D-4226/2016 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des SEM vom 7. Juni...
Karar Dilini Çevir:
D-4226/2016 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des SEM vom 7. Juni...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-4226/2016
pjn



Ur t e i l vom 1 0 . M a i 2 0 1 7
Besetzung
Richter Bendicht Tellenbach (Vorsitz),
Richterin Emilia Antonioni Luftensteiner,
Richterin Nina Spälti Giannakitsas,
Gerichtsschreiber Martin Scheyli

Parteien

A._______, geboren am [...],
Irak,
[...],
Beschwerdeführer,


gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz

Gegenstand

Asyl und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 7. Juni 2016



D-4226/2016
Seite 2
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Ethnie
und gibt an, aus dem Dorf B._______ im Bezirk Sinjar (arabisch) bezie-
hungsweise Şengal (kurdisch) in der Provinz Ninawa (arabisch) bezie-
hungsweise Neynewa (kurdisch) zu stammen, wobei er zuletzt in Dohuk in
der gleichnamigen Provinz gelebt habe. Gemäss eigenen Angaben ver-
liess er seinen Heimatstaat am 13. August 2015 in Richtung Türkei. Am
29. August 2015 reiste er unkontrolliert in die Schweiz ein und stellte glei-
chentags beim Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen ein Asylge-
such. Am 10. September 2015 wurde er durch das Staatssekretariat für
Migration (SEM) summarisch und am 7. Juni 2016 eingehend zu den Grün-
den seines Asylgesuchs befragt. Zwischenzeitlich wurde er für die Dauer
des Asylverfahrens dem Kanton St. Gallen zugewiesen.
B.
Der Beschwerdeführer machte anlässlich seiner Befragungen im Wesent-
lichen geltend, am 14. Juni 2014 sei sein Heimatdorf B._______ durch den
sogenannten „Islamischen Staat“ angegriffen worden. Es sei ihm jedoch
rechtzeitig die Flucht gelungen, und in der Folge sei er nach Dohuk gegan-
gen, wo er in einem Flüchtlingslager gelebt habe. Hier sei es unsicher ge-
wesen, auch habe er sich einsam gefühlt und keine Arbeit gefunden, wes-
halb er sich zur Ausreise entschieden habe.
C.
Mit Verfügung vom 7. Juni 2016 lehnte das SEM das Asylgesuch des Be-
schwerdeführers ab und ordnete dessen Wegweisung aus der Schweiz so-
wie den Vollzug an. Zur Begründung der Ablehnung des Asylgesuchs
führte das Staatssekretariat im Wesentlichen aus, die betreffenden Vorbrin-
gen des Beschwerdeführers seien nicht glaubhaft.
D.
Diese Verfügung focht der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 7. Juli 2016
beim Bundesverwaltungsgericht an. Dabei beantragte er die Aufhebung
der genannten Verfügung, die Anerkennung als Flüchtling und die Gewäh-
rung des Asyls, eventualiter seine vorläufige Aufnahme in der Schweiz we-
gen Undurchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs. In prozessualer Hin-
sicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im
Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG sowie um Beiordnung eines amtlichen
Rechtsbeistands gemäss Art. 110a des Asylgesetzes (AsylG, SR 142.31).
D-4226/2016
Seite 3
Als Beweismittel reichte er eine Kopie seines irakischen Identitätsauswei-
ses ein. Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit für den Ent-
scheid wesentlich, in den Erwägungen eingegangen.
E.
Mit Zwischenverfügung vom 13. Juli 2016 lehnte der Instruktionsrichter die
Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und um Bei-
ordnung eines amtlichen Rechtsbeistands ab. Zugleich wurde der Be-
schwerdeführer zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 600.‒ mit
Frist bis zum 28. Juli 2016 aufgefordert, unter Androhung des Nichteintre-
tens im Unterlassungsfall.
F.
Mit Einzahlung vom 22. Juli 2016 leistete der Beschwerdeführer fristge-
recht den verlangten Kostenvorschuss.
G.
Mit Vernehmlassung vom 2. August 2016 hielt das SEM vollumfänglich an
seinen Erwägungen fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
Hiervon wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 3. August 2016
Kenntnis gegeben.
H.
