D-3878/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl; Wegweisung; Vollzug
Karar Dilini Çevir:
D-3878/2006 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Flüchtlingseigenschaft; Asyl; Wegweisung; Vollzug
Abtei lung IV
D-3878/2006
{T 0/2}
U r t e i l v o m 2 . J u l i 2 0 0 8
Richterin Nina Spälti Giannakitsas (Vorsitz),
Richter Robert Galliker, Richter Gérard Scherrer,
Gerichtsschreiber Lorenz Mauerhofer.
A._______, geboren _______,
B._______, geboren _______, und die Kinder
C._______, geboren _______, und
D._______, geboren _______,
Jemen,
alle vertreten durch Barbara Tschopp, ELISA, _______,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), vormals Bundesamt
für Flüchtlinge (BFF), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFF vom 25. No-
vember 2004 / N _______.
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-3878/2006
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführer – Staatsangehörige von Jemen, welche eige-
nen Angaben zufolge seit 1988 (der Beschwerdeführer) respektive
1994 (die Beschwerdeführerin) in den Vereinigten Arabischen Emira-
ten (VAE) wohnhaft waren und ihre frühere Heimat nur selten besuch-
ten – reisten am 21. Juli 2004 legal über den Flughafen von Genf-
Cointrin in die Schweiz ein.
Am 25. Juli 2004 reichten sie in der Empfangsstelle des BFF in Vallor-
be (heute: Empfangs- und Verfahrenszentrum des BFM) ein Asylge-
such ein. Am 30. Juli 2004 wurden sie vom BFF im Transitzentrum von
Altstätten kurz zu ihrem Reiseweg und ihren Gesuchsgründen befragt.
Am 18. August 2004 fand in _______ die einlässlich Anhörung zu den
Gesuchsgründen durch die zuständige kantonale Behörde statt.
Anlässlich der Befragungen führte der Beschwerdeführer im Wesentli-
chen aus, er habe in den VAE, in Abu Dhabi, während Jahren eine An-
stellung beim Innenministerium gehabt und sei beim Zivilschutz res-
pektive der Feuerwehr als Schichtleiter tätig gewesen. Seiner Familie
sei es finanziell gut gegangen. Er habe mit seiner Familie die VAE ver-
lassen, weil sein Sohn C._______ zwar begabt, aber krank und behin-
dert sei, besonderer Pflege bedürfe und eine Sonderschule brauche.
In diesem Zusammenhang führte er zur Hauptsache das Folgende
aus: Er habe 1991 in Jemen geheiratet und sein Sohn E._______ sei
Ende 1993 in Aden geboren. Im Verlauf der Geburt sei seine Frau
während mehreren Stunden nicht betreut worden, weshalb E._______
während der Geburt zuwenig Sauerstoff erhalten habe und handica-
piert auf die Welt gekommen sei. Er habe sich daraufhin entschieden,
seine Frau und seinen Sohn nach Abu Dhabi zu nehmen, um
E._______ dort behandeln zu lassen. E._______ sei zwar von einem
Spezialisten, jedoch mit einem falschen Medikament behandelt wor-
den, was seinen Zustand nur noch verschlimmert habe. Von den
spezialisierten staatlichen Spitälern sei E._______ nicht behandelt
worden, da sie Ausländer seien, obwohl er jahrelang für den Zivil-
schutz der VAE gearbeitet habe. Seine Frau habe die Pflege von
E._______ ganz alleine übernehmen müssen, was für sie überaus be-
lastend gewesen sei. Im Alter von 8 Jahren, am 27. Mai 2002, sei
E._______ gestorben; nicht in einem Spital, sondern zuhause, da ihm
der Zutritt zu den staatlichen Spitälern verwehrt geblieben sei. Nach-
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dem der Beschwerdeführer von seiner Frau über den Tod seines Soh-
nes informiert worden sei, habe er sofort von seiner Arbeit an seinen
250km entfernten Wohnort zurückkehren wollen. Dies sei ihm jedoch
von seinem Vorgesetzten nicht erlaubt worden. Er sei dann trotzdem
nach Hause gefahren, worauf es damals zu einem Administrativverfah-
ren gegen ihn gekommen sei. Sein Sohn C._______, geboren 1995,
welcher wie schon sein Bruder an einer angeborenen Stoffwechsel-
krankheit (G6PD) leide, sei ebenfalls behindert. Er sei vier oder fünf
Tage nach seiner Geburt ganz gelb geworden. Sie seien mit dem Kind
sofort ins Spital gegangen, wo der zuständige Arzt jedoch die Behand-
lung verzögert habe. Erst nach der Überweisung in ein anderes Spital
sei C._______ behandelt worden, zufolge Verspätung der Behandlung
der akuten Gelbsucht sei es jedoch zu Komplikationen gekommen. Der
Beschwerdeführer sei nach diesem Vorfall gegen den Arzt und das
Spital vorgegangen; er sei mit dem Dossier bis vor den Gesundheits-
minister gelangt, eine Klage hätte aber nichts gebracht. Von einem Mit-
arbeiter des Ministeriums sei ihm vorgeschlagen worden, die Affäre
einvernehmlich zu regeln, der Staat werde für die Therapien von
C._______ aufkommen. In der Folge sei er jedoch immer wieder auf
später vertröstet worden und die Unterstützungsbeteuerungen hätten
sich als leere Versprechen erwiesen. Die bescheidenen Fähigkeiten
seines Sohnes habe er ihm selbst beibringen müssen. Sein Sohn, wel-
cher motorisch, beim Hören und Sprechen behindert sei, habe durch-
aus geistige Fähigkeiten, beispielsweise mit Computern; er sei sehr in-
telligent, er brauche aber spezielle Förderung und der Beschwerdefüh-
rer könne nicht akzeptieren, dass er keine Schule besuchen dürfe. In
den VAE habe sein Sohn nicht einmal eine von ihm benötigte zahnme-
dizinische Operation erhalten, und selbst für eine kleine Zahnbehand-
lung habe der Beschwerdeführer das Spital anflehen müssen. Ab-
schliessend führte der Beschwerdeführer aus, er habe in Abu Dhabi
eine Anstellung und ein Auskommen gehabt, nach langer Überlegung
jedoch alles wegen seines Sohnes aufgegeben und alles verkauft, um
in die Schweiz kommen zu können, wo es Spezial-Schulen gebe. Die
VAE, welchen er 15 Jahre lang gedient und wo er viel Verantwortung
getragen habe, hätten ihm die Aufnahme seines Sohnes in einer Son-
derschule versprochen, es sei jedoch alles nur eine Lüge gewesen.
