D-3345/2011 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung (Beschwerden gegen Wiedererwägungsentscheid) - Asyl und Wegweisung (Beschwerde gegen Wiedererwägu...
Karar Dilini Çevir:
D-3345/2011 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung (Beschwerden gegen Wiedererwägungsentscheid) - Asyl und Wegweisung (Beschwerde gegen Wiedererwägu...
Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung IV
D-3345/2011
Urteil vom 28. Juni 2011
Besetzung Einzelrichter Thomas Wespi,
mit Zustimmung von Richterin Contessina Theis;
Gerichtsschreiber Daniel Stadelmann.
Parteien A._______, geboren (…),
Irak,
(…),
Beschwerdeführer,
gegen
Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung (Beschwerde gegen
Wiedererwägungsentscheid); Verfügung des BFM vom 27.
Mai 2011 / N _______.
D-3345/2011
Seite 2
Sachverhalt:
A.
Gemäss eigenen Angaben verliess der Beschwerdeführer – ein
ethnischer Kurde mit letztem Wohnsitz in B._______ (Provinz […]) – sein
Heimatland am 7. September 2008 und gelangte am 28. September 2008
in die Schweiz, wo er am folgenden Tag um Asyl nachsuchte.
B.
Zur Begründung seines Asylgesuches machte er im Wesentlichen
geltend, er sei von seinem Vater und seinem älteren Bruder, die der
islamistischen Partei Yekgertu angehörten, immer wieder geschlagen
worden, weil er weder gefastet noch gebetet habe. Zudem habe er sich
tätowieren lassen und sei deshalb durch die erwähnten Angehörigen mit
dem Tode bedroht worden. In Anbetracht dieser Sachlage habe er sich
zur Flucht entschlossen.
C.
Das BFM trat mit Verfügung vom 22. Oktober 2008 in Anwendung von
Art. 32 Abs. 2 Bst. a und Abs. 3 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998
(AsylG, SR 142.31) auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein
und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz und den
Wegweisungsvollzug an.
D.
Am 31. Oktober 2008 reichte der Beschwerdeführer gegen diesen
Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein.
E.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil D-
6893/2008 vom 1. März 2010 ab, soweit es auf diese eintrat.
F.
Mit Eingabe vom 3. Mai 2010 gelangte der Beschwerdeführer wiederum
an die Vorinstanz und beantrage dabei die Feststellung der
Unzulässigkeit und Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs verbunden
mit der vorläufigen Aufnahme in der Schweiz sowie den Erlass
vorsorglicher Massnahmen. Er begründete dieses Gesuch mit seinem
labilen gesundheitlichen Zustand und reichte diesbezüglich einen
Arztbericht aus dem Irak zu den Akten.
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Seite 3
G.
Da die Eingabe vom 3. Mai 2010 dem wesentlichen Sinngehalt nach auf
eine Abänderung beziehungsweise Aufhebung des ergangenen Urteils
des Bundesverwaltungsgerichts abzielte, nahm sie das
Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgesuch betreffend sein Urteil D-
6893/2008 vom 1. März 2010 entgegen.
H.
Mit Zwischenverfügung vom 14. Mai 2010 erhob die Instruktionsrichterin
des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der Aussichtslosigkeit der
Begehren im Revisionsverfahren einen Kostenvorschuss in der Höhe von
Fr. 1'200.- und forderte den Beschwerdeführer – unter Androhung von
Säumnisfolgen im Unterlassungsfall und der entsprechenden Ausfällung
eines Nichteintretensentscheides – auf, den Vorschuss innert Frist
einzuzahlen.
I.
Das Bundesverwaltungsgericht trat mit Urteil D-3385/2010 vom 8. Juni
2010 auf das Revisionsgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, da
dieser den einverlangten Kostenvorschuss nicht innert der angesetzten
Frist eingezahlt hatte.
J.
