D-2717/2013 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 9. Apri...
Karar Dilini Çevir:
D-2717/2013 - Abteilung IV - Asyl und Wegweisung - Asyl und Wegweisung; Verfügung des BFM vom 9. Apri...
B u n d e s v e rw a l t u ng s g e r i ch t
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i f f éd é r a l
T r i b u n a l e am m in i s t r a t i vo f e d e r a l e
T r i b u n a l ad m i n i s t r a t i v fe d e r a l








Abteilung IV
D-2717/2013


U r t e i l v o m 9 . J a n u a r 2 0 1 4
Besetzung

Richter Bendicht Tellenbach (Vorsitz),
Richterin Christa Luterbacher, Richter Thomas Wespi,
Gerichtsschreiber Linus Sonderegger.
Parteien

A._______, geboren (…),
Sri Lanka,
vertreten durch Hans Peter Roth, (…),
Beschwerdeführer,


gegen

Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.

Gegenstand

Asyl und Wegweisung;
Verfügung des BFM vom 9. April 2013 / N (…).


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Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer ist sri-lankischer Staatsangehöriger tamilischer
Ethnie und stammt aus B._______ (Distrikt Kilinochchi). Gemäss eigenen
Angaben gelangte er am 10. Dezember 2012 in die Schweiz, wo er glei-
chentags im Asyl- und Verfahrenszentrum (EVZ) Kreuzlingen um Asyl
nachsuchte.
B.
Er wurde am 20. Dezember 2012 zu seiner Person und summarisch zum
Reiseweg sowie den Asylgründen befragt (Befragung zur Person [BzP]).
Eine eingehende Anhörung zu den Gründen der Flucht fand am 18. Feb-
ruar 2013 statt.
Der Beschwerdeführer begründete sein Gesuch im Wesentlichen damit,
dass sein Bruder im Jahre 2007 von den Liberation Tigers of Tamil Eelam
(LTTE) zwangsrekrutiert worden sei. Seit Mai 2011 seien er und sein Bru-
der regelmässig behördlich gesucht worden. Nachdem er 2012 an einer
Demonstration teilgenommen habe, hätten die Behörden die Suche in-
tensiviert.
Als Beweismittel wurden die sri-lankische Identitätskarte des Beschwer-
deführers, eine Schulbestätigung, ein Bestätigungsschreiben eines Abge-
ordneten sowie die Geburtsurkunde samt Übersetzung eingereicht.
C.
Mit Verfügung vom 9. April 2013 (Eröffnung am 11. April 2013) verneinte
das BFM die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, wies sein
Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den
Vollzug an.
D.
Diese Verfügung focht der Beschwerdeführer mit Eingabe seines Rechts-
vertreters vom 13. Mai 2013 beim Bundesverwaltungsgericht an und be-
antragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung sowie die Gewäh-
rung von Asyl. Eventualiter sei die Unzulässigkeit oder Unzumutbarkeit
des Wegweisungsvollzugs festzustellen und eine vorläufige Aufnahme
anzuordnen.
In prozessualer Hinsicht wurde um Verzicht auf die Erhebung eines Kos-
tenvorschusses ersucht.
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Als Beweismittel lagen der Beschwerde eine Spezial-Identitätskarte, eine
Kopie einer Family Ration Card, ein Internetauszug sowie eine Fürsorge-
bestätigung bei.
E.
Am 15. Mai 2013 bestätigte das Gericht den Eingang der Beschwerde.
F.
Mit Zwischenverfügung vom 22. Mai 2013 wurde die aufschiebende Wir-
kung der Beschwerde festgestellt, auf die Erhebung eines Kostenvor-
schusses verzichtet und die Vorinstanz zur Vernehmlassung eingeladen.
G.
Mit Vernehmlassung vom 23. Mai 2013 nahm das BFM zu den Ausfüh-
rungen in der Beschwerdeschrift Stellung und beantragte die Abweisung
der Beschwerde.
H.
In der Replik vom 10. Juni 2013 äusserte sich der Beschwerdeführer zu
den Vorbringen in der Vernehmlassung.
I.
Mit Zwischenverfügung vom 28. Juni 2013 wurde dem Beschwerdeführer
Gelegenheit geboten, eine ergänzende Stellungnahme unter Berücksich-
tigung des Beizugs der Akten des Bruders (N […] sowie
D-1197/2013) einzureichen.
Am 15. Juli 2013 reichte der Beschwerdeführer die ergänzende Stellung-
nahme ein.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005
(VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden
gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember
1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Das BFM ge-
hört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz
des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Aus-
nahme i.S. von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsge-
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richt ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde
und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – so auch vorlie-
gend – endgültig (Art. 105 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG,
SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom
17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).
1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG und das
AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwer-
deführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die
angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges
Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; er ist daher
zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 1
AsylG, Art. 48 Abs. 1 und Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutre-
ten.
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige
oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und
die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
3.
3.1 Die Vorinstanz ist in Verfahren, die Staatsangehörige Sri Lankas tami-
lischer Ethnie betreffen, systematisch dazu übergegangen, keine Ausrei-
sefristen mehr zu verhängen und bereits angeordnete Ausreisefristen auf-