Auf Nachfrage nach einer Behandlung in Jemen führte der Beschwer-
deführer aus, dort hätten Leute nicht einmal genug zu essen und Son-
derschulen gebe es dort nicht.
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Die Beschwerdeführerin bestätigte anlässlich der Anhörungen die Ge-
suchsgründe ihres Ehemannes. Sie gab an, sie habe die VAE wegen
ihres Sohnes E._______ verlassen, und zur Hauptsache, weil ihr Sohn
C._______ in den VAE nicht adäquat versorgt werde. Da er behindert
sei, sei er in keiner normalen Schule aufgenommen worden, und da
sie keine Bürger der VAE seien, habe er auch keine Sonderschule be-
suchen können. Auf Nachfrage hin führte sie aus, ihr Sohn C._______
werde nur mit einem Medikament behandelt, und sie glaube nicht,
dass seine Krankheit in Jemen behandelbar wäre.
Als Beweismittel reichten die Beschwerdeführer diverse Arztzeugnisse
sowie eine Todesurkunde betreffend das Kind E._______, diverse
Arztzeugnisse betreffend das Kind C._______ und verschiedene Iden-
titätsausweise zu den Akten (vgl. dazu im Einzelnen act. A13, S. 2 und
13, sowie act. A1 [Beweismittelumschlag])
B.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2004 reichte Dr. med. X._______,
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, einen Bericht über das Kind
C._______ zu den Akten. In ihrem Bericht führte sie nach Verweis auf
den exakten Diagnosebefund aus (vgl. act. A15), bei C._______ liege
eine Schädigung des Hirns vor, die nach der Geburt entstanden sei,
durch seine angeborene Stoffwechselstörung (Glucose-6-Phosphat-
Dehydrogenase-Mangel [G6PD]). Bei einer solchen Schädigung wür-
den in der Regel hauptsächlich die motorischen Areale des Hirns be-
fallen; häufig sei die Intelligenz normal. Bis heute habe das Kind kei-
nerlei Therapie erhalten, wohl weil in seiner Heimat keine Therapeuten
verfügbar seien. In der Schweiz würde ein solches Kind intensiv geför-
dert, beispielsweise mit Physio-/Ergotherapie und Kommunikationsför-
derung durch pädagogische Massnahmen. Aufgrund seiner unwillkürli-
chen Bewegungen könne sich das Kind nicht mittels einer Körperspra-
che ausdrücken. Die Athestose (unwillkürliche, langsam sich abspie-
lende, ausfahrende Bewegungen von Händen oder Füßen) habe eine
eher gute Prognose mit Besserung unter Therapie. Es sei ferner abso-
lut möglich, dass der Knabe über normale intellektuelle Fähigkeiten
verfüge, eine diesbezügliche Beurteilung sei aber noch nicht möglich
gewesen. Falls das Kind in der Schweiz verbleiben würde, sollte es
Physiotherapie erhalten und es müsste eine Gehörabklärung stattfin-
den. Bei entsprechenden normalen intellektuellen Fähigkeiten wäre
eine Einschulung in einem Schulheim für Körperbehinderte ideal. Mit
medizinisch-therapeutischen und pädagogischen Massnahmen könnte
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die Zukunft des Knaben wesentlich verbessert werden; gegebenenfalls
sei dadurch eine Eingliederung ins Erwerbsleben möglich.
C.
Mit Verfügung vom 25. November 2004 – eröffnet am folgenden Tag –
wies das BFF die Asylgesuche der Beschwerdeführer ab und ordnete
deren Wegweisung aus der Schweiz sowie den Wegweisungsvollzug
an. Dabei führte das BFF zur Hauptsache aus, die Beschwerdeführer
seien in den VAE keiner flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung aus-
gesetzt gewesen, sondern hätten das Land einzig verlassen, um ihrem
kranken Kind eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ihre Ausreise sei
somit einzig vor dem Hintergrund der in den VAE herrschenden sozia-
len und medizinischen Gegebenheiten erfolgt, womit die Anforderun-
gen an die Flüchtlingeigenschaft und für eine Asylgewährung nicht er-
füllt seien. Den Vollzug der Wegweisung erkannte das BFF als zuläs-
sig, zumutbar und möglich. Dabei führte es zur Frage der Zumutbarkeit
des Wegweisungsvollzuges aus, eine vorläufige Aufnahme aufgrund
gesundheitlicher Probleme sei nur in Ausnahmefällen anzuordnen, na-
mentlich wenn durch den Wegweisungsvollzug das Leben des Betrof-
fenen in Gefahr gebracht würde. Der Nachweis, dass eine Erkrankung
in der Schweiz besser behandelt würde, als in der Heimat, genüge da-
her nicht. Gemäss den Akten leide das Kind C._______ an einer Hirn-
schädigung, ausgelöst nach seiner Geburt durch eine nicht erkannte
Stoffwechselkrankheit. Das Kind habe ein vermindertes Gehör und
eingeschränkte motorische Fähigkeiten. Aufgrund der vorgelegten Be-
weismittel sei indes davon auszugehen, dass die Erkrankungslage von
C._______ und auch von E._______ in den VAE erkannt und ange-
messen behandelt worden sei. Da alle Beschwerdeführer über eine
„medical card“ verfügen, sei nicht davon auszugehen, C._______ hätte
keinen Zugang zu adäquaten Versorgungseinrichtungen gehabt. Zu-
dem habe gemäss Auskunft der Beschwerdeführer die Einnahme ei-
nes Medikaments genügt, um die Hyperaktivität des Kindes einzudäm-
men und seine Konzentration zu fördern. Zwar hätten die Beschwerde-
führer geltend gemacht, C._______ habe in den VAE keinen Zugang
zu einer Spezialschule. Vor dem sozial-beruflichen Hintergrund der Fa-
milie sei jedoch nicht davon auszugehen, dass das Leben von
C._______ im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland oder seinen
Heimatstaat gefährdet wäre.