Mit Eingabe vom 16. August 2016 übermittelte der Beschwerdeführer sei-
nen irakischen Identitätsausweis im Original. Dabei führte er aus, in dem
Dokument sei vermerkt, dass er aus Sinjar beziehungsweise aus dem Dorf
B._______ in der Provinz Ninawa stamme.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Be-
schwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Über Beschwerden ge-
gen Verfügungen, die gestützt auf das AsylG durch das SEM erlassen wor-
den sind, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich (mit
Ausnahme von Verfahren betreffend Personen, gegen die ein Ausliefe-
rungsersuchen des Staates vorliegt, vor welchem sie Schutz suchen) end-
gültig (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 31–33 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
D-4226/2016
Seite 4
1.2 Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht können im Anwen-
dungsbereich des AsylG die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich
Missbrauch und Überschreitung des Ermessens, sowie die unrichtige oder
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt
werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Im Bereich des Ausländerrechts richtet
sich die Kognition des Gerichts nach Art. 49 VwVG (BVGE 2014/26 E. 5).
2.
Der Beschwerdeführer ist legitimiert; auf seine frist- und formgerecht ein-
gereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG;
Art. 37 VGG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 VwVG).
3.
3.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz grundsätzlich Flücht-
lingen Asyl. Als Flüchtling wird eine Person anerkannt, wenn sie in ihrem
Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt wohnte, wegen ihrer Rasse, Re-
ligion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausge-
setzt ist oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu
werden. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von
Leib, Leben oder Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen
psychischen Druck bewirken (Art. 3 AsylG).
3.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Glaubhaft gemacht ist die Flüchtlings-
eigenschaft, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vor-
bringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich wi-
dersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf
gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
3.3 Glaubhaftmachung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 AsylG bedeutet – im Ge-
gensatz zum strikten Beweis – ein reduziertes Beweismass und lässt
durchaus Raum für gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen des
Gesuchstellers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der
gesuchstellerischen Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder
nicht. Dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen. Eine wesent-
liche Voraussetzung für die Glaubhaftmachung eines Verfolgungsschick-
sals ist eine die eigenen Erlebnisse betreffende, substantiierte, im Wesent-
lichen widerspruchsfreie und konkrete Schilderung der dargelegten Vor-
D-4226/2016
Seite 5
kommnisse. Die wahrheitsgemässe Schilderung einer tatsächlich erlitte-
nen Verfolgung ist gekennzeichnet durch Korrektheit, Originalität, hinrei-
chende Präzision und innere Übereinstimmung. Unglaubhaft wird eine
Schilderung von Erlebnissen insbesondere bei wechselnden, widersprüch-
lichen, gesteigerten oder nachgeschobenen Vorbringen. Bei der Beurtei-
lung der Glaubhaftmachung geht es um eine Gesamtbeurteilung aller Ele-
mente (Übereinstimmung bezüglich des wesentlichen Sachverhaltes, Sub-
stantiiertheit und Plausibilität der Angaben, persönliche Glaubwürdigkeit
usw.), die für oder gegen den Gesuchsteller sprechen. Glaubhaft ist eine
Sachverhaltsdarstellung, wenn die positiven Elemente überwiegen. Für die
Glaubhaftmachung reicht es demnach nicht aus, wenn der Inhalt der Vor-
bringen zwar möglich ist, aber in Würdigung der gesamten Aspekte we-
sentliche und überwiegende Umstände gegen die vorgebrachte Sachver-
haltsdarstellung sprechen (vgl. BVGE 2013/11 E. 5.1 S. 142 f., BVGE
2010/57 E. 2.3, Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen
Asylrekurskommission [EMARK] 2005 Nr. 21 E. 6.1, EMARK 1996 Nr. 27
E. 3c/aa, EMARK 1996 Nr. 28 E. 3a).
4.
4.1 Das SEM begründete die Ablehnung des Asylgesuchs in der angefoch-
tenen Verfügung damit, die Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner
Herkunft aus dem Dorf B._______ im Bezirk Sinjar in der Provinz Ninawa
sowie zu seinen Fluchtgründen seien nicht glaubhaft. Dem Beschwerde-
führer sei es nicht gelungen, sein angebliches Heimatdorf geographisch in
der Provinz Ninawa zu lokalisieren, und er habe tatsachenwidrig behaup-
tet, im Bezirk Sinjar sei in den dortigen Schulen zwischen 1997 und 2001
‒ im Zeitraum seines eigenen Primarschulbesuchs ‒ in kurdischer Sprache
unterrichtet worden. Auch habe er keinerlei konkrete Angaben über die an-
geblich selbst erlebte Verfolgung von Einwohnern des Dorfs B._______
durch Angehörige des „Islamischen Staats“ machen können. Schliesslich
seien seine Angaben über die Umstände seiner Flucht aus dem Heimatdorf
und aus dem Irak auch in zeitlicher Hinsicht in keiner Weise nachvollzieh-
bar.
