D-4103/2011 - Abteilung IV - Asyl (ohne Wegweisung) - Asyl; Verfügung des BFM vom 21. Juni 2011
Karar Dilini Çevir:
D-4103/2011 - Abteilung IV - Asyl (ohne Wegweisung) - Asyl; Verfügung des BFM vom 21. Juni 2011
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-4103/2011


U r t e i l v o m 2 9 . O k t o b e r 2 0 1 2
Besetzung

Richter Martin Zoller (Vorsitz),
Richter Thomas Wespi, Richter Walter Lang,
Gerichtsschreiber Daniel Widmer.
Parteien

A._______, geboren (…),
Eritrea,
vertreten durch lic. iur. Daniel Habte,
Beschwerdeführer,


gegen

Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Asyl und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 21. Juni 2011 / N […].


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Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer verliess gemäss eigenen Angaben seinen Heimat-
staat am 22. März 2009 (…) in Richtung B._______, wo er sich bis zur
Weiterreise (…) in C._______ aufhielt. Von D._______ reiste er (…) an
einen ihm unbekannten Ort weiter, wo er sich während (…) aufhielt, unter
dessen Verwendung er am (…) in die Schweiz gelangte. Am (…) suchte
er in E._______ um Asyl nach. Am (…) fand im dortigen Empfangs- und
Verfahrenszentrum (EVZ) eine erste Befragung statt. Am (…) wurde er,
ebenfalls im EVZ, durch das Bundesamt in Anwendung von Art. 29 Abs. 1
des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) zu den Asyl-
gründen angehört.
Der Beschwerdeführer machte im Wesentlichen geltend, er gehöre der
tigrinischen Ethnie an und stamme aus F._______. Seit seinem (…) habe
er in G._______ gewohnt, wo er die (…) Klasse in der Schule H._______
und die (…) Klasse in der Schule I._______ besucht habe. Die zwölfte
Klasse habe er in L._______ absolviert und mit der Matur abgeschlossen,
wobei ihn seine schulischen Noten allerdings nicht zum Studium berech-
tigt hätten. Nach der Matur in L._______ habe er sich zirka im (…) wäh-
rend eines (…) Urlaubs bei M._______ in G._______ aufgehalten. Da-
mals seien im (…) die Einteilungslisten einsehbar gewesen. Er sei der
(…) zugeteilt gewesen, wo er eine Ausbildung unter militärischer Obhut
hätte absolvieren sollen. Zirka im (…) sei er zusammen mit Soldaten und
anderen Einberufenen in einem (…) nach L._______ gefahren, wobei er
beim Einsteigen (…) seinen Passierschein habe vorweisen müssen. In
dem zirka (…) Fahrminuten von L._______ entfernten Ort N._______ ha-
be der Transport eine Pause eingelegt, wobei man ausgestiegen sei und
sich (…) verteilt habe. Da es im (…) keine Aufsichtsperson gegeben ha-
be, N._______ durch die Anwesenheit von Soldaten geprägt werde und
er einen Passierschein besessen habe, habe er sich ungehindert entfer-
nen können. Er sei in N._______ bei einem (…) untergekommen und ha-
be sich dort bis (…) versteckt gehalten. Daraufhin sei er (…) bis (…) in
die Nähe von O._______ gegangen, wo er von (…) Soldaten aufgegriffen
und zum (…) nach O._______ gebracht worden sei. Von dort sei er ins
(…) von P._______ verlegt worden, wo er sich während (…) aufgehalten
habe. In der Folge habe er sich, im Besitz seines (…), nach Q._______
begeben, wo er sich bis zur Weiterreise in die C._______ (…) aufgehal-
ten habe.
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Zum Nachweis seiner Identität reichte der Beschwerdeführer am (…) eine
am (…) in R._______ ausgestellte eritreische Identitätskarte zu den Ak-
ten, deren Echtheit das BFM am (…) abklären liess, wobei keine Fäl-
schungsmerkmale festgestellt wurden. Zur Stützung seiner Vorbringen
reichte er am (…) – jeweils in Kopie – einen provisorischen Passierschein
der Schule S._______ in L._______ vom (…) und eine Admission Card
sowie (…) Fotos von der Militärzeit in L._______ ein. Am (…) reichte (…)
die Admission Card im Original nach.
