D-3348/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Karar Dilini Çevir:
D-3348/2011 - Abteilung IV - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) - Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung; Verf...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-3348/2011/wif
Urteil vom 17. Juni 2011
Besetzung Einzelrichterin Nina Spälti Giannakitsas,
mit Zustimmung von Richter Fulvio Haefeli;
Gerichtsschreiber Lorenz Mauerhofer.
Parteien A._______, geboren am … , Algerien,
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
(Dublin-Verfahren);
Verfügung des BFM vom 3. Juni 2011 / N … .
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Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,
dass der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2010 – von Italien
kommend – in der Schweiz ein Asylgesuch einreichte,
dass er vom BFM am 13. Dezember 2010 zu seiner Person, seinem
Reiseweg und summarisch zu seinen Gesuchsgründen befragt wurde,
dass er dabei vorbrachte, er stamme aus der Stadt X._______, wo er
nach Abschluss der Mittelschule weiterhin bei den Eltern gelebt habe, bis
er seine Heimat am 27. August 2007 verlassen habe, um seine
wirtschaftliche Situation zu verbessern,
dass er in diesem Zusammenhang ausführte, Probleme mit den
Behörden oder mit Dritten habe er keine gehabt, er habe jedoch wegen
der Armut seiner Familie und mangels Aussicht auf Arbeit die dortigen
Lebensumstände nicht mehr ertragen, weshalb er nach Italien gegangen
sei,
dass er dabei auf die Frage nach dem Verbleib seiner Papiere angab,
seinen Pass und seine Identitätskarte habe er anlässlich seiner Ausreise
zuhause gelassen habe, da er ansonsten von den italienischen Behörden
umgehend wieder in seine Heimat zurückgeführt worden wäre,
dass er auf die Frage nach den Umständen seines Aufenthaltes in Italien
ausführte, er sei dort zwar nach seiner Einreise und nochmals Ende 2008
von den Behörden angehalten, kontrolliert und in der Folge zum
Verlassen des Landes aufgefordert worden, er sei jedoch weiterhin in
Italien verblieben, wo er erst schwarz als Gemüseverkäufer gearbeitet
und später auf eigene Rechnung mit Kleidern gehandelt habe,
dass er indes im Juni 2010 verhaftet und wegen Verletzung der
Einreisebestimmungen für über fünf Monate ins Gefängnis gekommen
sei, worauf er sich – nachdem er erneut zum Verlassen des Landes
aufgefordert worden sei – zu einer Weiterreise in die Schweiz
entschlossen habe,
dass vom BFM aufgrund entsprechender Abfragen festgestellt wurde,
dass der Beschwerdeführer zwar nicht in der Eurodac-Datenbank
verzeichnet ist, gegen ihn jedoch von Italien im Schengener
Informationssystem (SIS) ein Einreiseverbot ausgeschrieben wurde, da er
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in Italien wegen illegaler Einreise und Aufenthalts und wegen Raubes
verzeichnet ist,
dass sich der Beschwerdeführer anlässlich der Kurzbefragung auf
Nachfrage des BFM gegen eine Rückführung nach Italien aussprach, da
er im Falle einer Rückkehr nach Italien erneut wegen Widerhandlung
gegen die Einreisegesetze inhaftiert würde (vgl. dazu act. A1 Ziff. 18),
dass das BFM am 2. März 2011 – nach den Bestimmungen der
Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur
Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des
Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem
Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags
zuständig ist (Dublin-II-VO) – ein Ersuchen um Übernahme des
Beschwerdeführers an Italien sandte, welches von italienischer Seite
innert massgeblicher Frist nicht beantwortet wurde,
dass das BFM in der Folge mit Verfügung vom 3. Juni 2011 – eröffnet am
8. Juni 2011 – in Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d des Asylgesetzes
vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch des
Beschwerdeführers nicht eintrat und dessen Wegweisung aus der
Schweiz sowie den Wegweisungsvollzug nach Italien anordnete, wobei
das BFM festhielt, einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Entscheid
komme keine aufschiebende Wirkung zu,
dass das Bundesamt in seinem Entscheid – unter Verweis auf die
Bestimmungen zum Dublin-Verfahren, den vorgängigen Aufenthalt des
Beschwerdeführers in Italien und das an Italien gerichtete Gesuch um
Übernahme des Beschwerdeführers, welches innert massgeblicher Frist
von Italien nicht beantwortet worden war – auf die Zuständigkeit Italiens
für die Behandlung des Asylgesuches des Beschwerdeführers verwies
und festhielt, vom Beschwerdeführer seien keine relevanten Gründe
gegen eine Überstellung vorgebracht worden,
dass das BFM abschliessend den Vollzug der Wegweisung nach Italien
als zulässig, zumutbar und möglich erklärte,
dass der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid am 14. Juni 2011
Beschwerde einreichte, wobei er in seiner Eingabe die Aufhebung der
angefochtenen Verfügung und Rückweisung der Sache ans BFM zwecks