zuheben. Faktisch zieht sie damit sämtliche Verfahren (auch solche im
Vollzugsstadium) in Wiedererwägung, und zwar unbesehen der konkreten
Umstände im Einzelfall. Das vorinstanzliche Vorgehen geht auf zwei im
August 2013 bekannt gewordene Vorfälle sri-lankischer Rückkehrer zu-
rück, welche in der Schweiz jeweils erfolglos ein Asylverfahren durchlau-
fen hatten und weggewiesen wurden (vgl. Medienmitteilung des BFM
vom 4. September 2013: "Bundesamt hat Rückführungen nach Sri Lanka
vorläufig ausgesetzt"). Die sri-lankischen Behörden hatten die tamilischen
Rückkehrer bei der Wiedereinreise in Haft genommen. Daraufhin stellte
die Vorinstanz in Aussicht, die beiden Vorfälle und eine allfällige Verände-
rung der allgemeinen Situation und insbesondere die Lage der Rückkeh-
renden in Sri Lanka vertieft abzuklären. Hierfür ersuchte sie das Amt des
Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), die bei-
den Fälle einer Qualitätsprüfung zu unterziehen sowie anschliessend
auch die Dossiers jener Personen zu überprüfen, deren Gesuche rechts-
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kräftig abgelehnt worden waren und die mit der Rückführung nach Sri
Lanka hätten rechnen müssen (vgl. Medienmitteilung des BFM vom
3. Oktober 2013: "Sri Lanka gibt bekannt, warum zwei ehemalige Asylsu-
chende in Haft sind" sowie: Neue Zürcher Zeitung [NZZ] vom 4. Oktober
2013: "UNHCR überprüft Asyldossiers – zwei zurückgeschickte Tamilen
seit Wochen in Haft"). Die Vorinstanz geht damit selbst davon aus, dass
der Sachverhalt, wie er der Verfügung vom 9. April 2013 zugrunde liegt,
offensichtlich nicht vollständig festgestellt ist. Denn es besteht kein Zwei-
fel, dass eine neue Lagebeurteilung vor Ort sich auf die konkrete Fest-
stellung des rechtserheblichen Sachverhalts auswirken kann.
3.2 Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsge-
richt in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindli-
chen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Eine Kassation und Rückwei-
sung an die Vorinstanz ist insbesondere angezeigt, wenn weitere Tatsa-
chen festgestellt werden müssen und ein umfassendes Beweisverfahren
durchzuführen ist. Die in diesen Fällen fehlende Entscheidungsreife kann
grundsätzlich zwar auch durch die Beschwerdeinstanz selbst hergestellt
werden, wenn dies im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen an-
gebracht erscheint; sie muss dies aber nicht (vgl. BVGE 2012/21 E. 5).
Vorliegend liegt der Mangel in einer unvollständigen Sachverhaltsfeststel-
lung, wobei die unterbliebenen notwendigen Abklärungen eine relativ
aufwändige und umfangreiche Beweiserhebung darstellen, weshalb sich
eine Kassation der angefochtenen Verfügung rechtfertigt. Im Übrigen
bleibt auf diese Weise der Instanzenzug erhalten, was umso wichtiger ist,
als das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich entscheidet.
3.3 Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen. Die angefochtene Verfü-
gung ist aufzuheben, die Sache ist zur vollständigen Sachverhaltsfeststel-
lung sowie zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen und
die vorinstanzlichen Akten sowie das Beschwerdedossier, welches eben-
falls Prozessstoff des vorinstanzlichen Verfahrens bilden wird, werden
dem BFM zugestellt. Dabei ist hinsichtlich des Beschwerdedossiers noch
darauf hingewiesen, dass auf Beschwerdeebene nunmehr vorgebracht
wurde, der Beschwerdeführer sei Überlebender des Mullivaikal-
Massakers vom Mai 2009 und weise als Zeuge von Menschenrechtsver-
letzungen ein Risikoprofil gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung
auf.
Auf die weiteren Vorbringen in der Rechtsmitteleingabe ist aufgrund der
vorliegenden Kassation zum heutigen Zeitpunkt nicht näher einzugehen.
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4.
4.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
4.2 Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts des Ausgangs des
Verfahrens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reg-
lements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor
dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädi-
gung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzuspre-
chen. Der Rechtsvertreter hat keine Kostennote zu den Akten gereicht.
Da sich der notwendige Vertretungsaufwand aufgrund der Aktenlage zu-
verlässig abschätzen lässt, kann auf die Einholung einer Kostennote je-
doch verzichtet werden (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Der notwendige
Aufwand wird gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfak-
toren (Art. 7 ff. VGKE) auf insgesamt Fr. 1'050.– (inkl. Auslagen und
Mehrwertsteuer) geschätzt. Dieser Betrag ist vom BFM als Parteient-
schädigung auszurichten.
(Dispositiv nächste Seite)


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Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die Verfügung des BFM vom 9. April 2013 wird aufgehoben und die Sa-
che zur vollständigen Sachverhaltsfeststellung und zu neuer Entschei-
dung an das BFM zurückgewiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Das BFM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädi-
gung von Fr. 1'050.– (inkl. Auslagen und Mehrwertsteueranteil) zu entrich-
ten.
5.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die zuständi-
ge kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Bendicht Tellenbach Linus Sonderegger


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