Für die weiteren Aussagen des Beschwerdeführers wird, soweit für den
Entscheid wesentlich, auf die Protokolle bei den Akten verwiesen.
B.
Mit Verfügung vom 21. Juni 2011 – eröffnet am 23. Juni 2011 – stellte das
BFM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft auf-
grund subjektiver Nachfluchtgründe und lehnte das Asylgesuch ab.
Gleichzeitig ordnete es die Wegweisung des Beschwerdeführers aus der
Schweiz an, nahm ihn indes wegen Unzulässigkeit des Wegweisungs-
vollzugs vorläufig auf. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die
geltend gemachten Verfolgungsvorbringen genügten weder den Anforde-
rungen an die Glaubhaftigkeit noch denjenigen an die Flüchtlingseigen-
schaft. So habe der Beschwerdeführer die Ankunft in L._______ wenig
substanziiert und die Waffenausbildung dürftig geschildert, im Gegensatz
zum Tagesablauf, was die Vermutung nähre, er könnte diese Kenntnisse
aus dem Internet bezogen haben. Die eingereichten Fotos entfalteten
auch wegen des gewählten Bildausschnitts keinen Beweiswert, und der
Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, die Jahreszeit der Auf-
nahme zu nennen. Die uneinheitliche beziehungsweise willkürliche Aus-
stellungspraxis von Dokumenten in Eritrea lasse keine schlüssige Über-
prüfung der Admission Card und des Passierscheins zu. Hinsichtlich des
angeblich auf der Flucht verlorenen Passierscheins mute seltsam an,
dass der Beschwerdeführer eine Kopie davon vorsorglich in seinem
E-Mail-Konto abgespeichert habe wolle. Nicht nachvollziehbar sei, dass
er nicht der Lage gewesen sei, den Beginn des zwölften Schuljahres in
L._______ – einen einschneidenden Lebensabschnitt – genau an-
zugeben. In Bezug auf die Reisewegschilderung erscheine insbesondere
die Finanzierung nicht glaubhaft, wonach der seit (…) in T._______
wohnhafte U._______ in Eritrea (…) an einen (…) übergeben habe. Der
Umstand, dass dem Beschwerdeführer die obligatorische militärische
Ausbildung in L._______ nicht behagt habe, aufgrund derer er sich der
Möglichkeit zu weiteren Studien an der Universität beraubt gesehen ha-
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be, sei nicht asylbeachtlich. Da der Beschwerdeführer indes seinen An-
gaben zufolge Eritrea am L._______ illegal und im militärdienstpflichtigen
Alter verlassen habe, habe er begründete Furcht, bei einer Rückkehr
nach Eritrea ernsthaften Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG ausgesetzt
zu werden, womit er die Flüchtlingseigenschaft erfülle. Da die flüchtlings-
relevanten Elemente erst mit der Ausreise aus Eritrea entstanden seien,
sei er von der Asylgewährung auszuschliessen, jedoch als Flüchtling in
der Schweiz vorläufig aufzunehmen.
C.
Mit Eingabe vom 19. Juli 21011 (Datum des Poststempels: 20. Juli 2011)
an das Bundesverwaltungsgericht beantragte der Beschwerdeführer
durch seinen Rechtsvertreter unter Kosten und Entschädigungsfolge, es
sei ihm Asyl zu gewähren. In prozessualer Hinsicht wurden unter Beilage
einer Fürsorgebestätigung die Gewährung der unentgeltlichen Rechts-
pflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezem-
ber 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) und der
Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses beantragt. Auf die
Begründung wird, soweit für den Entscheid wesentlich, in den Erwägun-
gen eingegangen.
D.
Mit Zwischenverfügung vom 28. Juli 2011 teilte das Bundesverwaltungs-
gericht dem Beschwerdeführer mit, dass er den Ausgang des Verfahrens
in der Schweiz abwarten könne, hiess das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege unter Vorbehalt der Veränderung der finan-
ziellen Lage gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschus-
ses.
E.