4.2 Diesen Feststellungen und der damit verbundenen Einschätzung des
SEM, die Asylvorbringen des Beschwerdeführers seien offensichtlich un-
glaubhaft, ist vollumfänglich zuzustimmen.
4.2.1 Zunächst sind mit Blick auf die Behauptung des Beschwerdeführers,
er habe im Dorf B._______ im Bezirk Sinjar gelebt, als dieses durch die
extremistisch-islamistische Gruppierung des sogenannten „Islamischen
D-4226/2016
Seite 6
Staats“ überfallen worden sei, die zuvor (E. 3.3) genannten Kriterien der
Glaubhaftmachung als offensichtlich nicht erfüllt zu erachten. Bezüglich der
Ereignisse im genannten Dorf vermochte der Beschwerdeführer trotz wie-
derholter Nachfragen anlässlich der eingehenden Anhörung im vorinstanz-
lichen Verfahren keinerlei konkrete und detaillierte Angaben zu machen.
Dabei behauptete er zunächst ‒ allerdings ohne jegliche konkrete Schilde-
rung ‒, er habe selbst gesehen, wie in seinem Dorf Frauen und andere
Menschen durch den „Islamischen Staat“ entführt worden seien (Protokoll
der Anhörung, S. 8). Im späteren Verlauf gab er demgegenüber an, er habe
nicht mit eigenen Augen gesehen, was passiert sei, sondern im Fernsehen
von den Ereignissen in seinem Heimatdorf erfahren, nachdem er sich be-
reits in Dohuk befunden habe (ebd., S. 11). Angesichts dessen ist auszu-
schliessen, dass der Beschwerdeführer die geltend gemachten Ereignisse
selbst erlebt hat.
4.2.2 Des Weiteren ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer sogar
grundlegendste Fragen zur geographischen Lage des Dorfs B._______
nicht korrekt zu beantworten vermochte. So gab er an, B._______ sei 190
km von der Stadt Sinjar entfernt, was jedoch die Ausdehnung des gesam-
ten Bezirks Sinjar um ein Mehrfaches übersteigt und offensichtlich in keiner
Weise den Tatsachen entspricht. Soweit der Beschwerdeführer im vorlie-
genden Verfahren eine irakische Identitätskarte eingereicht hat, auf wel-
cher vermerkt sei, dass er aus Sinjar beziehungsweise aus dem Dorf
B._______ stamme, so kommt diesem Dokument in Bezug auf die einzig
relevante Frage, ob er in dem genannten Ort tatsächlich im behaupteten
Zeitraum lebte, keinerlei Beweistauglichkeit zu.
4.2.3 In diesem Zusammenhang ist ausserdem festzuhalten, dass die
Echtheit des eingereichten Identitätsausweises ohnehin zweifelhaft er-
scheint. Anlässlich der Erstbefragung (entsprechendes Protokoll, S. 5) gab
der Beschwerdeführer an, alle Identitätsdokumente, so auch seine Identi-
tätskarte, seien bei seiner Flucht zuhause in B._______ zurückgeblieben.
Im Rahmen der eingehenden Anhörung sagte er aus, er wisse nicht, wann
seine irakische Identitätskarte ausgestellt worden sei. Jedenfalls habe de-
ren Ausstellung zu einem unbekannten Zeitpunkt nach seiner Geburt – im-
plizit in seiner Kindheit – seine Familie beantragt (entsprechendes Proto-
koll, S. 3). Mit Eingabe vom 16. August 2016 schliesslich behauptete der
Beschwerdeführer, die eingereichte Identitätskarte sei am 21. Mai 2013
ausgestellt worden. Nach dem Gesagten ist weder erklärlich, wie der Be-
schwerdeführer im Verlauf des vorliegenden Verfahrens überhaupt wieder
in den Besitz seiner Identitätskarte gelangen konnte, noch weshalb er bei
D-4226/2016
Seite 7
der eingehenden Anhörung nicht anzugeben vermochte, dass er relativ
kurz vor seiner Ausreise aus dem Irak das fragliche Dokument neu er-
langte. Es wird am SEM liegen, die Echtheit der eingereichten Identitäts-
karte abzuklären (vgl. auch nachfolgend, E. 6.5.2).