D.
Am 21. Dezember 2004 (Poststempel) erhoben die Beschwerdeführer
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gegen den Entscheid des BFF bei der damals zuständigen Schweizeri-
schen Asylrekurskommission (ARK) Beschwerde. In ihrer Eingabe er-
suchten sie um die Gewährung von Asyl, eventualiter um eine vorläufi-
ge Aufnahme wegen Unzumutbarkeit einer Rückkehr nach Jemen oder
in die VAE. Unter Vorlage einer Fürsorgebestätigung ersuchten sie fer-
ner sinngemäss um Erlass der Verfahrenskosten.
In ihrer Eingabe bekräftigten die Beschwerdeführer, dass ihr zweites
Kind C._______ – wie schon sein älterer Bruder E._______ – an der
(Stoffwechsel-) Krankheit G6PD leide. Nur ihr jüngstes Kind habe die-
se Krankheit nicht. Es handle sich dabei um eine vererbliche und un-
heilbare Enzymmangelkrankheit. Werde sie nicht richtig behandelt,
könne sie gefährlich und sogar lebensbedrohlich werden. Bei
E._______ habe die Krankheit dazu geführt, dass er bei der Geburt
zuwenig Luft bekommen habe und deshalb behindert zur Welt gekom-
men sei. Bei C._______ liege eine Schädigung des Hirns vor, die
durch die Stoffwechselkrankheit hervorgerufen worden sei. Diese
Schädigung sei für seine spastische infantile Cerebralparese verant-
wortlich. In diesem Zusammenhang machten die Beschwerdeführer
geltend, in den VAE fänden sie als Ausländer keinen Zugang zum öf-
fentlichen medizinischen System; die vorgelegten „medical cards“ wür-
den lediglich einer Grundversorgung dienen. Eine private Behandlung
andererseits sei nicht finanzierbar. Ihr ältestes Kind E._______ sei in
den VAE behandelt worden, jedoch mit einem falschen Medikament.
Die Beschwerdeführerin habe ihn nachher zuhause alleine pflegen
müssen und er sei mit acht Jahren zuhause gestorben. Ihr zweites
Kind C._______ sei nach seiner Geburt nicht richtig behandelt worden,
obwohl schon festgestanden habe, dass er an G6PD leide. Die zufolge
verspäteter Behandlung entstandenen Schäden wären vermeidbar ge-
wesen. Der Besuch einer Spezialschule sei C._______ verwehrt wor-
den und der Besuch einer privaten Schule wäre nicht finanzierbar ge-
wesen. Vor diesem Hintergrund schlossen die Beschwerdeführer, dass
sie in den VAE massive Benachteiligungen erlitten hätten, aufgrund
welcher ihr ältestes Kind verstorben sei und ihr zweites Kind, mangels
Behandlung einer Gelbsucht, heute an Hör-, Sprech- und Gehproble-
men leide. Mit der Nichtzulassung zu einer Spezialschule habe man
dem Kind C._______ zudem alle Zukunftsperspektiven genommen.
Zwar hätten in den VAE keine aktiven Übergriffe gegen sie stattgefun-
den, die Vernachlässigung sei jedoch als passiver Übergriff mit nicht
weniger schlimmem Ausgang zu werten. Der Staat und seine Organe
seien für die Vernachlässigung verantwortlich, mithin sie diese im all-
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gemeinen Wissen um die Diskriminierung von Ausländern hingenom-
men hätten. Den vom BFF angeordneten Wegweisungsvollzug erkann-
ten die Beschwerdeführer als unzumutbar, da der Knabe C._______
gemäss dem ärztlichen Bericht vom 25. Oktober 2004 gefördert wer-
den könnte, in den VAE jedoch keine Förderung erhalten würde. Im
Falle einer Ausweisung würde er keine Entwicklungschancen haben
und immer eine Last für die Familie bleiben, wogegen er in der
Schweiz durch spezifische Massnahmen zu einer normalen Person
werden könnte. Sollten schliesslich aufgrund der Stoffwechselkrank-
heit Komplikationen auftreten, so wäre das Leben von C._______ in
den VAE in Gefahr; er könnte wie sein älterer Bruder sterben, weil man
ihn nicht im Spital aufnehmen würde. Eine Rückkehr nach Jemen
schlossen die Beschwerdeführer aus, da Jemen ein armes Land sei
und die Erkrankung dort überhaupt nicht behandelt werden könne.
C._______ würde dort als abnormales Kind und später als abnormaler
Erwachsener betrachtet. Im Falle von Komplikationen wäre sein Leben
in Gefahr, da er keine adäquate medizinische Betreuung erhalten wür-
de. Im Übrigen verwiesen die Beschwerdeführer auf einen schlechten
psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin. Als Be-
weismittel reichten Sie einen kurzen Bericht aus dem Internet über die
Krankheit G6PD ein.
E.
Mit Zwischenverfügung der ARK vom 28. Dezember 2004 wurde auf
das Erheben eines Kostenvorschusses verzichtet und für den Ent-
scheid über das sinngemässe Gesuch um Erlass der Verfahrenskosten
auf den Endentscheid verwiesen (vgl. dazu Art. 63 Abs. 4 und Art. 65
Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwal-
tungsverfahren [VwVG, SR 172.021]).
F.
In seiner Vernehmlassung vom 3. Februar 2005 hielt das BFM an der
angefochtenen Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Be-
schwerde. Dabei führte das BFM zur Hauptsache aus, aufgrund des
auf die Einnahme eines Medikamentes beschränkten Behandlungsbe-
darfs sowie unter Berücksichtigung, dass die Eltern des Kindes
C._______ über die Erkrankung und die zu beachtenden Ernährungs-
regeln genau informiert seien, sei zu schliessen, dass sein Leben im
Falle einer Rückkehr nach Jemen nicht in Gefahr wäre. Der Wegwei-
sungsvollzug sei daher als zumutbar zu erkennen. Im Übrigen habe
der Gesundheitszustand des Kindes vor der Gesucheinreichung in der
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Schweiz einem Leben der Beschwerdeführer in Jemen nicht entgegen
gestanden.
