D-4565/2014 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 17. Jul...
Karar Dilini Çevir:
D-4565/2014 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 17. Jul...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-4565/2014/mel


U r t e i l v o m 1 6 . D e z e m b e r 2 0 1 4
Besetzung

Richter Bendicht Tellenbach (Vorsitz),
Richter Robert Galliker, Richter Hans Schürch,
Gerichtsschreiber Daniel Merkli.
Parteien

A._________, geboren (…),
gemäss eigenen Angaben China (Volksrepublik),
(…)
Beschwerdeführer,


gegen

Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Asyl und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 17. Juli 2014 / N__________


D-4565/2014
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Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer verliess eigenen Angaben zufolge seinen Heimat-
staat im Oktober 2013 und reiste über Nepal, wo er sich sieben Monate auf-
gehalten hat, und unbekannte Länder am 29. Mai 2014 in die Schweiz ein,
wo er gleichentags im B._______ ein Asylgesuch einreichte. Am 11. Juni
2014 wurde er summarisch befragt sowie am 7. Juli 2014 einlässlich zu
seinen Ausreise- und Asylgründen angehört.
Dabei machte er geltend, er sei chinesischer Staatsangehöriger tibetischer
Ethnie und stamme aus dem Ort C.________, Gemeinde D._______, Be-
zirk E.________, Präfektur F.______, Provinz G.______ (Volksrepublik
China), wo er bis zum neunten Lebensjahr gelebt habe. Seine Eltern seien
gestorben, als er vier-, fünfjährig gewesen sei, danach habe er bei seinem
Onkel in D._____ gelebt. Als Neunjähriger sei er ins Kloster H.______ in
I._______ eingetreten. Dort habe er bis zu seiner Ausreise gelebt und tibe-
tisch lesen und schreiben gelernt. Er habe nie eine Schule besucht.
Am 17. März 2013 habe er durch einen Bekannten K._______ telefonisch
erfahren, dass sich ein Mönch namens L.______ vom Kloster M.________
in der Provinz N.________ aus Protest gegen die chinesische Herrschaft
selbst verbrannt habe. Aus Betroffenheit habe er einem Mönchskollegen
von dem Ereignis erzählt und später mit anderen beschlossen, eine Ge-
betszeremonie für den Verstorbenen durchzuführen. Am nächsten Abend
sei die Polizei ins Kloster gekommen und habe ihn festgenommen, weil er
die Nachricht von der Selbstverbrennung verbreitet habe. Nach vier Tagen
Haft, während der er auch geschlagen worden sei, habe man ihn ins Klos-
ter zurückgebracht, ihn indessen in der Folge anlässlich von Festanlässen
oder Feiertagen jeweils für deren Dauer erneut inhaftiert.
Aus diesem Grund sei er mit dem Bus von N.________ nach O._______
gefahren und zu Fuss nach Nepal gelangt, wo er sich mehr als sieben Mo-
nate in einem Kloster aufgehalten habe, bevor er auf dem Luftweg Nepal
verlassen und mit einem Zwischenstopp an einem ihm unbekannten Ort in
die Schweiz gelangt sei.