Mit Vernehmlassung vom 18. August 2011 beantragte das BFM die Ab-
weisung der Beschwerde. Darauf wird, soweit für den Entscheid wesent-
lich, in den Erwägungen eingegangen.
F.
Am 1. September 2011 nahm der Beschwerdeführer in seiner Replik Stel-
lung. Darauf wird, soweit entscheidwesentlich, in den Erwägungen Bezug
genommen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden
gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den Behörden
nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungs-
gerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von
Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zu-
ständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet
auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser – was in casu nicht zutrifft –
bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die
beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d
Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG,
SR 173.110]).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6
AsylG).
2.
Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwerde-
führer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die
angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges
Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher
zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 108 Abs. 1 AsylG sowie
Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 VwVG).
Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
3.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
4.
4.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grund-
sätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person anerkannt,
wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt wohnte, we-
gen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften
Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete Furcht hat, solchen Nachteilen
ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Ge-
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fährdung von Leib, Leben oder Freiheit sowie Massnahmen, die einen un-
erträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 AsylG).

4.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die
Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für ge-
geben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentli-
chen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den
Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder ver-
fälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

5.
5.1 Der Beschwerdeführer rügt in seiner Rechtsmitteleingabe zunächst
(in formeller Hinsicht) eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, da
die Vorinstanz keine Abwägung der für und gegen ihn sprechenden
Sachverhaltselemente vorgenommen, sondern im Gegenteil nur die an-
geblich gegen ihn sprechenden Elemente erwähnt habe. Vom Beschwer-
deführer geschilderte Glaubhaftigkeitselemente und eingereichte Be-
weismittel seien unzulässigerweise gänzlich ausgeklammert beziehungs-
weise willkürlich gewürdigt worden. Die Gesamtheit der Vorbringen des
Beschwerdeführers sei entgegen den Ausführungen der Vorinstanz nicht
unglaubhaft. Er habe auf alle gestellten Fragen in einer Genauigkeit und
Ausführlichkeit geantwortet, die dem, was er erlebt habe, entspreche.
Auch zur Militärausbildung in L._______ beziehungsweise zum Militärall-
tag habe er klare, schlüssige und detaillierte Angaben gemacht sowie ei-
ne genaue Skizze des Militärcamps angefertigt. Entscheidend komme
hinzu, dass auf den eingereichten Fotos nebst dem Beschwerdeführer die
Militärkasernen im Hintergrund zu sehen seien. Auch aus den eingereich-
ten Beweismitteln gehe deutlich hervor, dass der Beschwerdeführer im
Militärdienst gewesen sei. Schliesslich habe er entgegen der Vorinstanz
sein Asylgesuch nicht lediglich damit begründet, dass er nicht habe stu-
dieren können. Zwar habe er eine entsprechende Aussage gemacht. Er
habe aber auch ausgeführt, dass er nicht auf unbegrenzte Zeit habe Mili-
tärdienst leisten wollen und bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat um
sein Leben fürchten müsse, welche Aussagen vom BFM elegant ausge-
klammert worden seien. Es sei klar und verstehe sich von selbst, dass
der Asylgrund nicht das verwehrte Studium, sondern die drohende Strafe
infolge Desertion sei, was auch der Vorinstanz bewusst sei, auch wenn
der Beschwerdeführer dies nicht an jeder Stelle der Befragung erwähnt
beziehungsweise klar zum Ausdruck gebracht habe.
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Weiter wird in der Beschwerde auf die Militarisierung des Schulwesens
hingewiesen. So könne seit dem Jahr (…) die Matur nur zentral in
L._______, dem Grundausbildungszentrum der Armee, absolviert wer-
den. Hierfür erhalte man eine – vom Beschwerdeführer auch eingereichte
– Admission Card, was gleichbedeutend mit der Einberufung in den Mili-
tärdienst sei. Insofern bestehe unabhängig von den zahlreichen ins Recht
gelegten Beweismitteln bereits aufgrund des Alters des Beschwerdefüh-
rers und der allgemein bekannten Rekrutierungswellen in Eritrea eine na-
türliche Vermutung dafür, dass dieser dem Militärdienst unterstanden ha-
be. Die Schüler würden in militärischen Ausbildungszentren zwangsein-
geschrieben und strikt militärisch diszipliniert. Auch die diesbezüglichen
Schilderungen des Beschwerdeführers, wonach er die Matur in Kombina-
tion mit einem militärischen Training im Militärcamp von L._______ habe
absolvieren müssen, deckten sich mit Lageberichten von anerkannten
Menschenrechtsorganisationen und unterstrichen mithin seine Glaubwür-
digkeit (...).