G.
In ihrer Stellungnahme vom 14. Februar 2005 (Poststempel) hielten die
Beschwerdeführer fest, dass sie vor ihrer Einreise in die Schweiz in
den VAE und nicht in Jemen gelebt hätten. Unter Vorlage eines Be-
richts des CP-Zentrum, Zentrum für Entwicklungspädiatrie in _______,
vom 27. Januar 2007, gerichtet an das Schulheim für körperbehinderte
Kinder in _______ (vgl. dazu Beschwerdeakten, act. 5), machten sie
ferner geltend, dem Bericht sei eindeutig zu entnehmen, dass die Be-
treuung in einem Schulheim für Körperbehinderte, mit Physio- und Er-
gotherapie, für das Kind wichtig wäre.
H.
Am 10. November 2005 reichte das Schulheim für körperbehinderte
Kinder in _______ zwei Berichte betreffend das Kind C._______ zu
den Akten. Im Bericht der Schulischen Heilpädagogin vom 8. Novem-
ber 2005 wird zur Hauptsache berichtet, das Kind C._______ sei ein
aufmerksamer und wissbegieriger Junge, welcher seit Schulbeginn im
August grosses Interesse und Motivation gezeigt und erste Fortschritte
gemacht habe. Es zeige sich, dass er über viele Möglichkeiten verfü-
ge, erfolgreich beschult zu werden. Im Bericht von Dr. med. Y._______,
Spezialarzt für Kinder und Jugendliche am Schulheim für körperbehin-
derte Kinder in _______, vom 8. November 2005 wird über das exakte
Erkrankungsbild des Kindes C._______ sowie die Behandlungsmög-
lichkeiten berichtet. Von Seiten des Arztes wurde geschlossen, dass
die Zukunftsaussichten für C._______ ohne Behandlung katastrophal
wären, da seine schwere Beeinträchtigung der Motorik mit seinen in-
tellektuellen Fähigkeiten gleichgesetzt würde.
I.
Am 18. Oktober 2006 (Poststempel) reichte die Rechtsvertreterin der
Beschwerdeführer eine Vertretungsvollmacht zu den Akten und setzte
die ARK über ihre Mandatsübernahme in Kenntnis. Gleichzeitig reichte
sie einen ergänzenden Bericht von Dr. med. Y._______, Spezialarzt für
Kinder und Jugendliche am Schulheim für körperbehinderte Kinder in
_______, vom 26. November 2006 nach. Darin wird ausgeführt, seit
seinem Eintritt ins Schulheim, dem Erhalt von pädagogischen Mass-
nahmen, Physio- und Ergotherapie und Logopädie, sowie der Anpas-
sung und Optimierung seiner Hörgeräte, sei der Erfolg der Rehabilitati-
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on von C._______ sehr gross. Seine körperlichen und schulischen Fä-
higkeiten hätten massiv zugenommen; es gelinge zunehmend, das Po-
tenzial des Kindes auszuschöpfen. Die Behinderung von C._______
bedürfe einer regelmässigen Kontrolle und Optimierung des Rehabili-
tationsprozesses um die Fortschritte zu halten und auszubauen; das
Kind sei auf diese Rehabilitationsmassnahmen entscheidend angewie-
sen. In dessen Herkunftsland könnten diese leider in keiner Art und
Weise durchgeführt werden.
Von Seiten der Rechtsvertreterin wurde dazu ausgeführt, das Kind
C._______ sei intelligent, jedoch motorisch handicapiert, und es sei
daher auf die laufende Behandlung angewiesen, welche ihm eine
Integration in ein normales Erwachsenenleben ermögliche. Unter Ver-
weis auf die publizierte Praxis der ARK zur Kinderrechtskonvention
(Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylerkurs-
kommission [EMARK] 2005 Nr. 6 E 6.1 und 6.2) machte sie geltend, im
Falle des Kindes C._______ bestehe ein überwiegendes Interesse an
der Fortentwicklung seiner Fähigkeiten, damit C._______ später ein
normales Leben führen könne. Zurzeit befinde er sich in einer entspre-
chenden Institution, wogegen in seiner Heimat keine solchen vorhan-
den seien.
J.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren
per 1. Januar 2007 von der ARK übernommen hatte, wurde den Be-
schwerdeführern mit Schreiben vom 29. Mai 2007 die für die Behand-
lung ihrer Beschwerde zuständig Abteilung bekannt gegeben.
K.
Am 5. Juni 2008 reichten die Beschwerdeführer – handelnd durch ihre
Rechtsvertreterin – als Beweismittel ein Bestätigungsschreiben des je-
menitischen Gesundheitsministeriums vom 9. März 2008 (inkl. Über-
setzung), ein persönliches Schreiben des Beschwerdeführers vom 16.
April 2008 sowie einen Zeitungsartikel aus den VAE vom 9. Dezember
2007 (inkl. Übersetzung) zu den Akten. Zusätzlich reichten sie die Ge-
burtsurkunde von C._______ aus den VAE, seine Impfkarte aus den
VAE sowie ein medizinisches Testblatt aus den VAE nach. Dabei führte
die Rechtsvertreterin aus, dank der Pflege in der Schweiz habe das
Kind C._______ Fortschritte gemacht und sei jetzt im dritten Primar-
schuljahr. In den VAE habe er dagegen kein Recht auf die vorhandene
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Behandlungsmöglichkeiten, und in seinem Heimatstaat Jemen
bestehe kein Behandlungsangebot für ihn.
Im Schreiben des jemenitischen Gesundheitsministeriums wird – unter
Bezugnahme auf ärztliche Berichte aus der Schweiz vom 27. Juni
2005 und 26. Dezember 2007, sowie 11. Oktober 2004 und 30. No-
vember 2004 – vom Gesundheitszustand von C._______ Kenntnis ge-
nommen und diesbezüglich ausgeführt, die benötigten Therapien
könnten in der jemenitischen Republik nicht ausgeführt werden, aus
Mangel an der notwendigen Infrastruktur und qualifiziertem Personal.
