D-3606/2008 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Karar Dilini Çevir:
D-3606/2008 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Abtei lung IV
D-3606/2008
{T 0/2}
U r t e i l v o m 5 . J u n i 2 0 0 8
Einzelrichter Daniel Schmid,
mit Zustimmung von Richter François Badoud,
Gerichtsschreiberin Milva Franceschi.
A._______, geboren [Datum],
Sudan,
vertreten durch Felicity Oliver, [Adresse],
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 28. Mai 2008 / N [Nummer]
B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l
T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e
T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l
Besetzung
Parteien
Gegenstand
D-3606/2008
Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass der Beschwerdeführer, ein ethnischer Moro, eigenen Angaben
zufolge Anfang April 2008 Libyen verliess und am 20. April 2008 in die
Schweiz einreiste, wo er gleichentags um Asyl nachsuchte,
dass er anlässlich der Kurzbefragung im [...] vom 13. Mai 2008 sowie
der direkten Anhörung vom 22. Mai 2008 zur Begründung des
Asylgesuchs im Wesentlichen geltend machte, er sei in X._______
(Sudan) geboren und habe bis zum Alter von drei Jahren mit seiner
Mutter im Quartier Y._______ gewohnt,
dass sie dann nach Libyen gezogen seien, wo sie zusammen bis zur
Ausreise im Jahre 2008 im Hof von A., einem gebürtigen Libyer,
gewohnt hätten,
dass seine Mutter Umgang mit mehreren Männern gehabt habe, sie
schwanger geworden und bei der Geburt des Kindes gestorben sei,
dass seine Mutter von der moslemischen Einwohnerschaft als Hure
bezeichnet worden sei und deswegen A. dem Beschwerdeführer er-
klärt habe, er könnte gegebenenfalls mit der moslemischen Einwoh-
nerschaft Probleme bekommen,
dass sich der Beschwerdeführer deshalb entschieden habe auszurei-
sen und A. die Ausreise organisiert habe,
dass der Beschwerdeführer Libyen verlassen habe, mit einem Schiff
nach Europa gelangt, dann mit einem Auto durch ihm unbekannte Län-
der gefahren und am 20. April 2008 in die Schweiz gelangt sei,
dass der Beschwerdeführer mehrfach mündlich und schriftlich durch
das BFM aufgefordert wurde, innert 48 Stunden Identitätspapiere ein-
zureichen,
dass eine vom BFM beauftrage Expertin mit dem Beschwerdeführer
zwecks Linguaanalyse ein Telefongespräch in der arabischen Sprache
führen wollte,
dass dieses Gespräch abgebrochen wurde, weil der Beschwerdeführer
bereits zu Beginn der Diskussion auf sehr einfache Fragen nicht
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antworten konnte, da er offensichtlich der arabischen Sprache nicht
mächtig war,
dass das BFM am 13. Mai 2008 eine Knochenalterbestimmung beim
Beschwerdeführer in Auftrag gab,
dass der zuständige Arzt in seinem Bericht von 15. Mai 2008
ausführte, aufgrund der Wachstumsfugen von Speiche und Elle sowie
dem Mittelhandknochen könne auf ein Knochenalter von 19 Jahre oder
älter geschlossen werden,
dass somit beim Beschwerdeführer ein wahrscheinliches chronologi-
sches Alter von 19 Jahren oder mehr gegeben sei,
dass das BFM dem Beschwerdeführer an der direkten Anhörung vom
22. Mai 2008 das rechtliche Gehör zur LINGUA-Analyse und dem Kno-
chenaltersbericht gewährte,
dass der Beschwerdeführer dabei am geltend gemachten Alter und an
seinen Arabischkenntnissen festhielt; vielmehr habe die Dolmetscherin
sein Arabisch nicht verstanden,
dass das BFM mit Verfügung vom 28. Mai 2008 – eröffnet am selben
Tag – in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. b des Asylgesetzes vom
26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch nicht eintrat, die
Wegweisung aus der Schweiz verfügte sowie den Vollzug anordnete,
dass das BFM zur Begründung im Wesentlichen anführte, der Be-
schwerdeführer habe als Geburtstag den 20. Dezember 1992 bezie-
hungsweise ein Alter von weniger als 16 Jahren angegeben,
dass die Abweichung zwischen dem festgestellten Alter gemäss Kno-
chenalteranalyse und dem angegeben Alter mehr als drei Jahre betra-
ge, somit eine Identitätstäuschung vorliege und das BFM den Be-
schwerdeführer als volljährig betrachte,
dass die Angaben des Beschwerdeführers (namentlich er könne die
Geburtsurkunde nicht beschaffen) die Zweifel an seiner
Minderjährigkeit nicht auszuräumen vermöchten, zumal auch die Hilfs-
werkvertreterin aufgrund der äusseren Erscheinung des Beschwerde-
führers auf eine erwachsene Person geschlossen habe,
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dass der Beschwerdeführer sodann – obwohl er eigenen Angaben
zufolge von seiner frühen Kindheit bis zum April 2008 mit seiner Mutter
in Libyen mit arabisch sprechenden Personen gelebt habe – nicht über
rudimentärste Kenntnisse dieser Sprache verfüge,
dass dies umso mehr erstaune, da seine Mutter der Arabischen Spra-
che mächtig gewesen sei,
dass die Behauptung, seine Mutter habe mit dem Beschwerdeführer