5.2 Hinsichtlich der Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammen-
hang mit der angeblichen Verfolgung bis zum Zeitpunkt der Ausreise aus
Eritrea kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass das
BFM im Ergebnis zu Recht diese als den Anforderungen an die Glaubhaf-
tigkeit gemäss Art. 7 AsylG nicht genügend erachtet beziehungsweise ih-
re asylrechtliche Relevanz verneint hat. Die Ausführungen in den Be-
schwerdeeingaben vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern:
5.2.1 Der vorinstanzliche Entscheid kam entgegen den Beschwerdevor-
bringen nicht unter Verletzung von Bestimmungen des rechtlichen Gehörs
zustande. Zwar war das BFM gehalten, bei der Prüfung der Glaubhaftig-
keit der Vorbringen eine Abwägung vorzunehmen. Eine Verletzung dieser
Abwägungspflicht kann aber nicht schon im Umstand, dass das BFM in
seinen Erwägungen lediglich die aus seiner Sicht zentralen Gründe für
die Unglaubhaftigkeit der Darlegungen explizit auflistete, erblickt werden.
Die Beschränkung auf die Auflistung lediglich entscheidwesentlicher Ar-
gumente erscheint vielmehr als zulässig und schliesst eine vorgängige
Auseinandersetzung mit Aspekten, welche allenfalls, wenn auch nicht
ausschlaggebend, für die Glaubhaftigkeit der Vorbringen sprechen, offen-
sichtlich nicht aus. Die behördliche Untersuchungsmaxime wird durch die
Mitwirkungspflicht des Betroffenen begrenzt. In Anbetracht der untenste-
hend zu thematisierenden Unglaubhaftigkeit der angeblichen Einberufung
des Beschwerdeführers in den Militärdienst beziehungsweise Desertion
aus diesem waren weitere Massnahmen zur vollständigen Feststellung
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des rechtserheblichen Sachverhalts, insbesondere in der Beschwerde
erwähnte Abklärungen über die schweizerische Auslandvertretung im Su-
dan im Zusammenhang mit den eingereichten Beweismitteln, entgegen
den Beschwerdevorbringen nicht geboten. Auch die Würdigung der ein-
gereichten Dokumente ist im Ergebnis nicht zu beanstanden und dem
Beschwerdeführer war es möglich, den vorinstanzlichen Entscheid sach-
gerecht anzufechten. Demnach ist weder eine Verletzung der Untersu-
chungsmaxime noch eine solche der Begründungspflicht seitens der Vor-
instanz zu erkennen.