Im Zeitungsartikel aus den VAE wird (gemäss Übersetzung) über eine
Institution für behinderte Kinder berichtet, wobei ausgeführt wird, dass
nur Personen aus den VAE aufgenommen würden, welche bei ihrem
Eintritt nicht älter als 4 Jahre sein dürften. In seinem persönlichen Sch-
reiben bekräftige der Beschwerdeführer das Vorbringen, seinem Sohn
sei in den VAE eine Aufnahme an einer Institution für Behinderte ver-
weigert worden, weil sie Ausländer seien, obwohl er dort während 15
Jahren für das Zivilschutzamt tätig gewesen sei. In seiner Heimat Je-
men sei die Situation prekär und es herrsche Mangel in allen Berei-
chen. Sein Sohn sei nun im dritten Schuljahr, und er habe aus ärztli-
cher und institutioneller Sicht grosse Fortschritte gemacht. Er bitte dar-
um, dass seinem Sohn eine Bewilligung zu erteilen sei, damit er ein
Recht auf eine angepasste Schulung und Bildung erhalte, damit er ein
aktiver Teil der Gesellschaft werden könne.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet endgültig über Be-
schwerden gegen Verfügungen des BFM auf dem Gebiet des Asyls
(Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG, SR 142.31]
i.V.m. Art. 31 - 34 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
[VGG, SR 173.32]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes
vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat am 1. Januar 2007 die Beurtei-
lung der am 31. Dezember 2006 bei der ARK hängig gewesenen
Rechtsmittel übernommen. Es gelangt das neue Verfahrensrecht zur
Anwendung (Art. 53 Abs. 2 VGG).
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1.3 Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht können die
Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Fest-
stellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessen-
heit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
1.4
Die Beschwerdeführer sind legitimiert; auf die frist- und formgerecht
eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48
Abs. 1 sowie Art. 50 und 52 VwVG).
2.
2.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen
grundsätzlich Asyl. Als Flüchtling wird eine ausländische Person aner-
kannt, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, wo sie zuletzt
wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu ei-
ner bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen An-
schauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder begründete
Furcht hat, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte
Nachteile gelten namentlich die Gefährdung von Leib, Leben oder
Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen
Druck bewirken; den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung
zu tragen (Art. 3 AsylG).
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen
oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn
die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in
wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich
sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälsch-
te oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
2.2 Aufgrund der Akten ist davon auszugehen, dass der Beschwerde-
führer seit 1988 und die Beschwerdeführerin seit 1994 in den VAE leb-
ten, wo der Beschwerdeführer eine feste Anstellung beim Staat inne
hatte und die Familie ein gutes Auskommen fand. Die Beschwerdefüh-
rer machen geltend, ihre Kinder seien über weite Strecken vom norma-
len Gesundheitssystem der VAE ausgeschlossen gewesen und hätten
notwendige Behandlungen nicht erhalten. Aufgrund der diesbezügli-
chen Schilderungen ist zu schliessen, dass dem ältestes Kind
E._______ in den VAE eine weniger gute medizinische Behandlung
und Betreuung zuteil wurde, als jene, auf welche namentlich die Bür-
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ger der VAE Anspruch erheben können. Nach Ansicht der Beschwer-
deführer führte mithin diese Ungleichbehandlung zum frühen Tod des
Kindes E._______. Aufgrund der Schilderungen ist ferner davon aus-
zugehen, dass die Schädigungen des Kindes C._______ – bei Beach-
tung der Grundregeln – vermeidbar gewesen wäre. Das an einer Gelb-
sucht erkrankte Kind wurde, trotz frühzeitiger Einlieferung durch die El-
tern, erst mit einer grossen Verzögerung behandelt, woraus die Schä-
digung des Kindes resultierte. Die Beschwerdeführer lasten das Ver-
halten der beteiligten Mediziner den VAE an und erblicken darin, sowie
im weiteren Verhalten der VAE, eine Form von Verfolgung (durch Ver-
nachlässigung), welche sie einzig deshalb erlitten hätten, da sie in den
VAE Ausländer gewesen seien.
2.3 Aufgrund der vorliegenden Sachlage – die Beschwerdeführer sind
Staatsangehörige von Jemen – ist festzustellen, dass eine Asylgewäh-
rung aus den vorgebrachten Gründen (Ereignisse in den VAE) von
vornherein ausser Betracht fällt. Da die Beschwerdeführer in Bezug
auf ihren Heimatstaat keinerlei Verfolgungsmassnahmen geltend
machten, bedarf es keiner asylrechtlichen Schutzgewährung durch die
Schweiz. Zwar machen die Beschwerdeführer geltend, die Verhältnisse
in Jemen seien in Bezug auf die medizinische Versorgung und die Bil-
dungsmöglichkeiten prekär. Damit wird aber keine asylrechtlich rele-
vante Verfolgung geltend gemacht.
Der Vollständigkeit halber ist ferner das Folgende festzuhalten: Die
Schilderungen der Beschwerdeführer betreffend die Ereignisse in den
VAE lassen auf mehrfach tragische Umstände sowie einen teilweise
verzweifelten Kampf der Beschwerdeführer um das Wohl ihrer zwei äl-
teren, kranken Kinder schliessen. Ein flüchtlingsrechtlich relevanter
Sachverhalt wird indes – wie von der Vorinstanz zu Recht erkannt –
nicht ersichtlich gemacht. Aufgrund der Gesuchsvorbringen, welche in
den wesentlichen Punkten als glaubhaft erscheinen (Art. 7 AsylG), be-
steht kein hinreichender Anlass zur Annahme, die Beschwerdeführer
seien in den VAE aus einem der in Art. 3 Abs. 1 AsylG abschliessend
aufgezählten Gründe (wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zuge-
hörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politi-
schen Anschauungen) persönlich gezielt verfolgt respektive gezielt
ernsthaften Nachteilen ausgesetzt worden. Alleine aus dem Umstand,
dass die VAE ihren eigenen Staatsbürgern eine bessere respektive
umfassendere medizinische Versorgung anbieten als Ausländern, kann
nicht auf eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungssituation ge-
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schlossen werden. Soweit es beim Kind C._______ aufgrund der zu
spät behandelten Gelbsucht zu einer erheblichen Schädigung des
Hirns gekommen ist, muss vorab auf ein ärztliches Versagen geschlos-
sen werden. Dass der Arzt eine Behandlung bewusst hinausgezögert
hätte, ist kaum denkbar. Auch dass es in der Folge sinngemäss zu ei-
ner Abwehr von Ersatzansprüchen aus diesem Vorfall gekommen sein
soll, ist nicht einer Verfolgungsmassnahme im Sinne von Art. 3 AsylG
gleichzusetzen.