B.
Im Auftrag des BFM wurde am (…) mittels eines Telefon-Interviews eine
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Evaluation des Alltagswissens mit dem Beschwerdeführer durchgeführt. Im
Bericht vom 26. Juni 2014 kam der Sachverständige zum Schluss, die
Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer im behaupteten geogra-
phischen Raum gelebt habe, sei klein. Anlässlich der Anhörung vom 7. Juli
2014 informierte das BFM den Beschwerdeführer über den Werdegang
und die Qualifikation des Alltagsspezialisten und gewährte ihm zum Abklä-
rungsergebnis das rechtliche Gehör. Er hielt dabei an seinen Aussagen, in
Tibet aufgewachsen zu sein und bis zu seiner Ausreise dort gelebt zu ha-
ben, fest.
C.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2014 – eröffnet am 19. Juli 2014 – wies das
BFM das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab, verfügte seine Wegwei-
sung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug der Wegweisung an. Im
Übrigen hielt es ausdrücklich fest, dass der Wegweisungsvollzug in die
Volksrepublik China ausgeschlossen sei.
D.
Mit Eingabe vom 15. August 2014 erhob der Beschwerdeführer unter Bei-
lage verschiedener Dokumente (u.a. Kartenauszug Google maps, Länder-
analyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 15. August 2013
zur Situation tibetischer Flüchtlinge in Nepal, Fürsorgebestätigung) Be-
schwerde gegen diesen Entscheid und beantragte, die Verfügung des BFM
vom 17. Juli 2014 sei aufzuheben und die Sache zwecks Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen; eventualiter sei der Beschwerdeführer
als Flüchtling anzuerkennen und es sei ihm Asyl zu gewähren; subeventu-
aliter sei er unter Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund von
subjektiven Nachfluchtgründen vorläufig aufzunehmen; subsubeventuali-
ter sei infolge Unzumutbarkeit oder Unzulässigkeit des Wegweisungsvoll-
zugs die vorläufige Aufnahme anzuordnen. In prozessualer Hinsicht wurde
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1
VwVG sowie der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ersucht.
E.
Mit Zwischenverfügung vom 20. August 2014 hielt das Bundesverwal-
tungsgericht fest, der Beschwerdeführer könne den Ausgang des Verfah-
rens in der Schweiz abwarten und hiess das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG gut. Im
Übrigen lud es das BFM ein, eine Vernehmlassung einzureichen.
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Seite 4
F.
In seiner Vernehmlassung vom 27. August 2014 hielt das BFM an seinen
Erwägungen fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
G.
Mit Zwischenverfügung vom 5. September 2014 stellte das Bundesverwal-
tungsgericht dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung des BFM zur
Kenntnis zu und bot ihm Gelegenheit zur Einreichung einer Stellungnahme.
H.
In seiner Replik vom 15. September 2014 reichte der Beschwerdeführer
ein Schreiben seines in D.________ lebenden Onkels in tibetischer Spra-
che im Original samt Zustellkuvert ein, und gab dessen wesentlichen Inhalt
in deutscher Sprache wieder, verbunden mit dem Gesuch, "den Inhalt des
Schreibens von einem offiziellen Übersetzer bestätigen zu lassen".



Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den
Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver-
waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne
von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher
zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entschei-
det auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslie-
ferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Per-
son Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche
Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb
das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG und das
AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwer-
deführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die
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angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges In-
teresse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur
Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG;
Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutre-
ten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich
Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt
werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
3.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grund-
sätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im
Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationali-
tät, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer
politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder be-
gründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als
ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Le-
bens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psy-
chischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).
3.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die
Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für ge-
geben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen
Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsa-
chen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte
Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
4.
4.1 Zur Begründung seines ablehnenden Entscheides wies das BFM als
erstes darauf hin, dass der Sachverständige gestützt auf die durchgeführte
Evaluation des Alltagswissens zum Schluss gekommen sei, die Wahr-
scheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer im von ihm behaupteten geo-
grafischen Raum gelebt habe, sei klein. Zum einen seien die Kenntnisse
des Beschwerdeführers über die administrative Einteilung des angeblichen
Herkunftsortes beziehungsweise die dortigen Verwaltungseinheiten unge-
nügend. Zwar habe der vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsort
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D._______ vom Experten lokalisiert werden können, jedoch in einer ande-
ren als der vom Beschwerdeführer angegebenen Gemeinde E._______,
welche wie die vom Beschwerdeführer angegebenen umliegenden Städte
O._______, P.________ und Q._______ vom Experten gar nicht hätten
gefunden werden können. Zum anderen sei es dem Beschwerdeführer im
Gespräch mit dem Experten nicht möglich gewesen, korrekte Angaben zu
landschaftlichen Merkmalen seiner Region zu machen oder die Herstellung
tibetischer Alltagsgerichte zu beschreiben, geschweige denn den Ort na-
mentlich zu nennen, in dem er einkaufen gegangen sei. Auch seien seine
Angaben zur Erlangung chinesischer Identitätsdokumente nicht zutreffend
ausgefallen. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer im Rahmen der An-
hörung vom 7. Juli 2014, obwohl angeblich stets in China wohnhaft, nicht
in der Lage gewesen, die chinesischen Feiertage zu datieren (vgl. BFM-
Protokoll A19 S. 5). Auch habe er im Rahmen des ihm gewährten rechtli-
chen Gehörs den Abklärungsergebnissen der Evaluation nichts entgegen-
setzen können, sondern lediglich mit Rückfragen reagiert und bereits Ge-
sagtes wiederholt. Somit würden die aus der Evaluation des Alltagswissens
gezogenen Schlüsse, wonach die Hauptsozialisation des Beschwerdefüh-
rers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im behaupteten Lebens-
raum stattgefunden habe, seinen geltend gemachten Asylvorbringen ohne-
hin die Grundlage entziehen.
Im Weiteren weise die Schilderung der Fluchtgründe wesentliche Unglaub-
haftigkeitselemente auf, was die Einschätzung des Experten, wonach der
Beschwerdeführer nur mit geringer Wahrscheinlichkeit in dem von ihm be-
haupteten geografischen Raum gelebt habe, bestätige. So habe der Be-
schwerdeführer seine Verfolgungsgeschichte anlässlich der Befragungen
nahezu deckungsgleich wiedergegeben, was mehr auf einen auswendigen
Vortrag, denn auf persönliches Erleben schliessen lasse, und auf Nachfra-
gen zu den Asylgründen in der Anhörung äusserst verhalten reagiert.
Ferner sei auf die unglaubhafte Reiseschilderung des Beschwerdeführers
hinzuweisen. Auch diese sei teils stereotyp, teils unsubstantiiert ausgefal-
len, weshalb davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer unter Ver-
wendung eigener Identitätspapiere in die Schweiz gelangt sei, zumal er zu
den fehlenden chinesischen Ausweispapieren tatsachenwidrige Angaben
gemacht habe.
Obwohl der Beschwerdeführer unbestrittenermassen tibetischer Ethnie
sei, sei somit aufgrund der mangelhaften Länder- beziehungsweise Regi-
onalkenntnisse, der mangelnden Kenntnisse der chinesischen Sprache,
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der fehlenden Einreichung von Identitätsdokumenten sowie der unglaub-
haft vorgetragenen Asylgründe davon auszugehen, dass dieser nicht in der
von ihm angegebenen Region sozialisiert worden sei. Vielmehr sei davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ankunft in der Schweiz
nicht in der Volksrepublik China, sondern in der exilpolitischen Diaspora
gelebt habe. Da der Beschwerdeführer jedoch keine konkreten, glaubhaf-
ten Hinweise auf einen längeren Aufenthalt in einem Drittstaat vorgewiesen
habe, sei davon auszugehen, dass keine flüchtlings- oder wegweisungs-
vollzugsbeachtlichen Gründe gegen eine Rückkehr an den bisherigen Auf-
enthaltsort des Beschwerdeführers bestünden (BVGE
E-2981/2012 E. 5.8 – 5.10).
4.2 In der Rechtsmitteleingabe machte der Beschwerdeführer unter Ein-
reichung eines Kartenauszuges von Google maps geltend, der Lingua-Ex-
perte habe seine Wohnsitzgemeinde und die von ihm genannten, umlie-
genden Städte nicht lokalisieren können, weil die Ortschaften in Tibet als
Folge der chinesischen Besetzung Tibets "auf Chinesisch umgetauft wor-
den seien". Zum Vorwurf, dass er die Zubereitung tibetischer Gerichte nicht
habe beschreiben können, sei klarzustellen, dass er im Interview nicht
nach der Zubereitung von tibetischen, sondern von chinesischen Gerichten
gefragt worden sei, wobei er erzählt habe, dass er keine chinesischen Ge-
richte zubereiten könne. Im Weiteren habe er beim Einkaufen nicht auf die
Preise geachtet, da er lediglich als Helfer des für den Einkauf zuständigen
Mönchs unterwegs gewesen sei. Schliesslich habe er die chinesischen Fei-
ertage nicht datieren können, da in seinem Dorf und im Kloster keine chi-
nesischen Feiertage gefeiert worden seien.
Was die Schilderung seines Fluchtweges betreffe, so sei zu berücksichti-
gen, dass die Flucht eine sehr dramatische Erfahrung für ihn gewesen sei
und er sich in diesem Ausnahmezustand nicht jedes einzelne Detail habe
merken können. Im Weiteren sei es ihm nicht möglich, neue tibetische be-
ziehungsweise chinesische Identitätspapiere zu beschaffen, weil er kein
Familienbuch besitze.
Schliesslich hielt der Beschwerdeführer fest, dass er die chinesische