5.2.2 Es trifft zu, dass der Beschwerdeführer Mühe bekundete, die ihm
gestellte Frage nach dem Beginn des zwölften Schuljahres in L._______
zu beantworten. Nachdem er zunächst geantwortet hatte, er wisse es
nicht genau, er vermute, es sei im Jahr (…) gewesen, korrigierte er, es
müsse im Jahr (…) beziehungsweise (…) gewesen sein, bevor er auf
seine erste Antwort, er wisse es nicht genau, zurückkam, um als Antwort
auf die folgende Frage nach der Dauer jenes Schuljahres zu erklären,
nein, es sei im (…) gewesen (…). Mithin erweist sich die vorinstanzliche
Erwägung, wonach nicht nachvollziehbar sei, dass er nicht angeben kön-
ne, wann genau jenes Schuljahr – immerhin ein entscheidender Lebens-
abschnitt – begonnen habe, als zutreffend. Auf die folgende, wiederholte
Frage nach der Dauer des Schuljahres antwortete er, diese betrage ein
Jahr und habe im (…) begonnen, wobei die militärischen und schulischen
Ausbildungen Hand in Hand gegangen seien; auf die Anschlussfrage
nach der Dauer des Schuljahres erklärte er schliesslich, nur die schuli-
sche Ausbildung daure sechs Monate (…). Daraus wiederum ergeben
sich Unstimmigkeiten zum Ausstellungsdatum des Passierscheins ([…];
gültig bis zum […]), zumal er diesbezüglich erklärte, er habe seine Prü-
fung zirka (…) nach Erhalt der (…) Admission Card absolviert, habe (…)
den Passierschein erhalten und sich damit nach Abschluss der Schule für
(…) in den Urlaub nach G._______ begeben (…). Mithin hätte der Pas-
sierschein – selbst wenn das im (…) begonnene zwölfte Schuljahr in
L._______ nur sechs Monate gedauert hätte – frühestens (…) ausgestellt
werden und der Urlaub nicht vor diesem Zeitpunkt stattfinden können;
dies entgegen den Aussagen des Beschwerdeführers, wonach er im (…)
im Urlaub gewesen sei und die Rückreise von G._______ nach
L._______ im (…) angetreten habe (…). Demnach verfestigen sich die
Zweifel am Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er sich im Jahr
(…) durch Flucht dem Militärdienst entzogen beziehungsweise desertiert
habe. Auch aus den eingereichten Fotos vermag er diesbezüglich im Er-
gebnis im Hinblick auf seine Verfolgungsvorbringen nichts zu seinen
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Gunsten abzuleiten. Zwar könnten diese tatsächlich als Indiz dafür ge-
wertet werden, dass er in L._______ eine militärische Ausbildung bezie-
hungsweise das zwölfte Schuljahr absolviert hat, umso mehr, als die Mili-
tarisierung des Schulwesens beziehungsweise die militärische Disziplinie-
rung der Schüler in Eritrea von den schweizerischen Asylbehörden nicht
in Abrede gestellt wird. Dagegen spricht indes zum einen der Umstand,
dass – wie in der der angefochtenen Verfügung zutreffend erwogen wur-
de – die Aussagen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Waffenausbil-
dung im Gegensatz zu seiner mit den Erkenntnissen der Asylbehörden
erheblich kongruenteren Schilderung des Tagesablaufs dürftig ausgefal-
len sind (…). Zum andern erscheint nicht nachvollziehbar, dass der Be-
schwerdeführer, der eigenen Angaben zufolge die militärische Grundaus-
bildung absolviert hat, keinen Militärausweis beziehungsweise keine mili-
tärische Identitätskarte erhalten haben will und Mühe bekundete, die ihm
diesbezüglich gestellte Frage zu verstehen (…). Nach dem Gesagten ist
zugunsten des Beschwerdeführers zwar davon auszugehen, dass er in
L._______ das zwölfte Schuljahr, d.h. seine Sekundarschulausbildung
unter militärischer Disziplin, absolviert beziehungsweise abgeschlossen
hat. Indes erscheint nicht glaubhaft, dass er dort eine militärische Ausbil-
dung abgeschlossen hat und zum Militärdienst aufgeboten worden ist. So
hat er denn auch nie vorgebracht, er sei jemals Soldat gewesen oder
nach der Matur einer Einheit zugewiesen worden, in welcher er den obli-
gatorischen Militärdienst hätte absolvieren müssen. Vielmehr gab er zu
Protokoll, seine Abschlussnoten hätten ihn nicht zu einem Studium an ei-
ner Universität berechtigt, sondern zu einer Berufsausbildung namens
(…), wobei er zu einer solchen in L._______ eingeteilt worden sei, es sich
nicht um die Zuweisung zu einer militärischen Einheit handle, sondern die
Ausbildung unter militärischer Obhut organisiert sei und er nach deren
Absolvierung verpflichtet gewesen wäre, Militärdienst zu leisten (…). Die
Vorinstanz erwog denn diesbezüglich auch zu Recht, dass die Vorbringen
des Beschwerdeführers dessen Abneigung gegen die in Eritrea obligato-
rische allgemeine Wehrpflicht betreffen würden, sich indes aufgrund der
Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass deswegen ein-
schneidende staatliche Massnahmen gegen ihn ergriffen worden wären;
mithin sei die blosse Tatsache, dass ihm die obligatorische militärische
Ausbildung in L._______ nicht behagt habe, aufgrund derer er sich der
Möglichkeit, weitere Studien an der Universität zu absolvieren, beraubt
gesehen habe, nicht asylbeachtlich.