Am 27. April 2011 suchte der Beschwerdeführer im Empfangs- und
Verfahrenszentrum (EVZ) (…) erneut um Asyl nach. Zur Begründung
seines Gesuches machte er anlässlich der Befragung im EVZ (…) vom
12. Mai 2011 im Wesentlichen geltend, dass seine Vorbringen im
vorhergehenden Verfahren nicht der Wahrheit entsprochen hätten. Er sei
in der Schweiz von einer Drittperson schlecht beraten worden und habe
aus Angst vor einer Abschiebung nicht die Wahrheit gesagt. Die Gründe
für seine Flucht aus der Heimat seien andere. Er habe zusammen mit
drei weiteren Kollegen Personen illegal über die türkisch-irakische
Grenze geschmuggelt und Kontakte mit dem türkischen Geheimdienst
MIT gepflegt. Im Juli 2008 sei einer seiner drei Kameraden von der
Asaysch verhaftet und ein anderer umgebracht worden. Sein Bruder habe
ihn telefonisch informiert, dass die Polizei am 5. August 2008 nach ihm
gesucht habe. Daraufhin sei er am 7. September 2008 ausgereist. Zur
Untermauerung seines Gesuches legte der Beschwerdeführer Kopien
eines Haftbefehls ins Recht.
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Seite 4
K.
Das BFM nahm das Gesuch als Wiedererwägungsgesuch an die Hand
und wies dieses mit Verfügung vom 27. Mai 2011 ab, bezeichnete die
Verfügung vom 22. Oktober 2008 als rechtskräftig und vollstreckbar,
erhob eine Gebühr von Fr. 600.- und stellte fest, einer allfälligen
Beschwerde komme keine aufschiebende Wirkung zu. Zur Begründung
ihres Entscheides führte die Vorinstanz aus, dass der Beschwerdeführer
während zweier Jahren genug Zeit gehabt habe, seine wahren
Asylgründe darzulegen. Er habe sich sogar unter Mithilfe von
rechtskundigen Personen verschiedenster Rekursmöglichkeiten bedient,
um das Asylverfahren zu seinen Gunsten steuern zu können, das heisst
die wahren Gründe darzulegen. Es sei deshalb nicht redlich, zeitlich kurz
nach einem erfolglosen Eheverfahren in der Schweiz nochmals mit
anderen Asylgründen eine Rückführung in den (…) aufzuschieben. Es sei
aus dem zeitlichen Zusammenhang davon auszugehen, dass die neuen
Asylgründe als Nachschub nicht glaubhaft seien. Zudem fehle ihnen die
Aktualität, zumal der Beschwerdeführer für den Zeitraum nach 2008 keine
weiteren Angaben gemacht habe. Sodann sei aufgrund des bloss
fotokopierten Beweismittels nicht von einer tatsächlichen Verfolgung
auszugehen. Der in arabischer Sprache abgefasste interne Haftbefehl
aus (…) sei in dieser Konstellation ebenso zweifelhaft wie die Tatsache,
dass dieser in seine Hände gelangt sei, obwohl ein solches Dokumente
nicht fürs Publikum, sondern für die Haftbehörden gedacht sei. Überdies
liege das Beweismittel bloss als Kopie (Ausdruck einer E-Mail) auf, was
dessen Beweiskraft drastisch schmälere. Solche Dokumente seien im
irakischen Kontext leicht käuflich. Zusammenfassend sei somit
festzuhalten, dass keine Gründe vorlägen, welche die Rechtskraft der
Verfügung vom 22. Oktober 2008 beseitigen könnten. Das
Wiedererwägungsgesuch sei deshalb abzuweisen.
L.
Mit Beschwerde vom 14. Juni 2011 (Poststempel) an das
Bundesverwaltungsgericht beantragte der Beschwerdeführer, die
Verfügung des BFM vom 27. Mai 2011 sei aufzuheben und es sei ihm die
Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihm Asyl zu gewähren.