Staatsbürgerschaft besitze und machte mit Hinweis auf ein Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts (…) geltend, es sei das Bestehen von Hinweisen
auf Verfolgung in Bezug auf China zu prüfen. Da er illegal aus der Volksre-
publik China ausgereist sei, habe er bei einer Rückkehr begründete Furcht,
ernsthaften Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG ausgesetzt zu werden.
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Sollte für den Zeitpunkt der Ausreise eine asylrechtlich relevante Verfol-
gung verneint werden, wäre infolge der illegal erfolgten Ausreise das Be-
stehen subjektiver Nachfluchtgründe zu bejahen, und er sei (wegen Unzu-
lässigkeit des Wegweisungsvollzugs) als Flüchtling vorläufig aufzunehmen.
4.3 In ihrer Vernehmlassung verwies die Vorinstanz in Bezug auf das vom
Beschwerdeführer zitierte Urteil des BVGer (…) darauf, dass die Recht-
sprechung gemäss EMARK 2005 Nr. 1 in der Zwischenzeit durch das Urteil
des BVGer E-2981/2012 vom 20. Mai 2014 präzisiert worden sei (inzwi-
schen publiziert in BVGE 2014/12).
4.4 In seiner Replik vom 15. September 2014 reichte der Beschwerdefüh-
rer ein Schreiben seines Onkels in tibetischer Sprache im Original samt
Zustellkuvert ein, und gab dessen wesentlichen Inhalt in deutscher Spra-
che wieder. Sein Onkel habe vom Mönch, bei dem er sich in Nepal vor
seiner Ausreise aufgehalten habe, von seiner Situation erfahren und sei
erfreut, dass er in der Schweiz in Sicherheit sei. Er habe die Neuigkeit
gleich dem R._______ seines Klosters weitergegeben. Es gehe ihm, dem
Onkel, gut und er, der Beschwerdeführer, solle sich, falls er Hilfe benötige,
an F._______wenden, und sich in der Schweiz wohlfeil verhalten.
5.
5.1 Das BFM hat im Ergebnis das Asylgesuch des Beschwerdeführers zu
Recht abgelehnt.
5.2 Im – von der Vorinstanz erwähnten – Länderurteil BVGE 2014/12 prä-
zisierte das Bundesverwaltungsgerichts seine Praxis gemäss EMARK
2005 Nr. 1 dahingehend, dass bei Personen tibetischer Ethnie, die ihre
wahre Herkunft verschleiern oder verheimlichen, vermutungsweise davon
auszugehen sei, dass keine flüchtlings- oder wegweisungsbeachtlichen
Gründe gegen eine Rückkehr an ihren bisherigen Aufenthaltsort bestän-
den. Die Abklärungspflicht der Asylbehörden finde ihre Grenze an der Mit-
wirkungspflicht der asylsuchenden Person; verunmögliche eine tibetische
Asylsuchende durch die Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht die Abklärung,
welchen effektiven Status sie in Nepal respektive in Indien innehabe, könne
namentlich keine Drittstaatenabklärung im Sinne von Art. 31a Abs. 1 Bst. c
AsylG stattfinden. Überdies werde durch die Verheimlichung und Verschlei-
erung der wahren Herkunft auch die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft
der betreffenden Person in Bezug auf ihr effektives Heimatland verunmög-
licht .
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5.3 Aufgrund der Aktenlage besteht Grund zur Annahme, dass der Be-
schwerdeführer seine wahre Herkunft zu verschleiern versucht.
Dabei kann zur Hauptsache auf die Evaluation des Alltagswissens verwie-
sen werden. Diese stammt von einer qualifizierten Person und vermag im
Ergebnis zu überzeugen, wohingegen es dem Beschwerdeführer im Rah-
men des rechtlichen Gehörs und des Beschwerdeverfahrens nicht gelun-
gen ist, die dortigen Schlussfolgerungen zu entkräften.
5.4 Selbst wenn die Behauptung des Beschwerdeführers zutreffen sollte,
wonach die von ihm genannte Wohnsitzgemeinde C._______ und die
nächst gelegenen Städte D.______, E._______ und F.______ nur unter
den chinesischen Bezeichnungen auf einer Karte zu finden seien, änderte
dies nichts an der vom Sachverständigen festgestellten Tatsache, dass es
dem Beschwerdeführer ganz offensichtlich an wesentlichen Informationen
über seinen Wohnkreis G._______mangelt. Auch war der Beschwerdefüh-
rer nach Feststellung des Sachverständigen nicht in der Lage, die Herstel-
lung tibetischer Alltagsgerichte richtig zu beschreiben. An dieser Feststel-
lung vermag der unbehelfliche Erklärungsversuch, wonach er im Interview
nicht nach der Zubereitung von tibetischen, sondern von chinesischen Ge-
richten gefragt worden sei, wobei er erzählt habe, dass er keine chinesi-
schen Gerichte zubereiten könne, nichts zu ändern. Auch die weitere Er-
klärung, wonach er die chinesischen Feiertage nicht habe datieren können,
da in seinem Dorf und im Kloster keine chinesischen Feiertage gefeiert
worden seien, vermag nicht zu überzeugen. Im Weiteren ist zu bemerken,
dass der Beschwerdeführer kaum Chinesisch spricht, was ebenfalls als ge-
wichtiges Indiz zu werten ist. So ist davon auszugehen, dass er im Rahmen
seines Alltags mit anderen Leuten in Kontakt gekommen und dabei mit dem
in der Umgangssprache gebräuchlichen Chinesisch konfrontiert worden
wäre und sich mit dieser Sprache schliesslich auch vertraut gemacht haben
dürfte. Jedenfalls ist festzuhalten, dass für das Fehlen von einfachstem
Chinesisch keine nachvollziehbaren Gründe angebracht wurden. Schliess-
lich ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nach Feststellung
des Sachverständigen auch unzutreffende Angaben zum Schulwesen und
zu den Identitätspapieren machte und auch nicht in der Lage war, konkrete
Angaben zu den Lebensmittelpreisen zu machen. Der Erklärungsversuch,
wonach er beim Einkaufen nicht auf die Preise geachtet habe, da er ledig-
lich als Helfer des für den Einkauf zuständigen Mönchs unterwegs gewe-
sen sei, vermag nicht zu überzeugen.
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Seite 10
5.5 Ferner wird die Annahme einer Täuschung über die tatsächliche Her-
kunft durch die Unglaubhaftigkeitselemente in den Aussagen hinsichtlich
der Vorfluchtgründe sowie der Ausreise bekräftigt. In diesen Punkten kann
auf die zutreffenden Ausführungen in der vorinstanzlichen Verfügung ver-
wiesen werden (vgl. dazu E. 4.1), welchen auf Beschwerdestufe nicht Sub-
stanzielles entgegnet wurde.
5.6 Schliesslich vermögen auch die vom Beschwerdeführer eingereichten
Beweismittel diese Schlussfolgerungen nicht umzustossen. So beinhalten
die eingereichten Artikel keine konkret den Beschwerdeführer betreffenden
Aussagen. Was das auf Beschwerdeebene eingereichte Schreiben in tibe-
tischer Sprache im Original betrifft, bei dem es sich nach den Angaben des
Beschwerdeführers um ein Schreiben seines Onkels handelt, so ist dessen
Beweiskraft unabhängig von der Frage der Authentizität vor dem Hinter-
grund der Unglaubhaftigkeit der Vorbringen und der naheliegenden Mög-
lichkeit, dass es sich um ein reines Gefälligkeitsschreiben handelt, als we-
nig beweistauglich zu erachten. Das Gesuch des Beschwerdeführers, den
von ihm in groben Zügen wiedergegebenen Inhalt des Schreibens von ei-
nem offiziellen Übersetzer bestätigen zu lassen, ist mangels Notwendigkeit
abzuweisen.
5.7 Zusammenfassend ist in Übereinstimmung mit dem BFM festzustellen,
dass der Beschwerdeführer über seine Herkunft täuschende Angaben ge-
macht hat. In Anwendung der in BVGE 2014/12 E. 5.10 entwickelten
Rechtsprechung hat das BFM daher zu Recht die Flüchtlingseigenschaft
des Beschwerdeführers verneint und sein Asylgesuch abgelehnt.
6.
6.1 Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein,
so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet
den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Fa-
milie (Art. 44 AsylG).
6.2 Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche
Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer sol-
chen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44
AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