5.2.3 Aufgrund des Gesagten erscheint die vom Beschwerdeführer gel-
tend gemachte Desertion auf der Reise von G._______ nach L._______
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unglaubhaft, während sich die übrigen Vorbringen als asylrechtlich unbe-
achtlich erweisen. Dem Beschwerdeführer ist es damit nicht gelungen,
eine zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Eritrea bestehende asylrechtlich
relevante Verfolgung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Die ein-
gereichten Beweismittel vermögen an dieser Einschätzung nichts zu än-
dern. Sie vermögen nicht darzutun, dass er zum Zeitpunkt der – zeitlich
nicht belegten – Ausreise aus Eritrea habe rekrutiert werden sollen, im
aktiven Militärdienst gestanden oder aus diesem desertiert habe (vgl.
Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskom-
mission [EMARK] 2006 Nr. 3). Selbst wenn der Beschwerdeführer in
L._______ eingerückt wäre, wäre daraus noch nicht zu schliessen, dass
er desertiert habe. Eine Militärdienstleistung vermag per se keine Asylre-
levanz zu entfalten und genügt auch nicht, um eine nachfolgend geltend
gemachte Desertion als glaubhaft im Sinne von Art. 7 AsylG erscheinen
zu lassen. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers hat
sich vielmehr als unglaubhaft erwiesen.
5.3 In Würdigung der gesamten Umstände und Vorbringen des Be-
schwerdeführers ist zusammenfassend festzustellen, dass dieser in Be-
zug auf den Zeitraum bis zur Ausreise aus dem Heimatstaat keine Grün-
de nach Art. 3 AsylG nachweisen oder glaubhaft machen kann, weshalb
die Vorinstanz das Asylgesuch zu Recht abgelehnt hat. Es erübrigt sich,
auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde, der Eingabe vom
1. September 2011 (Replik zur Vernehmlassung) und die eingereichten
Beweismittel im Einzelnen einzugehen, da diese an der vorgenommenen
Würdigung des Sachverhalts nichts zu ändern vermögen. Die Vorinstanz
hat demnach das Asylgesuch des Beschwerdeführers zu Recht abge-
lehnt.
6.
6.1 Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein,
so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz (Art. 44
Abs. 1 AsylG). Gemäss Art. 32 Bst. a der Asylverordnung 1 vom 11. Au-
gust 1999 über Verfahrensfragen (AsylV 1, SR 142.311) wird die Wegwei-
sung nicht verfügt, wenn die asylsuchende Person im Besitz einer gülti-
gen Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung ist.
6.2 Der Beschwerdeführer verfügt bis zum jetzigen Zeitpunkt weder über
eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen An-
spruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde daher zu
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Recht angeordnet (vgl. BVGE 2008/34 E. 9.2 S. 510; EMARK 2001
Nr. 21).
6.3 Wegen des Vorliegens eines subjektiven Nachfluchtgrunds im Sinne
von Art. 54 AsylG ordnete das BFM in der angefochtenen Verfügung vom
21. Juni 2011 die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers als Flücht-
ling an (vgl. EMARK 2000 Nr. 16 E. 5a S. 141 f., mit weiteren Hinweisen).
Somit erübrigen sich in casu weitere Ausführungen hinsichtlich der Durch-
führbarkeit des Wegweisungsvollzugs.
7.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und
vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Be-
schwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen.
8.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären dessen Kosten dem Be-
schwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG). Nachdem je-
doch das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung un-
ter Vorbehalt der finanziellen Lage des Beschwerdeführers mit Zwischen-
verfügung vom 28. Juli 2011 gutgeheissen worden ist und aufgrund der
Aktenlage nach wie vor von der prozessualen Bedürftigkeit des Be-
schwerdeführers auszugehen ist, ist auf die Auferlegung von Verfahrens-
kosten zu verzichten.
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Seite 12
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten auferelegt.
3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die zuständi-
ge kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Martin Zoller Daniel Widmer


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