4.2.4 Schliesslich sind die Aussagen des Beschwerdeführers im vo-
rinstanzlichen Verfahren in zeitlicher Hinsicht widersprüchlich ausgefallen.
So gab er bei der summarischen Erstbefragung an, er sei am 14. Juni 2014
aus B._______ geflohen und zehn Tage später nach Dohuk gelangt, wo er
von Ende Juni 2014 bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise am 13. August 2015
geblieben sei (Protokoll der Erstbefragung, S. 4). Davon abweichend sagte
er bei der eingehenden Anhörung aus, vor seiner Ausreise aus dem Irak
am 13. August 2015 habe er sich während eineinhalb Monaten in Dohuk
aufgehalten, wobei er vorher ständig in seinem Dorf gewohnt habe (Proto-
koll der Anhörung, S. 7). Auf entsprechende Aufforderung hin vermochte er
im Rahmen seiner Anhörung keinerlei Erklärung für diese zeitliche Diskre-
panz zu geben.
4.2.5 Die Beschwerdeschrift und die Eingabe vom 16. August 2016 be-
schränken sich darauf, ohne weitere Begründung die Behauptung zu wie-
derholen, der Beschwerdeführer stamme aus dem Dorf B._______ im Be-
zirk Sinjar in der Provinz Ninawa. Es sind diesen Eingaben keinerlei Argu-
mente zu entnehmen, welche die Einschätzung widerlegen könnten, dass
der Beschwerdeführer sich im relevanten Zeitraum vor seiner Ausreise
nicht im genannten Ort aufhielt und folglich auch nicht von Verfolgungs-
massnahmen seitens des sogenannten „Islamischen Staats“ betroffen war.
4.3 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass das SEM im Ergebnis zutreffen-
derweise zur Einschätzung gelangt ist, der Beschwerdeführer habe keine
asylrechtlich relevante Gefährdung glaubhaft gemacht. Die Vorinstanz hat
folglich das Asylgesuch zu Recht abgelehnt.
5.
Die Ablehnung eines Asylgesuchs oder das Nichteintreten auf ein Asylge-
such hat in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz zur Folge (Art. 44
AsylG). Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtli-
che Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer
solchen (vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.). Die verfügte
Wegweisung steht daher im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen
und wurde von der Vorinstanz zu Recht angeordnet.
D-4226/2016
Seite 8
6.
6.1 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder
nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach
den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Aus-
länderinnen und Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bun-
desgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR 142.20]).
6.2 Bei der Geltendmachung von Hindernissen, die dem Wegweisungsvoll-
zug entgegenstehen, gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts
der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigen-
schaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich
ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24
E. 10.2 m.w.H.). Vollzugshindernisse sind grundsätzlich von Amtes wegen
zu prüfen. Diese Untersuchungspflicht findet jedoch nach Treu und Glau-
ben ihre Grenzen in der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers (Art. 8
AsylG), der im Übrigen auch die Substanziierungslast trägt (Art. 7 AsylG).
Es kann daher nicht Sache der Asylbehörden sein, nach allfälligen Voll-
zugshindernissen zu forschen (vgl. BVGE 2014/12 E. 5.9 ff.; EMARK 2005
Nr. 1 E. 3.2.2 S. 4 f.).
6.3
6.3.1 Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen
der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den
Heimat-, Herkunfts- oder in einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3
AuG). So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land
gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem
Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft,
zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1
AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 FK). Gemäss Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des
Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grau-
same, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK,
SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen
werden.