2.4 Die Abweisung der Asylgesuche ist nach diesen Erwägungen zu
Recht erfolgt.
3.
Da die Ablehnung der Asylgesuche zu Recht erfolgt ist und die Be-
schwerdeführer – abgesehen vom bisherigen Asylbewerberstatus –
keinen ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel besitzen oder beanspru-
chen können, ist auch die Anordnung der Wegweisung zu bestätigen
(Art. 44 Abs. 1 AsylG; EMARK 2001 Nr. 21).
4.
Nachdem die Anordnung der Wegweisung zu bestätigen ist, verbleibt
im Folgenden zu prüfen, ob auch der Wegweisungsvollzug zu bestäti-
gen ist. Dabei ist insbesondere der Grundsatz der Einheit der Familie
zu berücksichtigen (Art. 44 Abs. 1 AsylG [am Ende]):
4.1 Zunächst stellt sich die Frage, ob der Wegweisungsvollzug in Be-
zug auf den Heimatstaat Jemen oder den Herkunftsstaat VAE zu prü-
fen ist. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung den Weg-
weisungsvollzug in die VAE geprüft, während sie in der Vernehmlas-
sung Ausführungen zu einer Wegweisung nach Jemen machte. Auf die
Frage, inwiefern die jemenitischen Staatsangehörigen die Möglichkeit
haben, sich in der VAE niederzulassen wurde nicht weiter eingegan-
gen. Der Vollzug der Wegweisung in einen Drittstaat unterliegt praxis-
gemäss strengen Anforderungen. Es bedarf dazu einer Garantie des
Drittstaates, dass die Einreise erlaubt und der Aufenthalt bewilligt wird
(vgl. EMARK 1997 Nr. 24). Es ist dabei an den Behörden, die Möglich-
keit der Drittstaatenwegweisung zu beweisen (vgl. EMARK 1995 Nr.
22). Im vorliegenden Fall gelingt ein solcher Beweis nicht, obwohl die
Beschwerdeführer vor ihrer Einreise in die Schweiz jahrelang in der
VAE gelebt haben. Es liegen heute keine Hinweise darauf vor, dass
der Beschwerdeführer und seine Familie sich wieder legal in der VAE
niederlassen könnten, zumal der Beschwerdeführer seine Arbeitsstel-
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le, die ihm wohl ursprünglich den Aufenthalt in diesem Land ermöglich-
te, aufgab und sich seither jahrelang ausser Landes aufhielt. Die Ein-
reise und Niederlassung von Ausländern unterliegen in der VAE strik-
ten Regelungen. Allein die theoretische Möglichkeit, der Beschwerde-
führer könnte wieder eine Arbeitsstelle finden und dadurch allenfalls
eine Aufenthaltsbewilligung erlangen, genügt jedenfalls nicht, um eine
Drittstaatenwegweisung als zulässig erscheinen zu lassen. Daran ver-
mag auch nichts zu ändern, dass offenbar eine Schwester Staatsan-
gehörige der VAE ist. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige
von Jemen und ausser einer Schwester haben sie aus heutiger Sicht
keine weiteren Verbindungen mehr zur VAE. Unter diesen Umständen
kann nicht mit genügender Sicherheit davon ausgegangen werden, sie
könnten in die VAE zurückkehren und sich dort legal aufhalten. Dem-
nach ist im Folgenden der Vollzug der Wegweisung in den Jemen zu
prüfen.
4.2 Ist der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zulässig oder
nicht zumutbar, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis
nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme
von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG; Art. 83 Abs. 1 des Bundesgeset-
zes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer
[AuG, SR 142.20]).
Der Vollzug ist nicht möglich, wenn der Ausländer weder in den Her-
kunfts- oder in den Heimatstaat noch in einen Drittstaat verbracht wer-
den kann. Er ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen
der Schweiz einer Weiterreise des Ausländers in seinen Heimat-, Her-
kunfts- oder einen Drittstaat entgegenstehen. Der Vollzug kann insbe-
sondere nicht zumutbar sein, wenn er für den Ausländer eine konkrete
Gefährdung darstellt (Art. 83 Abs. 2 - 4 AuG).
4.3 Gemäss Rechtsprechung der ARK, welche das Bundesverwal-
tungsgericht weiterführt, sind die Bedingungen für einen Verzicht auf
den Vollzug der Wegweisung (Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit, Unmög-
lichkeit) alternativer Natur. Sobald eine der Bedingungen erfüllt ist, ist
der Vollzug der Wegweisung als undurchführbar zu betrachten und die
weitere Anwesenheit in der Schweiz gemäss den Bestimmungen über
die vorläufige Aufnahme zu regeln (vgl. dazu EMARK 2006 Nr. 6 E.
4.2. S. 54 f., wobei zu berücksichtigen ist, dass die dort zitierte Bestim-
mung über die vorläufige Aufnahme zufolge einer schwerwiegenden
persönlichen Notlage i.S. von Art. 44 Abs. 3 AsylG per 1. Januar 2007
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aufgehoben worden ist). Gegen eine allfällige Aufhebung der vorläufi-
gen Aufnahme steht dem weggewiesenen Asylsuchenden wiederum
die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht offen (vgl. Art. 105
AsylG i.V.m. Art. 44 Abs. 2 AsylG). In diesem Verfahren wäre dann der
Wegweisungsvollzug vor dem Hintergrund sämtlicher Vollzugshinder-
nisse von Amtes wegen nach Massgabe der in diesem Zeitpunkt herr-
schenden Verhältnisse zu prüfen.