Eventualiter sei festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung
unzumutbar oder unzulässig sei, und der weitere Aufenthalt sei
entsprechend zu regeln. In prozessualer Hinsicht sei der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zu gewähren und es sei ihm zu gestatten, den
Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abzuwarten. Überdies sei ihm
die unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 des
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Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das
Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) zu gewähren und auf die
Erhebung eines Kostenvorschusses sei zu verzichten. Zur Begründung
seiner Beschwerde machte er geltend, er habe keine Wiedererwägung
der vorinstanzlichen Verfügung vom 22. Oktober 2008 verlangt, sondern
ein neues Asylgesuch gestellt. Als Hauptgrund für die erneute Abweisung
seines Gesuches werde einerseits die mangelnde Aktualität seiner
Vorbringen hervorgehoben und andererseits die Echtheit des
diesbezüglich eingereichten Haftbefehls angezweifelt. Der Haftbefehl sei
2008 ausgestellt worden und seither sei er flüchtig. Sobald er irakischen
Boden beträte, würden die irakischen Behörden sicherlich einen neuen
ausstellen, wobei er durch seine Flucht einen zusätzlichen
Beschwerungspunkt hinzugefügt habe. Die eingereichte Kopie des
Haftbefehls habe sein Bruder durch einen Anwalt erlangen können. Es
würden keine Originale freigegeben. Er wolle sich in der Schweiz lediglich
eine anständige und würdige Existenz aufbauen, darum ersuche er die
Behörden, seinen Flüchtlingsstatus anzuerkennen. Zur Untermauerung
seiner Vorbringen reichte der Beschwerdeführer mehrere als
Leumundszeugnisse betitelte Schreiben zu den Akten.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden
gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das BFM gehört zu den
Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des
Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme
im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht
ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und
entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen
eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die
beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d
Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG,
SR 173.110]). Es liegt kein solches Auslieferungsbegehren vor, weshalb
das Bundesverwaltungsgericht vorliegend endgültig entscheidet.
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1.2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem
BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6
AsylG).
1.3. Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der
Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung besonders
berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
beziehungsweise Änderung; er ist daher zur Einreichung der Beschwerde
legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie
Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
Über offensichtlich begründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher
Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise
einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie
nachstehend aufgezeigt, handelt es sich vorliegend um eine solche,
weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art.
111a Abs. 2 AsylG).
4.
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf die
Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.
5.
Die Wiedererwägung im Verwaltungsverfahren ist ein gesetzlich nicht
geregelter Rechtsbehelf, auf dessen Behandlung durch die verfügende
Behörde grundsätzlich kein Anspruch besteht. Gemäss herrschender
Lehre und ständiger Praxis des Bundesgerichts wird jedoch aus Art. 29
der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
18. April 1999 (BV, SR 101) unter bestimmten Voraussetzungen ein
verfassungsmässiger Anspruch auf Wiedererwägung abgeleitet (vgl.
BGE 127 I 133 E. 6 S. 137 f. mit weiteren Hinweisen). Danach ist auf ein
Wiedererwägungsgesuch einzutreten, wenn sich der rechtserhebliche
Sachverhalt seit dem ursprünglichen Entscheid beziehungsweise seit
dem Urteil der mit Beschwerde angerufenen Rechtsmittelinstanz in
wesentlicher Weise verändert hat – wenn also erhebliche Tatsachen oder
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Beweismittel geltend gemacht werden, die im früheren Verfahren nicht
bekannt waren oder damals noch nicht eingebracht werden konnten, oder
wenn sich die Umstände seit der letzten Beurteilung wesentlich geändert
haben – und mithin die ursprüngliche (fehlerfreie) Verfügung an
nachträglich eingetretene Veränderungen der Sachlage anzupassen ist
(vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen
Asylrekurskommission [EMARK] 2003 Nr. 7 E. 1. S. 42 f.; BGE 124 II 1 E.
3a S. 6, BGE 120 Ib 42 E. 2b S. 46, BGE 113 Ia 146 E. 3a S. 150 ff.).
Sodann können auch Revisionsgründe einen Anspruch auf
Wiedererwägung begründen, sofern sie sich auf eine in materielle
Rechtskraft erwachsene Verfügung beziehen, die entweder
unangefochten geblieben oder deren Beschwerdeverfahren mit einem
formellen Prozessurteil abgeschlossen worden ist. Ein solchermassen als
qualifiziertes Wiedererwägungsgesuch zu bezeichnendes Rechtsmittel ist
grundsätzlich nach den Regeln des Revisionsverfahrens zu behandeln
(vgl. EMARK 2003 Nr. 17 E. 2.a S. 103 f. mit weiteren Hinweisen).
6.