6.3.2 Der Vollzug der Wegweisung durch Rückschaffung in den Irak ist un-
ter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig, weil der Beschwerdeführer –
wie zuvor dargelegt – dort keinen Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG
ausgesetzt wäre. Aus den Vorbringen des Beschwerdeführers ergeben
sich ausserdem auch keine konkreten und gewichtigen Anhaltspunkte für
D-4226/2016
Seite 9
die Annahme, dass er im Falle einer Ausschaffung in den Irak mit beachtli-
cher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK verbotenen Strafe oder
Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. EMARK 2001 Nr. 16 S. 122, 2001 Nr. 17
S. 130 f.; aus der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte etwa die Urteile i.S. Bensaid, Rep. 2001-I, S. 303, sowie i.S. Saadi
vom 28. Februar 2008 [Grosse Kammer], Beschwerde Nr. 37201/06,
Ziff. 124 ff., jeweils m.w.N.). Zwar ist die im Irak herrschende politische und
menschenrechtliche Lage nicht in allen Landesteilen derart, dass die Zu-
lässigkeit des Wegweisungsvollzugs ohne weiteres anzunehmen ist. Je-
doch lebte der Beschwerdeführer im Zeitraum vor seiner Ausreise in Dohuk
in der gleichnamigen Provinz, wo ‒ wie auch in den sonstigen von der kur-
dischen Regionalregierung („Kurdistan Regional Government“ [KRG]) be-
herrschten Gebieten des Nordiraks ‒ die allgemeine Situation deutlich po-
sitiver zu beurteilen ist, weshalb der Wegweisungsvollzug dorthin unter die-
sem Gesichtspunkt als zulässig erscheint (vgl. das länderspezifische Re-
ferenzurteil E-3737/2015 vom 14. Dezember 2015 E. 6.3.2). Folglich be-
steht zum heutigen Zeitpunkt kein konkreter Anlass zur Annahme, dem Be-
schwerdeführer drohe in der irakischen Provinz Dohuk und der gesamten
von der KRG beherrschten Region eine entsprechende Gefährdung. Der
Vollzug der Wegweisung ist somit sowohl im Sinne der asylgesetzlichen
als auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.
6.4
6.4.1 Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und
Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat- oder Herkunftsstaat auf
Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und me-
dizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung
festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG – die vorläufige
Aufnahme zu gewähren.
6.4.2 Bezüglich der drei kurdischen Provinzen des Nordiraks Dohuk, Erbil
und Suleimaniya gelangt das Bundesverwaltungsgericht seit einigen Jah-
ren in ständiger Praxis zur Einschätzung, dass keine Situation allgemeiner
Gewalt herrscht und die politische Lage nicht dermassen angespannt ist,
dass eine Rückführung dorthin als generell unzumutbar betrachtet werden
müsste (vgl. BVGE 2008/5 und 2013/1 E. 6.3.5.1, zuletzt bestätigt durch
das länderspezifische Referenzurteil E-3737/2015 vom 14. Dezember
2015 E. 7.3 f.). Demnach ist diese Region mit Direktflügen aus Europa und
aus den Nachbarländern erreichbar, womit das Element der unzumutbaren
Rückreise via Bagdad und anschliessend auf dem Landweg durch den von
Gewalt heimgesuchten Zentralirak in das durch die KRG dominierte Gebiet
D-4226/2016
Seite 10
entfällt. Die Anordnung des Wegweisungsvollzugs setzt ausserdem vo-
raus, dass die betreffende Person ursprünglich aus der Region stammt o-
der eine längere Zeit dort gelebt hat und über ein soziales Netz (Familie,
Verwandtschaft oder Bekanntenkreis) oder über Beziehungen zu den herr-
schenden politischen Parteien verfügt. Andernfalls dürfte eine soziale und
wirtschaftliche Integration in die kurdische Gesellschaft nicht gelingen, da
der Erhalt einer Arbeitsstelle oder von Wohnraum weitgehend von gesell-
schaftlichen und politischen Beziehungen abhängt. Des Weiteren kann es
für Kurden, die aus kurdisch dominiertem Gebiet ausserhalb der drei Pro-
vinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya stammen, fraglich sein, ob sie in den
genannten Provinzen ein Bleiberecht haben und ob der Wegweisungsvoll-
zug folglich dorthin zumutbar ist. Die Zumutbarkeit des Wegweisungsvoll-
zugs bleibt daher im Einzelfall zu prüfen.
6.4.3 Soweit unter dem Aspekt der Zumutbarkeit des Wegweisungsvoll-
zugs von Belang, macht der Beschwerdeführer Folgendes geltend: Er
stamme aus dem Dorf B._______ im Bezirk Sinjar in der Provinz Ninawa,
wo er seit seiner Geburt bis zum 14. Juni 2014 gelebt habe. Zu diesem
genannten Zeitpunkt habe er sich nach Dohuk begeben, wo er sich bis zu
seiner Ausreise am 13. August 2015 in einem Flüchtlingslager aufgehalten
habe. Sein Vater betreibe Landwirtschaft auf dem eigenen Land der Fami-
lie. Er selbst habe seinen Lebensunterhalt mit dem Anbau und Verkauf von
Tomaten sowie als Mitarbeiter im Laden seines Heimatdorfs verdient. Wei-
ter habe er sechs Schwestern und fünf Brüder, die allesamt älter als er
selbst seien.
