D-4337/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl
Karar Dilini Çevir:
D-4337/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl
Abtei lung IV
D-4337/2006
spn/wer
{T 0/2}
U r t e i l v o m 1 5 . N o v e m b e r 2 0 0 7
Richterin Nina Spälti Giannakitsas,
Richter Markus König, Richter Gérald Scherrer
Gerichtsschreiber Patrick Weber
1. A._______, geboren _______,
2. B._______, geboren _______,
3. C._______, geboren _______,
alle aus Turkmenistan,
vertreten durch Claudia Zumtaugwald, _______,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6,
3003 Bern,
Vorinstanz,
Verfügung vom 2. Dezember 2005 i.S. Feststellung der
Flüchtlingseigenschaft und Asyl / N _______
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-4337/2006
Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest:
A.
Die Beschwerdeführerin verliess ihren Heimatstaat nach eigenen An-
gaben am 12. September 2003 und gelangte von Russland und ihr un-
bekannten Ländern her kommend am 29. September 2003 in die
Schweiz, wo sie am 30. September 2003 ein Asylgesuch stellte. Die
summarische Befragung fand am 2. Oktober 2003 im Empfangszent-
rum _______ statt. Am 18. November 2003 führte die kantonale Be-
hörde eine Anhörung durch.
B.
Anlässlich der Befragungen machte die Beschwerdeführerin im We-
sentlichen geltend, kurdischer Ethnie zu sein und in _______ gelebt zu
haben. Sie habe als Hebamme in einem Spital gearbeitet. Wegen ihrer
Ethnie sei sie unterdrückt worden. Ihr Vorgesetzter habe sie sexuell
belästigt beziehungsweise im Februar 2003 vergewaltigt. Daraufhin sei
sie entlassen worden. Eine Anzeige bei der zuständigen Behörde sei
erfolglos geblieben. Ferner habe sie als Mitglied einer oppositionellen
kurdischen Gruppe von Januar 2003 bis im Sommer 2003 Propagan-
damaterial verteilt. Am 9. beziehungsweise 10. September 2003 seien
zwei führende Mitglieder der besagten Gruppe festgenommen worden.
Deren Verwandte hätten der Beschwerdeführerin über das Vorgefalle-
ne telefonisch berichtet. Aufgrund der dargelegten Situation habe sie
ihr Heimatland wenig später verlassen, zumal auch zwei ihrer Brüder
wegen Kritik am Regime inhaftiert worden seien. In Turkmenistan wer-
de sie behördlich gesucht. Aktuell leide sie an gesundheitlichen Be-
schwerden.
C.
Am 27. Januar 2005 führte das Bundesamt eine ergänzende Anhörung
durch. Dabei beantwortete die Besschwerdeführerin Fragen zu den
Ausreisemodalitäten, zur generellen Situation im Heimatland, zum po-
litischen Engagement, zur geltend gemachten Vergewaltigung und der
anschliessenden Anzeige bei der zuständigen Behörde. Ferner legte
die Beschwerdeführerin dar, ihre beiden Brüder seien nach wie vor in
Haft. Sie selbst werde gemäss Auskunft ihrer Mutter polizeilich ge-
sucht.
Für den Inhalt weiterer Aussagen und die am 27. Januar 2005 sowie
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17. Februar 2005 eingereichten Beweismittel des vorinstanzlichen
Verfahrens wird auf die Akten verwiesen.
D.
Mit Zwischenverfügung vom 10. März 2005 forderte das BFM die Be-
schwerdeführerin auf, ihren turkmenischen Reisepass innert Frist zu
den Akten zu reichen.
E.
Mit Eingabe vom 21. März 2005 machte die Beschwerdeführerin gel-
tend, es sei ihr nicht möglich, das Original ihres turkmenischen Passes
beizubringen. Im Zusammenhang mit der allfälligen Zusendung einer
Kopie dieses Dokuments ersuchte sie um Fristerstreckung.
F.
Die Vorinstanz veranlasste verschiedene Abklärungen hinsichtlich der
Ausreisemodalitäten (Visa) der Beschwerdeführerin. Die entsprechen-
den Ergebnisse gingen am 6. Juni 2005 beim Bundesamt ein. Es erga-
ben sich keine Hinweise auf für die Beschwerdeführerin ausgestellte
Visa.
G.
Am 24. Mai 2005 gebar die Beschwerdeführerin ihren Sohn _______.
