D-3875/2013 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 5. Juni...
Karar Dilini Çevir:
D-3875/2013 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 5. Juni...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-3875/2013


U r t e i l v o m 1 2 . F e b r u a r 2 0 1 4
Besetzung

Einzelrichterin Contessina Theis,
mit Zustimmung von Richterin Esther Karpathakis;
Gerichtsschreiberin Mareile Lettau.
Parteien

A._______, geboren (…),
Sri Lanka,
vertreten durch lic. iur. Emil Robert Meier, Rechtsanwalt,
Beschwerdeführer,


gegen

Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Asyl und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 5. Juni 2013 / N (…).


D-3875/2013
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Sachverhalt:
A.
Der tamilische Beschwerdeführer aus dem Distrikt Jaffna reiste gemäss
eigenen Angaben am 1. Juni 2009 über Italien in die Schweiz ein, wo er
am 2. Juni 2009 ein Asylgesuch stellte. Die Erstbefragung erfolgte im
B._______ am 4. Juni 2009, die Bundesanhörung fand am 9. Juni 2009
statt. Hinsichtlich der Begründung der Asylvorbringen wird auf die Akten
verwiesen.
B.
Mit Verfügung vom 5. Juni 2013 – eröffnet am 6. Juni 2013 – stellte das
BFM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht,
und lehnte das Asylgesuch ab. Gleichzeitig verfügte es die Wegweisung
aus der Schweiz und den Wegweisungsvollzug.
C.
Mit Eingabe vom 8. Juli 2013 liess der Beschwerdeführer durch seinen
Rechtsvertreter beantragen, die vorinstanzliche Verfügung sei aufzuhe-
ben und die Angelegenheit zur Sachverhaltsabklärung und Neubeurtei-
lung an das BFM zurückzuweisen, eventualiter sei ihm Asyl zu gewähren
sowie subeventualiter sei die vorläufige Aufnahme anzuordnen.
D.
Mit Instruktionsverfügung vom 17. Juli 2013 informierte die Instruktions-
richterin, der Beschwerdeführer könne den Ausgang des Beschwerdever-
fahrens in der Schweiz abwarten. Gleichzeitig wurde er zur Leistung ei-
nes Verfahrenskostenvorschusses von Fr. 600.– innert gesetzter Frist
aufgefordert. Der Verfahrenskostenvorschuss wurde fristgerecht am
31. Juli 2013 eingezahlt.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden
gegen Verfügungen nach Art. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom
20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021). Das BFM gehört zu den Be-
hörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesver-
waltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne
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von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher
zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entschei-
det auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend – end-
gültig (vgl. Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni
2005 [BGG, SR 173.110]; Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
[AsylG, SR 142.31]).