eintreten auf sein Asylgesuch, eventualiter zwecks Ausübung des
Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO beantragte,
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dass er in prozessualer Hinsicht um ein Aussetzen des
Wegweisungsvollzuges (im Sinne von Art. 107a AsylG) und um
vorsorgliche Anordnung vollzugshemmender Massnahmen ersuchte,
sowie um Erlass der Verfahrenskosten, um Beiordnung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes und um Befreiung von der
Kostenvorschusspflicht,
dass er zur Begründung der Beschwerde zur Hauptsache geltend
machte, in Italien werde er weder vertretbare humanitäre Verhältnisse
antreffen noch könne er mit einem rechtsstaatlich korrekten Asylverfahren
rechnen, da er in Italien weder eine angemessene Unterkunft erhalten
noch in ein Asylverfahren aufgenommen werde,
dass er in diesem Zusammenhang vorab vorbrachte, die
Existenzbedingungen in Italien seien nicht nur für irreguläre Migranten,
sondern auch für anerkannte Flüchtlinge unzumutbar, da sie nach
Abschluss ihrer Asylverfahren weder Unterstützung, Unterbringung noch
Verpflegung erhielten, mithin Italien seinen aus Art. 23 und 24 des
Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
(FK, SR 0.142.30) fliessenden Verpflichtungen nicht nachkomme,
dass er im Weiteren geltend machte, in Italien erhalte er kein
Asylverfahren, welches den Garantien von Art. 13 der Konvention vom
4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) genügen würde, mithin ablehnende
italienische Asylentscheide von Gesetzes wegen keine aufschiebende
Wirkung hätten und gegebenenfalls sofort vollzogen werden könnten,
dass er vor diesem Hintergrund schloss, nachdem im Falle einer
Überstellung nach Italien eine Verletzung völkerrechtlicher Normen
drohe, habe das BFM von seinem Eintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-
II-VO Gebrauch zu machen,
dass die vorinstanzlichen Akten am 16. Juni 2011 beim
Bundesverwaltungsgericht eintrafen (vgl. dazu Art. 109 Abs. 2 AsylG),
und zieht in Erwägung,
dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls endgültig
über Beschwerden gegen Verfügungen des BFM entscheidet, ausser bei
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Vorliegen eines Auslieferungsgesuches des Staates, vor welchem die
beschwerdeführende Person Schutz sucht (vgl. dazu Art. 105 AsylG
i.V.m. Art. 31 und 33 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [VGG, SR 173.32] sowie Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des
Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]),
dass sich das Verfahren nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) richtet, soweit
das VGG oder das AsylG nichts anderes bestimmen (vgl. Art. 37 VGG
sowie Art. 6 und 105 AsylG),
dass mit Beschwerde die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden kann (Art. 106 Abs. 1 AsylG),
dass auf die frist- und formgerechte Eingabe des legitimierten
Beschwerdeführers einzutreten ist (vgl. dazu Art. 108 Abs. 2 AsylG und
Art. 52 VwVG sowie Art. 48 Abs. 1 VwVG),
dass die vorliegende Beschwerde – wie nachfolgend aufgezeigt –
offensichtlich unbegründet ist, weshalb darüber in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise
einer zweiten Richterin zu entscheiden ist (Art. 111 Bst. e AsylG),
dass auf einen Schriftenwechsel zu verzichten und der Entscheid nur
summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG),
dass auf Asylgesuche in der Regel nicht eingetreten wird, wenn
Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die
Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich
zuständig ist (Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG),
dass der Beschwerdeführer gemäss den Akten von Italien kommend in
die Schweiz eingereist ist, wo er sich vor seiner Einreise in die Schweiz
über drei Jahren aufgehalten hat,
dass bei dieser Sachlage – entsprechend den vom BFM angerufenen
Bestimmungen zum Dublin-Verfahren, auf welche anstelle einer
Wiederholung zu verweisen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG) – Italien für die
Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig ist, wurde
doch von Italien das Ersuchen des BFM um Übernahme des
Beschwerdeführers (nach Art. 16 Abs. 1 Bst. a Dublin-II-VO) innert der
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vorliegend massgeblichen Frist von zwei Monaten nicht beantwortet,
womit Italien seine Zuständigkeit gemäss Dubliner Verfahrensregelung
aufgrund der sogenannten Verfristung akzeptiert hat (Art. 18 Abs. 1 und 7
Dublin-II-VO),
dass damit die Grundlage für einen Nichteintretensentscheid in
Anwendung von Art. 34 Abs. 2 Bst. d AsylG ohne weiteres gegeben ist,
dass der Beschwerdeführer gegen eine Rückkehr nach Italien konkret
einwendet, aufgrund der dort herrschenden Verhältnisse drohe ihm eine
sowohl mit der FK als auch mit der EMRK unvereinbare Behandlung,