H.
Mit Verfügung vom 2. Dezember 2005 lehnte das BFM das Asylgesuch
ab und verfügte die Wegweisung der Beschwerdeführerin und ihres
Kindes aus der Schweiz. Zur Begründung wurde vorgebracht, dass in
Turkmenistan jegliche Oppositionsbestrebungen unterdrückt würden,
weshalb praktisch keine Opposition mehr existiere. Vor diesem Hinter-
grund könne nicht geglaubt werden, dass die Beschwerdeführerin im
öffentlichen Raum ungehindert habe Flugblätter verteilen können. Fer-
ner müssten die Sicherheitsvorkehrungen der oppositionellen Gruppe,
welcher die Beschwerdeführerin angeblich angehört habe, in Anbe-
tracht des repressiven Charakters des Regimes als unzureichend be-
zeichnet werden. So hätten beispielsweise die beiden festgenomme-
nen Führungsmitglieder der Gruppe angeblich über die Telefonnum-
mern sämtlicher Mitglieder verfügt, wobei offenbar auch Familienange-
hörige Zugang zu diesen Daten gehabt hätten, ansonsten die Be-
schwerdeführerin gar nicht hätte gewarnt werden können. Diese Schil-
derungen seien nicht realistisch. Ausserdem sei die Beschwerdeführe-
rin laut ihren Aussagen bereits am Tag der Verhaftung der beiden
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Gruppenmitglieder gewarnt worden; es frage sich mithin, wie deren
Angehörige so schnell in den Besitz entsprechender Daten gelangt
seien. Die diesbezügliche Aussage der Beschwerdeführerin, vielleicht
hätten die Verhafteten ihre Angehörigen gebeten, weitere Gruppenmit-
glieder zu warnen, sei wiederum unrealistisch. Jeder Logik entbehre
sodann das Verhalten der Beschwerdeführerin, welche sich nach der
ergangenen Warnung noch während zwei Tagen zu Hause aufgehalten
habe und dort problemlos hätte festgenommen werden können. Im
Weiteren habe die Beschwerdeführerin ihr angebliches oppositionelles
Engagement weitgehend vage und unsubstanziiert sowie teilweise wi-
dersprüchlich dargelegt und auch nicht hinreichend erklären können,
weshalb sie angeblich ein solches Risiko eingegangen sei. Es sei ihr
mithin nicht gelungen, das angeblich politische Engagement und die
ihr daraus erwachsenden Konsequenzen glaubhaft zu machen. Vor
diesem Hintergrund sei ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, was sich
auf die Glaubhaftigkeit der ferner geltend gemachten Vergewaltigung
auswirke. Hinzu komme, dass im geltend gemachten Zeitpunkt der
Ausreise der Beschwerdeführerin aus Turkmenistan eine Ausreisege-
nehmigung von Nöten gewesen wäre. Sie mache aber nicht geltend, je
eine solche eingeholt zu haben beziehungsweise es wäre ihr in der zur
Verfügung stehenden kurzen Zeitspanne gar nicht möglich gewesen,
eine solche zu beschaffen. Gleichwohl bringe sie vor, mit ihrem Reise-
pass das Land im genannten Zeitpunkt auf dem Luftweg Richtung
Russland verlassen zu haben. Dies lasse die Vermutung aufkommen,
dass die Beschwerdeführerin ihr Heimatland früher als angegeben ver-
lassen habe und aus diesem Grund ihren Reisepass den Asylbehör-
den vorenthalte. Bezeichnenderweise seien ihre Angaben zum Ver-
bleib des Reisepasses nicht überzeugend ausgefallen. Diese Einschät-
zung werde auch dadurch bestätigt, dass die Beschwerdeführerin
nicht in der Lage gewesen sei, Fragen zur jüngeren Entwicklung in ih-
rem Heimatstaat hinreichend korrekt zu beantworten. Entsprechend
könne die angeblich im Februar 2003 erfolgte Vergewaltigung unter
den geltend gemachten Umständen nicht geglaubt werden. Abgese-
hen davon käme diesem Übergriff vorliegend auch keine Asylrelevanz
zu.
Wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nahm die Vorins-
tanz die Beschwerdeführerin und ihr Kind mit besagter Verfügung in
der Schweiz vorläufig auf.
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I.