1.2 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwer-
deführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die
angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges
Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; er ist daher
zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 1
AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist
einzutreten.
1.3 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG und das
AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
1.4 Die Beschwerde ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit
Zustimmung eines zweiten Richters respektive einer zweiten Richterin zu
behandeln, weil sie sich im Ergebnis als offensichtlich begründet erweist
(Art. 111 Bst. e AsylG).
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich der
Missbrauch und die Überschreitung des Ermessens, sowie die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts ge-
rügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
3.1 Die Vorinstanz ist in Verfahren, die Staatsangehörige Sri Lankas tami-
lischer Ethnie betreffen, systematisch dazu übergegangen, keine Ausrei-
sefristen mehr zu verhängen und bereits angeordnete Ausreisefristen
aufzuheben. Faktisch zieht sie damit sämtliche Verfahren (auch solche im
Vollzugsstadium) in Wiedererwägung, und zwar unbesehen der konkreten
Umstände im Einzelfall. Das vorinstanzliche Vorgehen geht auf zwei im
August 2013 bekannt gewordene Vorfälle sri-lankischer Rückkehrer zu-
rück, welche in der Schweiz jeweils erfolglos ein Asylverfahren durchlau-
fen haben und weggewiesen wurden (vgl. Medienmitteilung des BFM
vom 4. September 2013: "Bundesamt hat Rückführungen nach Sri Lanka
vorläufig ausgesetzt"). Die sri-lankischen Behörden haben die tamilischen
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Rückkehrer bei der Wiedereinreise in Haft genommen. Daraufhin hat die
Vorinstanz in Aussicht gestellt, die beiden Vorfälle und eine allfällige Ver-
änderung der allgemeinen Situation und insbesondere die Lage der
Rückkehrenden in Sri Lanka vertieft abzuklären. Hierfür ersuchte sie das
Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), die beiden Fälle einer
Qualitätsprüfung zu unterziehen sowie anschliessend auch die Dossiers
jener Personen zu überprüfen, deren Gesuche rechtskräftig abgelehnt
worden sind und die mit der Rückführung nach Sri Lanka hätten rechnen
müssen (vgl. Medienmitteilung des BFM vom 3. Oktober 2013: "Sri Lanka
gibt bekannt, warum zwei ehemalige Asylsuchende in Haft sind" sowie:
Neue Zürcher Zeitung [NZZ] vom 4. Oktober 2013: "UNHCR überprüft
Asyldossiers – zwei zurückgeschickte Tamilen seit Wochen in Haft"). Die
Vorinstanz geht damit selbst davon aus, dass der Sachverhalt, wie er der
Verfügung vom 5. Juni 2013 zugrunde liegt, offensichtlich nicht vollständig
festgestellt ist. Denn es besteht kein Zweifel, dass eine neue Lagebeurtei-
lung vor Ort sich auf die konkrete Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts auswirken kann, sei es im Flüchtlings- und Asylpunkt, sei es
im Wegweisungsvollzugspunkt.
3.2 Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsge-
richt in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindli-
chen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Eine Kassation und Rückwei-
sung an die Vorinstanz ist insbesondere angezeigt, wenn weitere Tatsa-
chen festgestellt werden müssen und ein umfassendes Beweisverfahren
durchzuführen ist. Die in diesen Fällen fehlende Entscheidungsreife kann
grundsätzlich zwar auch durch die Beschwerdeinstanz selbst hergestellt
werden, wenn dies im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen an-
gebracht erscheint; sie muss dies aber nicht (vgl. BVGE 2012/21 E. 5).
Vorliegend liegt der Mangel in einer unvollständigen Sachverhaltsfeststel-
lung, wobei die unterbliebenen notwendigen Abklärungen eine relativ
aufwändige und umfangreiche Beweiserhebung darstellen, weshalb sich
eine Kassation der angefochtenen Verfügung rechtfertigt. Im Übrigen
bleibt auf diese Weise der Instanzenzug erhalten, was umso wichtiger ist,
als das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich entscheidet.
3.3 Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen. Die angefochtene Verfü-
gung ist aufzuheben, die Sache ist zur vollständigen Sachverhaltsfeststel-
lung sowie zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen und
die vorinstanzlichen Akten sowie das Beschwerdedossier, welches eben-
falls Prozessstoff des vorinstanzlichen Verfahrens bilden wird, werden
dem BFM zugestellt. Auf die weiteren Vorbringen in der Rechtsmittelein-
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gabe ist aufgrund der vorliegenden Kassation zum heutigen Zeitpunkt
nicht näher einzugehen.
4.
4.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG); der geleistete Kostenvorschuss von
Fr. 600.– ist dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten.
4.2 Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts des Ausgangs des
Verfahrens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reg-
lements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor
dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädi-
gung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzuspre-
chen.
4.3 Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hat keine Kostennote
eingereicht. Der entstandene Vertretungsaufwand kann jedoch aufgrund
der Akten zuverlässig abgeschätzt werden (Art. 14 Abs. 2 VGKE). Dem
Beschwerdeführer ist zu Lasten des BFM unter Berücksichtigung der
massgebenden Bemessungsfaktoren (Art. 9 - 13 VGKE) und der Ent-
schädigungspraxis in vergleichbaren Fällen eine Parteientschädigung für
den Aufwand seines Rechtsvertreters von insgesamt Fr. 750.– (inkl. Aus-
lagen und Mehrwertsteuer) zuzusprechen.


(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Verfügung des BFM vom 5. Juni 2013 wird aufgehoben und die Sa-
che zur vollständigen Sachverhaltsfeststellung und zu neuer Entschei-
dung an das BFM zurückgewiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Der Kostenvorschuss von
Fr. 600.– wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet.
4.
Das BFM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädi-
gung von Fr. 750.– (inkl. Auslagen und Mehrwertsteueranteil) zu entrich-
ten.
5.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die kantonale
Migrationsbehörde.

Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:

Contessina Theis Mareile Lettau


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