7.
D-4565/2014
Seite 11
7.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach
den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44
AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG [SR 142.20]).
Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss
Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei
der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen,
wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft
zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).
7.2 Unter Hinweis auf die in Erwägung 5.2 skizzierte Rechtsprechung ist
der Vollzug der Wegweisung für zulässig, zumutbar und möglich zu erach-
ten.
7.3 Nachdem diejenigen Tibeterinnen und Tibeter, welche die chinesische
Staatsbürgerschaft besitzen, in Bezug auf China zumindest subjektive
Nachfluchtgründe haben, weil sie als Unterstützer des Dalai Lama und da-
mit als separatistisch gesinnte Oppositionelle betrachtet werden und – wie-
derum in Bezug auf China – die Flüchtlingseigenschaft erfüllen (vgl. BVGE
2009/29), ist an dieser Stelle, in Übereinstimmung mit dem Dispositiv der
angefochtenen Verfügung, darauf hinzuweisen, dass für alle Exil-Tibeterin-
nen und -Tibeter und somit auch für den Beschwerdeführer ein Vollzug der
Wegweisung nach China auszuschliessen ist, da ihnen dort gegebenen-
falls eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht (vgl.
BVGE 2014/12 E. 6).
8.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig
sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist ab-
zuweisen.
9.
Da das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 VwVG mit Zwischenverfügung vom 20. August 2014 gut-
geheissen wurde, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.

(Dispositiv nächste Seite)
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Seite 12
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die kantonale
Migrationsbehörde.


Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:




Bendicht Tellenbach Daniel Merkli




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