Mit Eingabe vom 23. Dezember 2005 an die Schweizerische Asylre-
kurskommission (ARK) beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhe-
bung der angefochtenen Verfügung in den Dispositivziffern 1  3. Es
sei die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin festzustellen
und ihr Asyl zu gewähren. Es sei die unentgeltliche Rechtspflege (Art.
65 Abs. 1 und 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezem-
ber 1968 [VwVG, SR 172.021]) zu gewähren. Bei Ablehnung dieses
Antrags sei von der Erhebung eines Kostenvorschusses abzusehen.
Ferner sei eine angemessene Nachfrist zur Beschwerdeergänzung
und im Rahmen des Schriftenwechsels ein Replikrecht einzuräumen.
Zur Begründung machte die Rechtsvertretung hinsichtlich Flüchtlings-
eigenschaft und Asylgewährung geltend, den vorliegenden, aber noch
nicht eingehend studierten und mit der Mandantin besprochenen An-
hörungsprotokollen könnten entgegen der vorinstanzlichen Sichtweise
Anhaltspunkte für die Glaubhaftigkeit der Vorbringen entnommen wer-
den. Bezüglich der Vergewaltigung sei anzumerken, dass sich die
Situation der Beschwerdeführerin aufgrund der Beziehung zu ihrem
Partner in der Schweiz in psychischer Hinsicht stabilisiert habe. Dem-
zufolge habe sie bisher keine Therapie in Anspruch nehmen müssen.
Allenfalls werde gleichwohl ein psychiatrischer Bericht zwecks Stüt-
zung der Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Vorbringen nachgereicht.
Jedenfalls könne nicht im Sinne der vorinstanzlichen Argumentations-
weise wegen angeblicher Unglaubhaftigkeit der oppositionellen Tätig-
keit auf die Unglaubhaftigkeit der Vergewaltigung geschlossen werden.
Ferner sei in Anbetracht der Situation vor Ort glaubhaft, dass die turk-
menische Polizei die wegen der Vergewaltigung ergangene Anzeige
nicht korrekt entgegengenommen habe, zumal die Beschwerdeführerin
nicht turkmenischer Ethnie sei. Die weitere - bezüglich Begründungs-
aufbau nicht über alle Zweifel erhabene - Erwägung des BFM, wonach
die Vergewaltigung auch bei angenommener Glaubhaftigkeit nicht aus
einem asylrelevanten Motif erfolgt sei, könne entsprechend nicht nach-
vollzogen werden. Ferner habe die Vorinstanz nicht berücksichtigt,
dass die Beschwerdeführerin gewärtige, auch wegen des Stellens ei-
nes Asylgesuchs im Ausland in Turkmenistan verfolgt zu werden.
Schliesslich sei eine allfällige Reflexverfolgung der Beschwerdeführe-
rin wegen ihrer aus politischen Gründen inhaftierten Brüder zu prüfen.
Die Beschwerdeführerin habe im erstinstanzlichen Verfahren diesbe-
zügliches Beweismaterial eingereicht.
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J.
Mit Zwischenverfügung vom 30. Dezember 2005 setzte die ARK der
Rechtsvertreterin Frist zur Beschwerdeergänzung an. Das Gesuch um
Anordnung einer amtlichen Rechtsvertretung wurde abgewiesen. Be-
züglich des Entscheids über das Gesuch im Sinne von Art. 65 Abs. 1
VwVG wurde auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen. Auf die Erhe-
bung eines Kostenvorschusses wurde verzichtet.
K.