dass er damit seine Forderung nach einer Ausübung des
Selbsteintrittsrechts im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO mit dem
Vorbringen verbindet, mit der Durchsetzung der nach Dublin-II-VO
feststehenden Zuständigkeit würden zwingende Normen des Völkerrechts
verletzt, womit sich im Falle der Begründetheit seiner Vorbringen die
Forderung nach einer Ausübung des Selbsteintrittsrechts ausnahmsweise
als zulässig erweisen würde (vgl. dazu BVGE 2010/45 E. 5 S. 635 f.),
dass seine diesbezüglichen Vorbringen jedoch nicht zu überzeugen
vermögen, mithin aufgrund der Akten keine relevanten Gründe ersichtlich
sind, welche gegen eine Überstellung nach Italien sprechen würden,
dass in diesem Zusammenhang vorab festzuhalten ist, dass Italien
Signatarstaat sowohl der Flüchtlingskonvention als auch der EMRK ist
und vorliegend keine konkreten Hinweise darauf bestehen, Italien würde
sich im Falle des Beschwerdeführers nicht an seine völkerrechtlichen
Verpflichtungen halten,
dass sich zwar das italienische Asylsystem aufgrund der jüngsten
Entwicklungen im nordafrikanischen Raum, respektive einem von dort
kommenden Zustrom von Asylsuchenden, mit erheblichen
Kapazitätsproblemen konfrontiert sieht, alleine von daher jedoch kein
Anlass zur Annahme besteht, Asylsuchenden stehe in Italien kein
geregeltes Asylverfahren zur Verfügung,
dass der Beschwerdeführer zwar behauptet, er werde in Italien nicht in
ein Asylverfahren aufgenommen, er dort jedoch gemäss den Akten noch
gar kein Asylgesuch eingereicht hat, mithin er alleine aus der offenkundig
bewusst unterlassenen Gesucheinreichung in Italien kein Bleiberecht in
der Schweiz ableiten kann,
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dass Italien schliesslich aufgrund seiner stillschweigende Zustimmung zur
Übernahme des Beschwerdeführers verpflichtet ist, dessen Asylverfahren
an die Hand zu nehmen, und keine konkreten Hinweise darauf bestehen,
dass der italienische Staat dem Beschwerdeführer den Zugang zum
italienischen Asylverfahren verweigern könnte,
dass Asylsuchende in Italien bei der Unterkunft, der Arbeit und dem
Zugang zur medizinischen Infrastruktur zwar gewissen Schwierigkeiten
ausgesetzt sein können, wobei sich bereits vorbestandene
Kapazitätsprobleme in der jüngsten Zeit akzentuiert haben dürften,
dass jedoch auch unter Berücksichtigung dieser Umstände kein Anlass
zur Annahme besteht, Italien verletze seine völkerrechtlichen
Verpflichtung zur Aufnahme und Betreuung von Asylsuchenden,
dass im Falle des Beschwerdeführers – entgegen seinen sinngemäss
anderslautenden Beschwerdevorbringen – jedenfalls keine konkreten
Anhaltspunkte dafür bestehen, er würde im Falle einer Rückführung nach
Italien in eine existenzielle Notlage geraten, hat er doch dort während
seines über 3-jährigen Aufenthalts ohne weiteres ein Auskommen
gefunden,
dass nach den vorstehenden Erwägungen der Nichteintretensentscheid
in Anwendung von Art. 34 Abs. Bst. d AsylG zu bestätigen ist,
dass die Anordnung der Wegweisung nach Italien der Systematik des
Dublin-Verfahrens entspricht und von daher im Einklang mit der
Bestimmung von Art. 44 Abs. 1 AsylG steht,
dass in diesem Sinne das BFM den Vollzug der Wegweisung nach Italien
zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich erklärte,
dass nach den vorstehenden Erwägungen kein Anlass zur Ausübung des
Selbsteintrittsrechts besteht, womit die angefochtene Verfügung zu
bestätigen und die eingereichte Beschwerde als offensichtlich
unbegründet abzuweisen ist,
dass mit dem vorliegenden Urteil in der Hauptsache die Gesuche um ein
Aussetzen des Wegweisungsvollzuges (nach Art. 107a AsylG) und die
vorsorgliche Anordnung vollzugshemmender Massnahmen
gegenstandslos geworden sind, wie auch das Gesuch um Befreiung von
der Kostenvorschusspflicht (nach Art. 63 Abs. 4 VwVG),
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dass das Gesuch um Erlass der Verfahrenskosten und um Beiordnung
eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes (im Sinne von Art. 65 Abs. 1 und
VwVG) abzuweisen ist, da sich die Beschwerde von Anfang an als
aussichtslos erwiesen hat,
dass demnach die Kosten des Verfahrens von Fr. 600.– dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen sind (vgl. dazu Art. 63 Abs. 1 VwVG
sowie Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten
und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE,
SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um Erlass der Verfahrenskosten und um Beiordnung eines
unentgeltlichen Rechtsbeistandes wird abgewiesen.
3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 600.– werden dem Beschwerdeführer
auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu
Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
4.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:
Nina Spälti Giannakitsas Lorenz Mauerhofer
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