6.1. Jedoch besagt Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG als lex specialis (vgl.
EMARK 1998 Nr. 1 E. 6.b S. 11 f., welches Urteil die Art. 32 Abs. 2 Bst. e
AsylG vorausgegangene Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 Bst. d AsylG in
der Fassung gemäss Ziff. 1 des BB vom 22. Juni 1990 über das
Asylverfahren betraf) gleichzeitig, dass auf ein Asylgesuch nicht
eingetreten wird, wenn Asylsuchende in der Schweiz bereits ein
Asylverfahren erfolglos durchlaufen haben oder während des hängigen
Asylverfahrens in den Heimat- oder Herkunftsstaat zurückgekehrt sind,
ausser die Anhörung ergebe Hinweise, dass in der Zwischenzeit
Ereignisse eingetreten sind, die für die Begründung der
Flüchtlingseigenschaft geeignet oder für die Gewährung des
vorübergehenden Schutzes relevant sind.
6.2. Gemäss Praxis sind im Nachgang zu einem erfolglos durchlaufenen
Asylverfahren eingereichte Gesuche um Feststellung der
Flüchtlingseigenschaft, in denen keine Revisionsgründe geltend gemacht
werden, ungeachtet ihrer Bezeichnung nach Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG
zu behandeln (vgl. EMARK 1998 Nr. 1 E. 6. S. 10 ff. sowie EMARK 2006
Nr. 20 E. 2.3. S. 214). Die erste Variante des erfolglosen Durchlaufens
eines Asylverfahrens in der Schweiz bedeutet nicht mehr und nicht
weniger, als dass in einem ersten Asylverfahren rechtskräftig festgestellt
oder implizit davon ausgegangen worden ist, dass der Beschwerdeführer
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(beziehungsweise Gesuchsteller) nicht Flüchtling ist (vgl. EMARK 1998
Nr. 1 E. 5. S. 5 ff.).
6.3. Im vorliegenden Fall stellte das Bundesverwaltungsgericht in
Übereinstimmung mit der Vorinstanz mit Urteil D-6893/2008 vom 1. März
2010 (rechtskräftig) fest, dass der Beschwerdeführer die
Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht erfüllt, aufgrund der Aktenlage
keine weiteren Abklärungen zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft
oder eines Wegweisungsvollzugshindernisses notwendig sind und das
BFM somit zu Recht in Anwendung von Art. 32 Abs. 2 Bst. a und Abs. 3
AsylG auf sein Asylgesuch nicht eingetreten war. Unbestrittenermassen
suchte der Beschwerdeführer am 27. April 2011 im EVZ (…) (ein zweites
Mal) persönlich um Asyl nach und ersuchte an diesem Datum nicht – wie
von der Vorinstanz fälschlicherweise festgehalten – mittels Eingabe um
Wiedererwägung des ablehnenden Asylentscheides. Der
Beschwerdeführer richtete denn auch in keiner Phase des hier
vorliegenden Verfahrens eine als Wiedererwägungsgesuch bezeichnete
oder inhaltlich als ein solches Gesuch zu verstehende Eingabe an die
Asylbehörden. Vielmehr brachte er in der Befragung vom 12. Mai 2011
und durch die ins Recht gelegte Kopie eines irakischen Haftbefehls
verbunden mit komplett neuen, ihm jedoch bereits bekannten
Asylvorbringen (vgl. Sachverhalt Bst. J) zum Ausdruck, dass seine
Flüchtlingseigenschaft (neu) festzustellen und ihm Asyl zu gewähren sei.
Im hier vorliegenden Verfahren machte er nämlich geltend, dass ihm
wegen illegalen Personenschmuggels über die türkisch-irakische Grenze
in seiner Heimat eine asylrelevante Verfolgung drohe, falls er in seine
Heimat weggewiesen würde. Auch die Rechtsmitteleingabe vom 14. Juni
2011 zielt nicht darauf ab, die bezüglich des Nichteintretens in
Rechtskraft erwachsene Verfügung des BFM vom 22. Oktober 2008 als
von Anfang an fehlerhaft erscheinen zu lassen. Mithin werden auch keine
Revisionsgründe angerufen. Es ist überdies unbestritten, dass er in der
Schweiz bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen hat. Damit
brachte er hinlänglich vor, dass er – nach erfolglos durchlaufenem ersten
Asylgesuch – erneut um Schutz vor Verfolgung ersucht, weshalb sein
nochmaliges Vorsprechen bei den Asylbehörden vom 27. April 2011 ohne
Weiteres unter den Begriff Asylgesuch im Sinne von Art. 18 AsylG zu
subsumieren ist.