Mit ergänzender Eingabe vom 19. Januar 2006 machte die Beschwer-
deführerin geltend, in ihrem Heimatland dreimal wegen der erwähnten
Flugblätter aktiv geworden zu sein und dabei ungefähr zehn Exempla-
re deponiert zu haben. Die unterschiedlichen quantitativen Angaben
(drei- respektive zehnmaliges Flugblattverteilen) anlässlich der kanto-
nalen beziehungsweise der ergänzenden Anhörung seien auf jeweils
von ihr unterschiedlich wahrgenommene Fragestellungen zurückzufüh-
ren. Ausserdem sei sie bei der zweiten Anhörung gesundheitlich ange-
schlagen gewesen. Überdies seien gemäss Anmerkung der Hilfswerk-
vertretung bei der kantonalen Anhörung Übersetzungsprobleme aufge-
treten. Ferner habe sie entgegen der vorinstanzlichen Erwägungen
insgesamt substanziierte und nachvollziehbare Angaben zum Inhalt
der Flugblätter, deren Verteilung, zu der Benachrichtigung nach der
Festnahme von zwei Gruppenmitgliedern und zu ihrer Motivation für
die oppositionelle Tätigkeit gemacht. Zu Berücksichtigen sei dabei,
dass die Haltestellen, an welchen sie Flugblätter verteilt habe, gar kei-
ne Namen hätten. Beim Instruktionsgespräch mit ihrer aktuellen
Rechtsvertretung habe sie sodann detaillierte Angaben zur politischen
Situation vor Ort machen können. Zu beachten sei aber gleichzeitig
ihre seit der Vergewaltigung aufgetreten Schwierigkeiten, Sachverhalte
adäquat zu artikulieren. Die Schilderungen der erlittenen Vergewalti-
gung wiesen indes zahlreiche Realkennzeichen auf, was für die Glaub-
haftigkeit des Gewaltdelikts, welches staatlicherseits nicht geahndet
worden sei, spreche. Allein wegen angeblicher Unglaubhaftigkeit ihrer
politischen Tätigkeit im Sinne der vorinstanzlichen Argumentationswei-
se auch auf die Unglaubhaftigkeit dieses Vorbringens zu schliessen,
gehe nicht an. Der besagte Übergriff habe nur erfolgen können, weil
sie der kurdischen Ethnie angehöre. Im Weiteren schliesse die Vorins-
tanz aufgrund gewisser Aussagen der Beschwerdeführerin auf einen
früheren Ausreisetermin als den angegebenen. Aber selbst wenn die
Ausreise tatsächlich früher erfolgt wäre (was die Beschwerdeführerin
nach wie vor verneine), könnte gestützt auf diesen Umstand nicht auf
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die Unglaubhaftigkeit der erlittenen Vergewaltigung geschlossen
werden. Aufgrund der erfolgten psychischen Stabilisierung benötige
sie im Übrigen keine fachärztliche Betreuung wegen des Erlittenen.
Des Weiteren habe die Beschwerdeführerin glaubhaft dargetan, aus
Turkmenistan zu stammen, und unter anderem ihren Führerschein ein-
gereicht. Ihrem turkmenischen Reisepass, welchen sie in Zürich zu-
rückzuverlangen vergessen habe, komme mithin keine zentrale Bedeu-
tung mehr zu. Schliesslich sei bereits in der ersten Eingabe bei der
Rekursinstanz darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerdefüh-
rerin wegen des Stellens eines Asylgesuchs im Ausland die Flücht-
lingseigenschaft erfülle. Diese Einschätzung werde durch entspre-
chende Berichte von ai bestätigt.
Der Eingabe lagen vier Internet-Auszüge (ai-Jahresbericht 2005/Turk-
menistan; Focus on ethnic minorities/IRIN vom 19. Dezember
2005; ai-Publikation zu Turkmenistan vom Mai 2005; Bericht des insti-
tute for war & peace reporting vom 19. Dezember 2005) bei.
L.
Mit Vernehmlassung vom 24. März 2006 beantragte die Vorinstanz die
Abweisung der Beschwerde. Die darin enthaltenen Argumente bezüg-
lich des angeblichen politischen Engagements der Beschwerdeführerin
und zur Nichtabgabe des turkmenischen Reisepasses vermöchten
nicht zu überzeugen. Im Weiteren habe die Schweizerische Asylre-
kurskommission (ARK) in einem den Irak betreffenden Urteil festgehal-
ten, allein die Stellung eines Asylgesuchs im Ausland genüge in der
Regel nicht für die Anerkennung als Flüchtling, solange die betroffene
Person nicht illegal ausgereist sei und Grund zur Annahme bestehe,
dass deren heimatlichen Behörden die Asylgesuchsstellung bekannt
werde. Zwischen der (damaligen) Situation im Irak und derjenigen in
Turkmenistan bestünden zwar Parallelen. Bei der Beschwerdeführerin
fehlten aber die beiden genannten erschwerenden Faktoren, welche
allenfalls zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen würden.
So habe sie auch nicht glaubhaft machen können, ein politisches Profil
aufzuweisen, welches die heimatlichen Behörden zur Beobachtung im
Ausland oder zu einer Festnahme bei der Einreise wegen des Ver-
dachts der Regimekritik veranlassen würde.
M.
Mit Replik vom 6. April 2006 hielt die Beschwerdeführerin an ihren bis-
herigen Darlegungen fest. Die analoge Anwendung des von der
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Vorinstanz zitierten, den Irak betreffenden ARK-Urteils auf die Situati-
on in Turkmenistan scheitere schon daran, dass eine illegale Ausreise
praktisch unmöglich sei. Ferner legte sie dar, ihr in Russland lebender
Bruder sei unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Sie
fürchte, wegen der (politischen) Auffälligkeit auch dieses Bruders im
Falle der Wiedereinreise behördlich behelligt zu werden.
N.
Am 6. Februar 2007 gebar die Beschwerdeführerin ihren Sohn
_______.
O.
Am 9. März 2007 heiratete die Beschwerdeführerin in _______ ihren in
der Schweiz vorläufig aufgenommenen beziehungsweise mit einer B-
Bewilligung lebenden irakischen Partner.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni
2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG, sofern keine Aus-
nahme nach Art. 32 VGG vorliegt. Als Vorinstanzen gelten die in Art.
33 und 34 VGG genannten Behörden. Dazu gehören Verfügungen des
BFM gestützt auf das Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR
142.31); das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in diesem Bereich
endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsge-
setzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht übernimmt, sofern es zuständig
ist, seit dem 1. Januar 2007 die Beurteilung der bei der ehemaligen
ARK hängigen Rechtsmittel. Das neue Verfahrensrecht ist anwendbar
(vgl. Art. 53 Abs. 2 VGG).
1.3 Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
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halts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1
AsylG).
1.4 Der am 6. Februar 2007 in der Schweiz geborene Sohn der Be-
schwerdeführerin ist in das Verfahren seiner Mutter einzubeziehen.
2.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingereicht; die Beschwer-
deführer sind legitimiert (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1, 50 und 52
VwVG). Auf die Beschwerde ist mithin einzutreten.
3.
3.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz grundsätzlich
Flüchtlingen Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person aner-
kannt, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt
wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei-
ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen An-
schauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete
Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte
Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder Frei-
heit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck
bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tra-
gen (Art. 3 AsylG).
3.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachwei-
sen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht,
wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrschein-
lichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen,
die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich wider-
sprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich
auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7
AsylG). Vorbringen sind dann glaubhaft, wenn sie genügend substan-
ziiert, in sich schlüssig und plausibel sind; sie dürfen sich nicht in va-
gen Schilderungen erschöpfen, in wesentlichen Punkten nicht wider-
sprüchlich sein oder der inneren Logik entbehren und auch nicht den
Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung widersprechen. Darüber
hinaus muss die asylsuchende Person persönlich glaubwürdig erschei-
nen, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn sie ihre Vorbrin-
gen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abstützt (vgl. Art. 7
Abs. 3 AsylG), aber auch dann, wenn sie wichtige Tatsachen unter-
drückt oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens Vorbrin-
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gen auswechselt oder unbegründet nachschiebt, mangelndes Interes-
se am Verfahren zeigt oder die nötige Mitwirkung verweigert. Glaub-
haftmachung bedeutet ferner - im Gegensatz zum strikten Beweis - ein
reduziertes Beweismass und lässt durchaus Raum für gewisse
Einwände und Zweifel an den Vorbringen des Beschwerdeführers. Eine
Behauptung gilt bereits als glaubhaft gemacht, wenn der Richter von
ihrer Wahrheit nicht völlig überzeugt ist, sie aber überwiegend für wahr
hält, obwohl nicht alle Zweifel beseitigt sind. Für die
Glaubhaftmachung reicht es demgegenüber nicht aus, wenn der Inhalt
der Vorbringen zwar möglich ist, aber in Würdigung der gesamten
Aspekte wesentliche und überwiegende Umstände gegen die
vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung sprechen. Entscheidend ist im
Sinne einer Gesamtwürdigung, ob die Gründe, die für die Richtigkeit
der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht; dabei
ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen (vgl. Entscheide und
Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK]
1994 Nr. 5 E. 3c S. 43 f.; 1996 Nr. 28 E. 3a S. 270; 2005 Nr. 21 E. 6.1.
S. 190 f.). An den genannten Kriterien ist nach wie vor festzuhalten,
zumal die Rechtslage diesbezüglich keine Änderung erfahren hat.
4.