6.4.4 Wie sich gezeigt hat, sind die Angaben des Beschwerdeführers zu
seiner örtlichen Herkunft in der Provinz Ninawa nicht glaubhaft, wobei auch
die Echtheit der eingereichten irakischen Identitätskarte erheblichen Zwei-
feln unterworfen ist (vgl. zuvor, E. 4.2). Da er im Übrigen nur wenige ‒ die
soeben erwähnten ‒ Angaben zu seiner Person und insbesondere zu sei-
ner Herkunft gemacht hat, ist es den Asylbehörden nicht möglich, sich in
voller Kenntnis der tatsächlichen persönlichen Verhältnisse des Beschwer-
deführers zur Zumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung zu äussern.
Gleichzeitig besteht im vorliegenden Fall ‒ wie auch durch die Vorinstanz
in der angefochtenen Verfügung festgestellt wurde ‒ begründeter Anlass
zur Annahme, dass der Beschwerdeführer tatsächlich aus der Provinz Do-
huk oder aus dem sonstigen von der kurdischen Regionalregierung be-
herrschten Gebiet des Nordiraks stammt. Nachdem die behaupteten Asyl-
gründe als offensichtlich unglaubhaft zu erachten sind, kann im Übrigen
auch die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe keinerlei Kenntnis
D-4226/2016
Seite 11
davon, wer von seinen Familienangehörigen sich noch im Irak aufhalte,
nicht geglaubt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Be-
schwerdeführer, der neben seinen Eltern insgesamt elf volljährige Ge-
schwister hat, in der Provinz Dohuk oder anderswo in der von der KRG
beherrschten Region über ein weites familiäres Netz verfügt. Schliesslich
ist auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers hinzuweisen, wonach
sein Vater auf dem eigenen Grund und Boden der Familie Landwirtschaft
betreibe. Entsprechend ist nicht davon auszugehen, dass der junge und
gesunde Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in den Nordirak in eine
existenzgefährdende Situation geraten könnte.
6.4.5 Nach dem Gesagten erweist sich der Vollzug der Wegweisung auch
als zumutbar.
6.5
6.5.1 Schliesslich ist festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung
mangels aktenkundiger objektiver Hindernisse auch möglich im Sinne
von Art. 83 Abs. 2 AuG ist.
6.5.2 In diesem Zusammenhang bleibt anzumerken, dass die im Be-
schwerdeverfahren eingereichte irakische Identitätskarte ‒ ungeachtet
der Frage ihrer Echtheit ‒ gestützt auf Art. 10 AsylG dem SEM zu
übermitteln ist.
6.6 Die durch die Vorinstanz verfügte Wegweisung und deren Vollzug
stehen somit in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Bestimmun-
gen und sind zu bestätigen. Nach dem Gesagten fällt eine Anordnung
der vorläufigen Aufnahme ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1–4 AuG).
7.
Aus den angestellten Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Ver-
fügung Bundesrecht nicht verletzt sowie den rechtserheblichen Sachver-
halt richtig und vollständig feststellt (Art. 106 AsylG; Art. 49 VwVG). Die
Beschwerde ist folglich abzuweisen.
8.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind dessen Kosten dem Beschwer-
deführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG). Die Kosten sind auf
Fr. 600.– festzusetzen (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008
über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht
D-4226/2016
Seite 12
[VGKE, SR 173.320.2] i.V.m. Art. 16 Abs. 1 Bst. a VGG). Dabei ist zur Be-
gleichung der Verfahrenskosten der in selber Höhe geleistete Kostenvor-
schuss zu verwenden.

(Dispositiv nächste Seite)

D-4226/2016
Seite 13
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.– werden dem Beschwerdeführer aufer-
legt. Zur Begleichung wird der in selber Höhe geleistete Kostenvorschuss
verwendet.
3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige
kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Bendicht Tellenbach Martin Scheyli


Versand: