt auf Art. 63 Abs. 1 Bst. b AsylG verfügte Aberkennung der
Flüchtlingseigenschaft und der Widerruf des Asyls erfolgten daher zu
Recht.
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7.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
- den Beschwerdeführer und die Kinder betreffend - Bundesrecht nicht
verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig fest-
stellt und angemessen ist. (Art. 106 AsylG). Die Beschwerde der Ob-
genannten ist nach dem Gesagten abzuweisen.
8.
8.1
Nachdem die Beschwerdeführerin obsiegt hat und ihr Ehemann und
die Kinder unterlegen sind, werden die dem Beschwerdeführer aufzu-
erlegenden Kosten angemessen reduziert und auf insgesamt Fr. 300.--
festgesetzt (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die
Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
[VGKE, SR 173.320.2]). Der am 1. Mai 2006 in der Höhe von Fr. 600.--
einbezahlte Kostenvorschuss wird der Beschwerdeführerin in der Höhe
von Fr. 300.-- rückerstattet.
8.2 Obsiegende Parteien haben Anspruch auf eine Parteientschädi-
gung für die ihnen erwachsenen notwendigen Kosten (Art. 7 Abs. 1
VGKE). Da die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht ver-
treten war, ist nicht davon auszugehen, dass ihr durch die Beschwer-
deführung verhältnismässig hohe Kosten entstanden sind, weshalb
keine Parteientschädigung auszurichten ist (Art. 7 Abs. 4 VGKE).
(Dispositiv nächste Seite)
Seite 11
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird bezüglich der Beschwerdeführerin gutgeheissen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin weiterhin als Flücht-
ling anerkannt und asylberechtigt ist.
3.
Die Beschwerde wird bezüglich des Beschwerdeführers und der bei-
den Kinder abgewiesen.
4.
Es wird keine Parteientschädigung entrichtet.
5.
Dem Beschwerdeführer werden die reduzierten Verfahrenskosten in
der Höhe von Fr. 300.-- auferlegt. Sie sind durch den am 1. Mai 2006
geleisteten Kostenvorschuss getilgt und werden mit diesem verrech-
net. Der Beschwerdeführerin werden die verbleibenden Fr. 300.-- rück-
erstattet.
6.
Dieses Urteil geht an:
- die Beschwerdeführer (eingeschrieben)
- die Vorinstanz, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit
den Akten (per Kurier, in Kopie; Ref-Nr. N _______)
- _______
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Patrick Weber
Versand:
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