4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, das BFM habe nicht be-
rücksichtigt, dass sie gewärtige, wegen des Stellens eines Asylge-
suchs im Ausland in Turkmenistan in flüchtlingsrechtlich relevanter
Weise verfolgt zu werden. Ferner sei auch eine allfällige Reflexverfol-
gung der Beschwerdeführerin wegen ihrer aus politischen Gründen in-
haftierten Brüder zu prüfen. Sie habe im erstinstanzlichen Verfahren
diesbezügliches Beweismaterial (Zeitung) eingereicht. Damit werden
Gehörsverletzungen vorgebracht, welche gegebenenfalls die Kassati-
on der angefochtenen Verfügung rechtfertigen.
4.2 Im angefochtenen Entscheid fehlen Erwägungen zur Gefährdung
der Beschwerdeführerin wegen des Stellens eines Asylgesuchs im
Ausland beziehungsweise ihrer langjährigen Abwesenheit. Das BFM
hat der generellen Gefährdung der Beschwerdeführerin im Entscheid
offenbar insofern Rechnung getragen, als es die vorläufige Aufnahme
in der Schweiz wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs
verfügte. Dass das BFM im vorerwähnten Zusammenhang keine
Prüfung hinsichtlich Relevanz für die Flüchtlingseigenschaft vornahm,
ist mithin als mangelhafte Sachverhaltswürdigung zu werten. Zwar
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wurde in der Folge ein Schriftenwechsel durchgeführt. Die dortigen
Erwägungen des BFM respektive die hergestellte Analogie zur
vormaligen Lage im Irak vermögen indes nur bedingt zu überzeugen
und werfen in Anbetracht der diesbezüglich offensichtlich ge-
fährdungsträchtigen Situation in Turkmenistan Fragen auf, die in der
erwähnten Stellungnahme des Bundesamtes nicht hinlänglich beant-
wortet wurden. Im Weiteren geht aus der angefochtenen Verfügung
nicht hervor, ob die geltend gemachte Reflexverfolgung der Beschwer-
deführerin wegen der gemäss ihren Angaben aus politischen Gründen
in Turkmenistan inhaftierten Brüder vom Bundesamt berücksichtigt
wurde beziehungsweise ob die Vorinstanz die Inhaftierung der Brüder
für glaubhaft erachtet oder nicht. Besagte Brüder sollen sich im
Übrigen nach wie vor respektive erneut in Haft befinden und nicht
amnestiert worden sein (vgl. den im vorinstanzlichen Verfahren
eigereichten Zeitungsausschnitt bzw. A 12/21, S. 12). Erwägungen zur
allfällig drohenden Reflexverfolgung der Beschwerdeführerin wären
aber insofern unentbehrlich gewesen, als in Anbetracht des vom BFM
zu Recht als äusserst repressiv bezeichneten turkmenischen
Staatsapparats eine sorgfältige Prüfung unabdingbar erscheint. Die
implizit gerügten Gehörsverletzungen sind mithin zu bejahen.
4.3 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führt grund-
sätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Hoheitsakts ohne Rück-
sicht darauf, ob Letzterer bei korrekter Gewährung des rechtlichen Ge-
hörs anders ausgefallen wäre, zumal eine solche Betrachtungsweise
dem formellen Charakter des Gehörsanspruchs widerspräche (vgl.
Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurs-
kommission/EMARK 1999 Nr. 20 S. 131; 1998 Nr. 34 S. 292). Gemäss
Praxis des Bundesgerichts besteht indes die Möglichkeit, dass die Ver-
letzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die untere Instanz
im Beschwerdeverfahren geheilt wird, wenn die Rekursinstanz mit glei-
cher Kognition entscheidet und den Betroffenen die gleichen Mitwir-
kungsrechte zustehen (vgl. BGE 116 Ia 95 f.; 110 Ia 82 E. d). Dabei
können insbesondere prozessökonomische Überlegungen eine Rolle
spielen. In der Lehre wird die uneingeschränkte Heilung einer Gehörs-
verletzung indes kritisiert, zumal den Betroffenen dadurch eine Instanz
verloren geht und zur Verwirklichung des Anspruchs ein Rechtsmittel
ergriffen werden muss. Auf eine Kassation des fehlerhaft zustande ge-
kommenen Entscheids sollte deshalb nur dann verzichtet werden,
wenn die Gehörsverletzung für die Betroffenen keinen schweren Nach-
teil bedeutet respektive sie nicht in schwerer Weise trifft. Selbst wenn
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eine Heilung nach den erwähnten Anforderungen möglich wäre, kann
sich unter Umständen gleichwohl eine Kassation rechtfertigen. Sie
kann beispielsweise dann in Betracht gezogen werden, wenn die Ge-
hörsverletzung durch die Vorinstanz kein Versehen im Einzelfall dar-
stellt, sondern Resultat gehäufter unsorgfältiger Verfahrensführung ist,
kann es doch nicht Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
sein, die Vorinstanz durch systematische Heilung erstinstanzlicher Ver-
fahrensfehler von sorgfältiger Verfahrensführung zu entbinden und auf
diese Weise zur Verschlechterung der Position von Betroffenen beizu-
tragen. Eine Kassation rechtfertigt sich diesfalls, um die Vorinstanz auf
diese Weise auf ihre verfahrensrechtlichen Pflichten aufmerksam zu
machen (vgl. EMARK 1998 Nr. 34 S. 293).