nur Englisch gesprochen, damit er diese Sprache lerne, bei einem
jahrelangen Aufenthalt in einem arabischen Umfeld nicht nachvollzieh-
bar und als reine Schutzbehauptung zu qualifizieren sei,
dass daraus zu schliessen sei, der Beschwerdeführer versuche seine
Identität gegenüber den Behörden zu täuschen und seine wahre Iden-
tität und Herkunft zu verheimlichen,
dass somit gemäss Art. 32 Abs. 2 Bst. B AsylG auf das Asylgesuch
nicht eingetreten werde,
dass der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 2. Juni 2008 gegen die-
sen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhob und
dabei beantragte, es sei die Verfügung des BFM vom 28. Mai 2008
vollumfänglich aufzuheben und das Asylgesuch des Beschwerdefüh-
rers vom 20. April 2008 gutzuheissen, eventualiter sei die Wegwei-
sungsverfügung aufzuheben und die vorläufige Aufnahme anzuordnen
und es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1
des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungs-
verfahren (VwVG, SR 172.021) zu gewähren,
dass soweit für den Entscheid wesentlich, auf die Begründung in der
Beschwerde in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen wird,
dass die vollständigen Akten am 3. Juni 2008 beim Bundesverwal-
tungsgericht eintrafen (vgl. Art. 109 Abs. 2 AsylG),
und zieht in Erwägung,
dass das Bundesverwaltungsgericht endgültig über Beschwerden ge-
gen Verfügungen (Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968
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über das Verwaltungsverfahren [VwVG, SR 172.021]) des BFM ent-
scheidet (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG,
SR 142.31] i.V.m. Art. 31-34 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [VGG, SR 173.32]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesge-
richtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]),
dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Verfügung berührt
ist, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungswei-
se Änderung hat und daher zur Einreichung der Beschwerde legiti-
miert ist (Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 48 Abs. 1 VwVG),
dass somit auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde –
mit der nachfolgend aufgeführten Einschränkung – einzutreten ist
(Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 50 ff. VwVG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
und die Unangemessenheit gerügt werden können (Art. 106 Abs. 1
AsylG),
dass bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es
das BFM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu
überprüfen (Art. 32-35 AsylG), die Beurteilungskompetenz der Be-
schwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt ist, ob die
Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist,
dass sich demnach die Beschwerdeinstanz - sofern sie den Nichtein-
tretensentscheid als unrechtmässig erachtet - einer selbständigen ma-
teriellen Prüfung enthält, die angefochtene Verfügung aufhebt und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückweist (vgl. Ent-
scheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskom-
mission [EMARK] 2004 Nr. 34 E. 2.1. S. 240 f.),
dass daher auf die Beschwerde nicht einzutreten ist, soweit die
Gutheissung des Asylgesuchs beantragt wird,
dass die Vorinstanz die Frage der Wegweisung und des Vollzugs mate-
riell prüft, weshalb dem Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich volle
Kognition zukommt,
dass über offensichtlich unbegründete Beschwerden in einzelrichterli-
cher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters bezie-
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hungsweise einer zweiten Richterin entschieden wird (Art. 111 Bst. e
AsylG) und es sich vorliegend, wie nachfolgend aufgezeigt, um eine
solche handelt, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu
begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG),
dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG vorliegend auf einen Schrif-
tenwechsel verzichtet wurde,
dass auf Asylgesuche nicht eingetreten wird, wenn Asylsuchende die
Behörden über ihre Identität täuschen und diese Täuschung aufgrund
der Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung oder anderer
Beweismittel feststeht (Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG),
dass der Begriff der Identität im asylrechtlichen Sinn unter anderem
die Staatsangehörigkeit, die Ethnie, das Geburtsdatum und den Ge-
burtsort umfasst (Art. 1 Bst. a AsylV 1),
dass der Beschwerdeführer wiederholt angegeben hat, er sei am
20. Dezember 1992 geboren, womit er zum Zeitpunkt der vorge-
nommenen Knochenaltersanalyse 15 Jahre und knapp 5 Monate alt
gewesen wäre,
dass die Knochenaltersanalyse indessen ergeben hat, der Beschwer-
deführer sei 19 Jahre alt oder älter,
dass die vorliegend durchgeführte Knochenaltersanalyse den von der
Praxis festgesetzten formellen Anforderungen entspricht (vgl. EMARK
2005 Nr. 16 S. 141 ff.; 2004 Nr. 31 S. 218 ff.),
dass zwischen dem vom Beschwerdeführer angegebenen Alter und
dem chronologischen Alter eine Abweichung von mehr als drei Jahren
besteht, weshalb das BFM zu Recht davon ausgegangen ist, die vom
Beschwerdeführer versuchte Täuschung über die Identität habe als
rechtsgenüglich nachgewiesen zu gelten (vgl. EMARK 2001 Nr. 23
S. 184 ff.),
dass im vorliegenden Fall das BFM über seine Fachstelle LINGUA den
Beschwerdeführer zudem einer Herkunftsanalyse auf der Basis cha-
rakteristischer Merkmale in der Sprechweise sowie landeskundlich-kul-
tureller Anhaltspunkte zu unterziehen versuchte,
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dass jedoch die LINGUA-Analyse mit dem Beschwerdeführer aufgrund
seiner mangelnden Kenntnisse der Arabischen Sprache nicht durchge-
führt werden konnte,
dass unter Berücksichtigung der genannten Umstände eine
Identitätstäuschung mit hinreichender Sicherheit feststeht (vgl. EMARK
1999 Nr. 19 E. 3d S. 125 f.),
dass mithin auch die vom Beschwerdeführer geltend gemachte
Herkunft (Sudan/Lybien) nicht glaubhaft ist,
dass die unsubstanziierten Ausführungen in der Beschwerde, welche
sich einzig darauf beschränken, rudimentär den Sachverhalt zu
wiederholen, nicht geeignet sind, die Schlussfolgerungen der
Vorinstanz auch nur in Zweifel zu ziehen,
dass somit das BFM in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. b AsylG zu
Recht auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten
ist,
dass die Ablehnung eines Asylgesuchs oder das Nichteintreten auf ein
Asylgesuch in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz zur Folge
hat (Art. 44 Abs. 1 AsylG), vorliegend der Kanton keine Aufenthaltsbe-
willigung erteilt hat und zudem kein Anspruch auf Erteilung einer sol-
chen besteht (vgl. EMARK 2001 Nr. 21), weshalb die verfügte Wegwei-
sung im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen steht und dem-
nach vom Bundesamt zu Recht angeordnet wurde,
dass zu prüfen bleibt, ob es Gründe gibt, die dem Vollzug der
Wegweisung entgegenstehen, da im Fall eines unzulässigen,
unzumutbaren oder unmöglichen Vollzugs das Anwesenheitsverhältnis
nach den Beschwerdestimmungen des Bundesgesetzes vom
16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG, SR
142.20) über die vorläufige Aufnahme zu regeln ist (Art. 44 Abs. 2
AsylG),
dass die Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit des Vollzugs
(Art. 44 Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 83 AuG) grundsätzlich von Amtes
wegen zu prüfen sind, diese Untersuchungspflicht jedoch nach Treu
und Glauben ihre Grenzen an der Mitwirkungspflicht der
beschwerdeführenden Person findet (Art. 8 AsylG), die im Übrigen
auch die Substanziierungslast trägt (Art. 7 AsylG), und es nicht Sache
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der Asylbehörden sein kann, nach allfälligen
Wegweisungshindernissen in hypothetischen Herkunftsländern zu
forschen,
dass der Beschwerdeführer deshalb die Folgen seiner mangelhaften
Mitwirkung respektive Verheimlichung seiner wahren Identität und
Herkunft zu tragen hat, indem vermutungsweise davon auszugehen
ist, es würden einer Wegweisung in den tatsächlichen Heimatstaat
keine landes- oder völkerrechtlichen Vollzugshindernisse im Sinne von
Art. 44 Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 83 Abs. 2 - 4 AuG (vgl. EMARK 2005
Nr. 1 E. 3.2.2. S. 4 f.) entgegen stehen,
dass nach dem Gesagten keine Wegweisungshindernisse vorliegen
und der vom BFM verfügte Vollzug der Wegweisung zu bestätigen ist,
dass es dem Beschwerdeführer demnach nicht gelungen ist darzutun,
inwiefern die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt, den
rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig oder unvollständig feststellt
oder unangemessen ist (Art. 106 AsylG), weshalb die Beschwerde ab-
zuweisen ist,
dass das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG zufolge Aussichtslosigkeit der
Beschwerde abzuweisen ist,
dass bei diesem Ausgang des Verfahrens die Kosten von Fr. 600.--
(Art. 1-3 des Reglements vom 11. Dezember 2006 über die Kosten
und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE,
SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen sind (Art. 63
Abs. 1 VwVG).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
3.
Dieses Urteil geht an:
- die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers (Einschreiben; Beila-
ge Einzahlungsschein, Original Verfügung des BFM vom
28. Mai 2008)
- das BFM, Abteilung Aufenthalt und Rückkehrförderung, mit den Ak-
ten Ref.-Nr. N [Nummer] (per Kurier; in Kopie)
- [kant. Behörde] (in Kopie)
Der Instruktionsrichter: Die Gerichtsschreiberin:
Daniel Schmid Milva Franceschi
Versand:
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