4.4 Der Vollzug der Wegweisung kann insbesondere nicht zumutbar
sein, wenn er für die ausländische Person eine konkrete Gefährdung
darstellt (vgl. dazu Art. 83 Abs. 4 AuG). Damit wird zum Ausdruck ge-
bracht, dass aus humanitären Gründen, nicht in Erfüllung völkerrechtli-
cher Pflichten der Schweiz, insbesondere dann auf den Vollzug der
Wegweisung zu verzichten ist, wenn die Rückkehr in den Heimat- oder
Herkunftsstaat für die betroffene Person angesichts der dort herr-
schenden allgemeinen politischen Lage, die sich durch Krieg, Bürger-
krieg oder durch eine Situation allgemeiner Gewalt kennzeichnet, eine
konkrete Gefährdung darstellt (EMARK 1998 Nr. 25 E. 3d S. 223; Bot-
schaft zum AVB, BBl 1990 II 668). Neben einer konkreten Gefährdung
können indes auch andere Umstände im Heimat- oder Herkunftsstaat
dazu führen, dass der Vollzug der Wegweisung im Einzelfall – aus hu-
manitären Überlegungen – als nicht zumutbar erscheint. Entsprechend
kommt den Asylbehörden im Rahmen der Anwendung von Art. 83 Abs.
4 AuG ein Ermessensspielraum zu (vgl. EMARK 2001 Nr. 16 E. 6b S.
123 m.w.H., wobei zu berücksichtigen ist, dass die dort zitierte Bestim-
mung von Art. 14a Abs. 4 ANAG in das heute geltende AuG überführt
wurde).
4.5 Sind von einem allfälligen Wegweisungsvollzug Kinder betroffen,
so bildet – wie von der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer zu
Recht erwähnt – bei der Zumutbarkeitsprüfung das Kindeswohl einen
Gesichtspunkt von gewichtiger Bedeutung. Dies ergibt sich nicht zu-
letzt aus einer völkerrechtskonformen Auslegung von Art. 83 Abs. 4
AuG im Lichte von Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte
des Kindes; Kinderrechtskonvention (KRK, SR 0.107; vgl. dazu
EMARK 2005 Nr. 6 E. 6 S. 57 f.).
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass unter dem Aspekt
des Kindeswohls sämtliche Umstände einzubeziehen und zu würdigen
sind, die im Hinblick auf einen Wegweisungsvollzug wesentlich er-
scheinen (vgl. EMARK 1998 Nr. 13 E. 5e/aa). Der Persönlichkeit des
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Kindes und seinen Lebensumständen ist umfassend Rechnung zu tra-
gen. Dabei können bei dieser gesamtheitlichen Beurteilung folgende
Kriterien von Bedeutung sein: Alter, Reife, Abhängigkeiten, Art (Nähe,
Intensität, Tragfähigkeit) seiner Beziehungen, Eigenschaften seiner
Bezugspersonen (insbesondere Unterstützungsbereitschaft und -fähig-
keit), Stand und Prognose bezüglich Entwicklung und Ausbildung, so-
wie der Grad der erfolgten Integration bei einem längeren Aufenthalt in
der Schweiz.
4.6 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführer
schon vor ihrer Einreise in die Schweiz seit Jahren nicht mehr in Je-
men ansässig waren. Der Beschwerdeführer war ab dem Jahre 1988
in den VAE arbeitstätig und seine Ehefrau folgte ihm im Jahre 1994
nach Abu Dhabi. Zwar war der Beschwerdeführer eigenen Angaben
zufolge in den VAE in verantwortungsvoller Position beim nationalen
Zivilschutz respektive im Bereich Rettungswesen/Feuerwehr tätig. Auf-
grund seiner langen Landesabwesenheit würde es dem Beschwerde-
führer aber zweifellos nicht leicht fallen, in Jemen, wo die wirtschaftli-
che und sozialpolitische Situation als prekär einzustufen ist – es zählt
zu den ärmsten Ländern der Welt, eine Existenzgrundlage für sich und
seine Familie zu schaffen. Solche Schwierigkeiten vermögen in der
Regel noch nicht zur Unzumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung zu
führen, sie bilden jedoch ein Beurteilungselement, welches in die vor-
zunehmende Interessenabwägung einbezogen werden muss und zu-
sammen mit weiteren humanitären Aspekten zur Feststellung der Un-
zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs führen kann (vgl. EMARK
2003 Nr. 24 E. 5a in fine und 5b S. 157 f.).
4.7 Die medizinische Versorgung in Jemen beschränkt sich auf die nö-
tigste Grundversorgung. Das Gesundheitssystem leidet an unzurei-
chenden personellen und finanziellen Ressourcen und die Situation
wird verschlimmert durch unhygienische Wasserversorgung und ver-
schiedene Krankheiten epidemischen Ausmasses. Der Sohn
C._______ leidet nach wie vor an einem schweren G6PD-Mangel.
Zwar hat diese im Alltag nur wenig Auswirkungen, solange jedenfalls,
als sich der Patient an strenge Ernährungsregeln hält. Sollte es jedoch
zu einer hämolytischen Krise kommen, weil der Patient ein unverträgli-
ches Nahrungsmittel oder ein problematisches Medikament eingenom-
men hat, kann eine solche ohne sofortige medizinische Hilfe zum Tod
führen. Die Beschwerderführer wurden in der Schweiz offenbar gut in-
formiert, auch über unverträgliche Medikamente, und das BFM wies
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darauf hin, dass dadurch die Gefahr einer solchen Krise bei ihrem
Sohn gebannt scheine. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die
Beschwerdeführer erfolgreich darum bemüht sind, sich an die
vorgegebene Diät zu halten und damit die Gefahr einer hämolytischen
Krise des Jungen eher klein ist. Eine solche kann jedoch nie ganz
ausgeschlossen werden, gerade wenn eine Betreuung und Beratung
zu Medikamenten und Nahrungsmitteln in Zukunft wegfällt. Angesichts
dieser kleinen aber dennoch bestehenden Gefahr und vor dem
Hintergrund der bisherigen Erlebnisse der Beschwerdeführer, haben
sie doch bereits ein Kind, das an der gleichen Krankheit litt, verloren,
ist es mehr als nachvollziehbar, dass sie die medizinische Betreuung
im Jemen als nicht genügend erachten. Bereits aus dieser Sicht,
erscheint die Zumutbarkeit des Vollzugs der Wegweisung im
vorliegenden Fall als fraglich.
4.8 Die Vorinstanz führt schliesslich aus, dass allein die besseren
Therapiemöglichkeiten des körperlich behinderten Kindes nicht genü-
gen können, um von der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs
auszugehen. Praxisgemäss sind bessere Behandlungsmöglichkeiten
jedoch dann beachtlich, wenn sie die Möglichkeit des Aufbaus einer
menschenwürdigen Existenz entscheidend beeinflussen (vgl. EMARK
2003 Nr. 24, E 5b). Hinsichtlich der Situation des Kindes C._______
ergibt sich zunächst, dass dieser noch nie in Jemen ansässig war und
demzufolge zu seiner Heimat keine Beziehung aufbauen konnte. Der
mittlerweile 12-jährige Knabe lebt gemäss den Akten seit Anfang Au-
gust 2005 in einem Heim für körperlich behinderte Kinder, wo er in ei-
nem geschützten Umfeld eine intensive persönliche Betreuung durch
fachlich geschultes Personal und spezialisierte Ärzte geniesst. Da der
Spracherwerb des Kindes gemäss den Akten erst in dieser Institution
erfolgreich angelaufen ist, verfügt er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch
über keine nennenswerte heimatliche Sprachkenntnisse. Der schwer
körperlich behinderte intellektuell aber bildungsfähige Junge hätte da-
mit kaum reelle Chancen, in Jemen eine menschenwürdige Existenz
zu aufzubauen, vielmehr wäre er wohl dazu verurteilt, in vollständiger
Abhängigkeit seiner Eltern oder anderer Verwandter zu leben. Die
Situation behinderter Menschen ist in Jemen besonders schwierig,
nicht selten sind sie schwerwiegender Diskriminierung ausgesetzt (vgl.
PETER HUNZIKER, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Jemen – Rechtssys-
tem im Wandel, Bern, Juni 2003). Aufgrund der Ausführungen von spe-
zialärztlicher Seite über erhebliche Fortschritte des Kindes ist demge-
genüber davon auszugehen, dass er zentrale Entwicklungschritte in
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dem speziell geschützten Umfeld der Schule für körperbehinderte Kin-
der in _______ machen konnte. Dass ein spezieller Therapiebedarf
des Kindes besteht, der ihm in Jemen nicht gewährt werden könnte,
und das Kind – wenn er die benötigten Therapien erhält – ein selb-
ständiges Mitglied der Gesellschaft werden kann bis hin zum Eintritt
ins Erwerbsleben, scheint aufgrund der Akten als unbestritten. Dem-
nach geht es nicht nur wie die Vorinstanz ausführte um eine bessere
Entwicklungsmöglichkeit in der Schweiz, sondern um die Möglichkeit,
überhaupt ein mehr oder weniger selbständiges Leben führen zu kön-
nen und eine menschenwürdige Existenz aufzubauen.
4.9 In einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere unter
Berücksichtigung der Situation des Kindes C._______ und unter Be-
achtung der Kinderrechtskonvention, gelangt das Bundesverwaltungs-
gericht zum Schluss, dass der Vollzug der Wegweisung für C._______
unzumutbar im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AuG und er in der Schweiz
vorläufig aufzunehmen ist. Aufgrund des Anspruchs auf Einheit der Fa-
milie sind demzufolge auch seine Eltern und sein jüngerer Bruder in
der Schweiz vorläufig aufzunehmen.
4.10 Aus den Akten ergeben sich im Übrigen keine Hinweise darauf,
dass im vorliegenden Fall die Anordnung einer vorläufigen Aufnahme
nach Art. 83 Abs. 4 AuG aufgrund von Art. 83 Abs. 7 Bst. a-c AuG aus-
zuschliessen wäre.
5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen ist,
soweit sie die Frage des Wegweisungsvollzuges betrifft. Die vorins-
tanzliche Verfügung vom 25. November 2004 wird demnach – soweit
die Frage des Wegweisungsvollzuges betreffend – aufgehoben und die
Vorinstanz wird angewiesen, die Beschwerdeführer in der Schweiz we-
gen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs vorläufig aufzuneh-
men. Soweit weitergehend ist die Beschwerde abzuweisen.
6.
6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens – zufolge Unterliegens im
Asylpunkt – wären den Beschwerdeführern praxisgemäss um die Hälf-
te reduzierte Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 2 und 3 des Regle-
ments vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen
vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2] i.V.m.
Art. 16 Abs. 1 Bst. a VGG). Von einer Kostenauflage ist jedoch – in
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Gutheissung des Gesuches um Erlass der Verfahrenskosten im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 VwVG – abzusehen.
6.2 Nachdem die Beschwerdeführer teilweise – hinsichtlich der Frage
des Wegweisungsvollzuges – mit ihrer Beschwerde durchgedrungen
sind, ist den vertretenen Beschwerdeführern für die ihnen erwachse-
nen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten eine um die
Hälfte reduzierte Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1
VwVG i.V.m. Art. 37 VGG; Art. 7 ff. VGKE). Von der Rechtsvertreterin
wurde keine Kostennote eingereicht, der Vertretungsaufwand lässt sich
jedoch zuverlässig abschätzen, zumal sich die Verfahrensteilnahme
der Rechtsvertreterin auf zwei kurze Eingaben im Umfang von je einer
Seite sowie das Nachreichen von Beweismitteln beschränkt hat. Vor
diesem Hintergrund ist zu Lasten der Vorinstanz eine Parteientschädi-
gung von Fr. 200.-- zuzusprechen (vgl. Art. 14 Abs. 2 VGKE).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit die Anordnung einer vor-
läufigen Aufnahme beantragt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde
abgewiesen.
2.
Die Verfügung des BFF vom 25. November 2004 wird – soweit die Fra-
ge des Wegweisungsvollzuges betreffend – aufgehoben und das BFM
wird angewiesen, die Beschwerdeführer in der Schweiz vorläufig auf-
zunehmen.
3.
Den Beschwerdeführern werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
4.
Das BFM wird verpflichtet, den Beschwerdeführern eine Parteient-
schädigung von Fr. 200.-- auszurichten.
5.
Dieses Urteil geht an:
- die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer (Einschreiben)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit den Ak-
ten Ref.-Nr. N _______ (per Kurier; in Kopie)
- _______ (in Kopie)
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Lorenz Mauerhofer
Versand:
Seite 20