4.4 Vorliegend erscheint eine Kassation gestützt auf die erwähnten
Ausführungen als gerechtfertigt. Zum einen ist die Gehörsverletzung
namentlich hinsichtlich der gerügten Reflexverfolgung als gravierend
zu qualifizieren, da es die Vorinstanz auch in der Vernehmlassung un-
terlassen hat, entsprechende Erwägungen zu machen. Zum anderen
ist nach dem Gesagten in keiner Weise geklärt beziehungsweise durch
die hergestellte Analogie zur vormaligen Situation im Irak nur unbefrie-
digend beantwortet, welche Konsequenzen turkmenische Staatsange-
hörige durch die blosse Stellung eines Asylgesuchs im Ausland im Fal-
le der Rückkehr zu gewärtigen haben. Nicht zuletzt im Interesse von
allfälligen weiteren Verfahren von turkmenischen Asylsuchenden in der
Schweiz erscheint eine detailliertere und substanziiertere Abklärung
auch in diesem Punkt auf erstinstanzlicher Ebene unabdingbar. Die
angefochtene Verfügung ist deshalb aufzuheben und die Sache im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz im angefoch-
tenen Entscheid das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt
hat. Eine Heilung erscheint vorliegend als ausgeschlossen. Die Sache
ist im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zur Anhandnahme der
erforderlichen Prüfungen und Abklärungen zurückzuweisen.
Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die vom Bundesamt veranlassten
Abklärungen (vgl. Bst. F vorstehend) grundsätzlich hätten offengelegt
werden müssen. Bei dieser Sachlage kann davon abgesehen werden,
auf weitere Beschwerdevorbringen und namentlich die Frage der
Glaubhaftigkeit des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten
Seite 12
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politischen Engagements im Heimatland und die ferner vorgebrachte
Vergewaltigung einzugehen.
6.
6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerle-
gen (vgl. Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG). Das Gesuch um Erlass
derselben wird demzufolge gegenstandslos.
6.2 Obsiegende Parteien haben Anspruch auf eine Parteientschädi-
gung für die ihnen erwachsenen notwendigen Kosten (Art. 7 Abs. 1
des Reglements vom 11. Dezember 2006 über die Kosten und Ent-
schädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR
173.320.2]). Seitens der Rechtsvertretung wurde keine Kostennote
eingereicht. Auf die Nachforderung einer solchen kann indes verzichtet
werden, da im vorliegenden Verfahren der Aufwand für die Beschwer-
deführer zuverlässig abgeschätzt werden kann und die von der Vor-
instanz zu entrichtende Parteientschädigung von Amtes wegen und in
Berücksichtigung der massgeblichen Bemessungsfaktoren auf Fr.
1'800.-- (inkl. allfällige Spesen und Mehrwertsteuer) festzusetzen ist.
(Dispositiv nächste Seite)
Seite 13
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache zur Neu-
beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewie-
sen.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Das BFM hat den Beschwerdeführern für das Verfahren vor dem Bun-
desverwaltungsgericht eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr.
1'800.-- zu entrichten.
5.
Dieses Urteil geht an:
- die Beschwerdeführer durch Vermittlung ihrer Vertretung (einschrei-
ben)
- das BFM, Abteilung Asylverfahren, mit den vorinstanzlichen Akten
(Kopie; Ref.-Nr. N _______)
- _______
Die Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Patrick Weber
Versand am:
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