Demzufolge lässt sich festhalten, dass die "Eingabe" beziehungsweise
das erneute Ersuchen des Beschwerdeführers um Asyl vom 27. April
2011 einschliesslich der eingereichten Beweismittel nicht ein
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Wiedererwägungsgesuch, sondern ein neues Asylgesuch darstellt,
welches vom Bundesamt als solches unter dem Aspekt von Art. 32 Abs. 2
Bst. e AsylG zu prüfen gewesen wäre (vgl. EMARK 2006 Nr. 20 E. 2.3. S.
214). Das Bundesamt missachtet demnach mit der angefochtenen
Verfügung Verfahrensvorschriften und damit auch Bundesrecht.
7.
7.1. Abschliessend stellt sich die Frage, ob dies eine Aufhebung der
angefochtenen Verfügung und die Rückweisung der Sache zur
Neubeurteilung an das BFM zur Folge hat oder ob der Verfahrensmangel
ausnahmsweise als durch das vorliegende Beschwerdeverfahren geheilt
betrachtet werden kann.
7.2. Der Beschwerdeführer stellte am 27. April 2011 bei den
Asylbehörden unmissverständlich ein neues Asylgesuch und reichte ein
Beweismittel ein. Er machte in keiner Phase des Verfahrens
Wiedererwägungsgründe geltend, sondern ersuchte sowohl bei der
Befragung vom 12. Mai 2011 als auch in seiner Rechtsmitteleingabe vom
14. Juni 2011 ausdrücklich und mit komplett neuen Vorbringen erneut um
die Anerkennung als Flüchtling und die Gewährung von Asyl. Somit kann
nicht davon ausgegangen werden, das BFM habe das erneute Stellen
eines Asylgesuches vom 27. April 2011 versehentlich als
Wiedererwägungsgesuch behandelt, sondern es muss vielmehr
angenommen werden, das Bundesamt nehme die Verletzung von
Verfahrensvorschriften im vorliegenden Fall in Kauf. Unter diesen
Umständen kann der festgestellte Verfahrensmangel von vornherein nicht
als durch das vorliegende Beschwerdeverfahren geheilt betrachtet
werden, weil andernfalls ein Präjudiz geschaffen würde, welches das
BFM künftig gleichsam von einer sorgfältigen Verfahrensführung
entbinden würde.
8.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz das erneute
Asylgesuch des Beschwerdeführers vom 27. April 2011 zu Unrecht als
Wiedererwägungsgesuch behandelt und damit Bundesrecht verletzt hat
(vgl. Art 106 AsylG). Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, die
angefochtene Verfügung vom 27. Mai 2011 aufzuheben und die Sache
zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
9.
Der Beschwerdeführer befindet sich somit wiederum im Asylverfahren,
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während dessen gesamter Dauer er sich gestützt auf Art. 42 Abs. 1
AsylG in der Schweiz aufhalten kann.
10.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten
aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG), womit das Gesuch um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG
gegenstandslos wird.
11.
Gemäss Art. 64 Abs. 1 VwVG kann die Beschwerdeinstanz der ganz oder
teilweise obsiegenden Partei von Amtes wegen oder auf Begehren eine
Entschädigung für ihr erwachsene notwendige und verhältnismässig hohe
Kosten zusprechen. Da der Beschwerdeführer im hier vorliegenden
Verfahren keine Rechtsvertretung mandatierte, ist nicht von solchen
Kosten auszugehen, weshalb die Entrichtung einer Parteientschädigung
nicht in Betracht kommt (Art. 7 i.V.m. Art. 8 und 13 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem
Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Verfügung des BFM vom 27. Mai 2011 wird vollumfänglich
aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.
3.
Der Beschwerdeführer kann den Ausgang des Asylverfahrens in der
Schweiz abwarten.
4.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
5.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
6.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die
zuständige kantonale Behörde.
Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:
Thomas Wespi Daniel Stadelmann
Versand: